LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.04.2021 - 5 Sa 331/20
Fundstelle
openJur 2021, 18089
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10. September 2020, Az. 2 Ca 1160/20, teilweise abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 6. April 2020 mit notwendiger Auslauffrist nicht am 31. Oktober 2020, sondern am 31. Dezember 2020 aufgelöst worden ist. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist wegen Alkoholsucht.

Die 1963 geborene Klägerin ist seit September 1984 in einer Kindertagesstätte der Beklagten in A-Stadt als Kinderpflegerin zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt € 3.402,00 angestellt. Die Beklagte betreibt mehrere katholische Kindertagesstätten; sie beschäftigt weit mehr als zehn Arbeitnehmer. Es besteht eine Mitarbeitervertretung gemäß der Ordnung für Mitarbeitervertretungen im Bistum Trier (MAVO). Die Parteien haben im schriftlichen Arbeitsvertrag die Geltung der kirchlichen Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) in ihrer jeweiligen Fassung vereinbart. Die Klägerin ist aufgrund ihres Lebensalters und Betriebszugehörigkeit gemäß § 40 Abs. 2 KAVO ordentlich unkündbar. Die längste Kündigungsfrist nach § 40 Abs. 1 KAVO beträgt sechs Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres

Im Jahr 2016 ist der Beklagten die Alkoholkrankheit der Klägerin aufgefallen. Die Klägerin unterzog sich im Sommer 2017 einer stationären Suchttherapie in einer Fachklinik in Bad Neuenahr. Die Klägerin ist rückfällig geworden, im Jahr 2018 kam es wieder zu alkoholbedingten Auffälligkeiten am Arbeitsplatz. Die Klägerin, die weder im Jahr 2017 noch im Jahr 2018 Angebote der Beklagten zur Teilnahme am betrieblichen Eingliederungsmanagement angenommen hat, erklärte sich auf Vorschlag der Beklagten bereit, sich zukünftig bei Dienstbeginn einem Alkoholtest zu unterziehen. Außerdem nahm sie seit Dezember 2018 Gesprächsangebote des Zentrums für ambulante Suchtkrankenhilfe des Caritasverbands A-Stadt wahr. Gleichwohl waren im Februar und März 2019 die Alkoholtests auffällig, die Klägerin wurde wegen alkoholisiertem Erscheinen am Arbeitsplatz abgemahnt.

Mit Schreiben vom 24.06.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2019. Diese Kündigung stützte sie darauf, dass die Klägerin trotz zweier Abmahnungen vom 21.02.2019 (am 20.02. um 8:05 Uhr 0,65 Promille) und vom 01.04.2019 (am 29.03. um 9:00 Uhr 0,35 Promille) am 23.05.2019 (um 8:00 Uhr 0,36 Promille) erneut alkoholisiert am Arbeitsplatz erschienen sei. Gegen diese Kündigung hat die Klägerin beim Arbeitsgericht Koblenz Klage (2 Ca 1978/19) erhoben.

Das Kündigungsschutzverfahren wurde im Gütetermin am 28.08.2019 ruhend gestellt, weil die Klägerin angezeigt hatte, sich wegen ihrer Alkoholsucht unverzüglich einer stationären Therapie unterziehen zu wollen. Ihr Prozessbevollmächtigter teilte mit Schreiben vom 02.09.2019 mit, die Klägerin werde zeitnah versuchen, eine Therapie durchzuführen. Sobald ihm eine Nachricht der Krankenkasse vorliege, werde er die Beklagte informieren. Im Oktober und November 2019 (am 28.11. = 0,3 Promille) erschien die Klägerin erneut alkoholisiert am Arbeitsplatz. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 02.12.2019 außerordentlich zum 31.12.2019. Gleichzeitig stellte sie die Klägerin ab sofort frei. Die Klägerin hat auch gegen diese Kündigung Klage (4 Ca 3796/19) erhoben, die das Arbeitsgericht mit dem Verfahren 2 Ca 1978/19 verbunden hat.

Zur Weihnachtsfeier der Kindertagesstätte, die am 02.12.2019 stattfand und bei der auch Eltern zugegen waren, erschien die Klägerin - trotz Freistellung - nach dem Vortrag der Beklagten in volltrunkenem Zustand mit eindeutigen Ausfallerscheinungen. Die Klägerin bestreitet dies; sie habe wegen der Aufregung ein Beruhigungsmittel genommen.

Mit Schriftsatz vom 09.12.2019 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Vorprozess mit, die Klägerin werde sich ab dem 09.01.2020 einer stationären Therapie unterziehen. Mit Schreiben vom 07.02.2020 gab er bekannt, der stationäre Aufenthalt sei von der Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach kurzfristig abgesagt worden. Von der Beklagten hierfür angeforderte Belege konnten nicht vorgelegt werden. Mit Überleitungsanzeige vom 10.01.2020 setzte die Bundesagentur für Arbeit die Beklagte von der Zahlung von Arbeitslosengeld ab 01.01.2020 in Kenntnis. Ausweislich einer Aufenthaltsbescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber vom 31.01.2020 (Bl. 14 d.A.) befand sich die Klägerin am 31.01.2020 von 7:50 bis 9:00 Uhr zu einem Vorgespräch im Krankenhaus in Lahnstein.

Im Kammertermin vom 12.02.2020 einigten sich die Parteien im Rechtsstreit 2 Ca 1978/19 in einem Teilvergleich darauf, dass die ordentliche Kündigung vom 24.06.2019 das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Mit - inzwischen rechtskräftigem - Urteil vom 09.07.2020 hat das Arbeitsgericht Koblenz (2 Ca 1978/19) der Klage gegen die Kündigung vom 02.12.2019 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, Krankheit sei kein fristloser Kündigungsgrund, eine Umdeutung in eine außerordentliche Kündigung mit gebotener Auslauffrist komme nicht in Betracht.

Mit Schreiben vom 31.03.2020 hörte die Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten dritten Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin an. Das Schreiben lautet auszugsweise:

"... in vorbezeichneter Angelegenheit nehmen wir Bezug auf die bereits zurückliegend umfangreich geführten Gespräche, sowie die Ihnen ebenfalls bereits bekannten ausgesprochenen Kündigungen.

Um Rechtssicherheit zu erhalten sehen wir uns nunmehr veranlasst eine nochmalige Kündigung des Arbeitsverhältnisses [der Klägerin] auszusprechen. Wir beabsichtigen [der Klägerin] das in Abschrift beigefügte Kündigungsschreiben, dem der sich darstellende Sachverhalt zu entnehmen ist, auszuhändigen und bitten diesbezüglich um Ihre schriftliche Zustimmung zu der Kündigung.

Aktuell müssen wir Ihnen zusätzlich mitteilen, dass [die Klägerin] mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 20.03.20 unserem Bevollmächtigten zugestellt am 27.03.20 erneut behauptet, nun einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus Lahnstein zu planen. Der Anlage zu diesem Schreiben kann jedoch lediglich entnommen werden, dass [die Klägerin] am 31.01.20 ein Vorgespräch geführt hat. Wir fügen dieses Schreiben nebst Anlagen ebenfalls zu Ihrer Kenntnisnahme bei. Wir stellen unter Bezugnahme auf die Ausführungen im beigefügten Kündigungsschreiben fest, dass unter Berücksichtigung des sich darstellenden Sachverhalts die Aussprache der Kündigung auch unter Berücksichtigung des angesprochenen Schreibens der Gegenseite gerechtfertigt und geboten ist."

Die Klägerin bestreitet mit Nichtwissen, dass diesem Unterrichtungsschreiben der Entwurf des Kündigungsschreibens beigefügt war. Am 02.04.2020 teilte die Mitarbeitervertretung der Beklagten mit, sie stimme nach Prüfung der Angelegenheit einer außerordentlichen Kündigung zu. Mit Schreiben vom 06.04.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Auslauffrist zum 31.10.2020, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin, und zwar mit folgender Begründung:

"Bezüglich der Kündigungsgründe nehmen wir zunächst Bezug auf die zurückliegenden Gespräche, beginnend bereits im Jahr 2016, sowie die aktuell vor dem Arbeitsgericht anhängigen zwei Verfahren.

Aufgrund Ihrer unstreitig bestehenden Alkoholabhängigkeit, die nach einem ersten Entzug im Jahr 2017 ab Oktober 2018 erneut aufgetreten ist und wegen derer Sie seither offensichtlich nicht bereit sind, sich behandeln zu lassen, wurden Sie schließlich ab dem 02.12.2019 von der Arbeit freigestellt, da eine Weiterbeschäftigung Ihrerseits für uns nicht mehr verantwortbar war. Ebenfalls wurde eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen.

Noch nach dem Erhalt der Kündigung sind Sie in volltrunkenem Zustand auf einer Veranstaltung der Kindertagesstätte erschienen, womit sodann jegliche Basis zu einer Weiterbeschäftigung dort von Ihnen entzogen wurde.

Zudem müssen wir davon ausgehen, dass Sie uns im Rahmen der laufenden Auseinandersetzung vor dem Arbeitsgericht Koblenz vorsätzlich täuschen wollten, indem Sie behauptet haben, ab dem 09.01.2020 sei ein stationärer Aufenthalt in der Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach vereinbart. Dieser Täuschungsversuch diente offensichtlich alleine dazu, eine vorherige Rücknahme der zuvor ausgesprochenen Kündigung zu erreichen. Nach Ablauf des 09.01.2020 haben Sie sodann zunächst jegliche Information verweigert und haben schließlich über Ihre Bevollmächtigten mit Schreiben vom 07.02. behaupten lassen, der geplante stationäre Aufenthalt sei "vom Krankenhaus kurzfristig abgesagt worden". Wir haben diesbezüglich Nachfragen zum Sachverhalt an Ihren Bevollmächtigten vom 13.02.2020 und vom 12.03.2020 gerichtet. Hierauf erfolgte bis zum heutigen Tag keinerlei Reaktion.

Schließlich haben wir über die Arbeitsagentur erfahren, dass Sie sich bis heute nicht arbeitsunfähig gemeldet und um eine Behandlung gekümmert haben, sondern stattdessen scheinbar Arbeitslosengeld beziehen.

Unter Berücksichtigung dieses sich insgesamt darstellenden Sachverhalts und in Anbetracht der Tatsache, dass ein bereits im Jahr 2017 durchgeführter stationärer Aufenthalt nun im Ergebnis ohne Erfolg blieb, ist die nunmehrige Kündigung geboten und gerechtfertigt."

Gegen diese Kündigung wendet sich die Klägerin mit ihrer am 08.04.2020 rechtszeitig erhobenen Klage. Vom 08.06. bis zum 24.07.2020 befand sich die Klägerin im Krankenhaus Lahnstein in teilstationärer Behandlung. Im Entlassungsbrief vom 24.07.2020 (Bl. 83 ff d.A.) sind folgende Diagnosen aufgeführt: "F 32.2 - schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome; F 40.01 - mit Panikstörung; F 43.2 - Anpassungsstörungen; F 10.1- schädlicher Gebrauch".

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.04.2020 zum 31.10.2020 und auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene Kündigung vom 06.04.2020 zu einem späteren Zeitpunkt seine Beendigung finden wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 10.09.2020 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat der Klage stattgegeben und zur Begründung - im Wesentlichen - ausgeführt, für die außerordentliche Kündigung bestehe kein wichtiger Grund. Bei krankheitsbedingter Kündigung wegen Alkoholsucht sei maßgeblich, ob und in welchem Ausmaß künftig mit suchtbedingten Störungen des Arbeitsverhältnisses zu rechnen sei. Das Bestehen einer Alkoholabhängigkeit sei für sich allein noch kein Kündigungsgrund. Betriebsablaufstörungen oder suchtbedingte Fehlzeiten habe die Beklagte der Mitarbeitervertretung im Anhörungsschreiben nicht genannt. Im Anhörungsschreiben seien auch die mit Schriftsatz vom 26.08.2020 vorgelegten Anlagen zu "Fehler-/ Beschwerdemeldungen" bzw. "Verhaltensbeobachtungen" nicht erwähnt. Das im Kündigungsschreiben pauschal geschilderte Erscheinen der Klägerin zur Weihnachtsfeier in (vermeintlich) volltrunkenem Zustand, stelle so noch keine konkrete Betriebsablaufstörung dar. Wenn sich die Klägerin trotz Freistellung noch eingeladen gefühlt und (wenigstens zunächst) noch habe teilnehmen dürfen, stelle das den betrieblichen Zusammenhang in Frage. Allein der vage Hinweis der Beklagten darauf, dass sich ein Eklat noch habe vermeiden lassen, lasse viele Deutungen zu und müsse nicht unbedingt alkoholbedingte Ausfallerscheinungen bezeichnen. Auch aus verhaltensbedingten Gründen sei die Kündigung nicht gerechtfertigt. Suchttypische Fehlverhaltensweisen (bspw. alkoholbeeinflusste Ausfallerscheinungen zur Weihnachtsfeier) rechtfertigten bei unstreitigem Alkoholismus keinen Schuldvorwurf. Auch verfange der Vorwurf nicht, die Klägerin habe über ihre Therapiebereitschaft vorsätzlich getäuscht und sei auch offensichtlich nicht therapiebereit, sondern geradezu einsichtsresistent. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 10.09.2020 Bezug genommen.

Gegen das am 06.10.2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 05.11.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 04.01.2021 verlängerten Frist mit am 04.01.2021 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie macht geltend, die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist sei aus wichtigem Grund gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht habe die Umstände des Einzelfalls nicht ausreichend berücksichtigt. Sie habe im Zeitpunkt der hier streitigen Kündigung von einer negativen Gesundheitsprognose ausgehen können. Die Klägerin habe bereits im Jahr 2017 eine stationäre Suchttherapie durchgeführt, die offensichtlich nicht erfolgreich gewesen sei. Ab Oktober 2018 habe sie sich vergeblich bemüht, der Klägerin zu helfen. Schließlich habe sie sich mangels Alternativen gezwungen gesehen, im Juni 2019 das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Vom Zugang der ersten Kündigung vom 24.06.2019 bis zum Zugang der nun streitigen Kündigung vom 06.04.2020 seien ca. zehn Monate vergangen. In diesem Zeitraum habe die Klägerin zwar ständig behauptet, sich einer stationären Suchttherapie unterziehen zu wollen, ihren Versprechungen jedoch keine Taten folgen lassen. Ob sich die Klägerin im Sommer 2020 einer Suchttherapie unterzogen habe, was sie ausdrücklich bestreite, spiele für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits letztlich keine Rolle. Spätestens nach dem Vorfall auf der Weihnachtsfeier der Kindertagesstätte am 02.12.2019 liege eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen vor. Die Beschäftigung der alkoholabhängigen Klägerin sei ihr nicht zumutbar, denn sie stelle zweifellos eine Gefährdung der zu betreuenden Kinder dar. Würde es nach den öffentlich gewordenen Vorfällen während einer erneuten Tätigkeit der Klägerin in alkoholisiertem Zustand zu einem Unfall kommen, so wäre sie zweifellos in der Mithaftung. Bei der Interessenabwägung sei auch zu berücksichtigen, dass die Eltern nicht mehr bereit seien, ihre Kinder der Aufsicht der Klägerin zu überlassen. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts habe sie auch die Mitarbeitervertretung ausreichend und umfassend informiert. Sie habe der Mitarbeitervertretung das inhaltlich vorgefertigte Kündigungsschreiben mit der darin enthaltenen Begründung vorgelegt. Hierfür habe sie die Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung als Zeugin benannt. Die Kündigungsgründe seien ihrem Kündigungsschreiben konkret zu entnehmen.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10.09.2020, Az. 2 Ca 1160/20, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Arbeitsgericht habe zutreffend angenommen, dass die Beklagte die Mitarbeitervertretung nicht über ihre konkreten Bemühungen im Zusammenhang mit der Wahrnehmung entsprechender therapeutischer Maßnahmen informiert habe. Sie habe die Beklagte insbesondere nicht über ihre Therapiebereitschaft getäuscht, sondern über ihren Aufenthalt im Krankenhaus in Lahnstein informiert. Soweit die Beklagte meine, ihre Beschäftigung sei ihr nicht mehr zumutbar, weil sie wegen ihrer Alkoholerkrankung eine latente Gefahr für die zu betreuenden Kinder darstelle, handele es sich nur um pauschale Erwägungen. Weder ihre Alkoholerkrankung noch mögliche künftige alkoholbedingte Verfehlungen stellten einen Kündigungsgrund dar. Die Verzögerung der Therapiemaßnahmen sei im Wesentlichen durch Corona bedingt, sehe man von der gescheiterten Aufnahme in der Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach ab.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen. Außerdem wird Bezug genommen auf den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akten 2 Ca 1978/19 und 4 Ca 3796/19.

Gründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO und erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

Die Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.04.2020 mit notwendiger Auslauffrist beendet worden. Weil die Beklagte zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist - hier von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres (§ 40 Abs. 1 KAVO) - einzuhalten hat, ist das Arbeitsverhältnis nicht mit Ablauf des 31.10.2020, sondern des 31.12.2020 aufgelöst worden. Das erstinstanzliche Urteil ist deshalb teilweise abzuändern.

1. Nach § 40 Abs. 2 KAVO konnte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin, die im Kündigungszeitpunkt länger als fünfzehn Jahre bei ihr beschäftigt war und das 40. Lebensjahr vollendet hatte, nur aus einem wichtigen Grund kündigen. Mit dem Begriff "wichtiger Grund" knüpft die kirchliche Arbeitsrechtsregelung an die gesetzliche Vorschrift des § 626 Abs. 1 BGB an, deren Verständnis deshalb auch für die Auslegung der Regelung maßgebend ist (vgl. BAG 25.04.2018 - 2 AZR 6/18 - Rn. 14 mwN).

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

b) Krankheit kann ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB sein. Grundsätzlich ist dem Arbeitgeber aber die Einhaltung der Kündigungsfrist zuzumuten. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in eng begrenzten Fällen in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen oder - wie hier - kirchlichen Arbeitsbedingungen ausgeschlossen ist. In diesem Fall kann ein Sachverhalt, der bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde, gerade wegen der infolge des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung langen Bindungsdauer einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung für den Arbeitgeber iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs muss dann allerdings zugunsten des Arbeitnehmers zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten werden. Überdies muss der Prüfungsmaßstab den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die nach § 626 Abs. 1 BGB an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (vgl. BAG 25.04.2018 - 2 AZR 6/18 - Rn. 16 mwN).

c) Danach kann die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses aufgrund Alkoholsucht gerechtfertigt sein.

Wenn im Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt ist, der Arbeitnehmer biete aufgrund einer Alkoholsucht dauerhaft nicht die Gewähr, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen, kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein. Voraussetzung ist, dass daraus eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folgt, diese durch mildere Mittel - etwa eine Versetzung - nicht abgewendet werden kann und sie auch bei einer Abwägung gegen die Interessen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss. Für die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung einer Alkoholerkrankung kommt es entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung bereit ist, eine Entziehungskur bzw. Suchttherapie durchzuführen. Lehnt er das ab, kann erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden, dass er von seiner Alkoholabhängigkeit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird. Ebenso kann eine negative Prognose dann berechtigt sein, wenn der Arbeitnehmer nach abgeschlossener Therapie rückfällig geworden ist (vgl. BAG 20.03.2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 15 mwN).

Für den Fall von Alkoholismus hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist wegen Krankheit ausnahmsweise zulässig ist. Die Prüfung in drei Stufen (negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes; erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen; Interessenabwägung) muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (vgl. BAG 20.12.2012 - 2 AZR 32/11 - Rn. 14 mwN; BAG 16.09.1999 - 2 AZR 123/99 - Rn. 22 mwN).

d) Im Streitfall war im Zeitpunkt der (hier streitgegenständlichen dritten) Kündigung am 06.04.2020 die Annahme gerechtfertigt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Alkoholsucht nicht mehr die Gewähr bietet, ihre Tätigkeit als Kinderpflegerin in einer Kindertagesstätte der Beklagten ordnungsgemäß erbringen zu können.

Die Alkoholkrankheit der Klägerin ist seit 2016 bekannt. Sie ist nach einer stationären Suchttherapie, die im Sommer 2017 in einer Fachklinik in Bad Neuenahr abgeschlossen wurde, bereits ein Jahr später wieder rückfällig geworden. Im Jahr 2018 kam es wieder zu alkoholbedingten Auffälligkeiten. Die Klägerin erklärte sich freiwillig zu Alkoholtest durch die Beklagte bei Arbeitsbeginn bereit. Außerdem nahm sie seit Dezember 2018 Gesprächsangebote des Zentrums für ambulante Suchtkrankenhilfe des Caritasverbands A-Stadt wahr. Gleichwohl gelang es der Klägerin nicht, ihre Alkoholsucht zu bewältigen. Sie erschien wiederholt alkoholisiert am Arbeitsplatz (am 20.02.2019 = 0,65 Promille; am 29.03.2019 = 0,35 Promille; am 23.05.2019 = 0,36 Promille; am 28.11. = 0,3 Promille). Obwohl die Klägerin nach Zugang der Kündigung vom 24.06.2019 der Beklagten im ersten Kündigungsprozess (2 Ca 1978/19) angezeigt hatte, sich unverzüglich einer stationären Suchttherapie unterziehen zu wollen, hat sie monatelang keine Therapie angetreten. Anders als die Klägerin glauben machen will, kam es im Jahr 2019 wegen der Corona-Pandemie noch zu keinen Einschränkungen bei stationären Aufnahmen in Suchtkliniken. Zu Aufnahmestopps und Absagen kam es ab Mitte März 2020.

Nach Zugang der zweiten Kündigung vom 02.12.2019 teilte die Klägerin im Vorprozess mit Schriftsatz vom 09.12.2019 zwar definitiv mit, dass sie sich ab dem 09.01.2020 einer stationären Therapie unterziehen werde. Diese Therapie soll allerdings nach ihrem (bestrittenen) Vortrag kurzfristig von der Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach abgesagt worden sein. Da erst ab Mitte März 2020 wegen der Corona-Pandemie auch vorgesehene Klinikaufenthalte abgesagt werden mussten, kann die von der Klägerin behauptete Absage einer geplanten Aufnahme ab 09.01.2020 mit der Pandemie nichts zu tun haben.

Die Klägerin hat keine Belege für die Beantragung und Bewilligung der stationären Entwöhnungsbehandlung durch den zuständigen Leistungsträger (Renten- und/oder Krankenversicherung) vorgelegt. Sie hat außerdem keinen Nachweis beigebracht, dass die Rhein-Mosel-Fachklinik - trotz Bewilligung der Maßnahme, Kostenübernahme der Leistungsträger und Bekanntgabe eines konkreten Aufnahmetermins - ihre für den 09.01.2020 vorgesehene Aufnahme kurzfristig abgesagt hat. Die Überlegung des Arbeitsgerichts, dass Krankenhausärzte gesetzlich nicht verpflichtet seien, für Versicherte oder ihre Arbeitgeber die Verweigerung einer Klinikaufnahme "irgendwie zu beurkunden" greift zu kurz. Bei einer krankheitsbedingten Kündigung gilt eine abgestufte Darlegungslast. Der Arbeitgeber kann insbesondere verlangen, dass der Arbeitnehmer die ernsthafte Bereitschaft, eine Alkoholtherapie durchzuführen, nachweist (vgl. BAG 20.03.2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 20, 21). Die Klägerin war daher verpflichtet, ihre Therapiebereitschaft nach außen kundzutun. Dazu reichte ein bloßes "Lippenbekenntnis" nicht aus, vielmehr konnte von ihr verlangt werden, ihre Bemühungen um einen Therapieplatz zu dokumentieren. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass eine anerkannte Fachklinik für Suchtmedizin einem alkoholabhängigen Patienten einen Nachweis zur Vorlage beim Arbeitgeber verweigern könnte. Das Arbeitsgericht hat den Vortrag der Klägerin wohl so verstanden, dass sie sich am 09.01.2020 an der Klinikpforte persönlich vorgestellt habe und dort abgewiesen worden sei. Dass der Suchttherapie ein versicherungsrechtliches Bewilligungsverfahren vorausgeht, die Kostenübernahme des Leistungsträgers vor Aufnahme geklärt sein muss, der Leistungsträger Art, Dauer und Ort der Behandlung bestimmt und in der Einrichtung ein Therapieplatz frei sein muss, ist eine Selbstverständlichkeit, die der Klägerin auch bekannt war. Ihr Prozessbevollmächtigter hatte bereits am 02.09.2019 angekündigt, dass die Klägerin zeitnah versuchen werde, eine Therapie durchzuführen; sobald ihm eine Nachricht der Krankenkasse vorliege, werde er die Beklagte informieren.

Vor Ausspruch der - hier streitgegenständlichen - dritten Kündigung vom 06.04.2020 hat die Klägerin noch keine Suchttherapie begonnen. Sie hat lediglich ein "Vorgespräch" nachgewiesen, dass am 31.01.2020 im Krankenhaus Lahnstein von 7:50 bis 9:00 Uhr stattgefunden hat. Die Beklagte durfte unter diesen Umständen von einer Therapieunwilligkeit ausgehen. Darauf, dass die Klägerin erst nach Zugang der Kündigung in der Zeit vom 08.06. bis zum 24.07.2020 im Rahmen einer teilstationären Behandlung im Krankenhaus Lahnstein eine Therapie durchgeführt hat, kommt es nicht an. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Das gilt auch für die bei einer krankheitsbedingten Kündigung anzustellende Gesundheitsprognose. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch kann nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Berücksichtigung finden (vgl. BAG 24.03.2011 - 2 AZR 790/09 Rn. 17 mwN). Im Streitfall lagen bei Zugang der Kündigungserklärung keine konkreten Anhaltspunkte vor, dass sich die Klägerin in absehbarer Zeit einer (erneuten) stationären Therapie unterzieht.

Zwar hat ein Arbeitgeber, der einem alkoholkranken Arbeitnehmer aus personenbedingten Gründen kündigen will, in der Regel nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zuvor die Chance zu einer Entziehungskur zu geben (vgl. BAG 17.06.1999 - 2 AZR 639/98 - Rn. 34 mwN). Diese Chance ist der Klägerin von der Beklagten eingeräumt worden. Die Klägerin ist nach der Therapie im Jahr 2017 rückfällig geworden. Die Beklagte hat sich - obwohl der Rückfall eine negative Prognose indiziert - bereit erklärt, bei Arbeitsbeginn freiwillige Alkoholtests durchzuführen, um der Klägerin die Weiterarbeit in der Kindertagesstätte zu ermöglichen. Im Vorprozess (2 Ca 1978/19) war sie mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden, weil die Klägerin angekündigt hatte, sich unverzüglich einer stationären Therapie unterziehen zu wollen. Seit Zugang der ersten Kündigung vom 24.06.2019 hatte die Klägerin ausreichend Zeit, um eine stationäre Therapie zu beginnen.

e) Die Alkoholsucht der Klägerin führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts kommt es nicht darauf an, ob aufgrund des Alkoholgenusses der Klägerin am Arbeitsplatz konkrete Störungen eingetreten sind. Ebenso wenig ist von Belang, ob das Erscheinen der Klägerin zur Weihnachtsfeier im (streitigen) volltrunkenem Zustand zu einem Eklat geführt hat. Entscheidend ist, dass die Beklagte aufgrund der im Kündigungszeitpunkt fortbestehenden Alkoholerkrankung jederzeit damit rechnen muss, dass die Kinder von der Klägerin nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt und betreut werden können. Der Beklagten als Trägerin mehrerer Kindertagesstätten obliegt eine Aufsichtspflicht. Sie muss dafür Sorge tragen, dass die Mitarbeiter den ihnen übertragenen Aufgaben in fachlicher wie persönlicher Hinsicht gewachsen sind. Der weitere Einsatz der alkoholkranken Klägerin als Kinderpflegerin war ihr damit nicht zumutbar. Die mit dem Alkoholkonsum einhergehende Minderung der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit führt zu erheblichen Gefahren für die ihr anvertrauten Kinder, denen die Beklagte begegnen muss. Es liegt auf der Hand, dass eine nicht unerhebliche Gefahr für die Kinder besteht, wenn eine Kinderpflegerin alkoholisiert zur Arbeit erscheint. Die Beklagte muss nicht abwarten, bis etwas passiert. Die ambulante Begleitung der Klägerin durch freiwillige Alkoholtest und therapeutische Gespräche bei der ambulanten Suchtkrankenhilfe des Caritasverbands A-Stadt führten nicht zum gewünschten Erfolg. Die Klägerin war (ohne, dass sie ein Schuldvorwurf trifft) krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihre Alkoholsucht zu überwinden. Die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung der Klägerin ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

f) Das Unterlassen eines erneuten betrieblichen Eingliederungsmanagements vor Ausspruch der Kündigung vom 06.04.2020 (bEM) führt nicht zu der Annahme, die Kündigung sei unverhältnismäßig.

Zugunsten der Klägerin kann davon ausgegangen werden, dass bei Alkoholismus ein bEM grundsätzlich in Betracht kommt und seine Durchführung sich nicht wegen des Krankheitsbildes generell als überflüssig darstellt (vgl. BAG 20.03.2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 32 mwN). Es ist bereits unklar, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX im Streitfall vorliegen. Die Klägerin hat nicht behauptet, dass sie vor der Kündigung innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt wegen ihrer Alkoholerkrankung arbeitsunfähig war. Ihre Beschäftigung mag der Beklagten unzumutbar gewesen sein. Dies steht einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aber nicht ohne Weiteres gleich (vgl. BAG 20.03.2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 32). Abgesehen davon führte das Unterlassen eines bEM nicht zu der Annahme, die Kündigung sei unverhältnismäßig. Im Streitfall erscheint es als ausgeschlossen, dass ein bEM zu einem positiven Ergebnis hätte führen können. Die Klägerin ist angesichts ihrer Alkoholabhängigkeit als Kinderpflegerin nicht mehr einsetzbar. Im Übrigen bestand bis zum Ausspruch der Kündigung keine ernsthafte Therapiewilligkeit der Klägerin.

g) Die abschließend vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Beendigungsinteresse der Beklagten das Interesse der Klägerin an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses überwiegt. Zugunsten der Klägerin spricht ihre Betriebszugehörigkeit von 35 Jahren und ihr Lebensalter. Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt dürften aufgrund ihres Lebensalters und ihrer Alkoholerkrankung schlecht sein. Der Beklagten ist es aber auf Dauer nicht mehr zumutbar, die mit einer möglichen Alkoholisierung der Klägerin verbundenen Gefährdungen in ihren Kindertagesstätten hinzunehmen. Die Beklagte hat der Klägerin nach Alkoholauffälligkeiten ab dem Jahr 2016 die Chance gegeben, ihre Sucht zu überwinden. Sie hat eine Suchttherapie abgewartet. Auch auf den Rückfall der Klägerin hat sie alles ihr Zumutbare für den Erhalt des Arbeitsverhältnisses getan. Das Scheitern ist ihr nicht anzulasten.

2. Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Bei der Klägerin liegt eine Alkoholerkrankung vor. Dabei handelt es sich um einen Dauertatbestand. Kündigungsgrund ist - wie im Fall einer lang andauernden Erkrankung - nicht die Erkrankung als solche, sondern die negative Gesundheitsprognose und eine daraus resultierende erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Liegt ein Dauertatbestand vor, beginnt die Ausschlussfrist nicht einmalig, sobald der Arbeitgeber - erstmals - Kenntnis von der für den Kündigungsentschluss relevanten negativen Prognose und den daraus resultierenden erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen hat. Die Frist beginnt vielmehr fortlaufend neu (vgl. BAG 23.01.2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 20 mwN).

3. Die fiktive ordentliche Kündigungsfrist, die der Klägerin zwingend eingeräumt werden muss, beträgt nach § 40 Abs. 1 KAVO sechs Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres. Die Klägerin, deren Arbeitsverhältnis nach § 40 Abs. 2 KAVO ordentlich nicht gekündigt werden kann, darf - wie oben ausgeführt - nicht schlechter gestellt sein, als wenn sie dem Sonderkündigungsschutz nicht unterfiele. Die Beklagte hat die Dauer der notwendigen Auslauffrist falsch berechnet, weil sie den Kündigungstermin (Schluss eines Kalendervierteljahres) nicht berücksichtigt hat. Die nicht termingerechte Kündigung ist allerdings nicht allein aus diesem Grunde insgesamt und unheilbar unwirksam, zumal die Beklagte "hilfsweise zum nächstmöglichen Termin" kündigen wollte. Die außerordentliche Kündigung vom 06.04.2020 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit notweniger Auslauffrist daher nicht zum 31.10.2020, sondern zu dem nächsten zulässigen Termin, dh. erst zum 31.12.2020, aufgelöst.

4. Die Kündigung ist nicht mangels ordnungsgemäßer Beteiligung der Mitarbeitervertretung unwirksam.

a) Die korrekte Beteiligung der kirchlichen Mitarbeitervertretung unterliegt in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen oder Nichtbestehen eines privatrechtlich begründeten kirchlichen Arbeitsverhältnisses - ebenso wie die Wirksamkeit der Kündigung im Übrigen - der Überprüfung durch die staatlichen Gerichte für Arbeitssachen (vgl. BAG 22.10.2015 - 2 AZR 650/14 - Rn. 19 mwN). Die von der Beklagten in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH selbständig geführten katholischen Kindertagesstätten unterfallen dem sachlichen und räumlichen Anwendungsbereich der Ordnung für Mitarbeitervertretungen im Bistum Trier (MAVO). Darüber herrscht kein Streit.

b) Gemäß §§ 30 Abs. 1 und 31 Abs. 1 MAVO sind der Mitarbeitervertretung vor jeder ordentlichen Kündigung nach Ablauf der Probezeit bzw. vor einer außerordentlichen Kündigung durch den Dienstgeber schriftlich die Absicht der Kündigung und die Gründe hierfür mitzuteilen. Will die Mitarbeitervertretung gegen die ordentliche Kündigung Einwendungen erheben, hat sie diese unter Angabe der Gründe dem Dienstgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen; anderenfalls gilt die Kündigung gem. § 30 Abs. 2 MAVO als nicht beanstandet. Einwendungen gegen eine außerordentliche Kündigung hat die Mitarbeitervertretung nach § 31 Abs. 2 Satz 1 MAVO spätestens innerhalb von drei Tagen schriftlich mitzuteilen. Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 MAVO kann die Frist vom Dienstgeber auf 48 Stunden verkürzt werden. Erhebt die Mitarbeitervertretung innerhalb der Frist keine Einwendungen, gilt nach § 31 Abs. 2 Satz 3 MAVO auch die beabsichtigte außerordentliche Kündigung als nicht beanstandet. Erhebt die Mitarbeitervertretung Einwendungen und hält der Dienstgeber an der Kündigungsabsicht fest, so hat er bei einer ordentlichen Kündigung nach § 30 Abs. 2 Satz 3 MAVO die Einwendungen mit der Mitarbeitervertretung mit dem Ziel einer Verständigung zu beraten. Im Fall einer außerordentlichen Kündigung entscheidet er nach § 31 Abs. 2 Satz 4 MAVO ohne Weiteres selbst über die Kündigung. Gemäß § 30 Abs. 5 bzw. § 31 Abs. 3 MAVO ist die ohne Einhaltung des jeweiligen Verfahrens ausgesprochene Kündigung unwirksam.

Die Regelungen in §§ 30 Abs. 1 und 2, 31 Abs. 1 und 2 MAVO sind - mit Modifikationen - den Vorgaben in § 102 Abs. 1 und 2 BetrVG nachgebildet. Insoweit können die dort geltenden Grundsätze für die Auslegung herangezogen werden (vgl. BAG 22.10.2015 - 2 AZR 650/14 - Rn. 21, 22 mwN). Wie bei § 102 Abs. 1 BetrVG hat der Dienstgeber nicht alle erdenklichen, sondern nur die für ihn maßgebenden Kündigungsgründe mitzuteilen. Die Kündigungsgründe sind konkret darzustellen, pauschale Angaben und bloße Werturteile genügen nicht (vgl. BAG 10.04.2014 - 2 AZR 812/12 - Rn. 58, 59 mwN).

c) Danach hat die Beklagte die Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß über den Kündigungsgrund unterrichtet. Das gilt unabhängig davon, ob sich die Beteiligung an einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit (notwendiger) Auslauffrist nach § 31 MAVO oder - aufgrund eines dort gewährleisteten höheren Schutzstandards - nach den Regelungen des § 30 MAVO für die ordentliche Kündigung richtet (vgl. BAG 22.10.2015 - 2 AZR 650/14 - Rn. 23 mwN), denn § 30 Abs. 1 MAVO stellt an die Mitteilung der Kündigungsgründe keine Anforderungen, die über die des § 31 Abs. 1 MAVO hinausgingen.

Der Inhalt der Unterrichtung ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert. Die Mitarbeitervertretung soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können. Der Arbeitgeber muss daher der Mitarbeitervertretung die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (vgl. BAG 05.12.2019 - 2 AZR 240/19 - Rn. 43 ff mwN).

Danach hat die Beklagte die Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 31.03.2020 ordnungsgemäß unterrichtet. Es fehlt nicht an einer ausreichenden Darstellung des Kündigungssachverhalts, selbst wenn - was die Klägerin mit Nichtwissen bestreitet - eine Abschrift des Kündigungsschreibens nicht beigefügt worden sein sollte. Die Mitarbeitervertretung wurde bereits vor Ausspruch der Kündigungen vom 24.06.2019 und vom 02.12.2019 mit Schreiben vom 03.06.2019 und vom 28.11.2019 angehört. Auf die Anhörungen zu diesen Kündigungen nimmt die Beklagte in ihrem Schreiben vom 31.03.2020 Bezug. Es war der Mitarbeitervertretung aufgrund der mehrfachen Vorbefassung hinlänglich bekannt, dass die Klägerin Alkoholikerin ist. Es war auch bekannt, dass die Klägerin vor Zugang der ersten beiden Kündigungen nicht therapiebereit war. Die Beklagte hat verdeutlicht, dass sie sich aus Rechtsgründen veranlasst sehe, eine nochmalige Kündigung auszusprechen und ausgeführt, dass die Klägerin inzwischen zwar mit Schreiben ihres Bevollmächtigten behauptet habe, einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus in Lahnstein zu planen. Sie habe aber nur nachgewiesen, dass sie am 31.01.2020 ein Vorgespräch geführt habe. Da der Dienstgeber der Mitarbeitervertretung nicht alle erdenklichen, sondern nur die für ihn maßgebenden Kündigungsgründe mitteilen muss, reichen diese Angaben aus. Die Mitarbeitervertretung war in den Stand versetzt, sich ein eigenes Bild von der Stichhaltigkeit des unterbreiteten Kündigungsgrunds zu machen. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte den Betriebsrat bewusst unrichtig oder irreführend unterrichtet hätte. Die Beklagte hat die Mitarbeitervertretung insbesondere darüber informiert, dass die Klägerin angekündigt hat, eine stationäre Therapie zu planen, sie habe jedoch lediglich einen Beleg des Krankenhauses darüber vorgelegt, am 31.01.2020 ein Vorgespräch geführt zu haben. Die Mitarbeitervertretung war somit in die Lage versetzt, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten der Klägerin auf die Beklagte einzuwirken. Nach Prüfung der Angelegenheit hat sie der außerordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 02.04.2020 ausdrücklich zugestimmt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.

Zitate11
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte