OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20.05.2021 - 1 M 32/21
Fundstelle
openJur 2021, 19869
  • Rkr:

Die abwesenheitsvertretungsweise Wahrnehmung der Aufgaben eines höherwertigen Dienstpostens zusätzlich zur Wahrnehmung der Aufgaben des eigenen amtsangemessenen Dienstpostens begründet keine laufbahnrechtliche Bewährung (Erprobung) i. S. v. § 22 Abs. 2 Nr. 3 LBG LSA.

Gründe

1. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Magdeburg - 5. Kammer - vom 9. April 2021, deren Prüfung gemäߧ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen. Wird mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen, kann eine Regelung nur ergehen, wenn der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, wenn er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müsste. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen hingegen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 5. Januar 2007 - 1 M 1/07 -, juris [m. w. N.]).

Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Danach sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Leistungsgrundsatzes zu besetzen, dessen Geltung durch Art. 33 Abs. 2 GG unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistet wird. Art. 33 Abs. 2 GG vermittelt ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl unmittelbar nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Ein Bewerber um ein öffentliches Amt kann verlangen, dass seine Bewerbung nur aus Gründen zurückgewiesen wird, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind (Bewerbungsverfahrensanspruch). Der Bewerberauswahl dürfen nur Gesichtspunkte zugrunde gelegt werden, die den von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Leistungsbezug aufweisen (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 2 C 19.10 -, juris [m. w. N.]). Ein Beförderungsbewerber hat dementsprechend einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr über seine Bewerbung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei entscheidet (BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2002 - 2 BvQ 25/02 - und Beschluss vom 24. September 2002- 2 BvR 857/02 -, jeweils juris; BVerwG, Urteil vom 21. August 2003 - 2 C 14.02 -, juris [m. z. N.]).

Aus Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG folgt des Weiteren die Verpflichtung des Dienstherrn, die seiner Entscheidung zugrundeliegenden wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen - deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann - wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen will. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen. Schließlich stellt die schriftliche Dokumentation der Auswahlerwägungen sicher, dass die Bewertungsgrundlagen der entscheidenden Stelle vollständig zur Kenntnis gelangt sind; sie erweist sich damit als verfahrensbegleitende Absicherung der Einhaltung der Maßstäbe des Art. 33 Abs. 2 GG (so ausdrücklich: BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 1 WB 19.08 -, juris, unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07-, juris).

Für die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung kommt es im Übrigen allein auf die Erwägungen an, die der Dienstherr bei seiner Auswahlentscheidung in Ausübung seines Verwendungsermessens und des ihm vorbehaltenen Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Eignung der Kandidaten angestellt hat. Mit dieser Entscheidung wird zugleich die Sach- und Rechtslage fixiert, die maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung ist. Zwar können Ermessenserwägungen sowie Einschätzungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum besteht, in entsprechender Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden. Hierzu gehört indes nicht die vollständige Nachholung oder die Auswechslung der die Entscheidung tragenden Gründe. Derartige Erwägungen sind vielmehr unzulässig und bei der gerichtlichen Kontrolle der Auswahlentscheidung nicht berücksichtigungsfähig. Gegenteiliges folgt auch nicht aus § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG (i. V. m. § 1 VwVfG LSA), da die Nachholung einer Begründung hiernach bereits dokumentierte materielle Auswahlerwägungen voraussetzt (siehe zum Vorstehenden: BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - 2 VR 4.11 - und 16. Dezember 2008 - 1 WB 19.08 -, jeweils juris; zudem: OVG LSA, Beschluss vom 26. Oktober 2010 - 1 M 125/10 -, juris [m. w. N.]).

Die im Rahmen der Ermessensentscheidung vorzunehmende Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ist ein Akt wertender Erkenntnis, bei dem der Ernennungsbehörde durch Art. 33 Abs. 2 GG ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist mit der Folge, dass Verwaltungsgerichte bei der Überprüfung der behördlichen Entscheidung darauf beschränkt sind, die Einhaltung seiner Grenzen zu kontrollieren, nämlich ob der Dienstherr den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen der Beurteilungsermächtigung verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (siehe: OVG LSA, Beschluss vom 26. August 2009- 1 M 52/09 -, juris [m. w. N.]). Wird das subjektive Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt, folgt daraus, dass der unterlegene Bewerber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen kann, wenn seine Aussichten, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, offen sind, d. h. wenn seine Auswahl möglich erscheint (BVerfG, Beschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 -, juris).

Hiervon ausgehend rechtfertigt das Beschwerdevorbringen die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht.

Im gegebenen Fall hat der Antragsteller den erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, weil seine Aussichten, bei einer erneuten Auswahlentscheidung ausgewählt zu werden, nicht offen sind, sondern seine Auswahl nicht möglich erscheint. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung insoweit darauf gestützt, dass der Antragsteller in einem weiteren Auswahlverfahren für das hier streitgegenständliche Statusamt rechtsfehlerfrei keine Berücksichtigung finden dürfe, weil er die Beförderungsvoraussetzungen des § 22 Abs. 2 Nr. 3 LBG LSA nicht erfülle. Danach ist eine Beförderung vor Feststellung der Eignung für einen höher bewerteten Dienstposten in einer Erprobungszeit von mindestens sechs Monaten Dauer nicht zulässig. Diese gesetzliche Beförderungsvoraussetzung liegt - entgegen dem Beschwerdevorbringen - nicht vor.

Die Erprobung nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 LBG LSA setzt - wie die Beschwerde zwar zutreffend ausführt - keine zweckbestimmte oder förmliche Übertragung des Dienstpostens voraus. Vielmehr ist es ausreichend, wenn der Beamte mit Wissen und Wollen des Dienstherrn einen Dienstposten innehat, der nach seiner Zuordnung zu einem Amt im statusrechtlichen Sinne höher bewertet ist als das Statusamt, das dem Beamten übertragen ist. Hat der Beamte die Aufgaben des Dienstpostens zumindest zufriedenstellend erfüllt und sich damit "bewährt", hat er den Nachweis der Eignung für einen höher bewerteten Dienstposten erbracht (OVG LSA, Beschluss vom 14. Januar 2021 - 1 M 136/20 -, juris Rn. 10 ff.; siehe zu § 11 BLV: BVerwG, Beschluss vom 7. August 2001 - 2 VR 1.01 -, juris Rn. 16, 18). Die Erprobungszeit von mindestens sechs Monaten Dauer auf einem höher bewerteten Dienstposten ist dabei auch dann erreicht, wenn diese auf mehreren höher bewerteten Dienstposten insgesamt abgeleistet wird. Die Bewährung nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 LBG LSA kann dabei sowohl ausdrücklich als auch konkludent durch den Dienstherrn festgestellt werden, da weder das LBG LSA noch die LVO LSA oder die PolLVO LSA eine gesonderte eigenständige Bewährungsfeststellung vorschreiben (vgl. hierzu: OVG LSA, Beschluss vom 14. Januar 2021, a. a. O., Beschluss vom 19. Mai 2020 - 1 M 59/20 -, juris Rn. 6 [m. w. N.]).

Die Beschwerde hat indes nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller ausschließlich den hier streitgegenständlichen Dienstposten inne hatte. Das Verwaltungsgericht ist unter Zugrundelegung der vom Antragsteller insoweit unwidersprochen gebliebenen Ausführungen der Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass dem Antragsteller mit Wirkung vom 1. August 2016 der nach A 9 LBesO LSA bewertete und für ihn amtsangemessene Dienstposten "Einsatzbeamter zgl. stv. Gruppenführer (Festnahmegruppe)" übertragen wurde und er diesen Dienstposten bis dato ununterbrochen wahrgenommen hat. Das Verwaltungsgericht ist daher - mit der Antragsgegnerin - mit Recht davon ausgegangen, dass die lediglich im Rahmen der Verhinderungsvertretung entstandene Wahrnehmung der Aufgaben des Gruppenführers der bloßen Wahrnahme der eigentlichen Aufgaben des Antragstellers als "stv. Gruppenführer" entsprochen hat. Dass der Antragsteller während der Zeit der Verhinderungsvertretung (vgl. hierzu im Gegensatz zur Vakanzvertretung: OVG LSA, Beschluss vom 8. Juni 2010 - 1 L 50/10 -, juris Rn. 6 [m. w. N.]) von der Wahrnehmung der Aufgaben seines ihm übertragenen amtsangemessenen Dienstpostens "Einsatzbeamter zgl. stv. Gruppenführer (Festnahmegruppe)" entbunden worden wäre, zeigt die Beschwerde schon nicht - schlüssig - auf und ist auch anderweitig für den Senat nicht ersichtlich. Dies wäre indes - wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - nach Sinn und Zweck des § 22 Abs. 2 Nr. 3 LBG LSA erforderlich gewesen.

Die ausdrückliche oder konkludente Feststellung der Eignung und damit die Feststellung einer einfachgesetzlichen Beförderungsvoraussetzung bedingt grundsätzlich, dass der Dienstherr die Wertigkeit des Dienstpostens bzw. der jeweiligen Dienstposten bestimmt hat (OVG LSA, Beschluss vom 14. Januar 2021, a. a. O., juris Rn. 14). Da ein Beamter sich im Sinne des § 22 Abs. 2 Nr. 3 LBG LSA nicht auf einem gebündelten Dienstposten bewähren kann, weil ein solcher für den Beamten im niedrigeren Statusamt kein höherbewerteter Dienstposten ist (siehe: BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 2 C 19.10 -, juris Rn. 30 [m. w. N.]; OVG LSA, Beschluss vom 14. Januar 2021, a. a. O., juris Rn. 21), muss der Beamte ausschließlich oder zumindest nahezu ausnahmslos die Aufgaben eines höherwertigen Dienstpostens wahrnehmen, um feststellen zu können, dass (und gegebenenfalls auch inwieweit) der Beamte den Anforderungen an das nächsthöhere Statusamt genügt. Übt der Beamte hingegen mehrere Dienstposten aus, und sei es - wie im gegebenen Fall - durch die im eigenen Aufgabenbereich vorgesehenen Vertretung in einem höherwertigen Dienstposten, nimmt der Beamte letztlich faktisch ein Konglomerat unterschiedlich bewerteter Aufgaben wahr, die der Sache nach eher einem gebündelten Dienstposten entsprechen, jedenfalls aber nicht mehr in der Summe die Wertigkeit des höherwertigen Dienstpostens aufweisen.

Auf das weitere Beschwerdevorbringen kam es nach alledem nicht mehr entscheidungserheblich an.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht aus Gründen der Billigkeit für erstattungsfähig zu erklären, da diese sich weder dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt noch das Verfahren wesentlich gefördert haben und sie ungeachtet dessen im gegebenen Fall einen Erstattungsanspruch nicht mit Erfolg geltend machen könnten (vgl.: OVG LSA, Beschluss vom 8. Juli 2019 - 1 M 81/19 -, juris Rn. 25 [m. w. N.]).

3. Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i. V. m. §§ 47, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 GKG. Insofern war hier für das Beschwerdeverfahren die Hälfte der Summe der für ein Kalenderjahr nach der Besoldungsgruppe A 10 LBesO LSA (hier 5. Erfahrungsstufe: 3.632,52 € monatlich) zuzüglich der allgemeinen ruhegehaltfähigen Stellenzulage nach Nr. 13. lit. b) der Vorbemerkungen der Besoldungsordnungen A und B i. V. m. der Anlage 8 (98,32 € monatlich) zu zahlenden Bezüge im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung zugrunde zu legen. Der sich daraus ergebende Betrag war nicht im Hinblick auf ein bloßes Neubescheidungsbegehren zu halbieren (vgl.: OVG LSA, Beschluss vom 3. Januar 2019 - 1 M 145/18 -, juris Rn. 12). Die im Rahmen der Rangliste angegriffenen, freizuhaltenden Stellen wirken sich bei der Streitwertfestsetzung im Übrigen nicht streitwerterhöhend aus (vgl.: BVerwG, Beschluss vom 22. November 2012 - 2 VR 5.12 -, juris Rn. 40; OVG LSA, Beschluss vom 22. September 2014 - 1 M 85/14 -).

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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