ArbG Nürnberg, Endurteil vom 14.11.2019 - 11 Ca 3218/19
Fundstelle
openJur 2021, 18553
  • Rkr:
Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung vom 17.06.2019 beendet wurde noch durch die ordentliche Kündigung vom 04.07.2019 zum 31.03.2020 beendet werden wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung als erste Fachkraft in der Tätigkeitsebene III TV-BA weiter zu beschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Der Streitwert wird festgesetzt auf 19.066,67 €.

5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung sowie die Weiterbeschäftigung des Klägers nach Ablauf der Kündigungsfrist.

Der 1962 geborene Kläger ist seit dem 23.07.2007 bei der Beklagten, zuletzt als erste Fachkraft im Servicebereich Controlling Berichtswesen in der Tätigkeitsebene III TV-BA zu einem Bruttomonatsentgelt von durchschnittlich 4.766,67 € brutto beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in der Regel mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmer.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 17.06.2019, dem Kläger zugegangen am selben Tag, außerordentlich, sowie mit Schreiben vom 04.07.2019 vorsorglich ordentlich zum 31.03.2020. Auf die im Vorfeld versandten Anhörungsschreiben der Beklagten vom 08.05.2019, 13.05.2019 und 03.06.2019 sowie die Antwortschreiben des Klägers hierauf vom 17.05.2019 und 04.06.2019 wird Bezug genommen.

Die Beklagte stützt die Kündigung insbesondere darauf, dass der Kläger am 18.03.2019 auf seinem dienstlichen PC den Webserver "XAMPP" installiert, die nicht freigegebene Software "Google Chrome Portable" genutzt, an 15 Tagen im März und April 2018 im Internet Explorer während seiner Arbeitszeit Seiten ohne dienstlichen Bezug aufgerufen sowie im April 2018 und August 2018 jeweils zwei nicht dienstliche Unterlagen über den dienstlichen Drucker eingescannt habe. Hierdurch habe er gegen IT-Richtlinien verstoßen, die Sicherheit der Beklagten gefährdet und Arbeitszeitbetrug begangen.

Der Personalrat wurde zur außerordentlichen Kündigung am 06.06.2019 angehört und gab nach Erörterung in der Personalratssitzung am 11.06.2019 keine Äußerung zum Vorgang ab. Die Beteiligung zur ordentlichen Kündigung ist dem Personalrat am 13.06.2019 zugegangen. In der Sitzung am 18.06.2019 entschied der Personalrat, sich zu Kündigung nicht zu äußern.

Mit seiner am 21.06.2019 zum Arbeitsgericht Nürnberg erhobenen und mit Schriftsätzen vom 05.07.2019 und 09.09.2019 erweiterten Klage wehrt sich der Kläger gegen die Kündigungen. Es bestehe kein Kündigungsgrund. Er sei aufgrund der technischen Beschränkungen der Beklagten gar nicht in der Lage, selbst von außerhalb Software auf seinem Rechner zu installieren. Der Webserver "XAMPP" sei vielmehr einer von mehreren Browsern, die bereits auf dem Server der Beklagten hinterlegt seien und auf die jeder Zugriff habe. Diesen habe der Kläger - wie auch andere Programme zuvor - nur auf seinen Rechner kopiert, weil er damit auch gearbeitet habe. Somit sei keinerlei Gefahr für die Beklagte entstanden. Dies gelte auch für die Software "Google Chrome Portable", die ebenfalls auf den Servern der Beklagten zur Verfügung stehe. Soweit die Beklagte dem Kläger vorwerfe, er habe während der Arbeitszeit private Dateien bearbeitet, so sei darauf hinzuweisen, dass dies nicht verboten sei. Nach den bestehenden Nutzungsbedingungen der Beklagten sei sowohl die private Nutzung von Telefon als auch von Internet gestattet, soweit die dienstliche Aufgabenerledigung hierdurch nicht beeinträchtigt werde und die private Nutzung während der Arbeitszeit auf das unbedingt notwendige Maß begrenzt werde. Der Kläger bestreitet nicht, das Internet privat genutzt zu haben, er habe dies jedoch vorrangig während seiner Pausen getan, die er fast ausschließlich am Arbeitsplatz verbracht habe. Er mache regelmäßig um 10:00 Uhr eine Frühstückspause, da er Medikamente einnehmen müsse. Die Beklagte habe nicht ausreichend dargelegt, dass die Privatnutzung während seiner Arbeitszeit erfolgt sei. Hinsichtlich der von der Beklagten vorgeworfenen Nutzung weiterer Dateien in dem "XAMPP"-Ordner sei weiter anzumerken, dass es sich dabei nicht um private Dateien handele, sondern um Beispielsdaten für Webapplikationen, die dem Kläger als Nachschlagewerk und zu Übungszwecken für seine IT-Sonderaufgaben dienten. Zudem werde die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB bestritten. Auch die ordentliche Kündigung sei nicht gerechtfertigt. Da die Kündigungen unwirksam seien, überwiege das Interesse des Klägers an der Weiterbeschäftigung und betrieblichen Integration das Loslösungsinteresse der Beklagten.

Der Kläger beantragt daher

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.06.2019 nicht zum 17.06.2019 aufgelöst worden ist, sondern weiterhin unverändert darüber hinaus fortbesteht.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 04.07.2019 nicht zum 31.03.2020 aufgelöst wird, sondern unverändert darüber hinaus fortbesteht.

Für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1 und 2:

3. die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung als erste Fachkraft in der Tätigkeitsebene III TV-BA weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, dass der zuständige Vorgesetzte am 08.05.2019 vom IT-Sicherheitsbereich der Zentrale über einen IT-Sicherheitsvorfall informiert worden sei. Im Rahmen einer routinemäßigen Überprüfung sei der PC des Klägers aufgefallen, der auf Port 80 den Webserver "XAMPP" betreibe. Dieser sei vom Kläger am 18.03.2019 installiert worden. Zur Gewährleistung der Informationssicherheit und damit der Arbeitsfähigkeit der Beklagten in einem Netz von ca. 120.000 PC sei dies unzulässig, da die Risiken und Auswirkungen eines Ausfalles des Netzes und damit die Beeinträchtigung der Geschäftsprozesse nicht kalkulierbar seien. Neben der Installation des Webservers hätten sich verschiedene private Webseiten auf der Ablage dieses "XAMPP"-Ordners befunden, die mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht in Zusammenhang stünden. In der Log-Datei seien Zugriffe an 15 Tagen im Zeitraum 18.03.2019 bis 26.04.2019 verzeichnet. Daraus ergebe sich, dass der Kläger während seiner Arbeitszeit unberechtigterweise auf diese Dateien/Webseiten zugegriffen habe. Weiter habe der Kläger die nicht freigegebene Software "Google Chrome Portable" genutzt, die ein hohes Sicherheitsrisiko darstellen würde, und im Internet Explorer Seiten aufgerufen, die keinen dienstlichen Bezug hätten. Zudem habe der Kläger im April 2018 sowie August 2018 jeweils zwei nicht dienstliche Unterlagen über den dienstlichen Drucker eingescannt. Mit seinem Verhalten habe der Kläger gegen die geltenden IT-Sicherheitsrichtlinien sowie gegen die Dienstvereinbarung DV-IKT verstoßen, nach der die elektronische Ablage auf dienstlichen Einrichtungen ausschließlich für die Speicherung von Dateien mit dienstlichem Inhalt zugelassen sei. Die Nutzung von Speicherkapazitäten dienstlicher IKT-Einrichtungen für private Dateien ohne dienstlichen Bezug ist unzulässig. Dateien mit ausschließlich privatem Inhalt sind unverzüglich aus der dienstlichen oder persönlichen Ablage zu löschen. Zudem bestehe der Verdacht des Arbeitszeitbetrugs. Mit Schreiben vom selben Tag sei dem Kläger Gelegenheit gegeben worden, sich bis zum 20.05.2019 schriftlich zu äußern. Zwischen dem 09.05.2019 und dem 28.05.2019 seien in Zusammenarbeit mit dem Bereich IT der Zentrale weitere Nachforschungen angestellt worden, um festzustellen, welche Verstöße gerichtsfest nachzuweisen seien. Hierbei sei auch festgestellt worden, dass der Kläger den XAMPP-Ordner am 17.05.2019 um 19:49 Uhr gelöscht habe. Deshalb hätten nur noch Metadateien wiederhergestellt werden können. Es sei klar nachgewiesen, dass der Webserver unzulässig auf dem PC des Klägers und mit seiner Benutzerkennung installiert worden sei. Der Kläger habe daneben an Webseiten und Dateien gearbeitet, die keinen dienstlichen Charakter hätten und rein privater Natur seien. Zudem sei erkennbar, dass er entsprechende Seiten im Internet Explorer aufgerufen habe, die in keinem Zusammenhang mit Recherchetätigkeiten für die Aufgabe als erste Fachkraft im Servicebereich 53 stehen. Nach den Ermittlungen wurde dem Kläger nochmals Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme bis zum 04.06.2019 gegeben. Der Kläger habe darin alle Vorwürfe abgestritten und mitgeteilt, dass alle Arbeiten dienstlicher Natur gewesen seien. Dies treffe jedoch nicht zu. Auch sei die Aussage, dass der Kläger seine Pausen immer zwischen 10 Uhr und 10:30 Uhr genommen habe, nach Aussage der zuständigen Führungskraft nicht richtig.

Der Personalrat sei zu beiden Kündigungen ordnungsgemäß angehört worden. Der Kläger habe durch sein Verhalten ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Beklagte verursacht, welches zu erheblichen Folgen hätte führen können bzw. noch führen kann. Bei dem Einsatz von ungeprüfter und nicht freigegebener Software in der Produktivumgebung könnten verdeckt Schadcodes eingebracht werden, mit der ein Angriff auf die Informationsinfrastruktur der Beklagten aufgebaut und gestartet werden könne. Hierdurch könnte die gesamte IT lahmgelegt werden, die Geschäftsprozesse nicht mehr funktionieren und die Beklagte unter Umständen ihren gesetzlichen Auftrag nur noch stark beeinträchtigt oder nicht mehr erfüllen. Da der Kläger diese Vorwürfe in seinen Stellungnahmen vom 17.05.2019 und 04.06.2019 abgestritten habe, obwohl sein Verhalten eindeutig durch die IT-Stelle habe nachgewiesen werden können, sei das Vertrauensverhältnis zerrüttet und eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr möglich. Eine Abmahnung sei entbehrlich, da bereits erkennbar sei, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten sei. Auch handele es sich um eine schwere Pflichtverletzung. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt worden, da die Beklagte den Kündigungssachverhalt zunächst zügig aufklären durfte.

Hinsichtlich des weiteren Sachvortrags der Parteien sowie die gerichtlichen Hinweise wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie die Sitzungsprotokolle vom 11.07.2019 und 14.11.2019 Bezug genommen. Die Kammer hat keinen Beweis erhoben.

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a, b, 46, 48 ArbGG, §§ 17 f. GVG eröffnet.

Das Arbeitsgericht Nürnberg ist gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 12, 17 ZPO örtlich zuständig, da die Beklagte ihren Sitz in A-Stadt und damit im Bezirk des Arbeitsgerichts Nürnberg hat.

Das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich bereits aus der Vermeidung der Präklusionswirkung der §§ 4, 7 KSchG. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist ausreichend bestimmt, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

II.

Die Klage ist vollumfänglich begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.06.2019 beendet worden und endet auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 04.07.2019 mit Ablauf des 31.03.2020. Auch der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers ist erfolgreich.

1. Der Kläger hat sich gegen die Kündigungen jeweils innerhalb der Frist des § 4 KSchG zu Wehr gesetzt.

2. Das Kündigungsschutzgesetz findet unstreitig auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung, §§ 1, 23 KSchG.

3. Die Beklagte hat jedoch das Vorliegen eines zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB nicht substantiiert darlegen können.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Danach bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und nach Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist (vgl. BAG 26.03.2015 - 2 AZR 517/14 m.w.N.).

b) Ausgehend von diesem rechtlichen Maßstab liegt im Verhalten des Klägers kein zur außerordentlichen Kündigung berechtigender wichtiger Grund vor.

Die Beklagte hat zur Rechtfertigung der Kündigung dem Kläger mehrere Vorfälle zur Last gelegt, insbesondere die Installation des Webservers "XAMPP" auf dem dienstlichen PC des Klägers, die Nutzung privater Dateien während der Arbeitszeit, die private Nutzung des dienstlichen Druckers zum Zwecke des Einscannens privater Unterlagen, der Aufruf privater Dateien im Internet Explorer während der Arbeitszeit sowie die Speicherung privater Dateien auf dem dienstlichen PC.

aa) Hinsichtlich der Installation des "XAMPP"-Webservers gelang es der Kammer auch trotz expliziter Nachfrage im Kammertermin nicht herauszufinden, ob die Beklagte dem Kläger vorwirft, dass dieser den Webserver von einer Stelle außerhalb der Beklagten in deren System eingespeist habe. Der Kläger hat dies substantiiert bestritten und geschildert, dass der Webserver bereits auf den Servern der Beklagten zur Verfügung stand und er ihn sich von dort - wie bereits auch andere Programme zuvor - nur auf seinen PC kopiert habe. Die Beklagte ist diesem Vortrag des Klägers, nicht substantiiert entgegengetreten. Die Beklagte hat auch nicht substantiiert vorgetragen, dass der Kläger darüber informiert gewesen sei, dass ein solches Vorgehen - die Nutzung von Programmen, die bereits auf den Servern der Beklagten frei zugänglich sind - nicht gestattet sei. Die Vermutung der Beklagten, bei entsprechendem Sachverstand, den auch der Kläger besäße, könnten Daten von außen geladen werden, genügt den Anforderungen einer substantiierten Darlegung eines wichtigen Kündigungsgrundes bei weitem nicht. Die Beklagte hat hierzu im Kammertermin nur den bereits schriftsätzlich dargelegten Sachvortrag wiederholt, dass der Kläger den Webserver am 18.03.2019 auf seinem PC installiert habe - was der Kläger auch nicht bestreitet -, aber nicht ausgeführt, dass er den Webserver von außen in das IT-Netz der Beklagten hineingebracht hat. Insofern hat die Beklagte auch nicht ausreichend substantiiert dargelegt, dass der Beklagten durch diese Installation tatsächlich ein erhöhtes Schadensrisiko entstanden ist. Zudem ist dabei darauf hinzuweisen, dass nach Ansicht der Kammer allein die entfernte Möglichkeit eines eventuellen Schadenseintritts nicht ausreicht, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Konkretere Anhaltspunkte, dass die IT der Beklagten tatsächlich durch das Verhalten des Klägers gefährdet war, wurden nicht ausreichend substantiiert dargelegt.

Insofern ist bereits auf der ersten Stufe der vorzunehmenden Prüfung einer außerordentlichen Kündigung dem Kläger nicht ausreichend substantiiert vorgeworfen, hier einen sicherheitsrelevanten Verstoß, der "an sich" eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte, begangen zu haben.

bb) Obige Ausführungen gelten gleichermaßen für den Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe unzulässigerweise die Software "Google Chrome Portabel" genutzt und hierdurch ein hohes Schadensrisiko verursacht. Auch hier hat der Kläger ausgeführt, die Datei liege seit Jahren auf dem Server der Beklagten.

cc) Soweit die Beklagte die außerordentliche Kündigung weiter mit dem Vorwurf des Einscannens privater Unterlagen, der Speicherung privater Dateien auf dem dienstlichen PC sowie der privaten Nutzung des Internets rechtfertigen will, so reichen auch diese Vorfälle nach Auffassung der Kammer weder einzeln für sich noch als Gesamtheit für eine außerordentliche Kündigung aus. Die Vorwürfe sind - selbst man deren Richtigkeit zugunsten der Beklagten unterstellen würde - nicht so schwerwiegend, als dass diese "an sich" einen wichtigen Grund iSd § 626 Abs. 2 BGB ausreichen würden. Dabei ist auch zu beachten, dass der Kläger dargelegt hat, dass die Privatnutzung des Internets bei der Beklagten in eingeschränktem Maße gestattet ist. Die Beklagte hat hier nicht ausreichend dargelegt, dass die Privatnutzung des Klägers das Maß einer eingeschränkten Nutzung übersteigt. Auch genügt der Vortrag der Beklagten hinsichtlich des vorgeworfenen Arbeitszeitbetruges durch die Bearbeitung privater Dateien während der Arbeitszeit nicht, um die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Es hätte der Beklagten oblegen, jeweils konkret für die von ihr dargelegten 15 Zugriffe zwischen dem 18.03.2019 und 26.04.2019 darzulegen und unter Beweis zu stellen, dass diese Privatnutzung jeweils nicht in den Pausenzeiten, sondern während der Arbeitszeit des Klägers erfolgt ist. Dies hat die Beklagte nicht mal im Ansatz getan. Selbst wenn die im "XAMPP"-Ordner dargelegten Dateien keinen dienstlichen Bezug haben bzw. vom Kläger nicht zumindest als Übungsprojekte und zum Zwecke der Weiterbildung diese Dateien genutzt wurden, würde ein Zugriff auf diese - wenigen - Dateien keinen derartig schweren Pflichtverstoß darstellen, dass ein wichtiger Kündigungsgrund i.S.d. § 626 BGB anzunehmen ist.

dd) Selbst wenn man zunächst das Vorhandensein eines bzw. mehrerer wichtiger Gründe "an sich" annehmen würde, würden diese Gründe jedenfalls der weiteren Überprüfung auf zweiter Prüfungsstufe nicht standhalten. Es ist nicht ersichtlich, warum es für die Beklagten unzumutbar sein sollte, den seit 2007 - mangels anderweitiger Anhaltspunkte -wohl ansonsten störungsfrei bei ihr beschäftigten Kläger nicht mindestens bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen oder ihm zunächst eine Abmahnung auszusprechen. Der seitens der Beklagten hierfür vorgetragene Vertrauensverlust ist nach Auffassung der Kammer nicht ohne weiteres nachzuvollziehen und daher nicht als so schwerwiegend anzusehen, dass ein Abwarten bis zu einer ordentlichen Beendigung nicht in Frage käme.

ee) Da bereits ein ausreichender Kündigungsgrund für eine außerordentliche Kündigung nicht vorliegt, kommt es auf die Frage der Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB sowie auf die Frage der ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrates nicht mehr an. Hinsichtlich der Anhörung ist jedoch darauf hinzuweisen, dass ein Arbeitgeber bei Anhörung des Betriebsrates auch etwaige entlastende Umstände mitzuteilen hat (vgl. BAG vom 23.10.2014 - 2 AZR 736/13). Es wäre daher angezeigt gewesen, in der Betriebsratsanhörung auch die Ausführungen des Klägers aus dessen Stellungnahmen vom 17.05.2019 und 04.06.2019 aufzunehmen, dass dieser die Programme aus dem internen Netzwerk genommen haben will, dass er für den Hinweis auf etwaiges Fehlverhalten gedankt hat und angekündigt hat, sich künftig noch sorgfältiger an die IT Richtlinien zu halten. Auch der in der Betriebsratsanhörung enthaltene Satz, der Kläger habe "die fraglichen Daten bewusst und absichtlich" gelöscht, kann beim Leser auch den Eindruck erwecken, der Kläger habe die Löschung heimlich und in Verdeckungsabsicht vorgenommen. Vielmehr hat der Kläger jedoch bereits in seiner ersten Anhörung offen klargestellt, dass er die von der Beklagten gerügten Dateien gelöscht habe. Insofern war die Personalratsanhörung in diesem Punkt zu Lasten des Klägers zumindest missverständlich formuliert. Nach Auffassung der Kammer ist daher auch die Anhörung des Personalrats nicht ordnungsgemäß erfolgt, so dass die Kündigung sich auch deshalb als unwirksam erweist, § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG.

4. Auch die vorsorgliche ordentliche Kündigung, die aufgrund der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nunmehr zur Entscheidung anstand, kann das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beenden.

a) Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - in der Regel schuldhaft - erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint.

Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt dabei das sog. Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für die Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Die Abmahnung ist insoweit notwendiger Bestandteil bei der Anwendung des Prognoseprinzips. Sie ist zugleich auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Nach § 1 Abs. 2 KSchG muss die Kündigung durch das Verhalten des Arbeitnehmers bedingt sein. Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen (vgl. u.a. BAG vom 31.05.2007 - 2 AZR 200/06m.w.N.).

b) Die Beklagte hat begründet die hilfsweise ausgesprochene Kündigung mit den Gründen, die auch der außerordentlichen Kündigung zugrunde liegen. Hinsichtlich der Substantiierung der Kündigungsgründe der ordentlichen Kündigung wird daher auf die obigen Ausführungen zur außerordentlichen Kündigung Bezug genommen.

Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Selbst wenn man das Vorliegen der von der Beklagten dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen zu Gunsten der Beklagten unterstellen würde, ist die ordentliche Kündigung dennoch unwirksam, weil nach Ansicht der Kammer jedenfalls statt der Kündigung der Ausspruch einer Abmahnung als milderes Mittel ausreichend gewesen wäre.

Den Ausführungen der Beklagten bzgl. der Entbehrlichkeit einer Abmahnung kann nach Auffassung des Gerichts nicht gefolgt werden. Der Kläger hat entgegen dem Vortrag der Beklagten in seiner ersten Stellungnahme vom 17.05.2019 nicht pauschal die Vorwürfe abgestritten, sondern der Beklagten auch für den Hinweis auf die bestehenden IT-Richtlinien gedankt und angekündigt, in Zukunft sorgfältiger darauf zu achten. Es ist damit gerade nicht ausgeschlossen, dass der Kläger bei Ausspruch einer Abmahnung sich in Zukunft an sämtliche bestehenden IT Richtlinien halten würde. Auch sind die dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen nicht so schwer einzustufen - selbst wenn man sie zugunsten der Beklagten als wahr unterstellen würde - dass nicht eine Abmahnung als milderes Mittel in Betracht gekommen wäre, insbesondere, wenn man das Alter des Klägers (57 Jahre) und die - mangels entgegenstehender Anhaltspunkten wohl störungsfreie - Betriebszugehörigkeit des Klägers seit fast 12 Jahren in eine Interessenwägung dass der Kläger den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen würde.

Aus diesen Gründen ist auch die ordentliche Kündigung vom nicht sozial gerechtfertigt und kann das Arbeitsverhältnis nicht beenden.

Hinsichtlich der nicht ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung, auf die es nicht mehr entscheidungserheblich ankommt, wird auf die obigen Ausführungen im Rahmen der außerordentlichen Kündigung Bezug genommen.

5. Der geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch ist begründet. Nach dem Beschluss des Großen Senats des BAG vom 27.02.1985 hat der gekündigte Arbeitnehmer auch außerhalb der Regelungen der §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BPersVG einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf arbeitsvertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Ist die Kündigung nicht offensichtlich unwirksam, so begründet die Ungewissheit für den Ausgang des Kündigungsprozesses in der Regel zunächst einmal ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Diese Interessenlage ändert sich jedoch dann, wenn im Kündigungsschutzprozess ein die Instanz insoweit abschließendes Urteil ergangen ist, das die Unwirksamkeit der Kündigung und damit den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses feststellt. Durch dieses noch nicht rechtskräftige Urteil wird zwar keine endgültige Klarheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geschaffen. Gleichwohl hatten die Parteien Gelegenheit, dem Gericht in einem ordentlichen Prozessverfahren die zur rechtlichen Beurteilung der Kündigung aus ihrer Sicht erforderlichen Tatsachen vorzutragen, dafür Beweis anzutreten und ihre Rechtsauffassung darzulegen. Nachdem die erkennende Kammer der Ansicht ist, dass die ausgesprochenen Kündigungen unwirksam sind, wurde eine erste Klärung der Rechtslage im Sinne der Klagepartei vorgenommen. Dies muss bei der notwendigen Abwägung der widerstreitenden Interessen der Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich des Beschäftigungsanspruchs erheblich ins Gewicht fallen. Nunmehr begründet die Ungewissheit des endgültigen Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr. Vielmehr muss der Arbeitgeber für diesen Fall zusätzlich Umstände ausführen, aus denen sich im Einzelfall sein überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung ergibt. Dabei bleiben solche Gründe im Wesentlichen außer Betracht, die bereits zur Rechtfertigung der Kündigung angeführt wurden. Da die Beklagte keine weiteren Gründe vorgetragen hat, ist vom überwiegenden Interesse des Klägers an der Weiterbeschäftigung auszugehen. Die vom Kläger begehrte Beschäftigung als erste Fachkraft der Tätigkeitsebene III TV-BA entspricht der bisherigen Tätigkeit des Klägers.

Aus diesen Gründen war der Klage vollumfänglich stattzugeben.

III.

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 ZPO.

2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ZPO, 39 ff GKG. Für die Kündigungen wurden drei Bruttomonatsgehälter, für den Weiterbeschäftigungsantrag ein weiteres Bruttomonatsgehalt angesetzt.

3. Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung war gemäß § 64 Abs. 3 a Satz 1 ArbGG in den Tenor aufzunehmen. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 c ArbGG statthaft. Es ist kein Grund ersichtlich, die Berufung darüber hinaus gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG gesondert zuzulassen.