SG Berlin, Gerichtsbescheid vom 07.01.2021 - S 210 KR 2513/16
Fundstelle
openJur 2021, 19760
  • Rkr:

Eine Krankenkasse hat gegen ein pharmazeutisches Unternehmen einen Anspruch auf Schadensersatz wegen nicht berücksichtigter Herstellerrabatte für Arzneimittel, wenn dies auf einer vom Pharmaunternehmen verschuldeten fehlerhaften Eintragung des Herstellerrabattes in der Lauer-Taxe beruht. Der Anspruch ergibt sich aus einer Pflichtverletzung des (Anbieter-)Vertrages zwischen dem Pharmaunternehmen und der Informationsstelle für Arzneispezialitäten GmbH (IFA-GmbH), der zugunsten der Krankenkasse Schutzwirkung entfaltet.

Die Angaben in der Lauer-Taxe entfalten Bindungswirkung für Dritte, auch wenn diese Angaben fehlerhaft sind.

Pharmazeutische Unternehmen tragen gegenüber Krankenkassen das Risiko verschuldet verursachter falscher Angaben in der Lauer-Taxe, welche nicht rückwirkend korrigierbar sind.

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.311,02 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Dezember 2016 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, welche diese selbst zu tragen haben.

Tatbestand

Mit der Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz aufgrund nicht abgeführter Arzneimittel-Herstellerabschläge in der Zeit vom 15. Januar 2012 bis 14. Juli 2012.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Das beklagte pharmazeutische Unternehmen ist in der Rechtsform einer niederländischen B.V. (niederländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung) mit Sitz in A. organisiert und vertreibt in Deutschland verschiedene Arzneimittel.

Die Informationsstelle für Arzneispezialitäten GmbH (IFA GmbH), die Beigeladene zu 3), ist ein Informationsdienstleister für den Pharmamarkt und erhebt und pflegt wirtschaftliche, rechtliche und logistische Daten zu bundesweit in Apotheken erhältlichen Arzneimitteln, Medizinprodukten und weiteren apothekenüblichen Produkten. Ihre Aufgabe ist es u.a., Informationen über die geltenden Herstellerabgabepreise für Arzneimittel einzuholen und zu überprüfen sowie die Pharmazentralnummern (PZN) zu vergeben (§ 3 GmbH-Gesellschaftsvertrag). Zum Aufgabenbereich gehört ferner die rechtzeitige Weitergabe der Daten in Form von Artikelstammsätzen und Änderungsdiensten an die berechtigten Bezieher (§ 4 Abs. 3 GmbH-Gesellschaftsvertrag). Zu den berechtigten Beziehern der IFA GmbH zählen u.a. der Großhandel, die Apotheken und die Kostenträger.

Der A. Service ist ein Unternehmensbereich der A.-GmbH, der Beigeladenen zu 4), der sich mit der Entwicklung und Produktion von Arzneimitteldaten befasst. Er sammelt pharmazeutische und ökonomisch-pharmazeutische Daten, wertet sie aus und veröffentlicht sie in aktualisierten Datenbanken. Die Beigeladene zu 4) ist berechtigte Bezieherin der von der Beigeladenen zu 3) verarbeiteten Daten und veröffentlicht diese nach Prüfung in der sog. Lauer-Taxe, welche den Apotheken Auskunft über die Verfügbarkeit zugelassener Arzneimittel gibt. In der Lauer-Taxe sind die Namen aller Fertigarzneimittel einschließlich pharmazeutischer Eckdaten, Abgabe- und Zuzahlungsbestimmungen, Preise, Informationen, Zusammensetzung, Wirkungsweise, Neben- und Wechselwirkungen etc. gesammelt. Sie listet auch die Herstellerrabatte nach § 130a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

Voraussetzung für die Datenmeldung des pharmazeutischen Unternehmens (Anbieters) zu seinen Arzneimitteln und der Verarbeitung und Weitergabe dieser Daten durch die Beigeladene zu 3) ist der Abschluss eines sog. Anbietervertrages. Die Beklagte schloss mit der Beigeladenen zu 3) unter dem 18. September 2008/29. September 2008 einen solchen Anbietervertrag. Gegenstand des Vertrags ist die Aufnahme der Artikel der Beklagten mit artikelbeschreibenden Merkmalen rechtlicher, wirtschaftlicher und pharmazeutischer Art in die IFA-Datenbank sowie die Vergabe von PZN und die Veröffentlichung von Daten in Form von regelmäßigen Informationsdiensten (§ 1 des Anbietervertrages). Die der IFA gemeldeten Daten werden maschinell erfasst, verarbeitet und an berechtigte Bezieher übermittelt (§ 4 Abs. 1 Anbietervertrag). In § 7, der die Pflichten des Anbieters (hier der Beklagten) normiert, heißt es in Absatz 5:

"Der Anbieter gewährleistet und haftet der IFA GmbH dafür, dass seine Angaben vollständig und zutreffend sind und allen gesetzlichen und rechtlichen Anforderungen, beispielsweise denen [...] des SGB V, [...] genügen. Er ist verpflichtet, die IFA GmbH von Schäden frei zu halten, die der IFA GmbH durch unvollständige, unzutreffende oder den rechtlichen Anforderungen nicht genügende Angaben entstehen."

Mit vorläufigem Bescheid vom 13. Dezember 2011, der zwischenzeitlich für endgültig erklärt wurde, gewährte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, die Beigeladene zu 2), der S. GmbH eine Reduzierung des Herstellerrabattes von 16 % auf 6 % für den Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis 30. Juni 2012. Die S. GmbH ist ein in Deutschland ansässiges Tochterunternehmen der Beklagten.

Die Beklagte meldete der Beigeladenen zu 3) mit Auftrag vom 19. Dezember 2011 die Reduzierung des Herstellerabschlags von 16 % auf 6 % für die von ihr hergestellten und vertriebenen Arzneimittel. Mit Wirkung zum 15. Januar 2012 stellte die Beigeladene zu 3) in ihr Datenbanksystem und die Beigeladene zu 4) in die Datenbank der Lauer-Taxe die Abänderung des Herstellerrabattes auf 6 % ein.

Im Zeitraum vom 15. Januar 2012 bis 14. Juli 2012 wurden durch Apotheken die Arzneimittel der Beklagten Dantamacrin 25 mg bzw. 50 mg, Dantrolen i.V. und Savene 20 mg/ml zu Lasten der Klägerin an deren Versicherte abgegeben. Aufgrund des Eintrags in der Lauer-Taxe wurden die Herstellerabschläge für die abgegebenen Arzneimittel bei der Abrechnung mit den Apotheken lediglich in reduzierter Höhe von 6 % berücksichtigt.

Im Frühjahr 2016 teilte die Beigeladene zu 2) dem GKV-Spitzenverband, dem Beigeladenen zu 1), mit, dass die Bescheide zur Reduktion der Herstellerabschläge sich ausschließlich auf die S. GmbH und nicht auf die Beklagte beziehen. Mit Rundschreiben 2016/525 vom 25. Oktober 2016 zur "Verfahrensempfehlung zur Rückabwicklung von Herstellerabschlägen nach § 130a SGB V zu Gunsten der Krankenkassen" informierte der Beigeladene zu 1) seine Mitglieder u.a. darüber, dass der Befreiungsbescheid zu Gunsten der S. GmbH nicht auf die Beklagte übertragbar sei und sich daraus Ansprüche der Krankenkassen auf entgangene Abschläge für den Zeitraum vom 15. Januar 2012 bis 15. Juli 2012 für das gesamte Produktportfolio der Beklagten ergäben.

Nachdem die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 22. November 2016 und 12. Dezember 2016 erfolglos zur Zahlung der Differenz aus dem eingetragen reduzierten (6 %) und dem tatsächlichen Herstellerrabatt (16 %) in Höhe von 10.311,02 EUR bis spätestens zum 19. Dezember 2016 aufgefordert hatte, verfolgt sie ihr Begehren mit der am 29. Dezember 2016 erhobenen Klage weiter.

Sie ist der Ansicht, sie habe dadurch einen Schaden erlitten, dass sie den Apothekern die Kosten für die vom Beklagten vertriebenen Arzneimittel ohne Berücksichtigung des tatsächlichen höheren Herstellerrabatts von 16 % erstattet hätten. Dieser Schaden beruhe auf dem von der Beklagten veranlassten fehlerhaften Eintragung des reduzierten Herstellerrabattes in der Lauer-Taxe. Die Reduzierung des Herstellerrabattes habe sich nur auf die S. GmbH, nicht aber auf die Beklagte bezogen. Durch die fehlerhafte Eintragung sei ein Schaden von 10.311,02 EUR eingetreten, der sich ausgehend vom Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens (APU) aus der Differenz des zu Unrecht eingetragen reduzierten (6 %) zum tatsächlichen Herstellerrabatt (16 %) ergäbe. Bezüglich der konkreten geltend gemachten Forderung wird gemäß § 136 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Anlage K1 und den klägerischen Schriftsatz vom 11. August 2020 (inklusive der Anlagen) verwiesen. Diese enthalten u.a. die Abgabepreise des pharmazeutischen Unternehmens für die konkreten zu Lasten der Klägerin abgegebenen Arzneimittel, eine Gegenüberstellung der Rabattbeträge von 6 % bzw. 16 % sowie die Anzahl der jeweils abgebebenen Arzneimittelpackungen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.311,02 EUR nebst Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat sich im Verfahren nicht geäußert.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Die Beigeladene zu 3) wendet ein, dass die Beklagte für den Inhalt der Meldung verantwortlich sei. Die Beigeladene zu 4) weist darauf hin, die Angaben zu den von der Klägerin in Anlage K 1 aufgelisteten Arzneimitteln entsprechend der Meldung der Beigeladenen zu 3) korrekt verarbeitet und verbreitet zu haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Klägerin Bezug genommen.

Gründe

Über die Klage kann gemäß § 105 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind hierzu gemäß § 105 Abs. 1 S. 2 SGG mit Schreiben vom 26. August 2020 gehört worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die zulässige Klage ist bis auf einen Teil der Nebenforderung begründet.

Das Sozialgericht Berlin ist zuständig für die Entscheidung über den Rechtsstreit.

Der Sozialrechtsweg ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG bzw. § 51 Abs. 2 SGG eröffnet. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach § 51 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 SGG entscheiden die Sozialgerichte auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden.Diese besondere Rechtswegzuweisung hat ihre Entsprechung in § 69 S. 1 SGB V, wonach die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu allen Leistungserbringern der Gesetzlichen Krankenversicherung im Vierten Kapitel des SGB V geregelt sind (Wenner in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, SGG, 6. Aufl. 2019, § 51 Rn. 2). Auch die pharmazeutischen Unternehmen sind "sonstige Leistungserbringer" (Wendtland in: BeckOK, SGB V, Stand: 06/2020, § 69 Rn. 5). Sie werden zur Erfüllung des Sachleistungsanspruches der Versicherten in das System des SGB V inkorporiert, bspw. in §§ 130a, 130b und 131 SGB V (Krasney in: Kasseler Kommentar, SGB V, Sept. 2020, § 69 Rn. 16). Für alle Streitigkeiten aus den Rechtsbeziehungen zu den Leistungserbringern der Gesetzlichen Krankenversicherung sind allein die Sozialgerichte zuständig, auch wenn die betroffene Streitigkeit als privatrechtlich zu qualifizieren ist. Das Sozialgericht ist für den vorliegenden Rechtsstreit zwischen Gesetzlicher Krankenversicherung und pharmazeutischem Unternehmen daher unabhängig davon zuständig, ob der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist.

Das Sozialgericht Berlin ist örtlich zuständig. Klagt eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts, richtet sich die Zuständigkeit grundsätzlich nach § 57 Abs. 1 S. 2 SGG, wonach der Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Beklagten maßgebend ist, wenn dieser eine natürliche oder juristische Person des Privatrechts ist. Hat die beklagte juristische Person ihren Sitz im Ausland, ist unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 57 Abs. 3 SGG auf das für den Sitz des Klägers zuständige Sozialgericht abzustellen (Groth in: jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 57 Rn. 58; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 57 Rn. 9). Der Sitz der Klägerin befand sich bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung in Berlin.

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist bis auf einen Teil der Nebenforderung auch begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch auf Zahlung von 10.311,02 EUR wegen nicht abgeführter Herstellerrabatte. Der Anspruch ergibt sich aus § 280 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aus der Pflichtverletzung des Vertrages zwischen der Beigeladenen zu 3) und der Beklagten vom 18./29. September 2008, der seinerseits Schutzwirkung zugunsten der Klägerin als Dritte entfaltet.

Nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Gläubiger im Falle einer Pflichtverletzung des Schuldners Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Grundsätzlich stehen bei der Verletzung vertraglicher Pflichten nur dem Vertragspartner Schadensersatzansprüche zu. Neben dem Vertragsgläubiger kann ein tatsächlich geschädigter Dritter jedoch Schadensersatz bei Verträgen mit Schutzwirkung zugunsten Dritter erlangen. Ein solcher Fall liegt hier vor. Der zwischen der Beigeladenen zu 3) und der Beklagten am 18./29. September 2008 geschlossene Anbietervertrag entfaltet Schutzwirkung für die Klägerin.

Voraussetzung eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist zunächst die Leistungsnähe des Dritten. Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der geschuldeten Leistung in Kontakt kommen und daher den Gefahren einer Schlechtleistung in gleichem Maße ausgesetzt sein wie der Gläubiger (BGH, Urteil vom 2. Juli 1996, X ZR 104/94).

Nach dem Anbietervertrag trifft die Beklagte die Pflicht, der Beigeladenen zu 3) zutreffende Angaben zu den artikelbeschreibenden Merkmalen ihrer Produkte zu melden. Nach § 7 Abs. 5 gewährleistet die Beklagte, dass ihre Angaben vollständig und zutreffend sind und allen gesetzlichen und rechtlichen Anforderungen, wie bspw. dem SGB V, genügen. Die Angaben der Beklagten und die Verarbeitung und Weitergabe der gemeldeten Daten an die berechtigten Bezieher der IFA-Datenbank sind Grundlage der Daten in der Lauer-Taxe. Die Veröffentlichung der Daten in der Lauer-Taxe dient ausschließlich dem Zweck, die an der Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen mit Arzneimitteln Beteiligten über die jeweiligen produktspezifischen Versorgungsgegebenheiten zu informieren. Auch die Vergütung der Apotheker für die von ihnen an Versicherte der Krankenkassen abgegebenen Arzneimittel beruht auf den in der Lauer-Taxe veröffentlichten Angaben (BSG, Urteil vom 2. Juli 2013, B 1 KR 18/12 R, Rn. 24, 28 - nach juris). Die Angaben in der Lauer-Taxe entfalten Bindungswirkung für Dritte, auch wenn diese Angaben fehlerhaft sind. Für die Abrechnung der an Versicherte gesetzlicher Krankenkassen abgegebenen Arzneimittel ist der Inhalt der Lauer-Taxe aus Rechtsgründen maßgeblich. Nur die dort ausgewiesenen Daten sind Grundlage der Arzneimittelvergütung und der Arzneimittelrabatte. Eine Korrektur ist nur für die Zukunft möglich (BSG, Urteil vom 2. Juli 2013, B 1 KR 18/12 R, Rn. 20, 28 - nach juris). Fehlerhafte Angaben in der Lauer-Taxe sind daher gleichwohl Grundlage der Abrechnung zwischen den Gesetzlichen Krankenkassen und den Apothekern. Damit sind die Krankenkassen dem Risiko etwaiger Fehlmeldungen ausgesetzt. Die Klägerin als gesetzliche Krankenkasse kommt damit bestimmungsgemäß im Zuge der Abrechnung mit den Apothekern mit der geschuldeten Leistung der Beklagten (Meldung artikelbeschreibender Daten ihrer Produkte) in Kontakt. Somit ist sie den Gefahren einer Schlechtleistung durch Übermittlung unzutreffender Daten in gleichem - wirtschaftlich betrachtet sogar in größerem - Maße ausgesetzt wie die Beigeladene zu 3) als Partei des Anbietervertrags.

Auch das zur Entfaltung von Schutzwirkung eines Vertrages zugunsten Dritter erforderliche berechtigte Interesse des Gläubigers ist zu bejahen. Haben die Parteien hierzu nichts vereinbart, kann sich ein solches Interesse im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung ergeben; etwa wenn die Leistung auch im Hinblick auf die Interessen des Dritten erbracht wird (BGH, Urteil vom 2. Juli 1996, X ZR 104/94; Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 328 Rn. 16). Die Vertragsleistung der Meldung und Weiterverarbeitung der Daten wird auch im Interesse der Gesetzlichen Krankenkassen erbracht, da diese Daten verbindliche Grundlage der Abrechnung der an Versicherte gesetzlicher Krankenkassen abgegebenen Arzneimittel sind.

Als weitere Voraussetzung der Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrages muss die Leistungsnähe des Dritten und das Interesse des Gläubigers am Schutz des Dritten für den Schuldner erkennbar gewesen sein (Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 328 Rn. 17). Dies ist hier der Fall, da der Beklagten als am deutschen Markt tätigen pharmazeutischen Unternehmen die Ausgestaltung des Meldesystems der Arzneimitteldaten und das darauf basierende Abrechnungssystem mit den Gesetzlichen Krankenkassen bekannt war. Die Beklagte schloss den Anbietervertrag mit der Beigeladenen zu 3) gerade ab, um die ihr nach § 131 Abs. 4 S. 2 SGB V auferlegten Informationspflichten zu erfüllen. Danach haben die pharmazeutischen Unternehmer für die Abrechnung von Fertigarzneimitteln u.a. die nach § 300 SGB V erforderlichen Preis- und Produktangaben einschließlich der Rabatte nach § 130a zu übermitteln. Die Bezugnahme auf § 300 SGB V zeigt, dass die Informationspflicht der pharmazeutischen Unternehmen auch zu dem Zweck besteht, die Arzneimittelabrechnung im Verhältnis zu den Krankenkassen zu regeln.

Der Dritte muss zuletzt auch schutzbedürftig sein, mithin keine eigenen gleichwertigen vertraglichen Ersatzansprüche haben, die denselben oder zumindest einen gleichwertigen Inhalt haben wie diejenigen Ansprüche, die ihm über eine Einbeziehung in den Schutzbereich eines Vertrages zukämen (BGH, Urteil vom 2. Juli 1996, X ZR 104/94; Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 328 Rn. 18). Die Klägerin hat keine gleichwertigen Ansprüche. Ersatzansprüche gegen die Apotheker scheiden aus, da die an die Apotheken gezahlte Vergütung für die zu gering rabattierten Arzneimittel der Beklagten aufgrund der Bindungswirkung der Lauer-Taxe als in rechtmäßiger Höhe gewährt gilt. Rückabwicklungen aufgrund fehlerhafter Angaben in der Lauer-Taxe sind ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 2. Juli 2013, B 1 KR 18/12 R, Rn. 33 - nach juris).

Die Entfaltung von Schutzwirkung des Anbietervertrages zugunsten der Klägerin entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Ohne Einbeziehung der Gesetzlichen Krankenkassen in den Schutzbereich der Verträge zur Meldung der für die Abrechnung relevanten Daten würden sie das Risiko fehlerhafter, aber bindender Angaben in der Lauer-Taxe tragen. Nach dem BSG wäre es wenig systemgerecht, die nicht in die Gestaltung des Meldesystems eingebundenen Krankenkassen mit Fehlerfolgen zu belasten, denen sie nicht nahestehen. Die Zuordnung des Risikos für fehlerhafte Angaben in der Lauer-Taxe zur Sphäre der pharmazeutischen Unternehmen ist gesetzlich in § 130a Abs. 6 S. 4 SGB V a.F. angelegt: Die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Apotheker, der pharmazeutischen Großhändler und der pharmazeutischen Unternehmen haben nicht nur die Möglichkeit, das Nähere in einem gemeinsamen Rahmenvertrag zu regeln. Sie tragen hierfür auch im Interesse ihrer Mitglieder oder Repräsentierten die Verantwortung. Diese Organisationen haben sich in einem Rahmenvertrag auf das beschriebene Verfahren mit der Maßgeblichkeit der Datensätze in der Lauer-Taxe verständigt (BSG, Urteil vom 2. Juli 2013, B 1 KR 18/12 R, Rn. 29 - nach juris). Nach der gesetzlichen und ergänzenden normenvertraglichen Regelungskonzeption tragen daher pharmazeutische Unternehmen gegenüber Apothekern, Ärzten und Krankenkassen das Risiko falscher Angaben in der Lauer-Taxe.

Die nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB erforderliche Pflichtverletzung der Beklagten liegt darin, dass sie der Beigeladenen zu 3) für die von ihr vertriebenen Arzneimittel eine Reduzierung des Herstellerrabatts von 16 % auf 6 % meldete, obwohl die Beklagte selbst nicht über einen entsprechenden Befreiungsbescheid verfügte. Der vorläufige Befreiungsbescheid der Beigeladenen zu 1) vom 13. Dezember 2011 galt nicht für die Beklagte, sondern lediglich ihr Tochterunternehmen S. GmbH.

Das Verschulden der Beklagten wird nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. Wie die im Verfahren durch die Beigeladene zu 3) vorgelegten Meldungen der Beklagten zeigen, hat die Beklagte selbst die Reduzierung des Rabatts von 16 % auf 6 % gemeldet. Angaben, die die Verschuldensvermutung erschüttern, hat die Beklagte zudem nicht gemacht.

In der Rechtsfolge der verschuldeten Pflichtverletzung aus dem Anbietervertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Klägerin hat die Beklagte den der Klägerin hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Der Schaden resultiert daraus, dass bei der Abrechnung der zu Lasten der Klägerin an ihre Versicherten abgegebenen Arzneimittel Dantamacrin 25 mg bzw. 50 mg, Dantrolen i.V. und Savene 20 mg/ml im Zeitraum vom 15. Januar 2012 bis 14. Juli 2012 zu ihren Lasten nur einen Herstellerabschlag von 6 % statt 16 % berücksichtigt wurde.

Die konkrete Schadenshöhe ermittelt sich ausgehend vom Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens (APU) der jeweiligen Arzneimittel aus der Differenz des Herstellerpflichtrabatts nach § 130a Abs. 1a SGB V i.H.v. 16 % und des aufgrund der fehlerhaften Meldung tatsächlich nur berücksichtigten Rabatts von 6 % unter Berücksichtigung des weiteren Rabatts nach § 130a Abs. 3a SGB V. Der Differenzbetrag der fehlerhaft in der Lauer-Taxe ausgewiesenen Rabatte und der tatsächlich zu berücksichtigenden Rabatte ergibt sich aus der Gegenüberstellung der Eintragungen in der Lauer-Taxe vor der fehlerhaften Meldung der Beklagten am 1. Januar 2012 (Herstellerrabatt 16 %) und nach der Veröffentlichung des fehlerhaft gemeldeten Rabatts am 15. Januar 2012 (Herstellerrabatt 6 %). Diesbezüglich wird auf die dem Schriftsatz der Klägerin vom 11. August 2020 beigefügten Ausdrucke aus der Lauer-Taxe (Bl. 179-182 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Die Multiplikation der Differenzbeträge mit der Anzahl der jeweils abgegebenen Packungen der Arzneimittel ergibt folgende Schadensbeträge:

Arzneimittel

PZN

APU

DifferenzHerstellerrabatt

Packungen

Summe

Dantamacrin 25 mg

1982809

27,93 EUR

1,60 EUR

74

118,40 EUR

Dantamacrin 25 mg

2486171

50,14 EUR

3,51 EUR

1028

3.608,28 EUR

Dantamacrin 50 mg

1982821

36,72 EUR

2,52 EUR

22

55,44 EUR

Dantamacrin 50 mg

2486188

65,20 EUR

5,10 EUR

549

2.799,90 EUR

Dantrolen i.V.

2331008

780,00 EUR

78,00 EUR

8

624,00 EUR

Dantrolen i.V.

2331014

1.800,00 EUR

180,00 EUR

1

180,00 EUR

Savene 20 mg/ml

2515317

9.750,00 EUR

975,00 EUR

3

2.925,00 EUR

Summe:

10.311,02 EUR

Die Beklagte hat der Klägerin den entstandenen Schaden in Höhe von 10.311,02 EUR zu ersetzen.

Der Zinsanspruch (vgl. dazu ausführlich: BSG, Urteil vom 3. August 2006, B 3 KR 7/06 R; Urteil vom 19. April 2007, B 3 KR 10/06 R) der Klägerin folgt aus § 69 Abs.1 S. 3 SGB V i.V.m. §§ 286, 288 Abs. 1 BGB. Aufgrund der Aufforderungsschreiben der Klägerin vom 22. November 2016 und 12. Dezember 2016 war die Beklagte mit der Zahlung gem. § 286 Abs. 3 BGB spätestens mit dem Ablauf der gesetzten Frist seit dem 20. Dezember 2016 und damit auch seit dem von der Klägerin beantragten Zinsbeginn ab Rechtshängigkeit am 29. Dezember 2016 in Verzug. Der Verzugszins beträgt nach § 288 Abs. 1 S. 1 BGB fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

In der darüber hinaus geltend gemachten Höhe des Verzugszinses war die Klage abzuweisen. Ein Verzugszins bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 288 Abs. 2 BGB für Entgeltforderungen scheitert daran, dass Schadensersatzforderungen unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe der zugrunde liegenden Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 keine Entgeltforderungen iSv § 288 Abs. 2 BGB sind (Erwägungsgrund 13 EG RL 2000/35; Ernst in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2019, § 286 Rn. 82).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 155 Abs. 1 S. 3, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Das teilweise Unterliegen der Klägerin in Bezug auf die Zinsforderung gebietet im Vergleich zur geltend gemachten Hauptforderung keine teilweise Kostentragung der Klägerin, zumal die Nebenforderung den Gebührenstreitwert nicht erhöht, § 43 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt und sind daher nicht nach § 154 Abs. 3 VwGO an den Kosten zu beteiligen. Da sie hierdurch kein Prozessrisiko tragen, ist auch die Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten aus Gründen der Billigkeit nicht geboten, § 162 Abs. 3 VwGO.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte