VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 01.04.2021 - 5 L 817/21.F
Fundstelle
openJur 2021, 18218
  • Rkr:

1. Im Ausgangspunkt ist es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber eine Differenzierung dergestalt vornimmt, dass er die Deckung des Grundbedars ohne die weitergehenden Einschränkungen, die er dem sonstigen Einzelhandel aus Gründen des Infektionsschutzes auferlegt, zulässt.

2. Auch wenn die Eingruppierung bestimmter Geschäftszweige in den Kreis der nach § 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 21 CoKoBev weniger stark eingeschränkten Betriebe durchaus fragwürdig ist, folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG kein Anspruch eines Betriebes, der einem stärker eingeschränkten Geschäftszweig angehört, auf Öffnung unter denselben Voraussetzungen.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Der Streitwert wird auf 2 500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Randnummer1Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Möglichkeit der Öffnung ihres Geschäftes nach dem "click&meet"-Infektionsschutzkonzept.

Randnummer2Die Antragstellerin betreibt unter der Anschrift A-Straße, B-Stadt ein Geschäft, in dem sie gemeinsam mit vier Mitarbeiterinnen auf einer Ladenfläche von ca. 133 Quadratmetern höherpreisige Damenbekleidung und Accessoires diverser Marken nach Stilberatung verkauft.

Randnummer3Am 29. März 2021 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung führt sie an, nach § 3a Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zur Beschränkung von sozialen Kontakten und des Betriebes von Einrichtungen und von Angeboten aufgrund der Corona-Pandemie vom 26. November 2020 in der Fassung der am 29. März 2021 in Kraft getretenen Änderungen durch Art. 3 der Dreißigsten Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 24. März 2021 (Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung - CoKoBeV) seien die Verkaufsstellen des Einzelhandels zu schließen. Satz 2 der Vorschrift bestimme, dass diese Schließungsanordnung nicht für den Online-Handel sowie für 21 näher benannte Typen von Verkaufsstätten gelte. Satz 3 der Vorschrift sei zu entnehmen, dass diese 21 Ausnahmen für die sog. Grundversorgung geschaffen worden seien. Die hessische Landesregierung habe in ihrem Internet-Informationsportal beispielhaft bestimmte Verkaufsstellen genannt, die für den Publikumsverkehr öffnen dürften, darunter:

- Brautmodengeschäfte "(als Einzeltermin), soweit es sich um Maßschneiderarbeiten handelt und damit die gewerkliche Tätigkeit im Vordergrund steht. Der reine Verkauf ‚von der Stange‘ ist nicht gestattet und nur über Click&collect möglich. Absteckarbeiten bei der über click&collect erworbenen Brautmoden ist ebenfalls in Einzelterminen zulässig"

- Buchhandlungen

- Floristen

- Jägerei- und Angelbedarf

- Solarien

- Wettvermittlungsstellen zur Ausgabe und Entgegennahme von Spielscheinen und Wetten

Randnummer4Für diese Verkaufsstellen würden nicht einmal mehr die Einschränkungen nach dem "click&meet"-Konzept gelten, sie seien also - unter Beachtung der sonstigen Hygienevorschriften - für den Einkaufsbummel ohne weiteres offen und Kundendaten zur Nachverfolgung von Infektionen müssten nicht erfasst werden. Hingegen seien selbst Einzeltermine ("click&meet") im sonstigen Einzelhandel - darunter auch der Bekleidungshandel - untersagt. Nur das Anbieten von Abhol- und Lieferdiensten ("click&collect") sei weiterhin erlaubt. In Bayern, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gelte weiterhin das "click&meet"-Konzept; Buchhandlungen würden dort nicht zum Grundbedarf gezählt. Die Antragstellerin habe mit dem "click&meet"-Konzept gute Erfahrungen gemacht. Ihr drohe unter dem "click&collect"-Konzept eine Abwanderung von Kundinnen in andere Bundesländer. Außerdem drohten ihr ein Einnahmenausfall sowie der Wertverfall von Saisonware, die sie nach Saisonende nicht mehr kostendeckend verkaufen könne. Es bestehe eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung insbesondere gegenüber Brautmodegeschäften - zumal sich ihr Angebote gerade auch an "Braut"-Kundinnen richte -, aber auch gegenüber Angelbedarfsläden, Solarien, Spiel- und Wettbüros und dem Buchhandel. Es sei bereits nicht ersichtlich, warum diese als der Grundversorgung dienend anzusehen seien. Die Antragstellerin verlange aber auch keine Behandlung als "Grundbedarf"-Geschäft, sondern nur eine Öffnungsmöglichkeit nach dem "click&meet"-Konzept.

Randnummer5Die Antragstellerin beantragt,

im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die Antragstellerin einstweilen berechtigt ist, ihre Verkaufsstelle A-Straße,B-Stadt, nach dem sog. "Click&Meet"-Konzept zu betreiben (Beratung und Verkauf nach vorheriger Terminvereinbarung; Einlass von höchstens einer Person je angefangener Verkaufsfläche von 40 Quadratmetern; Erfassung von Name, Anschrift und Telefonnummer der Kundinnen und Kunden ausschließlich zur Ermöglichung der Nachverfolgung von Infektionen; Information der Kundinnen und Kunden hierüber).

Randnummer6Die Antragsgegnerin zu 1. und 2. beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Randnummer7Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, der Antrag sei unzulässig, da die nach § 47 Abs. 6 VwGO bestehende Möglichkeit eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens im Normenkontrollverfahren Sperrwirkung gegenüber einem Feststellungsantrag entfalte. Auch habe die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Anspruch auf das Betreiben ihrer Verkaufsstelle nach dem "click&meet"-Konzept ergebe sich weder aus der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung noch aus anderen Rechtsvorschriften. Eine infektionsschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung sei nicht beantragt worden, komme im Verhältnis zur Antragsgegnerin zu 1. und 2. aber auch nicht in Betracht. Die Inanspruchnahme der Antragsgegnerin zu 1. sei nicht zutreffend, da der Magistrat - also die Antragsgegnerin zu 2. - und nicht der Oberbürgermeister für die Durchführung des Infektionsschutzgesetzes und der hierzu erlassenen Rechtsverordnungen zuständig sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 7 CoKoBeV, da eine rechtlich unterschiedliche Zuordnung derselben Aufgaben auf unterschiedliche Behörden (Magistrat und Oberbürgermeister) sich widerspreche. Bislang sei die Antragsgegnerin zu 1. im Hinblick auf den Vollzug der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung seit ihrem Inkrafttreten nicht nach § 11 HSOG tätig geworden. Tätig geworden als Behörde sei nur der Magistrat. Zu den Gefahrenabwehrbehörden in § 1 Abs. 1 HSOG zählten auch die Verwaltungsbehörden. Auch im Hinblick auf die Regelung des § 2 Satz 2 HSOG, wonach sonstige Aufgaben der Gefahrenabwehr allgemeine Verwaltungsaufgaben seien, sei die Regelung des § 7 CoKoBeV im Hinblick auf die Verwendung des Begriffes "örtliche Ordnungsbehörde" dahingehend auszulegen und zu verstehen, dass für die Durchführung des Infektionsschutzgesetzes und der hierzu erlassenen Rechtsverordnungen nur die Antragsgegnerin zu 2. passivlegitimiert sei.

Randnummer8Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Randnummer9Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

Randnummer10Zur Statthaftigkeit und Zulässigkeit eines (negativen) Feststellungsantrags gegen den Rechtsträger der Ordnungsbehörde einerseits und den Rechtsträger der unteren Gesundheitsbehörde andererseits hat das VG Frankfurt am Main bereits mit Beschluss vom 16. März 2021 - 5 L 623/21.F - ausgeführt (juris, Rn. 8):

Der Antrag ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Gegenüber einem (negativen) Feststellungsantrag, mit dem subjektive Rechtspositionen geltend gemacht werden und der nicht auf die Feststellung der Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Norm gerichtet ist, entfaltet insbesondere § 47 VwGO keine Sperrwirkung (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 - 8 C 19.09 -, BVerwGE 136, 54 <57>= NVwZ 2010, 1300 <1301 f.> = juris, Rn. 24 f. m.w.N.). Notwendig, aber auch hinreichend ist ein streitiges konkretes Rechtsverhältnis, d.h. es muss in Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten bereits überschaubaren Sachverhalt streitig sein. Das ist hier der Fall. Die Antragstellerin will geklärt wissen, wie die Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung den Betrieb ihrer Verkaufsstelle regelt. Die Anwendung dieser Verordnung ist Sache der unteren Gesundheits- und Ordnungsbehörden und damit der Antragsgegner. Da die Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung selbstvollziehend, also nicht darauf angelegt ist, dass ihre Geltung durch einen zwischengeschalteten Verwaltungsakt konkretisiert wird, gegen den Rechtsbehelfe gegeben wären, sondern ihre Beachtung durch Bußgelder nach § 8 Nr. 8a, 8b CoKoBeV - nicht primär im Wege des Verwaltungszwangs - erzwungen werden soll, ist der Antragstellerin eine Klärung im ansonsten verbleibenden Ordnungswidrigkeitsverfahren nicht zuzumuten (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 18. Dezember 2018 - 1 BvR 2795/09 -, BVerfGE 150, 309 <327 f.> = NJW 2019, 842 <843> Rn. 45). Wegen der Zuständigkeit des Antragsgegners zu 1. für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten aus § 5 Abs. 4 des Hessischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst (HGöGD) und der Antragsgegnerin zu 2. aus § 7 CoKoBeV für den Vollzug der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung besteht hieran auch ein Feststellungsinteresse (vgl. BVerfGE a.a.O. <328> Rn. 47).

Randnummer11Hieran hält die Kammer auch weiterhin fest.

Randnummer12Ergänzend ist auszuführen, dass sich dem Gesetz eine Einschränkung dahingehend, dass die Möglichkeit eines Antrages auf einstweilige Anordnung im - auf allgemeinverbindliche Rechtmäßigkeitsprüfung gerichteten - Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO Sperrwirkung hinsichtlich eines das konkrete Vollzugsverhältnis betreffenden Feststellungsantrags entfalten soll, nicht entnehmen lässt. § 43 Abs. 2 VwGO bestimmt zwar die Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber Gestaltungs- und Leistungsklagen; das Normenkontrollverfahren ist hingegen nicht genannt (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 9. Februar 2021 - 3 B 440/20 - juris, Rn. 20). Daneben unterscheiden sich auch die Streitgegenstände eines Normenkontrollverfahrens und eines Feststellungsantrages (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 9. Februar 2021 - 3 B 440/20 - juris, Rn. 20). Schließlich ist auch der - an § 32 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes orientierte - Prüfungsmaßstab im normenkontrollverfahrensrechtlichen einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO ein anderer als der - nur ausnahmsweise eine Folgenabwägung vorsehende - Prüfungsmaßstab nach § 123 VwGO.

Randnummer13Soweit die Antragsgegnerin zu 1. und 2. auf Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 18. Juni 2020 - 20 CE.1388 - juris) und des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (Beschluss vom 15. Januar 2021 - 2 B 354/20 - juris) verweist, vermag sich die Kammer der darin geäußerten Auffassung nicht anzuschließen. Vielmehr schließt sich die Kammer der Ansicht des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 9. Februar 2021 - 3 B 440/20 - juris, Rn. 21, an:

"Vor diesem Hintergrund folgt der Senat der teilweise in Bezug auf die sich auch in anderen Ländern unmittelbar vollziehenden Corona-Schutz-Verordnungen vertretenen Auffassung (BayVGH, Beschl. v. 18. Juni 2020 - 20 CE 20.1388 -, juris Rn. 6; dazu kritisch: Hartl, a. a. O.; OVG Saarland, Beschl. v. 15. Januar 2021 - 2 B 354/20 -, juris Rn. 10 ff.), dass ein Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO dann ausgeschlossen ist, wenn dieses zum Ziel hat, dass untergesetzliche Normen ganz oder teilweise nicht angewendet werden sollen, zumindest dann nicht, wenn die am Verfahren Beteiligten von den Rechtswirkungen der sich selbst vollziehenden Vorschriften der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung unmittelbar betroffen sind, etwa durch diese in ihren Grundrechten beschränkt werden (vgl. Sodann [sic!] a. a. O. [scil. Sodan in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 43] Rn. 58c). Zwar mag es aus Gründen der Vereinheitlichung der Rechtsprechung wünschenswert erscheinen, dass Verfahren nach § 123 VwGO unstatthaft sind, wenn in der Sache nur über Reichweite und Gültigkeit von Normen gestritten wird und auch Art. 19 Abs. 4 GG nicht gebieten, dass dem Antragsteller beide Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, aber dies ändert nichts daran, dass sich der Gesetzgeber für eine andere Konzeption der dem Bürger zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe entschieden hat."

Randnummer14Der danach zulässige Antrag ist indes unbegründet.

Randnummer15Nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht der Hauptsache auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung) oder die Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes erforderlich ist (Regelungsanordnung). Die Begründetheit des Antrages nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt voraus, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch, also das zu schützende materielle Recht, und einen Anordnungsgrund, also die besondere Erforderlichkeit gerichtlichen Eilrechtsschutzes, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 der Zivilprozessordnung).

Randnummer16Im Ausgangspunkt zutreffend konnte die Antragstellerin sowohl den Oberbürgermeister als auch den Magistrat der Antragsgegnerin in Anspruch nehmen. Eine Zuständigkeit des Magistrats für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 73 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) - worunter nach § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG nach § 8 Nr. 8a CoKoBeV Verstöße gegen das Schließungsgebot des Einzelhandels fallen - ergibt sich unmittelbar aus § 5 Abs. 4 des Hessischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst (HGöGD). Die daneben bestehende Zuständigkeit des Oberbürgermeisters ergibt sich aus § 7 CoKoBeV i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG). Die eindeutige Bezugnahme in § 7 CoKoBeV auf den in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 89 Abs. 1 Satz 1 HSOG konkretisierten Begriff der "örtlichen Ordnungsbehörden" lässt die von der Antragsgegnerin vertretene Auslegung, wonach hierunter die Verwaltungsbehörde als Gefahrenabwehrbehörde zu verstehen sei, nicht zu. Der eindeutige Wortlaut ist insoweit Grenze der Auslegung.

Randnummer17Die Antragstellerin hat allerdings das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs im Sinne eines materiellen Anspruchs nicht glaubhaft gemacht.

Randnummer18Ein solcher Anspruch folgt nicht aus der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung:

Randnummer19Nach dem von der Antragstellerin geschilderten und glaubhaft gemachten Geschäftsmodell liegt der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit im Bereich des nach § 3a Abs. 1 Satz 1 CoKoBeV zu schließenden Bekleidungseinzelhandels. Soweit die Antragstellerin vorträgt, auch Absteckarbeiten vorzunehmen, kommt zwar möglicherweise eine Einordung dieser Tätigkeit als Dienstleistung im Sinne von § 3a Abs. 2 CoKoBeV in Betracht, so dass die Antragstellerin - ausschließlich in Bezug auf diese Tätigkeit - nicht unter das Schließungsgebot nach § 3a Abs. 1 Satz 1 CoKoBeV fallen könnte. Dies kann vorliegend jedoch dahinstehen, da jedenfalls der Schwerpunkt der Tätigkeit der Antragstellerin nicht in diesem Bereich liegt und ihr Antrag nicht nur auf eine weniger stark eingeschränkte Möglichkeit der Vornahme von Absteckarbeiten beschränkt ist, sondern gerade das gesamte Geschäftsmodell der Antragstellerin einschließlich des Verkaufs umfassen soll.

Randnummer20Die Tätigkeit der Antragstellerin unterfällt auch keiner der in § 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 21 CoKoBeV genannten Ausnahmen.

Randnummer21Einen Anordnungsanspruch kann die Antragstellerin nicht aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) herleiten:

Randnummer22Zwar stellen die durch die Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung angeordneten Schließungen für Betriebe, die nicht der Grundversorgung der Bevölkerung dienen, einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsausübungsfreiheit. Dieser ist jedoch durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt und insbesondere verhältnismäßig.

Randnummer23Der Eingriff erfolgt zu einem legitimen Zweck, nämlich dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere einer Verhinderung der Überlastung des Gesundheitssystems.

Randnummer24Die Schließungsregelung ist auch geeignet und erforderlich, um diesen Zweck zu erreichen, denn durch eine Schließung wird die Zahl sozialer Kontakte - und damit potenzielle Ansteckungssituationen - umfassend minimiert. Ein "click&meet"-Konzept mag in Verbindung mit einem geeigneten Hygienekonzept zwar im Vergleich zur Geschäftsschließung oder einem "click&collect"-Konzept einen weniger schweren Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit und damit ein milderes Mittel darstellen. Da es bei dem "click&meet"-Konzept gleichwohl regelmäßig zu zeitlich längeren Personenkontakten in geschlossenen Räumlichkeiten kommt, ist nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Betrachtung ein "click&meet"-Konzept nicht im gleichen Maße zur Zweckerreichung geeignet wie eine Geschäftsschließung oder ein "click&collect"-Konzept.

Randnummer25Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit ist auch verhältnismäßig. Dabei legt das Gericht die aktuelle "Risikobewertung zu COVID-19" des Robert Koch-Instituts vom 31. März 2021 zugrunde (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Danach handele es sich weltweit, in Europa und in Deutschland um "eine ernst zu nehmende Situation". Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird insgesamt als "sehr hoch" eingeschätzt. Bei der überwiegenden Zahl der Fälle verlaufe die Erkrankung mild. Die Wahrscheinlichkeit für "schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe" nehme mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Es könne auch ohne bekannte Vorerkrankungen und bei jungen Menschen zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen könnten auch nach leichten Verläufen auftreten. Die Belastung des Gesundheitswesens hänge maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den hauptsächlich betroffenen Bevölkerungsgruppen, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (z.B. Isolierung, Quarantäne, physische Distanzierung) ab. Sie sei aktuell in weiten Teilen Deutschlands nach wie vor angespannt und könne sehr schnell wieder zunehmen, so dass das öffentliche Gesundheitswesen und die Einrichtungen für die stationäre medizinische Versorgung örtlich überlastet würden. Da die verfügbaren Impfstoffe einen hohen Schutz vor der Entwicklung einer COVID-19-Erkrankung böten, werde mit steigenden Impfquoten voraussichtlich auch eine Entlastung des Gesundheitssystems einhergehen. Es sei von entscheidender Bedeutung, die Zahl der Erkrankten so gering wie möglich zu halten und Ausbrüche zu verhindern. Hierdurch könnten Belastungsspitzen im Gesundheitswesen vermieden werden. Ferner kann hierdurch mehr Zeit für die Produktion von Impfstoffen, Durchführung von Impfungen sowie Entwicklung von antiviralen Medikamenten gewonnen werden.

Randnummer26In Anbetracht des derzeit wieder intensivierten Infektionsgeschehens und des Umstandes, dass die Einschränkungen befristet sind und einer beständigen Evaluierung und Anpassung unterliegen - wie sich auch an der Häufigkeit der Änderungen der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung zeigt -, erachtet die Kammer den Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Berufsausübungsfreiheit derzeit noch für angemessen.

Randnummer27Einen Anordnungsanspruch kann die Antragstellerin schließlich auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG herleiten:

Randnummer28Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 - 1 BvL 11/14 u.a. - juris, Rn. 94 m.w.N.). Allerdings ist der Gesetzgeber durch das Gleichheitsgebot nicht gehindert, sich in Massenverfahren an Stelle eines ausschließlich individuellen Wirklichkeitsmaßstabes aus Gründen der Verfahrensvereinfachung generalisierender, pauschalierender und typisierender Regelungen zu bedienen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Januar 2021 - 13 B 58/21 - juris Rn. 10).

Randnummer29Gemessen hieran kann die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG herleiten.

Randnummer30Dabei ist zunächst klarzustellen, dass die Antragstellerin vorliegend - im Unterschied zur Antragstellerin in dem dem Beschluss des VG Frankfurt am Main vom 16. März 2021 - 5 L 623/21.F - zugrundeliegenden Sachverhalt - keine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu unmittelbaren Wettbewerbern innerhalb Hessens geltend macht. Der Umstand, dass in anderen Bundesländern möglicherweise andere - günstigere - Öffnungsregelungen für Wettbewerber der Antragstellerin gelten, vermag hingegen keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu begründen. Denn der Verfassungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verlangt lediglich die Gleichbehandlung der Bürger durch den nämlichen - zuständigen -, nicht aber auch ihre Gleichbehandlung durch mehrere, voneinander unabhängige Verwaltungsträger (BVerfG, Beschluss vom 23. November 1988 - 2 BvR 1619/83 und 2 BvR 1628/83 -, BVerfGE 79, 127 <158> =juris, Rn. 76; BVerfG unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 1966 - 1 BvR 33/64 -, BVerfGE 21, 54 <68> = juris, Rn. 35 m. w. N.).

Randnummer31Soweit die Antragstellerin weiterhin - zumindest sinngemäß - eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Einzelhandelsbetrieben, die nach § 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 21 CoKoBeV unter Beachtung der allgemeinen Hygieneregelungen öffnen dürfen, geltend macht, kann sie hieraus ebenfalls keinen Anordnungsanspruch herleiten.

Randnummer32Im Ausgangspunkt ist es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber eine Differenzierung dergestalt vornimmt, dass er die Deckung des Grundbedarfs ohne die weitergehenden Einschränkungen, die er dem sonstigen Einzelhandel aus Gründen des Infektionsschutzes auferlegt, zulässt.

Randnummer33Zwar erscheint es im Einzelfall fraglich, ob jede der in § 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 21 CoKoBeV angeführten Betriebskategorien der Deckung des Grundbedarfs dient. Da die Verordnung keine abstrakte Definition dessen, was zum Grundbedarf gehören soll, enthält, bietet sich eine Orientierung an dem in § 20 Abs. 1 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) normierten Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts an.Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst danach insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Verordnungsgeber vorgenommene Einordnung von Angelbedarfsläden (§ 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 17 CoKoBeV), Blumenläden (§ 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 18 CoKoBeV) und Buchhandlungen (§ 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 20 CoKoBeV) fragwürdig. Umgekehrt dürfte in Anlehnung an § 20 Abs. 1 SGB II gerade auch die Deckung zumindest eines Mindestbedarfs an Kleidung zur Grundversorgung zu zählen sein. Vor diesem Hintergrund kann durchaus bezweifelt werden, ob und wie lange der Verordnungsgeber zur Deckung des Grundbedarfs an Kleidung ausschließlich auf die Möglichkeit des Online-Handels (§ 3a Abs. 1 Satz 2, 1. Hs. CoKoBeV) verweisen kann. Dies kann vorliegend jedoch offenbleiben.

Randnummer34Zum einen geht nämlich die von der Antragstellerin angebotene Art der Ausstattung über den in Anlehnung an § 20 SGB II bestimmten Grundbedarf an Kleidung hinaus. Denn dieser muss nach § 20 SGB II lediglich nach Art, Aussehen, Qualität und Menge so beschaffen sein muss, dass eine Person nicht gezwungen ist, wegen ihres äußerlichen Erscheinungsbildes aufzufallen und sich negativ abzuheben (vgl. Hannes, in: Gagel, SGB II/III, Werkstand: 80. EL Februar 2021, SGB II, § 20, Rn. 19). Demgegenüber ist die von der Antragstellerin angebotene Ausstattung nach ihrem eigenen Vortrag gerade auf besondere Anlässe ausgerichtet und besonders hochpreisig.

Randnummer35Zum anderen kann die Antragstellerin aus der - durchaus fragwürdigen - Eingruppierung anderer Geschäftszweige in den Kreis der nach § 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 21 CoKoBeV weniger stark eingeschränkten Betriebe kein für sich günstigeres Ergebnis herleiten. Denn selbst wenn man die Einordnung einzelner Geschäftszweige für rechtswidrig erachten würde, vermag eine Berufung auf eine "Gleichbehandlung im Unrecht" einen Anordnungsanspruch der Antragstellerin nicht zu begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 1990 - 1 C 7.88 - juris, Rn. 31; BVerwG, Urteil vom 24. April 1986 -1 C 43.84 - juris, Rn. 16).

Randnummer36Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen, da sie unterlegen ist.

Randnummer37Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 des Gerichtskostengesetzes. Dabei geht das Gericht vom Auffangstreitwert in Höhe von 5000 Euro aus, ermäßigt diesen aber nach Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs 2013 im Hinblick darauf, dass es hier um einen nur vorläufigen Rechtsschutz geht, auf die Hälfte.

Zitate10
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte