LAG Nürnberg, Beschluss vom 17.12.2020 - 11 BV 66/19
Fundstelle
openJur 2021, 17824
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 14.11.2019, Az. 11 BV 66/19, wird als unzulässig verworfen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über ein Arbeitgeberbegehren auf Auflösung des Betriebsrats durch gerichtliche Entscheidung sowie hilfsweise über die Amtsenthebung aller Betriebsratsmitglieder.

Im Betrieb der Beteiligten zu 1.), dessen Aufgabe im Wesentlichen in der Zustellung von Zeitungen und Zeitschriften besteht und in dem über 2.100 Arbeitnehmer beschäftigt sind, fungiert der Beteiligte zu 2.) als Betriebsrat mit 19 ordentlichen Mitgliedern. Im Anschluss an die im Jahr 2018 durchgeführte Betriebsratswahl führten die Betriebsparteien Gespräche über den Abschluss einer Vereinbarung über die Modalitäten der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern nach § 38 BetrVG. Diese Gespräche scheiterten. Die Beteiligte zu 1.) forderte den Betriebsrat mit Schreiben vom 20.03.2019 zur Beratung über Freistellungen nach § 38 BetrVG auf. Eine solche Beratung fand am 25.04.2019 ohne Ergebnis statt. Der Betriebsrat äußerte sich innerhalb der bis 09.05.2019 vereinbarten Frist nicht. Trotz mehrerer Aufforderungen durch die Beteiligte zu 1.) gab der Betriebsrat keine Mitglieder zur Freistellung nach § 38 BetrVG an.

Mit ihrem am 16.05.2019 beim Arbeitsgericht eingereichten Antrag hat die Beteiligte zu 1.) zunächst die Feststellung begehrt, dass der Beteiligte zu 2.) zur Bekanntgabe der gewählten freizustellenden Mitglieder verpflichtet sei. Hilfsweise hat sie begehrt, den Beteiligten zu 2.) wegen Verletzung der ihm in § 38 BetrVG auferlegten Pflichten aufzulösen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Beteiligte zu 2.) sei kraft Gesetzes zur Wahl und Bekanntgabe der freizustellenden Betriebsratsmitglieder verpflichtet. Dieser Verpflichtung sei er rechtswidrig nicht nachgekommen. Bei den Betriebsratsmitgliedern handle es sich um Zusteller, die ihre Arbeit weitgehend in der Nachtzeit verrichteten. Die Betriebsratsarbeit sei seit der Betriebsratswahl ausschließlich außerhalb der persönlichen Arbeitszeit der Betriebsratsmitglieder durchgeführt worden. Dies habe zu einer erheblichen Anzahl von Mehrarbeitsstunden bei den Betriebsratsmitgliedern geführt, die finanziell ausgeglichen worden seien. Nach § 38 BetrVG sei der Betriebsrat verpflichtet, Mitglieder zur vollen Freistellung zu wählen und mit dem Arbeitgeber hierüber zu beraten. Dies verfolge den Zweck, eine ordnungsgemäße Erfüllung der Betriebsratsaufgaben zu gewährleisten. Zwar bestehe die Möglichkeit der Unterschreitung der gesetzlich vorgesehenen Mindestzahl an freigestellten Betriebsratsmitgliedern, wenn ein entsprechender Tarifvertrag oder eine entsprechende Betriebsvereinbarung dies vorsehe. Ein völliges Absehen von Freistellungen nach § 38 BetrVG sei jedoch unzulässig. Vorliegend verhalte sich der Betriebsrat umso mehr pflichtwidrig, als wegen seiner Weigerung eine ganz erhebliche Zahl an Mehrstunden für die Betriebsratsmitglieder produziert werde. Der betriebliche Ablauf werde durch den Abbau solcher Stunden in Form des Freizeitausgleichs erheblich gestört. Im Fall der Auszahlung führe dies zu einer Bevorzugung der Betriebsratsmitglieder, die die Möglichkeit hätten, ihr Einkommen zu erhöhen. Dies verstoße gegen das Ehrenamtsprinzip des § 37 BetrVG und stelle eine verbotene Begünstigung wegen der Betriebsratstätigkeit nach § 78 BetrVG dar.

In der Folge hat die Beteiligte zu 1.) mit der Begründung, der Beteiligte zu 2.) habe nunmehr endgültig mitgeteilt, es könne schon deswegen keine Freistellung erfolgen, weil sich kein Betriebsratsmitglied hierzu bereit erklärt habe, auf die beantragte Feststellung verzichtet und neben dem Auflösungsantrag hilfsweise die Amtsenthebung aller Betriebsratsmitglieder beantragt.

Die Beteiligte zu 1.) hat vor dem Arbeitsgericht somit zuletzt folgende Anträge gestellt:

1. Der Beteiligte zu 2.) wird wegen Verletzung seiner Mitwirkungspflichten aus § 38 BetrVG, insbesondere wegen der Verpflichtung zur Bekanntgabe der gewählten, freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach § 38 Abs. 2 S. 3 BetrVG, aufgelöst.

Hilfsweise:

2. Sämtliche Mitglieder des Beteiligten zu 2.) werden mit sofortiger Wirkung von ihrem Amt als Betriebsrat enthoben.

Der Beteiligte zu 2.) hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,

Der Antrag wird abgewiesen.

Der Beteiligte zu 2.) hat eingewandt, die von der Beteiligten zu 1.) vorgelegte Betriebsvereinbarung sei in der konkreten Situation nicht geeignet, weil sie zu Benachteiligungen einzelner Betriebsratsmitglieder führe. Eine Vollfreistellung nach § 38 BetrVG könnten die ganz überwiegend in Teilzeit und in den frühen Morgenstunden als Zeitungsausträger tätigen Betriebsratsmitglieder nicht akzeptieren, weil diese zu einer erheblichen Schlechterstellung führen würde, etwa durch die Änderung des Dienstortes. Kein einziges Betriebsratsmitglied sei hierzu bereit. Dieses Einverständnis des einzelnen Betriebsratsmitglieds sei jedoch Voraussetzung für die Auswahl der Freizustellenden nach § 38 BetrVG. Da diese Bereitschaft fehle, verstoße er - der Beteiligte zu 2.) - als Organ nicht gegen seine Pflichten, so dass der Auflösungsantrag ungerechtfertigt sei. Gesetzliche Vorgaben, dass die Freistellungen nach § 38 BetrVG in der vorgesehenen Form tatsächlich in Anspruch genommen werden müssten, beständen zudem nicht.

Die Beteiligte zu 1.) hat eingewandt, ein rechtlicher Grund, warum von der Freistellung von fünf Betriebsratsmitgliedern Abstand genommen werden könne, sei nicht erkennbar. Die Zahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder sei durch das Gesetz vorgegeben, Abweichungen hiervon nur durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung möglich. Es handle sich um eine Muss-Vorschrift. Den Besonderheiten der überwiegend in Teilzeit und während der Nachtzeit beschäftigten Mitglieder des Beteiligten zu 2.) werde dadurch Rechnung getragen, dass auch Teilfreistellungen möglich seien. Die Vergütung der freigestellten Betriebsratsmitglieder ergebe sich aus dem Gesetz. Da sich keines der Betriebsratsmitglieder freistellen lasse, stehe fest, dass der Beteiligte zu 2.) seine gesetzlichen Verpflichtungen nicht erfüllen könne. Folge sei, dass ein grober Pflichtverstoß vorliege, der die Auflösung des Gremiums zur Folge haben müsse. Auch aus kollektiver Verweigerung der einzelnen Betriebsratsmitglieder könne sich ein derartiger Verstoß ergeben. Die Pflichtverletzung wiege auch deshalb besonders schwer, da ein weiterer Verstoß impliziert sei. Die Betriebsratsarbeit werde seit der Wahl im Jahr 2018 ausschließlich außerhalb der Arbeitszeit der einzelnen Betriebsratsmitglieder durchgeführt, was zu einer erheblichen Anzahl von Mehrarbeitsstunden der einzelnen Betriebsratsmitglieder geführt habe. Dies habe zur Folge, dass der Abbau dieser Stunden durch Freizeitausgleich den betrieblichen Ablauf erheblich störe. Zum anderen führe die Auszahlung der Mehrarbeitsstunden zu einer finanziellen Bevorzugung der Betriebsratsmitglieder. Ein Zusatzeinkommen solle durch die Betriebsratsarbeit aber nicht entstehen; dies wäre zudem eine gesetzlich nicht erlaubte Begünstigung. Durch die Freistellung nach § 38 BetrVG könne dies vermieden werden.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 14.11.2019 wie folgt entschieden:

Die Anträge werden abgewiesen.

Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, eine grobe Verletzung der Pflichten des Betriebsrats, die eine Auflösung rechtfertigen könne, liege nicht vor. Voraussetzung hierfür sei, dass die weitere Amtsausübung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles untragbar erschiene. Der Umstand, dass der Beteiligte zu 2.) trotz Aufforderung keine nach § 38 BetrVG freizustellenden Betriebsratsmitglieder benannt habe, stelle keinen schweren Pflichtenverstoß dar. Die Freistellung nach § 38 BetrVG solle den Betriebsratsmitgliedern die Möglichkeit geben, sich Betriebsratsaufgaben zu widmen, ohne dass sie von ihrer beruflichen Tätigkeit gesondert freigestellt werden müssten. Diese Freistellung setze aber das Einverständnis des jeweiligen Betriebsratsmitglieds voraus. Ein Mitglied könne nicht zur Freistellung verpflichtet werden. Wenn weniger Betriebsratsmitglieder als nach der Staffel des § 38 BetrVG vorgesehen zur Freistellung bereit seien, komme es nur zu einer geringeren Zahl an Freistellungen. Zweck des § 38 BetrVG sei es, zum Schutz des Betriebsrats ab einer bestimmten Betriebsgröße Streit über die Erforderlichkeit der einzelnen Arbeitsbefreiung zu vermeiden. Es sei nicht Zweck der Vorschrift, den Arbeitgeber vor organisatorischem Aufwand zu schützen. Eine Pflichtverletzung käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Betriebsrat wegen der Nichtnennung von Freizustellenden seine gesetzlichen Aufgaben nicht ausüben könnte. Hierfür seien Anhaltspunkte weder vorgetragen noch erkennbar. Eine unerlaubte Bevorzugung der Betriebsratsmitglieder durch höhere Vergütung sei nicht erkennbar. Folge einer aus betriebsbedingten Gründen veranlassten Betriebsratstätigkeit außerhalb der persönlichen Arbeitszeit von Betriebsratsmitgliedern sei die Freistellung von ihrer Tätigkeit nach § 37 Abs. 3 BetrVG. Der Arbeitgeber habe es im Rahmen seines Direktionsrechts in der Hand, eine solche Freistellung entsprechend den betrieblichen Erfordernissen zu gestalten. So könne die Freistellung etwa auch im Block erfolgen. Hierdurch würden zusätzliche finanzielle Besserstellungen vermieden werden. Es könne nicht dem Beteiligten zu 2.) und schon gar nicht den einzelnen Betriebsratsmitgliedern angelastet werden, wenn die Beteiligte zu 1.) den Zeitausgleich nicht über Freistellungen gewähre, sondern Vergütung zahle. Da kein Betriebsratsmitglied verpflichtet sei, sich freistellen zu lassen, sei auch die Amtsenthebung aller Betriebsratsmitglieder nicht veranlasst.

Der Beschluss des Arbeitsgerichts ist der Beteiligten zu 1.), deren Schriftsätze im erstinstanzlichen Verfahren durch den Bearbeiter mit dem Zusatz "Syndikusrechtsanwältin/Rechtsabteilung" bzw. "Syndikusrechtsanwalt/Rechtsabteilung" unterzeichnet waren, ausweislich der Postzustellungsurkunde am 25.02.2020 zugestellt worden. Die Beteiligte zu 1.) hat mit Schriftsatz vom 20.03.2020, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am selben Tag, Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt. Diese Beschwerde, in der die Beteiligte zu 1.) ihren eigenen Briefkopf verwendet hat, in dem ein Vertretungsverhältnis nicht erkennbar ist, enthält folgende Unterschriftenzeile:

"N... ZEITUNGSUND

ZEITSCHRIFTEN-ZUSTELLGESELLSCHAFT MBH

H... Rechtsanwältin und Syndikusrechtsanwältin"

Die als Rechtsanwältin zugelassene Syndikusanwältin hat diesen Schriftsatz unterzeichnet.

Mit Telefonat und anschließendem Schreiben vom 26.03.2020, der Vertreterin der Beteiligten zu 1.) zugegangen am 30.03.2020, wurde die Beteiligte zu 1.) auf die Problematik möglicherweise nicht ordnungsgemäßer Vertretung hingewiesen (Bl. 90 d.A.) und eine Frist zur Stellungnahme gesetzt bis 14.04.2020. Die Beteiligte zu 1.) hat mit am 14.04.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz eine auf Rechtsanwältin H... lautende Vollmachtsurkunde mit Datum 09.04.2020 vorgelegt (Bl. 95 d.A.) und im Einzelnen begründet, warum sie sich ausreichend vertreten im Sinne von § 11 Abs. 4 ArbGG hält, sowie vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit am 20.04.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schreiben selben Datums hat sie Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat begehrt. Durch Verfügung vom 23.04.2020 ist ihr diese Fristverlängerung bis 27.05.2020 gewährt worden. Mit Beschluss vom 05.05.2020 hat der Vorsitzende der Kammer darauf hingewiesen, dass er die Beteiligte zu 1.) bei der Einlegung der Beschwerde als nicht ausreichend vertreten ansehe, dass er aber beabsichtige, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Beteiligte zu 1.) hat ihre Beschwerde mit Schreiben vom 25.05.2020, eingegangen am selben Tag, erneut unter ihrem eigenen Briefkopf, nunmehr unterzeichnet mit "Rechtsanwältin als Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin und Beteiligten zu 1" begründet.

Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Beteiligte zu 1.) vor, das Arbeitsgericht habe nicht ausreichend beachtet, dass der Beteiligte zu 2.) gegen seine gesetzlichen Verpflichtungen verstoßen habe und weiter verstoße. Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 38 BetrVG gehe von einer zwingenden Freistellung von Betriebsratsmitgliedern aus, deren Zweck die ordnungsgemäße Erfüllung der Betriebsratsaufgaben sei. Ausnahmen könnten nur durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung festgelegt werden; ein völliges Absehen von Freistellungen nach § 38 BetrVG sei aber unzulässig. In der seit der Betriebsratswahl 2018 bestehenden Praxis habe sich gezeigt, dass es aufgrund der fehlenden Freistellungen im 2.132 Arbeitnehmer zählenden großen Betrieb zum ständigen Streit über die Erforderlichkeit der Arbeitsbefreiung zum Zweck der Betriebsratsarbeit komme. § 38 BetrVG diene auch der Vermeidung solcher Streitigkeiten. Der Umstand, dass sämtliche Betriebsratsmitglieder die Freistellung verweigert hätten, mache es für sie - die Beteiligte zu 1.) - in der derzeitigen Besetzung des Betriebsrats unmöglich, überhaupt zu Freistellungen nach § 38 BetrVG zu kommen. In der kollektiven Verweigerung der Freistellung liege unabhängig vom - vom Arbeitsgericht bejahten - Recht jedes einzelnen Mitglieds, nicht für eine Freistellung nach § 38 BetrVG zur Verfügung zu stehen, ein eindeutiger und schwerer Gesetzesverstoß. Der Verstoß sei mehrfach angemahnt, der Beteiligte zu 2.) mehrfach zur Nennung von Freistellungen aufgefordert worden. Die Verweigerung der Freistellung ermögliche es den Betriebsratsmitgliedern zudem, sich objektiv besserzustellen. Sie könnten Mehrarbeitsstunden durch Betriebsratsarbeit ohne Obergrenze generieren. Die Betriebsratsarbeit werde ausschließlich außerhalb der persönlichen Arbeitszeit durchgeführt, da die Arbeitszeit der als Zeitungszusteller tätigen Betriebsratsmitglieder weitgehend in der Nachtzeit liege. Es würden daher durch die Betriebsratstätigkeit immer Mehrarbeitsstunden verursacht, während des Freizeitausgleichs nach § 37 Abs. 3 BetrVG geleistete Betriebsratsarbeit führe erneut zu Mehrstunden. Diese Mehrstunden ständen in keinem Verhältnis zur regelmäßigen Arbeitszeit von etwa 1,7 Stunden pro Arbeitstag und führten daher zu einer nach § 78 BetrVG verbotenen Besserstellung der Betriebsratsmitglieder. Zu den ihr - der Beteiligten zu 1.) - obliegenden Aufgaben gehöre auch die Sicherstellung der Betriebsratsarbeit durch ausreichende Freistellung der Betriebsratsmitglieder für deren Aufgaben. Es gehöre aber auch zu ihren Pflichten, Betriebsratsmitglieder nicht zu begünstigen. Darüber hinaus führe das Verhalten des Beteiligten zu 2.) zu einer erheblichen Störung der betrieblichen Abläufe. Ihr, der Beteiligten zu 1.), sei es ohne Freistellung nach § 38 BetrVG unmöglich gemacht, für voll freigestellte Betriebsratsmitglieder entsprechende Ersatzkräfte einzustellen. Der jeweils notwendige Ersatz stelle ein dauerhaftes Planungsproblem dar und verursache einen erheblichen organisatorischen Mehraufwand. Eine andere Möglichkeit außer ausreichenden Freistellungen nach § 38 BetrVG, eine rechtskonforme Situation herzustellen, bestehe nicht. Es bleibe daher nur die Auflösung des Betriebsrats bzw. die Amtsenthebung der derzeitigen Betriebsratsmitglieder.

Die Antragstellerin, Beteiligte zu 1.) und Beschwerdeführerin stellt folgende Anträge:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 14.11.2019, Az. 11 BV 66/19, wird aufgehoben.

2. Der Beteiligte zu 2). wird wegen Verletzung seiner Mitwirkungspflichten aus § 38 BetrVG, insbesondere der Verpflichtung zur Bekanntgabe der gewählten, freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG aufgelöst.

Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 2.):

Sämtliche Mitglieder des Beteiligten zu 2.) werden mit sofortiger Wirkung von ihrem Amt als Betriebsrat enthoben.

Weiter beantragt die Beteiligte zu 1.) höchstvorsorglich,

der Beteiligten zu 1.) gegen die Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Der Beteiligte zu 2.) und Beschwerdegegner beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 2.) schließt sich den Ausführungen und Wertungen des Arbeitsgerichts an. Er meint, es sei fraglich, ob der Hilfsantrag auf Amtsenthebung bzw. Ausschluss aller Mitglieder des Betriebsratsgremiums überhaupt zulässig sei. Jedenfalls liege kein objektiv erheblicher und offensichtlich schwerwiegender Gesetzesverstoß vor. Durch die nicht erfolgte Freistellungswahl finde keine Beeinträchtigung der Betriebsratsarbeit statt. Durch die Struktur der Zustellung in Stammzustellbezirken in Nachtstunden komme es immer wieder zu Unstimmigkeiten zwischen den Beteiligten über die Durchführung der Betriebsratsarbeit. So verlange die Beteiligte zu 1.) eine stichwortartige Auflistung der Besprechungspunkte der Sitzung, Fahrtkosten zu den - teilweise von der Beteiligten zu 1.) selbst festgesetzten Terminen - würden nicht gezahlt. In der von der Beteiligten zu 1.) vorgelegten Betriebsvereinbarung sei nicht berücksichtigt, dass manche Zusteller zusätzlich in anderen Zustellgebieten aushülfen. Durch die Verlegung des Dienstortes im Falle von Freistellungen nach § 38 BetrVG entständen den Betriebsratsmitgliedern erhebliche Nachteile in Form von Fahrzeiten und Fahrtkosten. Damit werde der Zweck des § 38 BetrVG als Schutznorm in sein Gegenteil verkehrt.

Die Beteiligte zu 1.) wendet ein, die Gefahr einer Schlechterstellung bestehe objektiv nicht, sondern werde durch die gesetzlichen Regelungen verhindert. Bei der Regelung nach § 38 BetrVG handle es sich nicht allein um eine Schutznorm für Betriebsratsmitglieder. Sinn sei vielmehr auch die Gewährleistung ordnungsgemäßer Betriebsratsarbeit. Die Norm schütze daher auch Mitarbeiter, Betriebsrat und Arbeitgeber. Die Freistellung nach § 38 BetrVG solle die angeführten Probleme gerade vermeiden.

In der Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht hat der Vertreter des Beteiligten zu 2.) nochmals erläutert, dass die mit der Freistellung nach § 38 BetrVG verbundene Verlegung des Einsatzortes - vom teils entfernt liegenden Zustellgebiet, das regelmäßig in der Nähe des Wohnortes liege, in die Zentrale - mit erheblichen Kosten und erheblicher zusätzlichem Zeitaufwand verbunden wäre. Dieser Zeitaufwand stehe in keinem Verhältnis zur Arbeitszeit von teilweise nur fünf oder sechs Stunden pro Woche. Die dann vom Betriebsratsmitglied selbst zu zahlenden Fahrtkosten ständen darüber hinaus in keinem Verhältnis zum mit der geringen Teilzeittätigkeit erzielten Verdienst.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung von Sachverhalt und Gründen im arbeitsgerichtlichen Beschluss, auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift über die Anhörung vom 17.12.2020 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist nicht zulässig. Sie ist nicht durch einen Prozessbevollmächtigten im Sinne des § 11 Abs. 4 ArbGG eingereicht worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren. Im Einzelnen gilt folgendes:

1. Die Beteiligte zu 1.) war bei Einreichung der Beschwerdefrist nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 11 Abs. 4 ArbGG vertreten.

a. In Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten müssen sich die Parteien durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren vor den Landesarbeitsgerichten gilt dies für die Einlegung und Begründung der Beschwerde (§ 89 Abs. 1 ArbGG).

b. Vertretungsberechtigt sind außer Rechtsanwälten nur Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und andere in § 11 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 ArbGG aufgeführte Vereinigungen oder Organisationen. Solche Verbände, Vereinigungen oder Organisationen sind vorliegend nicht beteiligt. Allerdings ist die Beschwerde durch eine zugelassene Rechtsanwältin unterzeichnet.

c. Die bloße Unterzeichnung durch einen zugelassenen Rechtsanwalt genügt jedoch insbesondere dann nicht, wenn dieser Rechtsanwalt gleichzeitig als Syndikusanwalt bei demjenigen Unternehmen angestellt ist, das die Beschwerde eingereicht hat. In diesem Fall muss sich aus dem Text der Beschwerde oder den Umständen ergeben, dass die Einlegung nicht in der Funktion als abhängiger Syndikusanwalt, sondern in derjenigen als unabhängiger Rechtsanwalt, einem unabhängigen Organ der Rechtspflege, erfolgt (so schon ausdrücklich BAG vom 19.03.1996, 2 AZB 36/95, Rn. 7 der Gründe; ebenso BAG vom 16.11.2011, 4 AZR 839/09, Rn. 20 am Ende der Gründe; BAG vom 17.09.2013, 9 AZR 75/12, Rn. 8 ff., jeweils zitiert nach juris); Künzl in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 11 Rn. 29a am Ende; Schwab/Weth, ArbGG, § 11 Rn. 116; Vossen in Gemeinschaftskommentar zum ArbGG, § 66 Rn. 93; Kalb in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrechtskommentar, § 11 ArbGG, Rn. 16).

d. Die Gestaltung der Beschwerdeschrift vom 20.03.2020 macht nicht hinreichend deutlich, dass die im Verfahren erster Instanz unter "Syndikusrechtsanwältin/ Rechtsabteilung" firmierende Vertreterin im Verfahren zweiter Instanz als unabhängige Rechtsanwältin und nicht in ihrer Eigenschaft als Angestellte der Beteiligten zu 1.) aufgetreten ist. Die Beschwerdeschrift ist unter dem Briefkopf der Beteiligten zu 1.) ohne gesonderte Nennung der Rechtsanwältin oder auch nur ihrer Bezeichnung eingelegt. Selbst die im Briefkopf enthaltene Telefonnummer führt nicht unmittelbar zur Unterzeichnerin; vielmehr handelt es sich um die Nummer der Zentrale der Beteiligten zu 1.). Ein eigenes, auf die Prozessbevollmächtigte hinweisendes Aktenzeichen (vgl. BAG vom 17.09.2013, a.a.O., Rn. 12), ist dem Schriftsatz nicht zu entnehmen. Sodann ist im Rubrum der Beschwerdeschrift für die Beteiligte zu 1.) - im Gegensatz zum Beteiligten zu 2.) - kein Prozessbevollmächtigter aufgeführt. Zudem heißt es ausdrücklich "legen wir" Beschwerde ein, obwohl die den Schriftsatz unterzeichnende Rechtsanwältin dies in ihrer Eigenschaft als Einzelanwältin veranlasst haben will. Der übliche Zusatz "namens der Beteiligten zu 1.)" oder "namens der Antragstellerin" fehlt. Vor der Unterschrift mit dem Namen und den Funktionen der Prozessbevollmächtigten ist ausdrücklich die Beteiligte zu 1.) als Verantwortliche und nicht die unterzeichnende Anwältin aufgeführt. Eine diese als prozessbevollmächtigte Rechtsanwältin ausweisende Prozessvollmacht wurde erst mit Schriftsatz vom 14.04.2020 vorgelegt und trägt das Ausstellungsdatum 09.04.2020 (Bl. 95 d.A.) - beides zeitlich weit nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Beschwerde.

e. Damit war für das Gericht wie für den Beteiligten zu 2.) unter Berücksichtigung deren Empfängerhorizonts nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit zu erkennen, dass die nunmehrige Prozessbevollmächtigte die Beschwerdeschrift gerade in ihrer Eigenschaft als unabhängige Rechtsanwältin eingelegt hat. Der Hinweis, sie habe bewusst im Verfahren erster Instanz mit "Syndikusrechtsanwältin/Rechtsabteilung", in der Beschwerdeschrift mit "Rechtsanwältin und Syndikusrechtsanwältin" unterzeichnet, trifft zwar zu. Dies allein genügt jedoch angesichts der Vielzahl derjenigen Indizien, die gegen eine Vertretung in der Eigenschaft als unabhängige Prozessbevollmächtigte sprechen, nicht. Es kommt hinzu, dass auch die Bezeichnung "Rechtsanwältin und Syndikusrechtsanwältin" nicht eindeutig darauf hinweist, dass die Unterzeichnende nur in ihrer Funktion als Rechtsanwältin und nicht als Syndika tätig sein wollte. Der Sachverhalt stellt sich anders dar, als wenn der Satz enthalten wäre "lege ich namens und mit beiliegender Vollmacht der Beteiligten" Beschwerde ein oder wenn im Briefkopf nicht die Beteiligte, sondern der Arbeitgeberverband aufgeführt wäre (so die Konstellation, die dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.02.2005 - Az. 4 AZR 139/04 - zugrunde lag). Vielmehr ist vorliegend nicht zu erkennen, dass die Unterzeichnerin als von der Beteiligten zu 1.) verschiedene Person und gerade als Prozessbevollmächtigte in ihrer Eigenschaft als unabhängige Rechtsanwältin gehandelt hätte (ähnlich BAG vom 17.09.2013, a.a.O.).

f. Die Beteiligte zu 1.) hat nicht innerhalb der bis 25.05.2020 laufenden Beschwerdefrist klargestellt, dass die Beschwerde als durch eine unabhängige Rechtsanwältin im Sinne des § 11 Abs. 4 ArbGG eingelegt gelten solle. Damit ist die Beschwerdefrist versäumt.

2. Der Beteiligten zu 1.) ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie hat die Frist nicht unverschuldet versäumt. Insbesondere durfte sie nicht auf eine anderweitige Handhabung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vertrauen.

a. Zwar ist in der Tat Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn eine irrige Rechtsauffassung vom Gericht veranlasst und hierdurch beim Prozessvertreter ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde (für Fehler des Gerichts: BVerfG vom 04.05.2004, 1 BvR 1892/03; BVerfG vom 04.09.2020, 1 BvR 2427/19; BGH vom 21.02.2020, V ZR 17/19; BSG vom 20.03.2019, B 1 KR 7/18, jeweils zitiert nach juris). Ein solches Vertrauen kann neben einer - hier nicht vorliegenden - fehlerhaften Belehrung oder neben einem fehlerhaften oder unklaren Hinweis auch dadurch entstehen, dass das Gericht eine bestimmte Handlungsweise über längere Zeit ohne Beanstandung akzeptiert und hingenommen hat (vgl. etwa BGH vom 11.04.2013, VII ZB 43/12; BGH vom 17.12.2020, III ZB 14/20; BVerfG vom 18.09.1989, 2 BvR 270/89, allerdings nur bei Handhabung durch denselben Spruchkörper, jeweils zitiert nach juris).

b. Vorliegend ist ein solcher Vertrauenstatbestand durch eine oder mehrere Kammern des Landesarbeitsgerichts aber nicht erkennbar. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf ein einziges Verfahren, in dem sie als Berufungsbeklagte mit derselben Handhabung und Unterzeichnung aufgetreten ist wie im vorliegenden Fall. Dort wurde eine im Verhandlungstermin vorgelegte Vollmacht mit dem entsprechenden Inhalt - ausgestellt für den Syndikusanwalt, nicht aber für einen unabhängig agierenden Rechtsanwalt - in der Tat nicht beanstandet. Aus einer lediglich einmaligen fehlerhaften Hinnahme kann jedoch ausreichendes Vertrauen nicht entstehen. Dies gilt vorliegend umso mehr, als das Gericht sich bei der Vorlage einer Vollmacht im Termin, deren Inhalt weder gerügt noch problematisiert worden ist, typischerweise nicht in derselben Weise um Prüfung der Ordnungsmäßigkeit bemühen wird wie bei einer eingereichten Rechtsmittelschrift. Vertrauen kann allenfalls durch mehrfache und längere Hinnahme eines Verhaltens ohne Beanstandung entstehen (BAG vom 03.07.2019, 10 AZR 499/17, Rn. 21: "wenn derselbe Spruchkörper die von ihm längere Zeit gebilligte Form ... ohne Vorwarnung nicht mehr hinnehmen will"; BAG vom 25.05.2015, 5 AZR 849/13, Rn. 30: "weil seine Art der Unterzeichnung bislang von Gerichten und im Rechtsverkehr nicht beanstandet worden sei"; BGH vom 28.09.1998, II ZB 19/98: "jahrelang unbeanstandet", jeweils zitiert nach juris). Ein Sachverhalt, aus dem sich ein derartiges Vertrauen ableiten ließe, ist nicht erkennbar.

c. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung ist auch nicht deswegen stattzugeben, weil das Gericht die Beschwerdeführerin nicht rechtzeitig auf das Fehlen der Unterzeichnung durch einen nach § 11 Abs. 4 ArbGG zugelassenen Prozessvertreter hingewiesen hat. Ein leicht zu erkennender Fehler lag nicht vor. Die Erstakte wurde dem zuständigen Kammervorsitzenden ausweislich des Aktenvermerks erst am 24.03.2020 vorgelegt. Telefonischer Hinweis an die Prozessvertreterin erfolgte im Lauf des 26.03.2020, ebenso der entsprechende schriftliche Hinweis vom 26.03.2020. Die Voraussetzungen, unter denen Wiedereinsetzung wegen Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht zu gewähren ist (vgl. BGH vom 14.10.2008, VI ZB 37/08, Rn. 9 ff.; BAG vom 14.09.2020, 5 AZB 53/20, jeweils zitiert nach juris), liegen daher nicht vor.

3. Die Beschwerde ist nach alldem nicht zulässig. Die Beteiligung der einzelnen Betriebsratsmitglieder nach § 83 Abs. 4 ArbGG am Verfahren, deren Ausschluss mit dem gestellten Hilfsantrag begehrt worden ist, war aus diesem Grund - darüber hinaus wegen der offensichtlichen Unzulässigkeit des diesbezüglich gestellten Antrags - nicht erforderlich.

4. Unabhängig hiervon wäre die Beschwerde auch nicht begründet. Eine Auflösung des Beteiligten zu 2.) wegen grober Verletzung seiner Pflichten ist nicht veranlasst. Dies hat das Arbeitsgericht ausführlich und in jeder Hinsicht zutreffend begründet.

a. Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass eine Auflösung des Betriebsrats nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG nur in Betracht kommt, wenn das Betriebsratsorgan einen groben Verstoß gegen seine gesetzlichen Pflichten begangen hat.

b. Vorliegend ist schon zweifelhaft, ob dem Betriebsratsorgan überhaupt ein Verstoß gegen seine gesetzlichen Pflichten vorgeworfen werden kann. Zwar führt die Beteiligte zu 1.) zu Recht aus, dass es sich bei der in § 38 Abs. 1 BetrVG genannten Freistellungsstaffel schon nach dem Wortlaut - "sind mindestens freizustellen" - um eine Mindestzahl an Freistellungen handelt. Vorliegend wären also mindestens fünf Betriebsratsmitglieder freizustellen gewesen, möglicherweise mehr, weil es sich bei den Betriebsratsmitgliedern nach übereinstimmendem Vortrag der Beteiligten durchweg um Zeitungszusteller mit nur sehr geringer Arbeitszeit von in der Regel sechs bis 15 Wochenstunden handelt. Andererseits tragen die Beteiligten ebenso übereinstimmend vor, dass sich kein einziges Betriebsratsmitglied bereiterklärt hat, sich freistellen zu lassen. Die Freistellung setzt jedoch nach allgemeiner Auffassung das Einverständnis des zur Freistellung vorgesehenen Betriebsratsmitglieds voraus (BAG vom 28.08.1991, 7 ABR 46/90, Rn. 21 am Ende; BAG vom 11.03.1992, 7 ABR 50/91, Rn. 33; Fitting u.a., BetrVG, 30. Aufl. 2020 § 38 Rn. 70; Richardi/Thüsing, BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 38 Rn. 33; Wedde in Däubler/Klebe/Wedde, BetrVG, 17. Aufl. 2020, § 38 Rn. 4). Damit bestand für den Betriebsrat als Organ keine Möglichkeit, Betriebsratsmitglieder für die Freistellung auszuwählen und dem Arbeitgeber zu benennen.

c. Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Freistellungsanspruch nach § 38 BetrVG dazu dient, dem Betriebsrat eine ordnungsgemäße Durchführung und sachgerechte Wahrnehmung seiner Aufgaben zu ermöglichen (BAG vom 19.05.1983, 6 AZR 290/81, Rn. 8 der Gründe; BAG vom 10.07.2013, 7 ABR 22/12, Rn. 19 der Gründe; BAG vom 28.09.2016, 7 AZR 248/14, Rn. 29 der Gründe; LAG Baden-Württemberg vom 14.12.2016, 4 TaBV 10/16, Rn. 82, jeweils zitiert nach juris; Fitting u.a., a.a.O., § 38 Rn. 30). Bei der Regelung der Mindestfreistellungen handelt es sich um eine Konkretisierung der Grundregel des § 37 Abs. 2 BetrVG, die es erleichtern soll, notwendige Betriebsratsaufgaben zu erfüllen (Richardi/Thüsing, a.a.O., § 38 Rn. 5; Löwisch in Löwisch/Kaiser, BetrVG, Bd. 1, 7. Aufl. 2017, § 38 Rn. 1; GK-Weber, Gemeinschaftskommentar zum BetrVG, 11. Aufl. 2018, § 38 Rn. 1). Inhaber des Anspruchs auf Freistellung nach § 38 BetrVG ist der Betriebsrat (GK-Weber, a.a.O., § 38 Rn. 10). Es erscheint als zweifelhaft, ob diese Vorschrift auch den Interessen des jeweiligen Arbeitgebers dient.

d. Nach alldem ist zweifelhaft, ob der Betriebsrat durch die Mitteilung, er könne keine freizustellenden Betriebsratsmitglieder wählen, überhaupt gegen seine gesetzlichen Pflichten verstoßen hat (so aber wohl Fitting, a.a.O., § 38 Rn. 30). Jedenfalls ist ein grober Verstoß im Sinne des § 23 Abs. 1 BetrVG, den der Arbeitgeber geltend machen könnte, nicht gegeben.

e. Erst recht gilt dies angesichts der besonderen Strukturen im vorliegenden Betrieb, in dem in ganz überwiegendem Umfang Zeitungszusteller beschäftigt sind, deren Arbeitszeitvolumen relativ gering ist und deren Einsatzort nicht der Betriebssitz ist. Würde man dem Ansinnen der Beteiligten zu 1.) Rechnung tragen, könnte dies dazu führen, dass die Mitarbeiter in der Auswahl der Betriebsratsmitglieder jedenfalls zum Teil auf diejenigen Arbeitnehmer beschränkt wären, die - weil für sie die Besonderheiten hinsichtlich der Arbeitszeit und des Einsatzortes nicht zutreffen - nicht als Zeitungszusteller beschäftigt wären. Eine echte Wahl könnte hierdurch ausscheiden. Anderenfalls wäre zu erwarten, dass auch ein neu gewählter Betriebsrat wiederum keine Mitglieder finden würde, die bereit wären, sich nach § 38 BetrVG freistellen zu lassen. Im Ergebnis könnte dies zu einer Verhinderung jeglichen Betriebsrats führen. Dieses Ergebnis würde den Zweck der Freistellung nach § 38 BetrVG ins Gegenteil wenden. Dies widerspräche Sinn und Zweck der Freistellung nach § 38 BetrVG, die Betriebsratsarbeit zu erleichtern. Einer Auflösung des Betriebsrats steht darüber hinaus entgegen, dass die Beteiligte zu 1.) bzw. ihre Gesellschafter für die hier vorzufindende besondere Betriebsstruktur verantwortlich sind.

5. Auch mit dem Hilfsantrag könnte die Beteiligte zu 1.) nicht durchdringen.

a. Der Hilfsantrag ist in der gestellten Form offensichtlich unzulässig. Die Beteiligte zu 1.) hat kein einziges Betriebsratsmitglied namentlich aufgeführt. Damit fehlt schon die nötige Bestimmtheit des Antrags.

b. Der Antrag ist, selbst wenn man davon ausgeht, dass er neben dem Hauptantrag ein eigenes Ziel deswegen enthält, weil im Fall der begehrten gerichtlichen Rechtsgestaltung Ersatzmitglieder nachrücken würden, auch unbegründet. Es sind weder Anhaltspunkte vorgetragen noch aus den Umständen - auch nur im Ansatz - erkennbar, dass auch nur ein Betriebsratsmitglied die Verpflichtung treffen würde, sich zu einer Freistellung nach § 38 BetrVG bereitzuerklären.

c. Es kommt hinzu, dass jedes Betriebsratsmitglied unterschiedliche Gründe haben kann, die einer Freistellung nach § 38 BetrVG entgegenstehen - etwa anderweitige Verpflichtungen gegenüber Familie und Angehörigen oder gegenüber anderen Arbeitgebern. Einzelheiten hierzu hat die Beteiligte zu 1.) nicht vorgetragen; sie hat auch nicht von den einzelnen Betriebsratsmitgliedern Auskunft über solche einer Freistellung entgegenstehenden Belange verlangt.

d. Darüber hinaus gilt, dass die Beteiligte zu 1.) mit der Rechtsprechung (vgl. BAG vom 28.08.1991, 7 ABR 46/90; BAG vom 13.06.2007, 7 ABR 62/06, Rn. 14, jeweils zitiert nach juris) davon ausgeht, dass sich für ein freigestelltes Betriebsratsmitglied der Ort ändern würde, an dem es seine Arbeitsleistung zu erbringen hätte. Es ist nicht geklärt, ob dies nur dann gilt, wenn die Zuweisung des Arbeitsortes am Betriebssitz ohne Änderung der gegenseitigen vertraglichen Pflichten möglich ist, oder auch dann, wenn der Betriebssitz nicht ohne Vertragsänderung als Leistungsort zugewiesen werden könnte. Auch angesichts dieser ungeklärten Rechtslage liegt jedenfalls kein den einzelnen Betriebsratsmitgliedern vorzuwerfender grober Verstoß im Sinne des § 23 Abs. 1 BetrVG vor.

e. Dies gilt erst recht, weil angesichts der besonderen Struktur des Betriebes und der Arbeitsverhältnisse als Zeitungszusteller in der Tat eine unzumutbare Belastung des einzelnen Betriebsratsmitglieds entstehen kann. Bei weiten Entfernungen des vereinbarten Zustellbezirks zum Betriebssitz kann die aufzuwendende Fahrzeit verbunden mit den entstehenden, vom Betriebsratsmitglied dann selbst zu tragenden Fahrtkosten leicht dazu führen, dass sich die mit der Beteiligten zu 1.) vereinbarte Tätigkeit für das freigestellte Betriebsratsmitglied nicht mehr "rechnen" würde, dass das bezogene Entgelt nicht mehr als adäquat anzusehen wäre. Auch diese strukturellen Besonderheiten stehen der Feststellung eines Verstoßes und erst recht eines groben Verstoßes entgegen.

f. Letztlich kann die Kammer besondere Belange der Beteiligten zu 1.) - und erst recht die geltend gemachte Befürchtung der Beteiligten zu 1.), die Betriebsratsmitglieder würden sich ohne Freistellung nach § 38 BetrVG Vorteile beim Entgelt verschaffen - nicht erkennen. Zum einen könnte dies nur diejenigen fünf Betriebsratsmitglieder betreffen, die nach der Staffel des § 38 BetrVG freizustellen wären, nicht aber die anderen 14 Betriebsratsmitglieder. Zum anderen hat es die Beteiligte zu 1.) in der Hand, das skizzierte nicht gewünschte Ergebnis zu vermeiden. Nehmen Betriebsratsmitglieder Betriebsratsaufgaben wahr, dann sind sie insoweit nach § 37 Abs. 2 BetrVG von ihrer Arbeitspflicht befreit. Nehmen sie - was in der Tat vorliegend eher die Regel als die Ausnahme sein dürfte - Betriebsratstätigkeiten außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit wahr, haben sie gemäß § 37 Abs. 3 BetrVG Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung. Der Zeitpunkt oder Zeitraum der Arbeitsbefreiung kann durch die Beteiligte zu 1.) im Rahmen ihres Direktionsrechts nach billigem Ermessen festgelegt werden. Sie hat es selbst in der Hand, etwa nach zwei jeweils mehrere Stunden dauernden Betriebsratssitzungen den entsprechenden Zeitausgleich nach § 37 Abs. 3 BetrVG etwa durch Freistellung in der gesamten folgenden oder übernächsten Woche - und insoweit ohne Weiteres planbar - festzulegen. Würde das Betriebsratsmitglied in diesem Zeitraum der Freistellung Betriebsratsaufgaben wahrnehmen, würde das nicht erneut zu einem Anspruch nach § 37 Abs. 3 BetrVG führen, weil diese Betriebsratsarbeit nicht aus "betriebsbedingten Gründen" außerhalb der persönlichen Arbeitszeit geleistet würde. Ob die Beteiligte zu 1.) für 14 oder für alle 19 Betriebsratsmitglieder so verfahren würde und müsste, erscheint nicht als besonderer zusätzlicher Aufwand. Die Befürchtung der Beteiligten zu 1.), bei weiterer Handhabung der Freistellung nach § 37 Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG gegen das Begünstigungsverbot für Betriebsräte zu verstoßen, kann die Kammer daher in keiner Weise erkennen. Besondere Interessen der Beteiligten zu 1.) erscheinen nicht als verletzt.

6. Nach alldem ist die Beschwerde zu verwerfen.

7. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein gesetzlich begründeter Anlass.

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