ArbG Aachen, Urteil vom 14.04.2021 - 9 Ca 7361/20
Fundstelle
openJur 2021, 19213
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

4. Der Streitwert wird auf 329.143,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Provision gegen die Beklagte für das Geschäftsjahr 2020.

Der Kläger ist seit dem 01.11.2004 bei der Beklagten bzw. bei den Rechtsvorgängerinnen der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Director (P & L Leader, Profit & Loss Leader). Der zwischen den Parteien bestehende Arbeitsvertrag (Bl. 19 ff. der Akte) lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 3 Vergütung

3.1 Das Jahreszielgehalt beträgt bis 31.03.2005 90.000 € brutto und setzt sich aus den folgenden Bestandteilen zusammen:

[...]

3.1.2 einer Provision, deren Höhe sich durch den Erreichungsgrad der zwischen ihnen und ihrem Vorgesetzten vereinbarten Ziele bestimmt. Die Provision beträgt bei 100 %iger Zielerfüllung 36.000 € brutto p.a.. Weiteres regelt die für das jeweilige Jahr gültige Provisionsregelung.

[...]"

Nach dem bei der Beklagten herrschenden Bonussystem werden die globalen, strategischen und finanziellen Ziele des gesamten Konzernsegments bis auf die individuelle Mitarbeiterebene "heruntergebrochen". Zur Schaffung allgemeiner Rahmenbedingungen, Grundsätze und Verfahrensabläufe für diesen Prozess besteht bei der Beklagten die Gesamtbetriebsvereinbarung "Rahmenbedingungen für variable Gehaltsbestandteile (PCT) ... GmbH" (siehe Bl. 76 ff. der Akten, im Folgenden GBV).

Diese lautet auszugsweise wie folgt:

"4. Beschreibung Festlegungsprozess der zu erreichenden Ziele

[...]

4.3 Auf dieser Basis erstellt der Arbeitgeber übergeordnete Kompensationspläne, die die für den jeweiligen Bereich bzw. die jeweilige Mitarbeitergruppe des Arbeitgebers heruntergerechneten Zielparameter, Zielgrößen, Berechnungsweise und Gewichtung zueinander ausweisen ("übergeordneter Kompensationsplan").

4.4 Auf Grundlage der übergeordneten Kompensationspläne erhält jeder anspruchsberechtigte Mitarbeiter von seinem Vorgesetzten einen individuellen Kompensationsplan ("Personal Kompensations Terms" bzw. "PCT-Sheets"), der die individuell vom Mitarbeiter zu erreichenden Zielparameter, Zielgrößen und deren Gewichtung zueinander festlegt. Die Mitarbeiter sind verpflichtet, den Erhalt ihres PCT-Sheets zu bestätigen.

[...]

4.7 Ziel ist es, dass die Festlegung der zu erreichenden Ziele innerhalb der ersten zwei Monate des jeweiligen Geschäftsjahres für das laufende Geschäftsjahr abgeschlossen sein soll. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt keine Festlegung der übergeordneten Kompensationspläne gemäß Z. 4.4 erfolgt und gegenüber den betroffenen Mitarbeitern mitgeteilt worden sein, erhalten diese ungeachtet ihrer tatsächlichen Zielerreichung für das erste Quartal zeitanteilig 100 % ihres möglichen PCT-Anspruchs garantiert. Ein darüber hinausgehender Anspruch richtet sich nach der tatsächlichen Zielerreichung. Diese Regelung gilt im Fall einer über das erste Quartal nicht erfolgten Zielfestlegung hinaus entsprechend bis zu dem Zeitpunkt einer Zielfestlegung."

Der auf dieser Grundlage von der Beklagten erstellte übergeordnete Kompensationsplan zur GBV Rahmenbedingungen für variable Gehaltsbestandteile (PCT) für das Geschäftsjahr 2020 (Bl. 27 ff. der Akten; deutsche Übersetzung Bl. 127 ff. der Akte) lautet auszugsweise wie folgt:

"[...]

2.FY 20 GSCS P & L Leader Kompensationsplan

Maßnahmen auf P & L Ebene -

Gesamtumsatz gemessen am jährlichen Gesamtumsatzbudget

Deckungsbeitrag in Dollar gemessen am jährlichen Deckungsbeitragsbudget

SaaS Auftragseingang gemessen am jährlichen SaaS Auftragseingangsbudget"

Am 03.02.2020 erhielt der Kläger den Verfahrensgrundsätzen der Beklagten entsprechend einen persönlichen Kompensationsplan, welchen er am 10.02.2020 gegenzeichnete. Ausweislich dieses individuellen Kompensationsplans des Klägers kommt es für dessen persönliche Zielerreichung hinsichtlich der dritten Ebene (Measure 3) auf den jährlichen Auftragswert der zu vermittelnden Softwareprodukte Mendix & Mindsphere an. Es wird Bezug genommen auf die vom Kläger vorgelegte Übersetzung des PCT in die deutsche Sprache (Bl. 138 der Akten) und die englische Originalfassung (Bl. 35 der Akten), welche diesbezüglich auf sogenannte "ACV Bookings" abstellt.

Darüber hinaus enthält der persönliche Kompensationsplan des Klägers folgende sonstige Bedingungen:

"[...] Durch meine nachstehende Unterschrift bestätige ich, dass ich eine Kopie des Arbeitsblatt (sic!) über die personenbezogenen Vergütungsmodalitäten 2020 (PCT) und den Anreizplan von Siemens Industriesoftware für Gebietsund Bereichsleiter erhalten habe. Ich habe den Plan und das vorliegende PCT vollständig gelesen. Ich habe die darin erläuterten Bedingungen verstanden und bin mit ihnen einverstanden. [...]"

Zusammen mit seinem Team akquirierte der Kläger im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2020 einen Vertrag der Firma Continental mit einem Gesamtwert von 5,5 Millionen € netto bei einer Laufzeit von drei Jahren. Bei der Berechnung der Provision für das Geschäftsjahr 2020 legte die Beklagte ein Drittel des Gesamtvolumens des vorgenannten Auftrags der Firma Continental zugrunde.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte in die Berechnung der Provision des Klägers für das Geschäftsjahr 2020 den vom Team des Klägers an die Firma ... mit seinem Gesamtvolumen i.H.v. 5,5 Million € hätte berücksichtigen müssen. Deshalb macht er mit der vorliegenden Klage die Differenz zu der so von ihm errechneten Provision geltend. Denn neben dem Personal Compensation Terms sei weitere Vertragsgrundlage der übergeordnete Kompensationsplan zur GBV Rahmenbedingungen für variable Gehaltsbestandteile. Auf Seite 5 dieses Kompensationsplans seien die einzelnen Maßnahmen aus den PCT aufgelistet sowie die Gewichtung im Rahmen der Gesamtprovision. Der übergeordnete Kompensationsplan stelle ab auf den "SaaS Auftragseingang gemessen am jährlichen SaaS Auftragseingangsbudget". Damit seien die Auftragseingänge gemeint, die ins Verhältnis zu dem SaaS Bookings Budget, d. h. den Zielvorgaben in den PCT ins Verhältnis gesetzt werden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 329.143 € brutto nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach folgender Maßgabe zu bezahlen:

Aus 209.376 € seit dem 01.03.2020 bis zum 31.05.2020, aus 288.660 € seit dem 01.06.2020 bis zum 31.08.2020 und aus 329.143 € seit dem 01.09.2020 bis auf weiteres.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass der von dem Kläger akquirierte Auftrag für die Firma ...

nur mit einem Drittel seines Gesamtvolumens in die Berechnung des Provisionsanspruchs des Klägers einfließen kann. Denn der persönliche Kompensationsplan des Klägers stelle allein auf den jährlichen Auftragswert für die vermittelten Produkte ... & ... ab. Die im englischen gewählte Terminologie "..." sei ein feststehender Begriff und bezeichne den annualisierten, d. h. jährlichen Vertragsorderwert unabhängig von der jeweiligen Vertragslaufzeit. Dieser Wert errechne sich aus dem Gesamtvertragsordervolumen der gesamten Vertragslaufzeit durch Division durch die Laufzeit. Nichts anderes ergebe sich aus der Bezugnahme auf den übergeordneten Kompensationsplan. Die Bezugnahme finde sich allein deshalb im PCT des Klägers, um den Vorgaben der Gesamtbetriebsvereinbarung, namentlich deren Nr. 4.7 gerecht zu werden. Denn hiernach müssen die übergeordneten Kompensationspläne innerhalb der ersten zwei Monate des jeweiligen Geschäftsjahres für das laufende Geschäftsjahr abgeschlossen und gegenüber den betroffenen Mitarbeitern mitgeteilt werden, um zu verhindern dass diese ansonsten ungeachtet ihrer tatsächlichen Zielerreichung für das erste Quartal zeitanteilig 100 % ihres möglichen PCT-Anspruchs erhalten.

Jedenfalls seien die Ansprüche des Klägers aus dem ersten Quartal des Geschäftsjahres 2020 aber nach § 12 des Arbeitsvertrages (Bl. 22 der Akten) verfallen, weil der Kläger die Ansprüche erst mit Schreiben vom 09.09.2020 gegenüber der Beklagten geltend gemacht habe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Protokolle der Verhandlungen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung i.H.v. 329.143,00 € gegen die Beklagte aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag und dem PCT vom 03.02.2020. Die Beklagte hat den Bonus des Klägers insofern zutreffend errechnet und zur Auszahlung gebracht.

I. Die Parteien haben sich vorliegend nicht i.S.d. §§ 133, 157 BGB darauf geeinigt, dass vom Team des Klägers vermittelte Aufträge aus dem Bereich der Softwareprodukte ... & ... mit ihrem gesamten Auftragsvolumen unabhängig von der Laufzeit des vermittelten Auftrags in die Berechnung des klägerischen Bonusanspruchs einfließen.

Der zwischen den Parteien abgeschlossene persönliche Kompensationsplan konkretisiert die nach § 3 des Arbeitsvertrags geschuldete Vergütung des Klägers, vgl. § 3, Nr. 3.1.2 des AV. Er ist damit seinerseits Vertrag i.S.d. § 311 Abs. 1 BGB. Gemäß §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Ausgehend vom Vertragswortlaut sind empfangsbedürftige Willenserklärungen danach grundsätzlich so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen muss. Dabei dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die für den Erklärungsempfänger erkennbar sind. Auf seinen Horizont und seine Verständnismöglichkeiten ist abzustellen. Er darf die Erklärung aber nicht einfach in dem für ihn günstigen Sinne verstehen. Vielmehr ist der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben verpflichtet, unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit zu prüfen, was der Erklärende gemeint hat. Das Gericht hat sodann alle Begleitumstände zu würdigen, die dafür von Bedeutung sind, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie der Empfänger der Erklärung diese verstanden hat oder hätte verstehen müssen. Die Orientierung an Treu und Glauben bei der Vertragsauslegung bedeutet, dass im Zweifel ein Auslegungsergebnis anzustreben ist, das die berechtigten Belange beider Parteien angemessen berücksichtigt und mit den Anforderungen des redlichen Verkehrs im Einklang steht (vgl. BAG, Urt. v. 14.11.2001, 10 AZR 152/01 = NJOZ 2002, 1076).

Danach haben die Parteien sich vorliegend darauf geeinigt, dass Bemessungsgrundlage für die Zielerreichung der dritten Ebene (Measure 3) des persönlichen Kompensationsplans das Gesamtvolumen der vermittelten Aufträge aus dem Bereich... & ... im Verhältnis zu der jeweiligen Vertragslaufzeit ist.

Hierfür spricht zunächst der eindeutige Wortlaut der Vereinbarung. Dieser stellt auf das ACV, also das Annual Contract Value (zu Deutsch: jährlicher Auftragswert) ab. Der Begriff ACV ist ein Terminus technicus der Betriebswirtschaftslehre, der dazu dient, das Gesamtvolumen eines Auftrags in das Verhältnis zu dessen Vertragslaufzeit zu setzen. In Abgrenzung zum ACV wird in der Betriebswirtschaftslehre der Begriff des TCV (Total Contract Value; zu Deutsch: Gesamtauftragswert) verwendet, um den Wert eines Auftrags über seine gesamte Vertragslaufzeit zu beschreiben. Dieses Verständnis findet sich auch in der wörtlichen deutschen Übersetzung des feststehenden Begriffs "ACV Bookings" wieder, nämlich dem "jährlichen Auftragswert des Auftragseingangs".

Der Kläger als Erklärungsempfänger durfte die Regelung seines persönlichen Kompensationsplans nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte deshalb nicht so verstehen, dass es für die Zielerreichung abweichend von dem oben beschriebenen Wortlaut auf das Gesamtauftragsvolumen ankommt. Dies folgt zum einen daraus, dass der Kläger Angehöriger eines betriebswirtschaftlich geprägten Verkehrskreises ist. Als solcher durfte der Kläger dem Begriff des ACV nicht den Sinngehalt des TCV zugrundelegen. Darüber hinaus folgt dieses Verständnis von der persönlichen Zielerreichung auch nicht aus dem übergeordneten Kompensationsplan. Denn der übergeordnete Kompensationsplan ist bereits nicht Vertragsbestandteil der Zielvereinbarung der Parteien geworden. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien kommt es für die Festlegung der Ziele nicht auf den übergeordneten Kompensationsplan an, sondern auf die individuell vereinbarten Ziele. Dieses Verständnis entspricht zudem auch der Gesamtbetriebsvereinbarung, nach der der übergeordnete Kompensationsplan lediglich als Grundlage für die spätere Vereinbarung des persönlichen Kompensationsplans dient, vgl. Nr. 4.4 der GBV.

Allein aus dem Umstand, dass der persönliche Kompensationsplan des Klägers unter dem Punkt "sonstige Bedingungen, Ausschlüsse etc." Bezug auf den übergeordneten Kompensationsplan nimmt, durfte der Kläger nicht darauf schließen, dass die Beklagte damit den übergeordneten Kompensationsplan zum Vertragsgegenstand machen wollte. Dieser Sinngehalt ist der Erklärung der Beklagten unter Zugrundelegung der oben definierten Maßstäbe nicht beizumessen. Denn der Kläger darf die Erklärung der Beklagten nicht einfach in dem für ihn günstigen Sinne verstehen, sondern er ist nach Treu und Glauben verpflichtet, unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit zu prüfen, was die Beklagte gemeint hat. Danach kann die Beklagte aber gerade nicht gemeint haben, dass die Regelungen des übergeordneten Kompensationsplans Gegenstand der Zielvereinbarung des Klägers werden sollen. Denn diese stellen keine mögliche Ergänzung respektive Konkretisierung der persönlichen Ziele dar, sondern ein völlig anderes Ziel. Es kann aber schlechterdings nicht angenommen werden, dass die Beklagte durch Inbezugnahme eine Regelung treffen wollte, die den eindeutigen Wortlaut des persönlichen Kompensationsplans in das genaue Gegenteil verkehrt. Dann hätte es der Regelung im PCT nämlich überhaupt nicht bedurft.

Ferner hätte der Kläger bei seiner Auslegung der Erklärung der Beklagten berücksichtigen müssen, dass es dieser nach Nr. 4.7 der GBV obliegt, allen Mitarbeitern binnen zwei Monaten seit Beginn des jeweiligen Geschäftsjahres den übergeordneten Kompensationsplan mitzuteilen. Demnach hätte es vorliegend nahegelegen, den im PCT enthaltenen Hinweis auf den übergeordneten Kompensationsplan als Erfüllung dieser Obliegenheit der Beklagten nach der GBV zu verstehen.

Schließlich ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Beklagte bei anderen Mitarbeitern, namentlich Herrn Stach, den Gesamtauftragswert des akquirierten Vertrags (TCV) zugrunde gelegt hat, nichts anderes, weil diese Mitarbeiter insofern auch eine abweichende Vorgabe in ihrem persönlichen Kompensationsplan hatten.

II. Mit der Frage, ob die Ansprüche des Klägers ganz oder zum Teil verfallen sind, musste sich die Kammer nicht befassen, weil sie für Recht erkannt hat, dass die Ansprüche bereits dem Grunde nach nicht bestehen.

III. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 495, 91 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil er im Rechtsstreit unterlegen ist.

IV. Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorlagen.

V. Die Festsetzung des Streitwerts im Urteil beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 495, 3 ff. ZPO.

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