LG Köln, Beschluss vom 27.04.2020 - 28 O 131/20
Fundstelle
openJur 2021, 17954
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf und an ihrem Vorstand zu vollziehen ist,

v e r b o t e n,

über den Antragsteller im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornografischer Schriften in einer diesen identifizierenden Weise zu berichten,

wenn dies geschieht wie auf www.entfernt.de, erstmals veröffentlicht am ..., unter Überschrift "Kinderpornografie-Verdacht: Polizeiliche Ermittlungen sind jetzt beendet".

II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

III. Streitwert: 20.000 €

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 22.04.2020 ist zulässig und begründet. Der Antragsteller hat das Vorliegen des Verfügungsgrundes und des Verfügungsanspruchs glaubhaft gemacht.

1.

Die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 937 Abs. 2 ZPO) liegen angesichts der im Äußerungsrecht bestehenden Interessenlage vor, zumal der Antragsteller das Verfahren zügig betrieben, insbesondere innerhalb eines Monats nach Kenntniserlangung von der Rechtsverletzung den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Gericht eingereicht hat. Die Entscheidung konnte zudem ohne Anhörung der Antragsgegnerin ergehen, denn diese wurde mit Schreiben vom 31.03.2020 seitens des Antragstellers abgemahnt, so dass sie Gelegenheit hatte, sich zu dem vor Gericht geltend gemachten Vorbringen des Antragstellers zu äußern. Die Erwiderung der Antragsgegnerin vom 03.04.2020 sowie das Schreiben vom 08.04.2020, auf das die Antragsgegnerin in der Erwiderung Bezug nimmt, hat der Antragsteller vorgelegt.

2.

Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB, Art. 1 und 2 GG unter dem Gesichtspunkt einer rechtswidrigen Verdachtsberichterstattung, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers verletzt.

a.

Die Voraussetzungen einer zulässigen, den Antragsteller identifizierenden Verdachtsberichterstattung liegen nicht vor, auch wenn an dem Gegenstand des im Raum stehenden Vorwurfs ein Berichterstattungsinteresse besteht und auch hinsichtlich der Person des Antragstellers aufgrund seines Bekanntheitsgrades und seiner auch gegenwärtigen Präsenz in den Medien ein nicht unerhebliches öffentliches Interesse zu bejahen ist. Denn es fehlt an einem Mindestbestand an Beweistatsachen, die für die Richtigkeit des vermittelten Verdachts sprechen könnten. Die vorliegende Strafanzeige reicht hierzu ebenso wenig aus wie die auf ihrer Grundlage eingeleiteten staatsanwaltlichen Ermittlungen, und aus dem Umstand, dass Durchsuchungsmaßnahmen stattgefunden haben, ist nicht ersichtlich, dass sich der Anfangsverdacht weiter erhärtet haben könnte. Gleiches gilt vor dem Hintergrund, dass die Tätigkeiten des Antragstellers für den E, einer Stiftung sowie die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Firmen, ggf. auch seitens der genannten Organisationen, zum Ruhen gebracht wurden. Dies erfolgte erkennbar allein vor dem Hintergrund des durch die Medien bekannt gewordenen Verdachts und hat selbst naturgemäß keinerlei Aussagekraft bezüglich des Verdachtsgrades. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg vom 04.09.2019. Zwar handelt es sich bei der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg um eine zuverlässige Informationsquelle, bei der sich die Presse auf die inhaltliche Richtigkeit deren Angaben verlassen darf. Diese hat jedoch eigenständig zu prüfen, ob im Einzelfall identifizierend berichtet werden darf oder ob eine Anonymisierung erforderlich ist, auch wenn die amtliche Stelle den Betroffenen genannt hat (vgl. Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 6, Rn. 138).

b.

Der Antragsteller ist insbesondere auch erkennbar.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Erkennbarkeit des Betroffenen zu bejahen, wenn er auf Grund der mitgeteilten Umstände hinreichend erkennbar wird. Hierfür ist die Nennung des Namens, auch in abgekürzter Form, nicht unbedingt erforderlich; es kann bereits die Übermittlung von Teilinformationen genügen, aus denen sich die Identität für die sachlich interessierte Leserschaft ohne weiteres ergibt oder mühelos ermitteln lässt (vgl. BGH, Urt. v. 21.6.2005 - VI ZR 122/04, juris; OLG Köln, Urt. v. 14.06.2018 - 15 U 157/17; OLG Dresden, Urt. v. 5.9.2017 - 4 U 682/17). Dafür kann unter Umständen die Schilderung von Einzelheiten aus dem Lebenslauf des Betroffenen oder die Nennung seines Wohnortes und seiner Berufstätigkeit ausreichen (vgl. OLG Dresden, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.; Burkhardt in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Auflage 2018, Kapitel 12, Rn. 43). Hinsichtlich der Erkennbarkeit wird nicht auf den Durchschnittsrezipienten abgestellt, sondern es kann auch die Erkennbarkeit im Bekanntenkreis ausreichen (vgl. OLG Köln, a.a.O.; OLG Köln, Urt. v. 05.06.2012 - 15 U 15/12; OLG Hamburg NJW-RR 1993, 923). Grundrechte können nicht nur dann betroffen sein, wenn eine persönlichkeitsverletzende Äußerung eine Verbreitung in einem großen Kreis von Dritten erfährt, sondern auch dann, wenn sie an solche Leser gerät, die auf Grund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, den Betroffenen zu identifizieren. Gerade für Leser mit Einblick in das berufliche oder persönliche Umfeld des Betroffenen sind die Information in ihrem persönlichkeitsverletzenden Teil aussagekräftig und in der Folge für die in Bezug genommene Person besonders nachteilig (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.07.2004 - 1 BvR 263/03). Die nach den vorstehenden Grundsätzen erforderliche Übermittlung von Teilinformationen durch den Beitrag ist nicht schon dann gegeben, wenn der interessierte Leser auf Basis dieser Teilinformationen erst eine Internetrecherche vornehmen muss, um damit den Kläger zu identifizieren. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich nach herrschender Meinung die Umstände, die zur Identifizierung und damit Erkennbarkeit des Betroffenen führen, aus dem in Rede stehenden Artikel selbst ergeben müssen; es reicht gerade nicht aus, wenn ein interessierter Leser die Identität durch eigene Recherchen ermittelt (vgl. OLG Köln, Urt. v. 14.06.2018 - 15 U 157/17; BVerfG, Beschl. v. 13.06.2007 - 1 BvR 1783/05; LG Düsseldorf AfP 2000, 470; Burkhardt, a.a.O).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist eine Erkennbarkeit des Betroffenen zu bejahen. Bei dem Internetauftritt www.entfernt.de handelt es sich um den Internetauftritt der "I Zeitung", deren Berichterstattung sich deutlich erkennbar auf Nachrichten mit örtlichem Bezug zur Stadt I1 (ca. 38.000 Einwohner) konzentriert. So weist die Internetseite nur die Rubriken "Coronavirus", "S04", "BVB", "U I1", "I1", "Lokalsport" und "E" auf. Der Antragsteller seinerseits stammt aus I1 und ist dort nach wie vor verwurzelt, unter anderem seit ... als Vorsitzenden des örtlichen Fußballvereins U I1 und Trainer der dortigen A-Junioren. Zudem ist er einer der wenigen bundesweit prominenten Persönlichkeiten der Stadt. Aus Sicht der Kammer ist davon auszugehen, dass dem durchschnittlichen Rezipienten der streitgegenständlichen Berichterstattung unter www.entfernt.de die bundesweite und Aufsehen erregende Berichterstattung über den Antragsteller aus dem Herbst ... im Zusammenhang mit dem gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren geläufig war und auch weiterhin ist. Auch ohne Nennung des Namens oder Abbildung des Antragstellers ist aus Sicht der Kammer bei der streitgegenständlichen Berichterstattung vom durchschnittlichen Rezipienten - auch ohne weitere Internetrecherche - sicher der Rückschluss zu ziehen, dass es sich bei der betroffenen Person um den Antragsteller handelt. In der Überschrift, im zweiten Absatz des Textes sowie in der verlinkten Zwischenüberschrift wird ausdrücklich erwähnt, dass gegen den Betroffenen ein Ermittlungsverfahren wegen "Kinderpornografie" bzw. "der Verbreitung kinderpornografischer Schriften" laufe. Es handelt sich dabei um einen Tatvorwurf, der für sich genommen für besonderes Aufsehen sorgt. Zudem erschien die streitgegenständliche Berichterstattung in der Rubrik "I1". Beide Aspekte zusammengenommen reichen für den oben genannten Rückschluss aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diesen Beschluss kann Widerspruch eingelegt werden. Dieser ist bei dem Landgericht Köln, Luxemburger Straße 101, 50939 Köln, schriftlich durch einen zugelassenen Rechtsanwalt einzulegen und soll begründet werden.

Köln, 27.04.2020

Landgericht, 28. Zivilkammer