VG Würzburg, Beschluss vom 24.02.2020 - W 8 E 20.267
Fundstelle
openJur 2021, 18532
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller, armenischer Staatsangehöriger, wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - gerichtet an die Ausländerbehörde - gegen seine Abschiebung nach Armenien.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet ab. Am 26. Juli 2012 stellte der Antragsteller einen Asylfolgeantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 26. Juli 2016 abgelehnt.

Mit Bescheid vom 3. Januar 2020 lehnte die Regierung von ... - Zentrale Ausländerbehörde - (ZAB) einen Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Dem Antragsteller wurden in der Folgezeit durchgehend Duldungen erteilt, da er nicht im Besitz von Reisedokumenten war.

Eine für den 30. Januar 2018 geplante Abschiebung des Antragstellers und seiner Familie scheiterte, nachdem diese nicht in der Unterkunft angetroffen werden konnten. Am 30. Januar 2018 wurde die Familie daraufhin zum 23. Januar 2018 mit "Wegzug nach unbekannt" von ihrer bisherigen Wohnadresse abgemeldet. Am 6. Februar 2018 sprach die Mutter des Antragstellers bei der Ausländerbehörde der Stadt Aschaffenburg vor, woraufhin der Familie erneut Duldungen erteilt wurden.

Am 7. Februar 2020 ließ der Antragsteller im vorliegenden Verfahren beantragen,

der Antragsgegnerin (richtig: dem Antragsgegner) im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, Abschiebemaßnahmen gegen den Antragsteller nicht zu vollziehen.

Zur Begründung ließ die Antragsteller im Wesentlichen ausführen: Die Antragsgegnerin teile lediglich mit, dass derzeit keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in Vorbereitung seien. Daraus ergebe sich aber nicht, dass diese nicht jederzeit durchgeführt werden könnten. Es sei falsch, wenn der Antragsgegner behaupte, der Antragsteller sei mit seiner Familie untergetaucht gewesen. Aus den Duldungen des Antragstellers ergebe sich keine Auflage, dass der Ausländerbehörde mitgeteilt werden müsste, wenn man den Wohnsitz für länger als nur kurze Zeit verlasse. Aus dem Vermerk des Polizeipräsidiums ... vom 30. Januar 2018 ergebe sich, dass die Mutter des Klägers noch am 29. Januar 2018 in der Unterkunft gewesen sei, der Kläger selbst in der Schule. Es sei insgesamt unzutreffend, dass der Kläger untergetaucht gewesen sein solle, wenn er lediglich am Tag der Abschiebung morgens, damit für weniger als einen Tag nicht für die Behörden erreichbar gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2020 ließ der Antragsteller eidesstattliche Versicherungen verschiedener Personen vorlegen zur Glaubhaftmachung, dass er sich in der fraglichen Zeit nicht im Ausland aufgehalten hatte.

Mit Schriftsatz vom 18. Februar 2020 (Telefax) beantragte der Antragsgegner, den Antrag nach § 123 VwGO abzuweisen.

Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus: Der Antragsteller sei derzeit bis 28. Mai 2020 geduldet. Ein Anordnungsgrund sei nicht erkennbar. Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers stünden unmittelbar nicht bevor und seien seitens der Zentralen Ausländerbehörde ... auch aktuell nicht geplant. Eine Meldung an das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführung, welches die Abschiebungen in Bayern koordiniere, sei bislang nicht erfolgt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht ersichtlich. Auf den ablehnenden Bescheid vom 3. Januar 2020 werde Bezug genommen.

Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 10. Februar 2020 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 7 K 20.100) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag nach § 123 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.

Der Antrag ist unbegründet, da der Antragsteller vorliegend einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat.

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder es aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung setzt nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. den § 920 Abs. 2, § 294 ZPO voraus, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen kann. Eine Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sich als überwiegend wahrscheinlich darstellt.

Es bestehen bereits Zweifel hinsichtlich des Vorliegens eines Anordnungsanspruches. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich ist, weil dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung unzumutbar ist.

Eine Abschiebung des Antragstellers ist derzeit nicht zu befürchten. Der Antragsteller ist zwar vollziehbar ausreisepflichtig und nicht im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels. Dies alleine rechtfertigt aber nicht die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes. Denn gegenwärtig und jedenfalls in den nächsten Wochen droht keine Abschiebung des Antragstellers. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 18. Februar 2020 ausdrücklich erklärt, dass der Antragsteller derzeit bis 28. Mai 2020 geduldet ist. Konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen stehen unmittelbar nicht bevor und sind seitens des Antragsgegners auch nicht geplant. Eine Meldung an das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführung ist bislang nicht erfolgt.

Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes kann letztlich jedoch offen bleiben, da ein Anordnungsanspruch des Antragstellers nicht glaubhaft gemacht wurde.

Ein Duldungsanspruch wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG besteht nach summarischer Prüfung insbesondere nicht aufgrund einer etwaigen Vereitelung des Anspruches auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25a AufenthG.

Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn sich etwa aus unmittelbar anwendbarem Unionsrecht, innerstaatlichem Verfassungsrecht oder einfachem Gesetzesrecht sowie in innerstaatliches Recht inkorporiertem Völker- und Völkervertragsrecht ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis ergibt (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 22.8.2017 - 13 ME 213/17 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 29).

Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG, wonach ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nur für den Fall eines rechtmäßigen Aufenthalts vorgesehen ist, kann allein daraus, dass der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend macht und diesen im Bundesgebiet durchsetzen will, grundsätzlich kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis folgen, dem durch Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens Rechnung zu tragen ist (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 22.8.2017 - 13 ME 213/17 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 30). Dem in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Anliegen und der Gesetzessystematik widerspräche es, wenn ein Ausländer für die Dauer eines jeden (anderen) Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens die Aussetzung der Abschiebung beanspruchen könnte. (vgl. etwa BayVGH, B.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 30).

Der Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG hat vorliegend keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 AufenthG. Der Antragsteller hat daher grundsätzlich auch für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung.

Ausnahmsweise kann jedoch zur Gewährleistung effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG die Aussetzung einer Abschiebung dann geboten sein, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 22.8.2017 - 13 ME 213/17 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 31).

Vorliegend hat der Antragsteller jedoch die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 25a AufenthG nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Das Gericht folgt insofern der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids der Regierung von ..., Zentrale Ausländerbehörde, vom 3. Januar 2020 und nimmt auf diesen Bezug (§ 117 Abs. 5 VwGO). Lediglich ergänzend gilt Folgendes:

Voraussetzung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG ist u.a., dass der Antragsteller sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufhält. Dies ist hier nach summarischer Prüfung nicht gegeben. Zwar entfällt ein ununterbrochener Aufenthalt im Sinn von § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht zwangsläufig bei kurzfristigen Unterbrechungen des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis, Duldung oder bei kurzfristigen erlaubten Auslandsreisen. Insoweit ist jedoch, wie im Bescheid der Regierung von ... vom 3. Januar 2020 bereits ausgeführt, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Duldung nach § 60a AufenthG hypothetisch gegeben waren. Eine kurzfristige Auslandsreise muss erlaubt sein (BeckOK, Ausländerrecht, 24. Edition, Stand: 1.11.2016, § 25a Rn. 5; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 25a Rn. 11). Wie vom Antragsgegner im Bescheid vom 3. Januar 2020 dargelegt, war die gesamte Familie des Antragstellers untergetaucht, so dass die für 30. Januar 2018 angesetzte Abschiebung scheiterte. Gegenteiliges wurde nicht substantiiert vorgetragen. Der Antragsteller hatte sich dem Zugriff der Ausländerbehörde entzogen. Die Erteilung einer Duldung kommt aufgrund missbräuchlichen Verhaltens insoweit nicht in Betracht (vgl. VG Braunschweig, B.v.15.8.2000 - 6 B 397/00 - juris). Insoweit ist unerheblich, ob sich der Antragsteller in der fraglichen Zeit im Ausland aufgehalten hat. Unabhängig vom Untertauchen des Antragstellers ergibt sich eine hypothetische Duldung im Übrigen auch nicht aus dem Vorbringen des Bevollmächtigten des Antragstellers, dass am 30. Januar 2018 ein weiterer Eilantrag gestellt wurde, der wiederum zum Anspruch auf Ausstellung einer Verfahrensduldung geführt habe. Denn rein verfahrensbezogene Duldungen, die einen vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet nur für die Dauer eines Verfahrens ermöglichen sollen, in dem es um die Frage geht, ob dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht oder zumindest ein (materieller) Anspruch auf Aussetzung seiner Abschiebung (Duldung) zusteht, können nicht auf den erforderlichen Vierjahreszeitraum im Sinne des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG angerechnet werden (BayVGH, B.v. 23.4.2018 - 19 CE 18.851 - juris Rn. 25; OVG NRW, B.v. 17.8.2016 - 18 B 696/16 - juris).

Sonstige Duldungsgründe sind schließlich weder vorgetragen, noch ersichtlich.

Der Antrag war daher abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Nrn. 1.5 und 8.3 (entsprechend) des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nach Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs ist bei Klagen bezüglich Abschiebung, isolierte Abschiebungsandrohung vom halben Auffangwert (also 2.500,00 EUR) auszugehen. Nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs war der Streitwert im Sofortverfahren zu halbieren, so dass letztlich 1.250,00 EUR festzusetzen sind.

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