LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.03.2021 - 4 Sa 210/21
Fundstelle
openJur 2021, 19946
  • Rkr:

Eine Entscheidung nach § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG durch den Vorsitzenden allein ohne mündliche Verhandlung kann auch dann ergehen, wenn materielle Rechtsfragen bei der Prüfung der Zulässigkeit - insbesondere die Frage der ausreichenden Begründung der Berufung - im Vordergrund stehen. Die gegenteilige Rechtsprechung ist seit Neufassung des § 77 ArbGG durch Gesetz vom 11.11.2016 (BGBl. I S. 2500, 6. SGB IV-ÄndG) überholt.

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08. Dezember 2020 - 36 Ca 16936/18 - wird als unzulässig verworfen.

II. Die Revisionsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung war ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 66 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen, da die Berufung nicht ausreichend i. S. d. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 - 4 ZPO begründet worden ist. Hierauf hatte das Gericht den Kläger bereits mit Schreiben vom 26. Februar 2021 hingewiesen.

I. Die Entscheidung konnte nach § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG durch den Vorsitzenden ohne mündliche Verhandlung ergehen. Soweit in der Rechtsprechung in der Vergangenheit angenommen wurde, dass für eine Verwerfung der Berufung durch Alleinentscheidung des Vorsitzenden kein Raum sei, wenn materielle Rechtsfragen bei der Prüfung der Zulässigkeit- insbesondere die Frage der ausreichenden Begründung der Berufung - im Vordergrund stehen (vgl. Staatsgerichtshof Baden-Württemberg 3.11.2014 - 1 VB 8/14, NZA 2015, 506; BAG 6.1.2015 - 6 AZB 105/14 Rn. 22; NZA 2015, 316), ist diese Rechtsprechung überholt. Die Rechtsprechung basiert auf der alten Rechtslage, bei der bei Alleinentscheidung des Vorsitzenden ohne mündliche Verhandlung bei Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde keine Nichtzulassungsbeschwerde gegeben war. Eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Nichtzulassung bestand deswegen nur, wenn aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil entschieden wurde. Nachdem durch Gesetz vom 11.11.2016 (BGBl. I S. 2500, 6. SGB IV-ÄndG) § 77 ArbGG neugefasst wurde und die Revisionsbeschwerde bei einer Verwerfung der Berufung nach § 522 ZPO i. V. m. § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG auch dann zulässig ist, wenn das BAG sie zugelassen hat, besteht für eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil auch im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG kein zwingendes Erfordernis mehr.

II. Die Berufung ist nicht ausreichend i. S. d. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 - 4 ZPO begründet worden.

1. Eine Berufungsbegründung genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 - 4 ZPO nur dann, wenn sie erkennen lässt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht. Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 19.11.2015 - 2 AZR 217/15 Rn. 21, NZA 2016, 540; BAG 16.05.2012 - 4 AZR 245/10 - NZA-RR 2012, 599; GMP/Schleusener ArbGG § 64 Rn. 74).

2. Dem genügt die Berufungsbegründung des Klägers nicht.

a. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe nicht dargelegt, dass es aufgrund arbeitsrechtlicher Maßnahmen der Beklagten zur einer Beschädigung seiner Gesundheit gekommen sei. Die folge aus nicht aus dem Schreiben des Medizinischen Dienstes vom 12.01.2016. Das Schreiben enthalte keine Hinweise auf den Aussteller, selbst durchgeführte Untersuchungen und gebe keine etwaigen Ergebnisse an. Mangels Vortrags konkreter Tatsachen könne wegen des Verbots des Ausforschungsbeweises auch weder die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht noch das seitens des Klägers angebotene Zeugnis in Betracht.

b. Demgegenüber behauptet der Kläger in der Berufungsbegründung auf Seiten 2 Absatz 1 schlicht, das arbeitsgerichtliche Urteil sei falsch, denn er habe "dargelegt, dass es aufgrund der vielen ungerechtfertigten - und damit rechtwidrigen - Kündigungen und der andauernden Nichtbeschäftigung des Klägers zu psychischen Erkrankungen des Klägers gekommen ist". Dies enthält keine Auseinandersetzung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil. Gleichermaßen enthält der Verweis auf die angebotenen Beweismittel keine Auseinandersetzung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil, da das Urteil ausführt, dass mangels Vortrags konkreter Tatsachen wegen des Verbots des Ausforschungsbeweises auch weder die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht, noch das seitens des Klägers angebotene Zeugnis in Betracht komme. Die weiteren Ausführungen des Klägers in Abs. 2 und 3 auf S. 2 der Berufungsbegründung sowie auf S. 3 können allenfalls eine Rechtsverletzung der Beklagten darlegen, gehen aber auf die vom Arbeitsgericht angesprochene Frage der Kausalität mit dem Schaden gar nicht ein.

3. Soweit der Kläger innerhalb der bis zum 30. März 2021 gesetzten Stellungnahmefrist zur beabsichtigten Verwerfung der Berufung mit Schriftsatz vom 24. März 2021 weiter vorgetragen und seine Berufungsbegründung ergänzt hat, ist dies außerhalb der Berufungsbegründungsfrist erfolgt. Aus dem entsprechenden Vortrag ergibt sich auch nicht, dass die Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ausreichendend begründet worden ist.

D. Die Revisionsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund gemäß §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegt.

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