LSG Hamburg, Urteil vom 30.10.2019 - L 2 AL 37/19
Fundstelle
openJur 2021, 18401
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.

Die am ... Mai 1989 geborene Klägerin wurde auf ihren Antrag mit Bescheid vom 19. Februar 2018 Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Dezember 2018 bewilligt. Die Klägerin zog am 1. April 2018 von Reinbek nach Hamburg. Ihre neue Adresse teilte sie der Beklagten nicht mit, sondern meldete sich lediglich im Kundenzentrum um.

Mit Schreiben vom 28. Mai 2018 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung vom 1. April 2018 bis zum 24. Mai 2018 an. Der Umzug sei nicht rechtzeitig angezeigt worden, so dass die Klägerin der Vermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe. Die Klägerin trug daraufhin mit Schreiben vom 5. Juni 2018 vor, dass sie sich im März im Kundenzentrum Reinbek erkundigt habe, was sie im Falle eines Umzugs tun müsse. Damals sei sie auf Wohnungssuche wegen Schwierigkeiten mit ihrem Vermieter gewesen. Ein Mitarbeiter habe ihr gesagt, dass sie sich sobald sie eine neue Wohnung gefunden habe, nur bei dem neuen Kundenzentrum anmelden müsse und dass dann alle Daten automatisch an die neuen zuständigen Behörden weitergegeben würden. Sie sei davon ausgegangen, dass mit ihrer Ummeldung beim Kundenzentrum am 9. April 2018 die Beklagte über ihre neue Adresse informiert werde und sie somit ihren Pflichten zur Mitwirkung nachgekommen sei. Derzeit besuche sie einen Sprachkurs. Sie habe sich auch beworben und habe ab dem 1. Juli 2018 ein Arbeitsangebot, so dass sie ihren Pflichten als Arbeitsuchende nachgekommen sei.

Mit Bescheid vom 12. Juni 2018 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. April 2018 bis 24. Mai 2018 auf. Die Erreichbarkeit der Klägerin sei in diesem Zeitraum nicht gegeben gewesen. Des Weiteren verlangte die Beklagte eine Erstattung in Höhe von 1.925,64 Euro, die sie mit einer Nachzahlung für den 31. Mai 2018 in Höhe von 35,66 Euro verrechnete. Mit Änderungsbescheid vom gleichen Tag bewilligte die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. April bis 24. Mai 2018 kein Arbeitslosengeld und für die Zeit vom 25. Mai 2018 bis 23. Februar 2019 täglich 35,66 Euro. Mit Bescheid vom 25. Juni 2018 erfolgte die Aufhebung der Bewilligung ab 1. Juli 2018 wegen der Aufnahme einer Beschäftigung.

Gegen die Bescheide vom 12. Juni 2018 legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie habe davon ausgehen dürften, dass die Behörde die Daten automatisch weiterleite. Außerdem sei sie per SMS erreichbar gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe gegen die Erreichbarkeitsanordnung verstoßen, nach der eine telefonische Erreichbarkeit nicht ausreiche. Zudem weise das Merkblatt für Arbeitslose auf die Mitteilungspflicht hin.

Die Klägerin hat am 28. August 2018 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben und sich auf ihre bereits im Widerspruchsverfahren vorgetragene Begründung berufen.

Das Sozialgericht Hamburg hat nach Durchführung eines Erörterungstermins die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1. Juli 2019 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien nicht zu beanstanden. Die Verpflichtung, ihre neue Adresse mitzuteilen, habe die Klägerin unmittelbar persönlich getroffen. Weil die Klägerin dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei, sei sie nach § 1 der Erreichbarkeitsanordnung (EAO) für die Arbeitsvermittlung der Beklagten nicht verfügbar gewesen und es habe ihr kein Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. April bis 24. Mai 2018 zugestanden. Die telefonische Erreichbarkeit oder die Erreichbarkeit über den Maßnahmeträger reichten nicht aus.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 17. Juli 2019 zugestellten Gerichtsbescheid am 6. August 2019 Berufung eingelegt. Sie würde es begrüßen, wenn sie nur die Hälfte der Summe zahlen müsse, weil der Fehler durch eine falsche Beratung entstanden sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß nach Aktenlage,

die Bescheide vom 12. Juni 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14. August 2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte beruft sich auf den Widerspruchsbescheid sowie die Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.

Der Senat hat mit Beschluss vom 30. August 2019 die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Sitzungsniederschrift vom 30. Oktober 2019 ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Der Senat konnte durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen hatte. Er konnte weiterhin trotz Ausbleiben der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da sie ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 27. September 2019 ordnungsgemäß geladen und darüber belehrt worden ist, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.

Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Beklagte war berechtigt, die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. April 2018 bis 24. Mai 2018 aufzuheben und die Erstattung des für diesen Zeitraum gezahlten Arbeitslosengeldes zu verlangen. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) aufzuheben, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist und die Fristen des § 48 Abs. 4 SGB X eingehalten sind. Durch den Umzug der Klägerin am 1. April 2018 von Reinbek nach Hamburg ist eine wesentliche Änderung der bei Erlass des Bewilligungsbescheids vom 19. Februar 2018 vorliegenden Verhältnisse eingetreten, da sie ab diesem Zeitpunkt wegen des nicht mitgeteilten Umzugs nicht mehr verfügbar war. Nach § 137 Abs. 1 Nr. 1 SGB III setzt der Anspruch auf Arbeitslosengeld unter anderem Arbeitslosigkeit voraus. Die hierfür notwendige Verfügbarkeit im Sinne von § 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 2 SGB III setzt unter anderem voraus, dass der Arbeitslose Vorschlägen der Beklagten zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann. Hierfür hat der Arbeitslose nach § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO sicherzustellen, dass die Agentur für Arbeit ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift durch Briefpost erreichen kann. Dies war bei der Klägerin ab ihrem Umzugstag bis zur Meldung ihres Umzugs gegenüber der Beklagten am 25. Mai 2018 nicht der Fall. Eine telefonische Erreichbarkeit genügt gerade nicht.

Die Klägerin ist ihrer Pflicht zur Mitteilung einer Änderung ihrer persönlichen Verhältnisse auch grob fahrlässig nicht nachgekommen. Die Klägerin hätte aufgrund des Merkblatt 1 für Arbeitslose wissen müssen, dass sie ihre neue Adresse der Beklagten mitzuteilen hat. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie falsch beraten worden sei. Es ist bereits nicht nachgewiesen, dass überhaupt eine falsche Beratung stattgefunden hat. Die Meldebehörde in Reinbek wird sicherlich darüber Auskunft gegeben haben, dass die Daten bei einer Anmeldung in Hamburg an sie weitergeleitet werden. Es ist dagegen nicht wahrscheinlich, dass ein Mitarbeiter die Auskunft gegeben hat, die neuen Daten würden an sämtliche Behörden in Hamburg weitergeleitet werden. Aufgrund der eindeutigen Belehrung im Merkblatt 1 für Arbeitslose würde aber auch dies die grobe Fahrlässigkeit der Klägerin nicht entfallen lassen. Gemäß § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III war die Leistungsbewilligung durch die Beklagte aufzuheben.

Die Klägerin hat nach § 50 Abs. 1 SGB X das ihr in der Zeit vom 1. April 2018 bis 24. Mai 2018 gezahlte Arbeitslosengeld in Höhe von 1.925,64 Euro abzüglich der verrechneten 35,66 Euro zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

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