VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.05.2021 - 1 S 1228/21
Fundstelle
openJur 2021, 18083
  • Rkr:

§ 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 Halbs. 2 CoronaVO vom 27.03.2021 (i.d.F. d. 4. ÄndVO v. 01.05.2021) ist voraussichtlich rechtswidrig, soweit die Vorschrift bestimmt, dass die theoretische Fahrschulausbildung ausschließlich im Rahmen eines Online-Angebots durchgeführt werden darf.

Tenor

Auf den Antrag des Antragstellers wird § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 Halbs. 2 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung - CoronaVO) vom 27.03.2021 in der Fassung der Vierten Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 01.05.2021 vorläufig außer Vollzug gesetzt, soweit die Vorschrift bestimmt, dass die theoretische Fahrschulausbildung ausschließlich im Rahmen eines Online-Angebots durchgeführt werden darf.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im vorliegenden Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung - CoronaVO) vom 27.03.2021 zuletzt in der Fassung der Vierten Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 01.05.2021, die am 03.05.2021 in Kraft trat, soweit nach dieser Vorschrift die theoretische Fahrschulausbildung ausschließlich im Rahmen eines Online-Angebots durchgeführt werden darf.

§ 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 CoronaVO bestimmt auszugsweise:

"Das Abhalten von Veranstaltungen ist untersagt. Hiervon ausgenommen sind: (...)8. die Durchführung der praktischen und theoretischen Fahr-, Boots- und Flugschulausbildung und der praktischen und theoretischen Prüfung sowie die Durchführung von Aufbauseminaren nach § 2b Straßenverkehrsgesetz und Fahreignungsseminaren nach § 4a Straßenverkehrsgesetz; die theoretische Fahr-, Boots- und Flugschulausbildung darf ausschließlich im Rahmen eines Online-Angebotes durchgeführt werden, (...)."

Der Antragsteller betreibt eine Fahrschule in xxxxxxxxxxxx im Landkreis xxx-xxxxxx. Er bemängelt, dass es ihm nach der angefochtenen Vorschrift untersagt ist, die theoretische Fahrschulausbildung als Präsenzveranstaltung unter Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln anzubieten.

Er macht geltend, die angefochtene Vorschrift sei rechtswidrig. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der Antragsgegner die theoretische Fahrausbildung ausschließlich in Online-Angeboten durchgeführt haben wolle. Die Begründung zur Corona-Verordnung vom 27.03.2021 verweise auf den Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder (BKMPK-Beschluss) vom 03.03.2021. Darin heiße es aber ausschließlich, dass in einem zweiten Öffnungsschritt "die bisher noch geschlossenen körpernahen Dienstleitungsbetriebe sowie Fahr- und Flugschulen mit entsprechenden Hygienekonzepten wieder öffnen" könnten. In dem Beschluss sei nicht geregelt, dass die theoretische Ausbildung ausschließlich im Rahmen von Online-Angeboten durchgeführt werden dürfe. Außerdem fänden sich in der Corona-Verordnung Regelungen zu zahlreichen Bildungsangeboten, insbesondere Schulen, in denen Präsenzunterricht zulässig sei. Die angefochtene Vorschrift verstoße vor diesem Hintergrund in mehrfacher Hinsicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 CoronaVO dürfe die theoretische Ausbildung in Aufbauseminaren nach § 2b StVG und Fahreignungsseminaren nach § 4a StVG in Präsenz durchgeführt werden. Es stelle eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung dar, dass dies für den theoretischen Fahrschulunterricht nicht gelte. Fahrschüler seien außerdem mit Schülern in Abschlussklassen vergleichbar, für die Präsenzunterricht ebenfalls zulässig sei. Die angefochtene Verordnungsbestimmung verletze außerdem sein (des Antragstellers) Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Im Übrigen schreibe § 3 der Durchführungsverordnung zum Fahrlehrergesetz (BGBl. I 2018, S. 2, zuletzt geändert durch Verordnung vom 02.10.2019, BGBl. I, S. 1416 [im Folgenden: DV-FahrlG]) vor, dass der theoretische Unterricht nur "in" (und nicht "von") ortsfesten Gebäuden erteilt werden könne. Baden-Württemberg sei auch das einzige Bundesland, in dem der theoretische Präsenzunterricht für die Fahrausbildung untersagt sei. Zulässig sei er insbesondere in Bayern. Deshalb finde auch eine Wettbewerbsverzerrung statt, denn xxxxxxxxxxxx befinde sich nur ca. xxxxx von der Grenze zu Bayern entfernt.

Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten.

Er verteidigt die angefochtene Vorschrift und trägt unter anderem vor, er vertrete die Auffassung, dass sich der BKMPK-Beschluss vom 03.03.2021 in erster Linie auf den praktischen Fahrunterricht beziehe, der nicht durch Online-Angebote ersetzt werden könne. Er (der Antragsgegner) erkenne in diesem Beschluss keine bundeseinheitlich abgestimmte Öffnung für die theoretische Fahrschulausbildung in Präsenzform. Darauf komme es aber im Ergebnis nicht an, weil für die angefochtene Regelung jedenfalls der Anwendungsbereich des § 28a Abs. 3 Satz 10 IfSG eröffnet sei. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht des Antragstellers aus Art. 12 Abs. 1 GG liege nicht vor. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, dass es für ihn unzumutbar wäre, den theoretischen Fahrunterricht online anzubieten. Auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße die angefochtene Vorschrift nicht. Selbst bei Annahme von offenen Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren falle die Folgenabwägung im Eilverfahren klar zugunsten des Gesundheitsschutzes aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO in der Besetzung mit drei Richtern (§ 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO). Die Besetzungsregelung in § 4 AGVwGO ist auf Entscheidungen nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht anwendbar (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.12.2008 - GRS 1/08 - ESVGH 59, 154).

Der Antrag hat Erfolg. Er ist zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Der Antrag ist zulässig.

Ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zulässig, wenn ein in der Hauptsache gestellter oder noch zu stellender Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO voraussichtlich zulässig ist (vgl. zu dieser Voraussetzung Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 47 Rn. 387) und die gesonderten Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO erfüllt sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

a) Die Statthaftigkeit eines Antrags in der Hauptsache folgt aus § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 4 AGVwGO. Danach entscheidet der Verwaltungsgerichtshof auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften. Dazu gehören Verordnungen - wie hier - der Landesregierung.

b) Die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist gewahrt.

c) Der Antragsteller ist antragsbefugt.

Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat jede natürliche oder juristische Person, die geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Es genügt dabei, wenn die geltend gemachte Rechtsverletzung möglich erscheint (ausf. dazu Senat, Urt. v. 29.04.2014 - 1 S 1458/12 - VBlBW 2014, 462 m.w.N.). Danach liegt eine Antragsbefugnis vor. Es ist jedenfalls nicht von vornherein nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass der Antragsteller in seinen Grundrechten auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt ist.

d) Für den Antrag in der Hauptsache und den nach § 47 Abs. 6 VwGO liegt auch ein Rechtsschutzinteresse vor. Denn der Antragsteller könnte mit einem Erfolg dieser Anträge seine Rechtsstellung jeweils verbessern.

2. Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist auch begründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ist danach der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Ergibt diese Prüfung, dass ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache voraussichtlich begründet wäre, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug der streitgegenständlichen Satzung oder Rechtsvorschrift zu suspendieren ist. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug der Rechtsvorschrift vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 - 4 VR 5.14 -, ZfBR 2015, 381; Beschl. v. 16.09.2015 - 4 VR 2/15 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.08.2016 - 5 S 437/16 -, juris m.w.N.; Beschl. v. 13.03.2017 - 6 S 309/17 - juris). Mit diesen Voraussetzungen stellt § 47 Abs. 6 VwGO an die Aussetzung des Vollzugs einer untergesetzlichen Norm erheblich strengere Anforderungen, als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt (BVerwG, Beschl. v. 18.05.1998 - 4 VR 2/98 - NVwZ 1998, 1065).

An diesen Maßstäben gemessen ist der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO begründet. Ein gegen § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 Halbs. 2 CoronaVO - soweit die Vorschrift den Präsenzunterricht in der Fahrschulausbildung untersagt - gerichteter Normenkontrollantrag hätte in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg (a). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO dringend geboten (b).

a) Ein gegen § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 Halbs. 2 CoronaVO - soweit die Vorschrift den Präsenzunterricht in der Fahrschulausbildung untersagt - gerichteter Normenkontrollantrag wäre in einem etwaigen Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach erfolgreich. Die Vorschrift ist in dem genannten Umfang voraussichtlich mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb rechtswidrig.

Infektionsschutzrechtliche Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus können auf Ermächtigungsgrundlagen aus dem 5. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes gestützt und auch gegen sog. Nichtstörer gerichtet werden (aa). Es spricht allerdings bereits viel dafür, dass die sich aus dieser einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ergebenden Voraussetzungen für eine Untersagung von Präsenzunterricht in Fahrschulen gegenwärtig nicht erfüllt sind (bb). Unabhängig davon spricht im Eilverfahren jedenfalls Überwiegendes dafür, dass die angefochtene Vorschrift mit sonstigem Bundesrecht - hier § 3 DV-FahrlG - nicht vereinbar ist (cc).

(aa) In § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 und Abs. 3 IfSG besteht eine Rechtsgrundlage, die Betriebsbeschränkungen (auch) für Fahrschulen am Maßstab des einfachen Gesetzesrechts aus dem Infektionsschutzgesetz gemessen grundsätzlich tragen kann (st. Rspr., vgl. zu Betriebsschließungen etwa Senat, Beschl. v. 12.03.2021 - 1 S 680/21 - und v. 18.01.2021 - 1 S 69/21 - juris).

Wenn - wie im Fall des Coronavirus unstreitig - eine übertragbare Krankheit festgestellt ist, können nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen - hierzu zählen im Anwendungsbereich des § 28a IfSG grundsätzlich auch Betriebsbeschränkungen (vgl. § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG) - zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit durch eine Verordnung der Landesregierung getroffen werden. Mit solchen repressiven Bekämpfungsmaßnahmen gehen zulässigerweise auch stets präventive Wirkungen einher, solche präventiven Folgen sind gerade bezweckt. Daher ist die Landesregierung insbesondere nicht auf Maßnahmen nach § 16 oder § 17 IfSG beschränkt. Dabei ermächtigt § 28 Abs.1 IfSG nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck und dem Willen des Gesetzgebers zu Maßnahmen auch gegenüber Nichtstörern (vgl. ausf. zum Ganzen Senat, Beschl. v. 09.04.2020 - 1 S 925/20 - juris; Beschl. v. 23.04.2020 - 1 S 1003/20 -; je m.w.N.).

(bb) Die sich aus dieser einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14 und Abs. 3 IfSG ergebenden Voraussetzungen für die in der angefochtenen Verordnungsbestimmung geregelte Betriebsbeschränkung sind gegenwärtig allerdings voraussichtlich nicht erfüllt. Weder hat der dafür gemäß § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG begründungspflichtige Antragsgegner im vorliegenden Eilrechtsverfahren dargelegt noch ist sonst erkennbar, dass die Verordnungsregelung derzeit den sich aus § 28a Abs. 3 IfSG ergebenden Anforderungen (vgl. zu diesen Senat, Beschl. v. 05.02.2021 - 1 S 321/21 - juris) entspricht.

Mit den Regelungen des § 28a Abs. 3 IfSG hat der Bundesgesetzgeber die Grundentscheidung getroffen, dass bei dem Erlass von Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie grundsätzlich ein differenziertes, gestuftes Vorgehen geboten ist, das sich an dem tatsächlichen regionalen Infektionsgeschehen orientieren soll (vgl. Senat, Beschl. v. 05.02.2021, a.a.O.; NdsOVG, Beschl. v. 18.01.2021 - 13 MN 11/21 - juris; BayVGH, Beschl. v. 14.12.2020 - 20 NE 20.2907 - juris). Das wird durch die Gesetzesbegründung bestätigt (vgl. BT-Drs. 19/23944 vom 03.11.2020, S. 34 f. zu § 28a Abs. 2 des Entwurfs, und ausf. dazu zuletzt Senat, Beschl. v. 25.02.2021, a.a.O.). Gleichzeitig hat der Bundesgesetzgeber die zur Entscheidung berufenen öffentlichen Stellen, insbesondere die zum Erlass von Verordnungen ermächtigten Landesregierungen (vgl. § 28 Abs. 5 Satz 1, § 32 IfSG), dazu verpflichtet, zu berücksichtigen, ob landesweit (Satz 10) oder gar bundesweit (Satz 9) der Schwellenwert von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen überschritten ist, und, falls es nach einer Überschreitung zu einer Unterschreitung kommt, seit wann letzteres der Fall ist (s. Satz 11: "solange"). Dabei darf der Verordnungsgeber im Falle einer bundesweiten Überschreitung des Wertes von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen bei der Entscheidung, ob er bundesweit abgestimmte Maßnahmen durch landesweit einheitliche oder regional differenzierende Regelungen umsetzt, die Wertung des Bundesgesetzgebers berücksichtigen, dass "mögliche infektiologische Wechselwirkungen und Verstärkungen zwischen einzelnen Regionen" (BT-Drs. 19/23944, a.a.O.) möglichst ausgeschlossen werden sollen (s. näher dazu Senat, Beschl. v. 18.02.2021 - 1 S 398/21 - juris). Bei alldem ist der Verordnungsgeber, wenn er bereits landesweite Regelungen getroffen hat, - wie stets - auch von Verfassungs wegen dazu verpflichtet, fortlaufend und differenziert zu prüfen, ob diese und die dadurch bewirkten konkreten Grundrechtseingriffe auch weiterhin gerechtfertigt oder aufzuheben sind (stRspr., vgl. nur Senat, Beschl. v. 15.10.2020 - 1 S 3156/20 - juris, v. 18.05.2020 - 1 S 1386/20 -, m.w.N., und v. 05.02.2021, a.a.O.). Dass die einfachgesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass und gegebenenfalls die Aufrechterhaltung einer konkreten grundrechtseinschränkenden Regelung erfüllt sind, hat der Antragsgegner umso mehr zu begründen (vgl. § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG) und im gerichtlichen Verfahren gegebenenfalls darzulegen (vgl. Senat, Beschl. v. 05.02.2021, a.a.O., zu § 28a Abs. 2 IfSG), wenn er damit gestützt auf Satz 10 landesspezifische Maßnahmen ergriffen hat, die nicht Teil der bundesweit abgestimmten Strategie sind (vgl. Senat, Beschl. v. 18.02.2012, a.a.O.; zu einer landesspezifischen und  -weiten nächtlichen Ausgangbeschränkung Beschl. v. 05.02.2021, a.a.O.).

Diesen Anforderungen ist der Antragsgegner in Bezug auf die angefochtene Vorschrift voraussichtlich nicht gerecht geworden.

Der Anwendungsbereich des § 28a Abs. 3 Satz 9 IfSG ist aktuell eröffnet. Denn der Schwellenwert von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen ist zurzeit bundesweit (vgl. zum Begriff "landesweit" Senat, Beschl. v. 05.02.2021, a.a.O.) überschritten. Die bundesweite 7-Tages-Inzidenz betrug zuletzt (03.05.2021) 147 (vgl. Robert-Koch-Institut [RKI], Lagebericht vom 03.05.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Maerz_2021/2021-05-03-de .pdf?_blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 04.05.2021). Der Antragsgegner hat infolgedessen gegenwärtig nach § 28a Abs. 3 Satz 9 IfSG weiterhin "bundesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben".

Es ist allerdings weder dargelegt noch sonst erkennbar, dass die in der angegriffenen Verordnungsbestimmung getroffene Entscheidung des Antragsgegners, den Präsenzunterricht in der Fahrschulausbildung zu untersagen, Teil einer solchen "bundesweiten Abstimmung" im Sinne von Satz 9 ist. Die Corona-Verordnung vom 27.03.2021 dient unter anderem der Umsetzung des "Stufenplans", den die Regierungschefinnen und -chefs der Länder in dem BKMPK-Beschluss vom 03.03.2021 vereinbart haben (vgl. S. 32 der Begründung zur 7. Corona-Verordnung vom 27.03.2021, abrufbar unter https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/Corona infos/210327_7.Co-ronaVO_Begruendung.pdf). Dieser Stufenplan umfasst fünf sog. Öffnungsschritte. Er sieht als zweiten Schritt eine Öffnung von Fahr- und Flugschulen mit entsprechenden Hygienekonzepten vor (vgl. Nr. 5 und 9 des BKMPK-Beschluss 03.03.2021, abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1872054/66dba48b5b63d8817615d11eda aed8 49/2021-03-03-mpk-data.pdf?download=1). Als in dieser Hinsicht einzige Einschränkung enthält der Plan die Maßgabe, dass für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, bei denen nicht dauerhaft eine Maske getragen werden kann, ein tagesaktueller COVID-19 Schnell- oder Selbsttest des Kunden und ein Testkonzept für das Personal Voraussetzung ist (BKMPK-Beschluss 03.03.2021, ebd.). Die bundesweite Abstimmung sieht dagegen - worauf der Antragsteller zu Recht hinweist - nicht vor, dass der Theorieunterricht in den genannten Schulen als Präsenzveranstaltung selbst bei Einhaltung der genannten Hygienevorgaben weiter bundesweit untersagt werden sollte. Weshalb der Antragsgegner meint, der BKMPK-Beschluss vom 03.03.2021 beziehe sich "in erster Linie" auf den praktischen Fahrunterricht, ist ausgehend von dem Text dieses Beschlusses nicht nachvollziehbar, wurde von dem Antragsgegner im vorliegenden Eilverfahren - zumal mit dem insoweit vagen Vortrag ("in erster Linie") - nicht dargelegt und erschließt sich auch sonst nicht. Für die Auslegung des Antragsgegners spricht umso weniger, als jedenfalls die weit überwiegende Zahl der anderen Bundesländer den Beschluss vom 03.03.2021 mit Regelungen umgesetzt haben, die einen Theorieunterricht bei Einhaltung von Hygienevorgaben grundsätzlich auch in Präsenzformaten zulassen (vgl. zu Bayern § 20 Abs. 5 der 12. BayIfSMV, zu Berlin § 18 Abs. 4 2. InfSchMV, zu Brandenburg § 19 Abs. 1 der 7. SARS-CoV-2-EindV, zu Nordrhein-Westfalen § 7 Abs. 3 CoronaSchV, zu Rheinland-Pfalz § 14 Abs. 4 der 19. CoBeLVO, zum Saarland § 7 Abs. 3 SaarlCoronaVSchulV, zu Sachsen-Anhalt § 4 Abs. 4 Nr. 7 der 11. SARS-CoV-2-EindV, zu Schleswig-Holstein § 12a Abs. 2 Nr. 4 Corona-BekämpfVO, zu Thüringen § 25 Abs. 3 ThürSARS-CoV-2-IfS-MaßnVO; ebenso wohl in Bremen, vgl. dort § 4 der 25. CoronaVO, Sachsen, vgl. § 5 Abs. 4a SächCoronaSChV, sowie Hessen, vgl. Hessisches Wirtschaftsministerium, Hessisches Sozialministerium, Auslegungshinweise zur Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung, Stand: 30.04.2021 S. 45 f.; mit Einschränkungen auch Mecklenburg-Vorpommern, vgl. § 2 Abs. 25 Corona-LVO M-V; gänzlich anders wohl nur Niedersachsen in § 14a NdsCoronaVO und Hamburg, vgl. § 19 Abs. 3 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO).

Bei diesem Sachstand oblag es dem Antragsgegner zu begründen (§ 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG) und darzulegen, aufgrund welcher auf Baden-Württemberg bezogenen Besonderheiten er mit der angefochtenen Regelung den Rahmen der bundesweiten Abstimmung verlassen hat und welche landesspezifischen Gründe seines Erachtens gerade der Erlass von undifferenzierten, landesweit einheitlichen Regelungen erforderlich machen (vgl. zu § 28a Abs. 2 IfSG Senat, Beschl. v. 05.02.2021, a.a.O.), um das in § 28 Abs. 3 Satz 9 IfSG genannte Ziel einer effektiven Eindämmung des Infektionsgeschehens zu erreichen. Eine diesen Anforderungen genügende Begründung hat der Antragsgegner nicht vorgelegt. Die Begründung zur 7. Corona-Verordnung vom 27.03.2021 beschränkt sich insoweit auf Ausführungen dazu, weshalb Fahrschulen wieder geöffnet werden sollen, und eine "Klarstellung", dass sich dies nicht auf die jeweilige theoretische Ausbildung erstrecken solle, die "im Gleichlauf zu anderen Bildungsangeboten" ausschließlich im Rahmen von Online-Angeboten durchgeführt werden dürfe (vgl. Begründung zur 7. Corona-Verordnung, a.a.O., S. 33). Aus welchen landesspezifischen Gründen der Antragsgegner damit von der bundesweiten Abstimmung abgewichen ist und weshalb er gerade im Fahrschulbereich eine generelle, auch regional nicht differenzierende Regelung geschaffen hat, die Präsenzunterricht ausnahmslos ausschließt, ist der Verordnungsbegründung nicht konkret zu entnehmen. Dazu hat der Antragsgegner auch im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht substantiiert vorgetragen. Er hat sich im Wesentlichen auf allgemeine Überlegungen zu den infektionsschutzbezogenen Vorzügen von Online- im Vergleich zu Präsenzveranstaltungen beschränkt, die schon auf das Vorbringen des Antragstellers zur Zulässigkeit von Präsenzveranstaltungen in Aufbau- und Fahreignungsseminaren nach § 2b und § 4a StVG nicht eigens eingehen und sich mit Fahrschulen nicht näher befassen.

(cc) Unabhängig von diesem mit § 28a Abs. 3 und 5 IfSG voraussichtlich nicht in Einklang stehenden Begründungs- und Darlegungsdefizit hätte ein gegen das Präsenzunterrichtunterrichtsverbot in § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 Halbs. 2 CoronaVO gerichteter Normenkontrollantrag in einem Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach auch deshalb Erfolg, weil die Verordnungsbestimmung insoweit mit anderem Bundesrecht - § 3 DV-FahrlG - nicht vereinbar sein dürfte.

§ 3 DV-FahrlG bestimmt, dass in den Fahrschulen und deren Zweigstellen der theoretische Unterricht nur in ortsfesten Gebäuden erteilt werden darf (Satz 1) und dass die Unterrichtsräume nach Größe, Beschaffenheit und Einrichtung einen sachgerechten Ausbildungsbetrieb zulassen und der Anlage 2 der Durchführungsverordnung entsprechen müssen (Satz 2), die unter anderem Mindestvorgaben für die Arbeitsfläche der Fahrschüler und Fahrlehrer sowie zur Ausstattung des Unterrichtsraums normiert. Diesen Vorschriften dürfte die Annahme des Bundesverordnungsgebers zugrunde liegen, dass der Theorieunterricht zur Erlangung einer Fahrerlaubnis nur als Präsenzunterricht in den dafür ausgestatteten und jeweils eigens genehmigten Räumen der Fahrschule zulässig ist (ebenso Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main e. V. [Wettbewerbszentrale], in: FahrSchulPraxis 2020, S. 266, abrufbar unter www.flvbw.de). Mit dieser bundesrechtlichen Vorschrift dürfte eine landesverordnungsrechtliche Vorschrift, die den Theorieunterricht als Online-Unterricht zulässt, voraussichtlich nicht zu vereinbaren sein (ebenso Wettbewerbszentrale, a.a.O.). Das mag auch ein weiterer Grund dafür sein, dass die anderen Bundesländer, wie oben gezeigt, ungeachtet der unterschiedlichen Regelungsansätze im Ergebnis weit überwiegend auf die Schaffung von Verordnungsbestimmungen verzichtet haben, die zu einem Online-Unterricht führen. Weshalb der Antragsgegner meint, von den genannten bundesverordnungsrechtlichen Vorgaben im Anwendungsbereich des Infektionsschutzgesetzes durch eine Landesverordnung abweichen zu dürfen, ist seiner Antragserwiderung - die auch auf den Einwand des Antragstellers zu § 3 DV-FahrlG nicht eingeht - nicht zu entnehmen.

b) Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO dringend geboten.

Bereits aufgrund der weitgehenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache (s. oben a)) besteht ein deutliches Überwiegen der von dem Antragsteller geltend gemachten Belange gegenüber den von dem Antragsgegner vorgetragenen gegenläufigen Interessen. Die Interessen des Antragsgegners sind zwar von sehr hohem Gewicht. Denn die infektionsschutzrechtlichen Regelungen dienen dem Schutz von Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener und der damit verbundenen Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems Deutschlands. Hieraus folgt aber nicht, dass der Antragsteller Eingriffe in sein Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) durch eine - wie hier - voraussichtlich rechtswidrige Regelung bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens hinnehmen müsste.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Für eine Anlehnung der Streitwertfestsetzung an Nr. 54.2.1 des Streitwertkatalogs besteht kein Anlass, da weder vom Antragsteller vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass die mit der angefochtenen Vorschrift einhergehenden Betriebseinschränkungen das wirtschaftliche Gewicht einer Betriebsschließung erreichen oder sich dem zumindest annähern. Für eine Herabsetzung des deshalb vom Senat zugrunde gelegten Auffangstreitwerts aus § 52 Abs. 2 GKG besteht im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes wegen der weitgehenden Vorwegnahme der Hauptsache kein Anlass.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.