VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.04.2021 - 2 S 379/21
Fundstelle
openJur 2021, 18085
  • Rkr:

Der Streitwert für eine Klage auf zinslose Stundung von Wasserversorgungsbeiträgen beträgt 21 Prozent des zu stundenden Betrages. Das errechnet sich aus dem Jahreszins von 6 Prozent aus § 238 Abs. 1 AO(juris: AO 1977), multipliziert nach Maßgabe von § 9 ZPO mit dem Dreieinhalbfachen des Jahresbetrages.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 10. September 2020 - 9 K 6188/19 - geändert.

Der Streitwert wird auf 15.178,09 EUR festgesetzt.

Gründe

1. Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke Flurstück ... und ... Gemarkung H..., Jakobusstraße 39 und 41, in B.... Er betreibt dort eine Pferdehaltung. Das Grundstück J...straße 39 hat eine Grundfläche von 1.069 m² und ist mit einem Wohnhaus bebaut. Die Grundfläche des mit einer Reithallebebauten Grundstücks J...straße 41 beträgt 6.918 m².

Mit Bescheiden vom 20.01.2006 setzte die Beklagte für die Grundstücke Abwasser- und Wasserversorgungsbeiträge i.H.v. insgesamt 74.164,09 EUR fest. Auf Antrag des Klägers wurden die Beiträge im März 2007 wegen landwirtschaftlicher Nutzung nach § 28 Abs. 1 KAG - zunächst befristet bis zum 31.12.2010 - teilweise zinslos gestundet. Die Stundung wurde mit Bescheid vom 12.02.2011 bis zum 31.12.2013 verlängert. Mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden vom 15.02.2018 wurde die Stundung erneut verlängert, jedoch wurden weitere Flächenanteile davon ausgenommen. Am 03.05.2018 beantragte der Kläger die Weiterverlängerung der zinslosen Stundung für den kompletten Betrieb. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03.04.2019 ab.

Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren hat der Kläger am 12.12.2009 Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu verpflichten, den Abwasserbeitrag und den Wasserversorgungsbeitrag für das Grundstück J...- ...straße 39 für eine Fläche von 983 m² sowie den Abwasserbeitrag und den Wasserversorgungsbeitrag für das Grundstück J...straße 41 - bis auf den Abwasserbeitrag für eine Fläche von 6 m² und den Wasserversorgungsbeitrag für eine Fläche von 358 m² - zinslos zu stunden. Mit Urteil vom 10.09.2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und mit Beschluss vom selben Tag den Streitwert auf 50.000,00 EUR festgesetzt. Zur Begründung des Streitwertbeschlusses hat es ausgeführt, bei überschlägiger Betrachtung liege der Anteil der streitgegenständlichen Flächen an den Beitragsfestsetzungen für beide Grundstücke bei ungefähr 100.000,00 EUR. Angesichts der Tatsache, dass das klägerische Begehren auf eine Stundung der Beiträge gerichtet gewesen sei, sei dieser Streitwert zu halbieren.

Gegen den Streitwertbeschluss wendet sich die Beschwerde des Klägers. Er meint, der Streitwert sei zu hoch festsetzt worden, da die Beitragsfestsetzung für die verfahrensgegenständlichen Grundstücke insgesamt 69.337,11 EUR betragen habe. Er plane, ab dem 01.10.2023 in den Ruhestand zu gehen.

2. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Streitwert beträgt 15.178,09 EUR.

a) Nach § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Grundlage der Wertberechnung ist die Bedeutung der Sache für den Kläger so, wie sie sich aufgrund seines Antrags objektiv beurteilt ergibt (vgl. etwa Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15.05.2013 - 8 OA 74/13 - juris Rn. 6 mwN). Irrelevant sind andere Umstände, wie z.B. der Umfang der Sache (BVerwG, Beschluss vom 15.03.1977 - VII C 6.76 - juris Rn. 4), der Aufwand des Gerichts oder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers (BVerwG, Beschluss vom 15.09.2015 - 9 KSt 2.15 - juris Rn. 3). Auch die Bedeutung der Sache für andere Verfahrensbeteiligte beeinflusst den Streitwert nicht (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.05.1999 - 5 A 5684/97 - juris Rn. 124). Hat die Regelung für den Kläger Dauerwirkung, ist dies bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen (BSG, Beschluss vom 27.08.1981 - 2 RU 67/77 - juris Rn. 5).

Die Streitwertbestimmung hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen (OVG Bremen, Beschluss vom 22.07.2010 - 2 S 132/10 - juris Rn 11). Insoweit besteht bei der Beurteilung der Bedeutung der Sache für den Kläger ein gerichtlicher Spielraum. Der Wert kann geschätzt werden (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.12.2007 - 9 S 1958/07 - juris Rn. 4) und es ist im Interesse einer einheitlichen Bewertung seine Schematisierung und Pauschalierung zulässig (BVerwG, Beschluss vom 15.09.2015 - 9 KSt 2.15 - juris Rn. 4 mwN; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.07.2011 - 13 E 600/11 - juris Rn. 4).

Der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit enthält hierfür Empfehlungen. Ihm kommt jedoch keine normative Verbindlichkeit zu. Er ist eine Handreichung für die Praxis, keine anwendbare oder auslegungsfähige Rechtsnorm. An der Aufgabe des Gerichts, im jeweiligen Einzelfall das Gesetz anzuwenden und das ihm eingeräumte Ermessen auszuüben, ändert das Vorhandensein des Streitwertkatalogs nichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.08.1993 - 2 BvR 1858/92 - juris Rn. 32; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.11.2009 - 8 B 1342/09.AK - juris Rn. 4). Angesichts der Tatsache, dass den Empfehlungen des Streitwertkatalogs eine Gesamtschau der bundesweiten Verwaltungsrechtsprechung zugrunde liegt, kommt ihnen jedoch zur Gewährleistung einer weitestmöglichen Gleichbehandlung besonderes Gewicht zu (BVerwG, Beschluss vom 15.09.2015 - 9 KSt 2.15 - juris Rn. 4).

Gemessen hieran ist der Streitwert für die vom Kläger begehrte zinslose Stundung mit 21 Prozent des Betrags, dessen Stundung begehrt wird, zu bemessen. Der Anteil von 21 Prozent errechnet sich aus dem Zinssatz nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO von einhalb Prozent je Monat, mithin 6 Prozent pro Jahr, multipliziert nach Maßgabe von § 9 Satz 1 ZPO mit dem Dreieinhalbfachen des Jahresbetrages (so auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 31.03.2015 - 6 C 15.573 - juris Rn. 3; Sächsisches OVG, Beschluss vom 24.10.2012 - 5 E 89/12 - juris Rn. 3 und 4; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.10.1999 - 3 A 1311/96, u.a. - juris Rn. 5; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, juris Rn. 1707; Rottenwallner, KStZ 2013, 126, 130). Auch der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 spricht sich in Nr. 3.2 für die Berücksichtigung des Zinssatzes aus § 238 Abs. 1 Satz 1 AO aus.

Die Anwendung dieses Zinssatzes ist sachgerecht. Die Vorschrift des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO legt die Höhe der Zinsen einheitlich für alle Zinsansprüche der §§ 233a bis 237 AO fest (Koenig in Koenig, AO, 3. Aufl., § 238 Rn. 1) und ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 b) KAG auch auf das Kommunalabgabengesetz Baden-Württemberg anzuwenden. Er soll den Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen - hier des Beitragspflichtigen - typisierend erfassen (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 238 AO Rn. 2). Insoweit handelt es sich bei der Anwendung von § 238 Abs. 1 Satz 1 AO um eine zulässige Typisierung im Interesse der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.09.2009 - 1 BvR 2539/07 - juris Rn. 29; BFH, Beschluss vom 29.05.2013 - X B 233/12 - juris Rn. 4).Dieser Vorteil kann sich aus der mit dem Stundungsbegehren bezweckten Einsparung sonst erforderlicher Aufwendungen für Stundungszinsen ergeben (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.10.1999 - 3 A 1311/96, u.a. - juris Rn. 5; Bayerischer VGH, Beschluss vom 18.03.1998 - 6 C 97.3792 - juris Rn. 3) oder aus etwaig ersparten Zinsaufwendungen für die Inanspruchnahme von Kredit. Daher kann der Zinssatz entgegen der Ansicht des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 08.10.2018 - 9 OA 135/18 - juris Rn. 4) für die Wertbestimmung herangezogen werden, auch wenn es in der Sache nicht um Stundungszinsen geht.

Der Zinssatz von 6 Prozent pro Jahr ist nach Maßgaben von § 9 Satz 1 ZPO auf das Dreieinhalbfache des Jahreswertes zu begrenzen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 31.03.2015 - 6 C 15.573 - juris Rn. 3; Sächsisches OVG, Beschluss vom 24.10.2012 - 5 E 89/12 - juris Rn. 3; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.10.1999 - 3 A 1203/96 - juris Rn. 5; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, juris Rn. 1707; Rottenwallner, KStZ 2013, 126, 130). Das gilt, obwohl die Stundung nach § 28 Abs. 1 KAG so lange zu gewähren ist, wie die Voraussetzungen dafür vorliegen, also grundsätzlich unbegrenzt (vgl. Gössl/Reif, Kommunalabgabengesetz für Baden-Württemberg, § 28 Anm. 5). Zwar dient § 9 ZPO, wie sich aus § 2 ZPO ergibt, grundsätzlich der Bestimmung des Zuständigkeitsstreitwerts und des Rechtsmittelstreitwerts (Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. § 2 Rn. 2), aber sein Rechtsgedanke ist hier auf die Ermittlung des Gebührenstreitwerts anzuwenden (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 31.03.2015 - 6 C 15.573 - juris Rn. 3). Die Vorschrift dient der Vereinfachung und Vereinheitlichung der Wertbestimmung (Wöstmann in MüKoZPO, 6. Aufl., § 9 Rn. 1; Wendtland in BeckOK ZPO, § 9 Rn. 1) und damit der Rechtssicherheit (Heinrich in Musielak/Voit, 18. Aufl., § 9 Rn. 1). Eine am konkreten wirtschaftlichen Klägerinteresse ausgerichtete Bewertung wäre wegen der typischen Zukunftsgerichtetheit der unter die Vorschrift fallenden Rechte mit erheblichen Unsicherheiten belastet (Wöstmann in MüKoZPO, 6. Aufl., § 9 Rn. 1). Dieses legitime Bedürfnis nach Vereinfachung und Vereinheitlichung der Wertbestimmung besteht, wie oben ausgeführt, bei der Bestimmung des Gebührenstreitwertes ebenso.

Hinzu kommt, dass die mit dem Stundungsbegehren bezweckte wiederkehrende Einsparung sonst erforderlicher Aufwendungen für Stundungszinsen wirtschaftlich mit der Erlangung wiederkehrender Nutzungen und Leistungen im Sinne von § 9 ZPO vergleichbar ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.10.1999 - 3 A 1311/96, u.a. - juris Rn. 5; Bayerischer VGH, Beschluss vom 18.03.1998 - 6 C 97.3792 - juris Rn. 3). Ferner führt die Regelung in § 9 ZPO zu einer vernünftigen Begrenzung der Streitwerthöhe (Wöstmann in MüKoZPO, 6. Aufl., § 9 Rn. 1) und dient damit dem gerechten Ausgleich der Parteiinteressen (Heinrich in Musielak/Voit, 18. Aufl., § 9 Rn. 1). Da von der Festsetzung des Gebührenstreitwerts die von den Parteien zu tragenden Kosten abhängen, besteht auch bei einem Stundungsbegehren, dessen zeitliche Dauer nicht absehbar ist, ein berechtigtes Interesse an der Beschränkung des Streitwerts.

b) Davon ausgehend beträgt der Streitwert hier 15.178,12 EUR.

Der Kläger begehrte die zinslose Stundung des Abwasserbeitrags und des Wasserversorgungsbeitrags für das Grundstück J...straße 39 für eine Fläche von 983 m². Der festgesetzte Abwasserbeitrag beträgt 6,35 EUR/m² und der festgesetzte Wasserversorgungsbeitrag 2,94 EUR/m², der für dieses Grundstück etwaig zu stundende Betrag mithin 983 m² x (6,35 EUR/m² + 2,94 EUR/m²), also 9.132,07 EUR.

Für das Grundstück J...straße 41 verlangte der Kläger eine zinslose Stundung des auf 43.894,71 EUR festgesetzten Abwasserbeitrags abzüglich des auf 6 m² entfallenden Flächenanteil für den WC- und Technikraum. Hierfür nahm die Beklagte mit Bescheid vom 16.03.2007 einen Betrag von 40,71 EUR von der Stundung aus. Der hierfür begehrte Stundungsbetrag beträgt mithin 43.854,00 EUR. Hinsichtlich des auf 20.343,07 EUR festgesetzten Wasserversorgungsbeitrags verlangte der Kläger die Stundung bis auf den auf eine Fläche von 358 m² entfallenden Anteil. Dieser beträgt 1.052,52 EUR (358 m² x 2,94 EUR/m²), der Stundungsbetrag also 19.290,55 EUR.

Insgesamt begehrte der Kläger die zinslose Stundung von 72.276,62 EUR. Der Streitwert beträgt 21 Prozent davon, also 15.178,09 EUR.

Zeitlich verlangte der Kläger die Stundung mindestens für den Zeitraum ab Juni 2018, denn am 03.05.2018 beantragte er die Weiterverlängerung der zinslosen Stundung für den kompletten Betrieb bis zum 01.10.2023, seinem geplanten Eintritt in den Ruhestand. Da dieser Zeitraum etwa 4 Jahre und 5 Monate umfasst, bedarf es nicht der Prüfung, ob die sich aus § 9 ZPO ergebende Vervielfachung um das Dreieinhalbfache des Jahresbetrages zu unterbleiben hat.

Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden gemäß § 68 Abs. 3 GKG nicht erstattet. Ein unterlegener Beteiligter, dem die Auslagen des Gerichts auferlegt werden könnten, ist nicht vorhanden.

Der Beschluss ist unanfechtbar.