Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 14.04.2021 - 13 F 73/20
Fundstelle
openJur 2021, 17719
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 A 7876/13

Zur Überlänge eines prüfungsrechtlichen Hauptsacheverfahrens

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.800 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. April 2020 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Verfahrensdauer in dem Verfahren 6 A 7876/13 vor dem Verwaltungsgericht Hannover unangemessen war.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 3/20, der Beklagte zu 17/20.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin macht eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens geltend.

Gegenstand des Ausgangsverfahrens, dessen Überlänge die Klägerin rügt, war das endgültige Nichtbestehen der Zahnärztlichen Vorprüfung.

Der Klägerin wurden mit Bescheid der Medizinischen Hochschule A-Stadt (F.) vom 30. Mai 2013 die Ergebnisse ihrer Zahnärztlichen Vorprüfung sowie das endgültige Nichtbestehen mitgeteilt. Grund hierfür war insbesondere die Note „nicht genügend“ im Fach Zahnersatzkunde, sowohl in der Prüfung am 23. März 2012 als auch in der Wiederholungsprüfung am 30. April 2013. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Niedersächsische Zweckverband zur Approbationserteilung (NIZzA) mit Bescheid vom 25. November 2013 zurück.

Am 6. Dezember 2013 erhob die Klägerin beim Verwaltungsgericht Hannover (Az. 6 A 7876/13) Klage gegen den Bescheid und begehrte die Verpflichtung zur Gewährung eines weiteren Prüfungsversuchs im Fach Zahnersatzkunde. Die Klage enthielt eine kurze Begründung und den Hinweis, dass nach erfolgter Akteneinsicht eine ausführliche Begründung nachgereicht werde. Es wurde ferner darauf hingewiesen, dass das Gericht - gerade auch angesichts der schleppenden Bearbeitung im Widerspruchsverfahren - bei der F. auf eine zügige Aktenübersendung hinwirken solle, da sie, die Klägerin, ohne die im Streit stehende Prüfung daran gehindert sei, in ihrem Studium weiter voranzukommen. Die Eingangsbestätigung des Verwaltungsgerichts Hannover enthielt die Aufforderung, die Klage binnen eines Monats nach Erhalt der Verwaltungsvorgänge zu begründen.

Die Prüfungsakte ging beim Verwaltungsgericht Hannover am 16. Januar 2014 ein und wurde am 20. Januar 2014 an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin übersandt. Am 2. Februar 2014 stellte die Klägerin einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht vom 11. Juli 2014 endgültig abgelehnt. Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 14. August 2014 auf den Einzelrichter übertragen. Mit Ladungsverfügung vom 31. März 2015 wurde ein Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 11. Mai 2015 bestimmt.

Die Klägerin verwies mit Schriftsatz vom 29. April 2015 zur Begründung ihrer Klage auf das Vorbringen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und vertiefte die Begründung zudem. Es wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die am 15. März 2013 angefertigten Modelle erst am 30. April 2013 bewertet worden seien und sie bereits in der mündlichen Prüfung am 30. April 2013 darauf aufmerksam gemacht habe, dass die Modelle nicht mehr dem Zustand entsprochen hätten, in welchem sie abgegeben worden seien. Sie habe ausdrücklich auf Beschädigungen an den Modellen hingewiesen und bemängelt, dass bei den Modellen die Okklusionskontakte zum Zeitpunkt der Abgabe ordnungsgemäß vorhanden gewesen seien. Da die Modelle noch vorhanden sein sollten, könne eine Inaugenscheinnahme durch das Gericht durchgeführt werden. Ein entsprechender Beweisantrag wurde angekündigt. Außerdem könne durch ein Sachverständigengutachten geklärt werden, ob die abgegebenen Modelle diejenigen Mängel aufwiesen, die in der Bewertung der Prüfungsleistung aufgeführt seien. Zudem sei zu klären, ob sich das verwendete Wachs verformt haben könnte. Ferner wurde gerügt, dass es kein ordnungsgemäßes Protokoll über die Prüfung gebe und dass die Prüfungskommission nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei. Da in der Prüfung eine Protokollantin - Frau G. - anwesend gewesen sei, die auch mitgeschrieben habe, könne diese ebenfalls dazu befragt werden, ob das in der Verwaltungsakte befindliche, nicht datierte und nicht unterschriebene Protokoll von ihr stamme.

In der mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2015 wurden die angefertigten Modelle in Augenschein genommen. Die Klägerin bezweifelte bei einzelnen Modellen, dass diese von ihr hergestellt worden seien. Zudem wurde auf eine Bruchstelle hingewiesen. Der Einzelrichter forderte die F. durch Beschluss auf, die Zuordnung der Modelle zur Klägerin, die Eigenschaften des verwendeten Wachses und die Auswirkungen der Bruchstelle aufzuklären. Zugleich wurde ein Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 15. Juni 2015 bestimmt.

Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2015 machte die F. unter Beifügung einer Stellungnahme des Prüfers H. Ausführungen unter Bezugnahme auf den Beschluss des Gerichts vom 11. Mai 2015.

Mit in der mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2015 vorgelegtem Schriftsatz vom 14. Juni 2015 beantragte die Klägerin, ein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, ob die Modelle die beanstandeten Mängel hatten und ob die Lagerung in einem Stahlschrank im Keller der F. fachgerecht war. Diese angekündigten Anträge stellte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Zudem beantragte sie, Frau G. als Zeugin zu vernehmen. Der Einzelrichter bot den Beteiligten als Fortsetzungstermin den 8. Juli 2015 an, wobei beide Prozessbevollmächtigten erklärten, zum vorgeschlagenen Zeitpunkt bereits anderweitige Verhandlungen vor Gericht wahrnehmen zu müssen. Der Einzelrichter verkündete den Beschluss, dass die Klägerin den Bestellzettel hinsichtlich der von ihr bei der Anfertigung der Prüfungsarbeiten verwandten Wachse bis zum 25. Juni 2015 vorzulegen habe und dass ein Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung von Amts wegen bestimmt werde.

Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2015 übersandte die Klägerin die Rechnung der Firma I., bei der sie das Wachs bestellt habe. Hierauf erwiderte die F. mit Schriftsatz vom 20. Juli 2015.

Am 27. Januar 2017 fragte die Klägerin an, wann mit einer Fortsetzung des Verfahrens gerechnet werden könne. Mit Schriftsatz vom 3. April 2017 erinnerte sie an die Beantwortung der Sachstandsanfrage vom 27. Januar 2017 und forderte das Gericht auf, das Verfahren nunmehr zeitnah zu fördern. Am 11. Juli 2017 wies die Klägerin darauf hin, dass seit zwei Jahren nichts geschehen sei und bat um Sachstandsmitteilung.

Mit Verfügung vom 16. August 2017, abgesandt am 22. August 2017, verfügte der Einzelrichter folgendes Schreiben an die Klägerin:

„In pp. hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 20.07.2015 zu den Einwänden der Klägerin bezüglich des verwandten Wachses Stellung genommen. Darauf ist bislang nicht erwidert worden. Der Prüfer H. (jetzt H.) betreibt nach im Internet zugänglichen Informationen derzeit in der J., K., eine Privatpraxis für Zahlheilkunde. Außerdem soll er ausweislich des im Internet veröffentlichten Lebenslaufs derzeit eine Lehr- und Forschungstätigkeit an der Medizinischen Hochschule A-Stadt ausüben. Ich werde mich insoweit um nähere Informationen bemühen. Vorsorglich bitte ich hinsichtlich der Anberaumung eines Termins zur weiteren mündlichen Verhandlung um Mitteilung, ob eine längere Abwesenheit Ende September und im Oktober 2017 derzeit absehbar ist. Die eingetretene Verzögerung beruht zu einem wesentlichen Teil auf der extrem angestiegenen Zahl von Eingängen aus dem Asylrecht. Ich bitte deshalb um Nachsicht, dass dieses nicht einfach gelagerte Verfahren erst jetzt wieder vertieft behandelt werden wird.“

Zugleich fragte der Einzelrichter bei der F. an, ob H. tatsächlich eine Lehr- und Forschungstätigkeit dort ausübe und wann er sich aus diesem Grund in A-Stadt aufhalte.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin teilte mit Schriftsatz vom 12. September 2017 mit, dass er vom 2. Oktober 2017 bis 6. Oktober 2017 Urlaub habe und sich vom 30. Oktober 2017 bis 3. November 2017 auf einer auswärtigen Fortbildungsveranstaltung befinde.

Mit Schriftsatz vom 16. Januar 2018 fragte die Klägerin an, wann mit einem Termin zu rechnen sei und erhob Verzögerungsrüge.

Mit Verfügung vom 11. Juni 2018 wurde ein Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 10. Juli 2018 bestimmt. In der mündlichen Verhandlung wurde der Antrag auf Vernehmung von Frau G. als Zeugin abgelehnt. Zugleich wurde die Prozessbevollmächtigte der F. gebeten, Unterlagen darüber vorzulegen, warum eine Biologin zur Vorsitzenden der Prüfungskommission bestimmt worden war. Die Prozessbevollmächtigte der F. sagte ferner zu, zu prüfen, ob H. auch derzeit an der F. tätig ist. Der Klägerin wurde aufgegeben darzulegen, dass der von ihr verwandte Wachs für die Anfertigung und Aufbewahrung der von ihr angefertigten praktischen Arbeiten ungeeignet gewesen sei, und welche Mängel an den Modellen darauf beruhten, dass sich das von ihr verwandte Wachs nachträglich verformt habe. Es wurde der Beschluss verkündet, dass die mündliche Verhandlung am 21. August 2018 fortgesetzt werde.

Mit Schriftsatz vom 26. Juli 2018 machte die F. weitere Ausführungen zur Prüfungsvorsitzenden. Die Klägerin machte mit Schriftsatz vom 6. August 2018 weitere Ausführungen zur Möglichkeit von Deformationen beim Modellierwachs und zur fehlerhaften Besetzung der Prüfungskommission.

Der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde vom 21. August 2018 auf den 12. September 2018 verlegt. Am 20. August 2018 nahm die F. zum Schriftsatz der Klägerin vom 6. August 2018 Stellung. Am 21. August 2018 erging durch den Einzelrichter der Beschluss, dass durch Vernehmung von H. als sachverständigem Zeugen Beweis erhoben werden soll über verschiedene, im Einzelnen aufgeführte Mängel der bewerteten Modelle.

Mit Schriftsatz vom 6. September 2018 erwiderte die Klägerin auf die Ausführungen der F. im Schriftsatz vom 20. August 2018.

In der mündlichen Verhandlung am 12. September 2018 wurde H. als Zeuge vernommen. Die Beteiligten verzichteten auf eine weitere mündliche Verhandlung, wobei die Klägerin um Einräumung einer Stellungnahmefrist von drei Wochen ab Zugang des Protokolls der mündlichen Verhandlung bat.

Am 15. Oktober 2018 bat die Klägerin um die Übersendung des Protokolls der mündlichen Verhandlung am 12. September 2018. Dieses wurde auf die Verfügung des Einzelrichters vom 25. Oktober 2018 am 29. Oktober 2018 übersandt.

Mit Schreiben vom 21. Januar 2019 fragte die Klägerin an, wann mit einer gerichtlichen Entscheidung gerechnet werden könne. Der Einzelrichter vermerkte auf dem Schreiben „tel erl.“. Mit weiterem Schriftsatz vom 25. März 2019 wies die Klägerin darauf hin, dass seit der letzten mündlichen Verhandlung ein weiteres halbes Jahr vergangen sei und auf die Sachstandsanfrage vom 21. Januar 2019 nicht reagiert worden sei. Mit Schriftsatz vom 12. Juni 2019 wies die Klägerin darauf hin, dass seit der mündlichen Verhandlung neun Monate vergangen seien und selbst seit Ablauf der beantragten Stellungnahmefrist von drei Wochen nach Zustellung des Protokolls sechs Monate vergangen seien. Es liege ein Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO vor.

Durch Urteil vom 26. Juni 2019, ausweislich eines Vermerks des Einzelrichters niedergelegt in der Geschäftsstelle am 29. Juni 2019, wurde die Klage abgewiesen. Die Klägerin stellte in der Folge einen Antrag auf Zulassung der Berufung, der mit Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. Januar 2020 abgelehnt wurde.

Am 15. April 2020 hat die Klägerin die vorliegende Entschädigungsklage erhoben.

Zur Begründung trägt sie vor, die Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer beziehe sich auf das Verfahren in erster Instanz, hinsichtlich der Dauer des Berufungszulassungsverfahrens liege keine überlange Verfahrensdauer vor. Das Verfahren habe eine durchschnittliche Schwierigkeit gehabt, zumal es bereits ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegeben habe und hier bereits eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten erfolgt sei. Das Verfahren sei für sie von herausragender Wichtigkeit gewesen, da vom Ausgang des Verfahrens abhängig gewesen sei, ob sie ihr Studium der Zahnmedizin habe fortsetzen können. Sie habe durch ihr Verhalten nicht zur Verfahrensverzögerung beigetragen. Bei der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer im Klageverfahren sei der Zeitraum des parallelen Eilverfahrens außer Betracht zu lassen, da in diesem Zeitraum das Klageverfahren nicht weiter hätte bearbeitet werden können. Die Angemessenheit des Verfahrens sei deshalb erst ab dem 11. Juli 2014 zu prüfen. Ab diesem Zeitpunkt sei bis zur Ladung zur ersten mündlichen Verhandlung nichts geschehen, obwohl die Rechtsansichten bereits durch das Eilverfahren bekannt gewesen seien. Hier sei bereits neun Monate keine verfahrensfördernde Tätigkeit entfaltet worden. Auch nach der zweiten mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2015 sei, trotz Sachstandsanfragen und Erhebung der Verzögerungsrüge, keinerlei Tätigkeit durch das Gericht erfolgt. Erst unter dem 12. Juni 2018 sei eine erneute gerichtliche Tätigkeit in Form der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2018 festzustellen. Nach der letzten mündlichen Verhandlung am 12. September 2018 sei das Protokoll erst am 5. November 2018 zugestellt worden, ohne dass Gründe hierfür ersichtlich seien. Sofern man zugunsten des Gerichts davon ausginge, dass für die Übersendung eines Protokolls ein Zeitraum von einer Woche als angemessen anzusehen sei, sei der Rechtsstreit unter Berücksichtigung der Stellungnahmefrist von drei Wochen vier Wochen nach der mündlichen Verhandlung entscheidungsreif gewesen. Da das Urteil erst am 26. Juni 2019 ergangen sei, sei ein weiterer Zeitraum gerichtlicher Untätigkeit von neun Monaten festzustellen. Somit sei insgesamt eine gerichtliche Untätigkeit über 54 Monate festzustellen. Da dem Gericht ein Gestaltungszeitraum von zehn Monaten für seine Entscheidung zuzugestehen sei, wann und wie es das Verfahren im Sinne eines Hinwirkens auf eine Erledigung des Prozesses fördere, verbliebe ein Zeitraum von 44 Monaten, in dessen Umfang das Verfahren als unangemessen lang anzusehen sei. Hieraus ergebe sich eine Entschädigung in Höhe von 4.400 EUR.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass die Verfahrensdauer in dem Verfahren 6 A 7876/13 vor dem Verwaltungsgericht Hannover unangemessen war,

2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 4.400 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens liege nicht vor. Die Unangemessenheit der Dauer eines Verfahrens bemesse sich nach den Umständen des Einzelfalls. Es sei nicht möglich, einzelne Verfahrensabschnitte einer Instanz isoliert voneinander zu betrachten, vielmehr sei die Gesamtverfahrensdauer maßgeblich. Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens aufträten, führten nicht zwingend zur Unangemessenheit der Verfahrensdauer, da im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen sei, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase kompensiert worden seien. Die Verfahrensdauer müsse eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellten. Dem Gericht müsse eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität angemessen Rechnung trage. Dem Richter sei ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, weshalb die Verfahrensführung des Richters lediglich auf ihre Vertretbarkeit überprüft werde. Der Rechtssuchende habe keinen Anspruch auf optimale Verfahrensförderung. In Beachtung dieser Grundsätze sei die Dauer des Verfahrens nicht als unangemessen zu bewerten. Hinsichtlich des ersten Verfahrensabschnittes vom 11. Juli 2014 bis zum 7. April 2015 habe die Klägerin die Verzögerung verursacht, da sie mit Erhebung der Klage angekündigt habe, die Klage nach Akteneinsicht ausführlich begründen zu wollen. Das Verwaltungsgericht habe somit zuwarten könne, ob und gegebenenfalls wann die Klage näher begründet werde. Nachdem eine Begründung über längere Zeit nicht erfolgt sei, habe das Gericht Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt. Das Gericht habe abwarten dürfen, ob und wie die Klägerin auf den Ausgang des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens reagiere und wie sie ihre Klage ergänzend begründe. Im Hinblick auf den zweiten gerügten Verfahrensabschnitt in der Zeit vom 14. Juni 2015 bis zum 12. Juni 2018 liege die Verzögerung zum einen darin begründet, dass die Prozessbevollmächtigten der Beteiligten einen Fortsetzungstermin am 8. Juli 2015 abgelehnt hätten, zum anderen sei das Verwaltungsgericht Hannover am 15. Juli 2015 in ein neues Gebäude gezogen, wodurch eine weitere Verzögerung entstanden sei. Die Klägerin habe mit Schriftsatz vom 14. Juni 2015 ergänzend vorgetragen und am 19. Juni 2015 die Rechnung für das Wachs überreicht, die Beklagte habe am 20. Juli 2015 ergänzend vorgetragen. Die Klägerin habe hierauf nicht geantwortet und erst am 11. Juli 2017 um Sachstandsmitteilung gebeten. Im ausführlichen Hinweisbeschluss des Einzelrichters vom 16. August 2017 sei darauf hingewiesen worden, dass es schwierig gewesen sei, den Zeugen H. zu ermitteln, was - mit Mühe - aber dennoch gelungen sei. Zugleich habe der Einzelrichter angefragt, in welcher Zeit die Beteiligten den Fortsetzungstermin hätten ermöglichen können. Hierauf habe die Klägerin unter dem 15. September 2017 mit Hinweis auf Urlaub und Fortbildung geantwortet, so dass eine Terminierung in dem beabsichtigten Zeitraum nicht mehr möglich gewesen sei. In der Folge habe das Verfahren unter anderem deswegen nicht dringlich gefördert werden können, weil ab Ende 2015 eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Ausländer- und Asylrecht eingegangen seien. Die zuständige 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover habe seinerzeit unter anderem Asylrechtsverfahren betreffend Staatsangehörige aus dem Irak und dem Iran bearbeitet, der zuständige Einzelrichter sei kammerintern für das Herkunftsland Irak zuständig gewesen. Während es im Kalenderjahr 2016 noch 62 neue Asylsachen gegeben habe, sei diese Zahl im Jahr 2017 auf 249 gestiegen. Angesichts der außerordentlichen Belastung habe der Einzelrichter im Rahmen seiner richterlichen Unabhängigkeit entscheiden müssen, welche Verfahren er besonders fördere. Die Klägerin habe erstmals mit Schriftsatz vom 19. Januar 2018 Verzögerungsrüge erhoben. Nach der herrschenden Meinung könne eine Entschädigung erst nach Erhebung der Verzögerungsrüge geltend gemacht werden, ein Kläger könne jedenfalls nicht mit der Verzögerungsrüge zuwarten in der Hoffnung, später ohne Verzögerungsrüge eine Entschädigungsforderung geltend zu machen. In dem dritten gerügten Verfahrensabschnitt zwischen dem 12. September 2018 bis zum 26. Juni 2019 sei unstreitig, dass am 12. September 2018 die letzte mündliche Verhandlung mit einer umfangreichen Vernehmung des Zeugen H. stattgefunden habe. Der Einzelrichter, der vom 14. September 2018 bis zum 28. September 2018 Urlaub gehabt habe, habe in dieser Sitzung mit den Beteiligten das weitere Vorgehen besprochen. Die Klägerin habe noch nach Zusendung des Protokolls zu der Beweisaufnahme Stellung nehmen wollen. Die dreiwöchige Erklärungsfrist, die sich die Klägerin ausdrücklich erbeten habe, habe sie nicht genutzt und auch nicht mitgeteilt, nicht weiter Stellung nehmen zu wollen. Erst mit der Anfrage vom 21. Januar 2019, wann mit einer Entscheidung gerechnet werden könne, habe der Einzelrichter davon ausgehen können, dass die Klägerin nicht mehr ergänzend vortragen wolle. Die Verzögerung bis zum 21. Januar 2019 gehe somit allein zu Lasten der Klägerin. Der größte Teil der gerügten Verzögerungen beruhe somit nicht auf der Verfahrensführung durch das Gericht, sondern auf dem Verhalten der Beteiligten, weshalb diese nicht im Rahmen des Entschädigungsprozesses zu berücksichtigen seien. Der Gestaltungsspielraum des Gerichts sei in dieser Sache nicht überschritten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg.

Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Die Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der das „Hauptsacheverfahren“ beendenden Entscheidung i.S.d. § 173 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG hat die Klägerin gewahrt. Der das Klageverfahren rechtskräftig beendende Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts stammt vom 3. Januar 2020, am 15. April 2020 ist die vorliegende Klage erhoben worden.

Die Klägerin hat einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 3.800 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit gegen den Beklagten (I.) sowie einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war (II.).

I. Nach § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 198 Abs. 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu die folgenden Grundsätze aufgestellt (BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 - BVerwG 5 C 23.12 D -, juris Rn. 37 ff.), denen der Senat folgt (vgl. auch Gerichtsbescheid d. Senats v. 3.4.2020 - 13 F 315/19 -, V.n.b., Umdruck S. 5 ff.):

„bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der ‚unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens‘ (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn.14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.“

Für die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es nicht darauf an, ob sich der zuständige Spruchkörper pflichtwidrig verhalten hat, so dass die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer dementsprechend für sich allein keinen Schuldvorwurf für die mit der Sache befassten Richter impliziert (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs vom 17.11.2010, BT-Drs. 17/3802, S. 19). Da es für die Frage der Unangemessenheit der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls ankommt und eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist, benennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nur beispielhaft und ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs vom 17.11.2010, BT-Drs. 17/3802, S. 18). Der Senat ist aufgrund der dargelegten Grundsätze der Auffassung, dass nicht jede gerichtliche Handlung und jeder Zeitraum, in dem keine nach außen dokumentierten Aktionen des Gerichts stattgefunden haben, im Einzelnen daraufhin überprüft werden müssen, ob hierin eine unangemessene Verzögerung lag oder ob hierin ein gerechtfertigter Zeitraum zur Entscheidungsfindung gesehen werden kann. Dies würde gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit des Richters verstoßen, da die Gewichtung der vielfältigen Verfahren in einem Dezernat und die Frage, wie und zu welchem Zeitpunkt ein konkretes Verfahren gefördert werden soll, grundsätzlich einem Entscheidungsspielraum des Richters unterliegt. Es ist vielmehr unter Berücksichtigung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls dahingehend vorzunehmen, ob es unangemessene Verzögerungen des Verfahrens gegeben hat, die in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Spruchkörpers fallen, wobei einzelne Abschnitte des Verfahrens in den Blick genommen werden können.

Mit § 198 Abs. 1 GVG ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar, noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 - BVerwG 5 C 23.12 D -, juris Rn. 28 ff.). Jedenfalls ist bei einer Betrachtung und Bewertung der dem jeweiligen Gericht obliegenden Verfahrenshandlungen eine Überlänge des gerichtlichen Verfahrens nicht jeweils bereits ab Entscheidungsreife zu bejahen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung benötigt, um dem rechtsstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes vorzunehmen. Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zugestandene Zeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer ex-ante-Sicht einschätzen durften. Bereits aus dem Wortlaut „unangemessen“ lang folgt, dass nicht die optimale oder „richtige“ Länge des Gerichtsverfahrens zu bestimmen ist, sondern eine solche, die den Rahmen des noch Angemessenen überschreitet (Niedersächsisches OVG, Gerichtsbescheid. v. 24.6.2016 - 21 F 1/16 -, juris Rn. 41). Die von der Klägerin angenommene pauschale Annahme eines Gestaltungszeitraums von ca. zehn Monaten ist für ein Verwaltungsstreitverfahren mithin verfehlt.

Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben erweist sich die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens von insgesamt mehr als 66 Monaten im vorliegenden konkreten Einzelfall als unangemessen. Die Verzögerung ist hinsichtlich eines Zeitraums von insgesamt 38 Monaten sachlich nicht mehr zu rechtfertigen.

1. Das Verfahren weist einen leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad auf. Auf der einen Seite ist zu berücksichtigen, dass insgesamt vier Termine zur mündlichen Verhandlung durchgeführt wurden, in denen unter anderem die zu begutachtenden Modelle in Augenschein genommen wurden und der Prüfer als Zeuge vernommen wurde. Es fand also eine vergleichsweise umfassende Sachverhaltsaufklärung mit Beweisaufnahme statt. Auf der anderen Seite ging es aber um die Anfechtung des Nichtbestehens einer zahnärztlichen Prüfung, also eine übliche Verfahrensmaterie, die keine besonderen Schwierigkeiten in der Sach- und Rechtslage mit sich bringt. Dies zeigt sich, jedenfalls indiziell, auch daran, dass das Verfahren mit Kammerbeschluss vom 14. August 2014 nach § 6 Abs. 1 VwGO auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen wurde. Hinzu kommt, dass parallel zum Klageverfahren ein Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz geführt wurde. Durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 2. Mai 2014 (Az. 6 B 594/14) sowie den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2014 (Az. 2 ME 235/14) wurden die entscheidungserheblichen rechtlichen Fragen bereits geklärt, weshalb im Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 26. Juni 2019 teilweise weitgehend auf die Beschlüsse verwiesen wird bzw. diese zitiert werden.

2. Die Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin ist als eher hoch einzuschätzen. Entscheidend ist dabei eine objektive, nicht aber die subjektive Beurteilung des jeweiligen Klägers, es kommt also auf den verständigen Betroffenen an (Niedersächsisches OVG, Gerichtsbescheid v. 24.6.2016 - 21 F 1/16 -, juris Rn. 46 m.w.N.). Für die Klägerin ging es, wie auch dem Verwaltungsgericht bewusst gewesen sein muss, um die Frage des endgültigen Nichtbestehens der zahnärztlichen Vorprüfung und damit zugleich um die Möglichkeit der Fortsetzung ihres Studiums insgesamt. Die Bedeutung für die Klägerin zeigt sich auch darin, dass sie versuchte, ihre Interessen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durchzusetzen. Die ablehnenden Beschlüsse führen aber nicht zu einer Minderung der Bedeutung des Hauptsacheverfahrens, zumal erst in diesem Verfahren die vorgebrachten Rügen durch Beweisaufnahme endgültig geklärt wurden. Auch aus Sicht eines verständigen Betroffenen liegt eine eher hohe Bedeutung des Verfahrens vor.

3. Das Verhalten der Verfahrensbeteiligten hat nur in sehr geringem Umfang zu einer relevanten Verzögerung des Rechtsstreits beigetragen. Die Klägerin nahm in der Regel kurzfristig und innerhalb der vom Gericht gesetzten Fristen Stellung und legte die angeforderte Unterlagen vor. Zwar begründete sie die Klage nicht innerhalb der angegebenen Frist, leitete aber stattdessen das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein. Im Rahmen dieses Verfahrens wurden bereits die wesentlichen Argumente ausgetauscht, so dass die fehlende Klagebegründung nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führte. Die nicht wahrgenommene Möglichkeit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2018 führte zu einer Verzögerung, da das Gericht innerhalb dieses Zeitraums nicht über die Sache entscheiden konnte. Insoweit wurde das Verfahren somit nicht vom Gericht unangemessen verzögert.

4. Unter Berücksichtigung der zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Gesichtspunkten angestellten Bewertungen und der gerichtlichen Gestaltungsfreiheit wurde das Verfahren zwischen Mitte August 2015 und Mitte Juni 2018 für 34 Monate sowie zwischen Mitte Februar 2019 und Ende Juni 2019 für vier Monate ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert. Es ist somit von einer noch angemessenen Verfahrensdauer von insgesamt 28 Monaten auszugehen.

Der Zeitraum bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge am 16. Januar 2018 ist dabei entgegen der Auffassung des Beklagten nicht außer Betracht zu lassen. Denn einen Zeitpunkt, zu dem die Rüge spätestens erhoben sein muss, legt das Gesetz nicht fest. Auf die Entschädigung bleibt ein Zuwarten deshalb grundsätzlich ohne Einfluss. Aus § 198 Abs. 3 GVG ergibt sich, dass der vor einer wirksam bei dem mit dem Verfahren befassten Gericht erhobenen Verzögerungsrüge verstrichene Zeitraum des Verfahrens vor diesem Gericht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer grundsätzlich zeitlich unbefristet einzustellen ist (BVerwG, Urt. v. 29.2.2016 - BVerwG 5 C 31.15 D -, juris Rn. 33 mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes; BGH, Urt. v. 26.11.2020 - III ZR 61/20 -, juris Rn. 23 ff.; Kissel/Meyer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 198 Rn. 20; a.A. für den Bereich der Finanzgerichtsbarkeit: BFH, Urt. v. 6.4.2016 - X K 1/15 -, juris Rn. 40 ff.). Die Geduld eines Verfahrensbeteiligten darf nicht bestraft werden, nur weil eine Verzögerungsrüge nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erhoben wurde (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs vom 17.11.2010, BT-Drs. 17/3802, S. 21). Ausnahmsweise kann eine verspätet erhobene Verzögerungsrüge aber bei der Angemessenheit der Verfahrensdauer oder bei der Frage, ob Wiedergutmachung auf andere Weise durch Feststellung der Überlänge gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreicht, berücksichtigt werden, wenn sich das Verhalten des Betroffenen bei Würdigung der Gesamtumstände als ein rechtsmissbräuchliches „Dulde und Liquidiere“ darstellt (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2020 - III ZR 61/20 -, juris Rn. 23; Begründung des Gesetzentwurfs vom 17.11.2010, BT-Drs. 17/3802, S. 21; Kissel/Meyer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 198 Rn. 20). Hinweise dafür, dass die Klägerin die Verzögerungsrüge bewusst verspätet erhob, um einen hohen Entschädigungsanspruch zu erlangen, liegen jedoch nicht vor. Vielmehr fragte sie, nachdem bereits zwei Verhandlungstermine im Frühjahr 2015 stattgefunden hatten, mit Schreiben vom 27. Januar 2017, 3. April 2017 und 11. Juli 2017 mehrfach an, wann mit einer Fortsetzung des Verfahrens zu rechnen sei. Nach der Anfrage des Gerichts vom 16. August 2017 im Hinblick auf die Verfügbarkeit der Prozessbevollmächtigten im September/Oktober 2017 konnte die Klägerin zunächst damit rechnen, das Verfahren werde vom Gericht weiter gefördert. Somit stellt sich die Verzögerungsrüge vom 16. Januar 2018 nicht als rechtsmissbräuchlich dar.

In dem Zeitraum bis Mitte August 2015 lässt sich - entgegen der Auffassung der Klägerin - eine unangemessene Verzögerung nicht feststellen. Zunächst ist unstreitig, dass von Klageerhebung am 6. Dezember 2013 bis zum Abschluss des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes am 11. Juli 2014 keine durch das Gericht veranlasste Verzögerung des Verfahrens eintrat, da zunächst das Eilverfahren abgewartet werden konnte. Auch wenn in der Folge, abgesehen von der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter am 14. August 2014, bis zum 31. März 2015 keine weiteren Verfahrenshandlungen vorgenommen wurden, erscheint dies nicht als unangemessen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin zunächst nicht die Möglichkeit wahrnahm, die Klage inhaltlich zu begründen und sich mit der Begründung der ablehnenden Beschlüsse im Eilverfahren auseinanderzusetzen. Auch wenn hierzu keine Obliegenheit besteht, erscheint es nicht unsachgerecht, dass das Gericht zunächst, auch ohne die Klägerin zur Begründung aufzufordern, abwartete, ob die Klägerin weitere Erklärungen im Prozess abgeben würde. Es ist trotz der Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin nicht als unangemessen anzusehen, dass das Gericht zunächst andere Verfahren förderte und in diesem Verfahren zunächst keine weiteren Schritte unternahm. Dies gehört zu dem Gestaltungsspielraum, der dem Gericht gegeben ist. Unter Berücksichtigung der richterlichen Unabhängigkeit erscheint es angesichts des bereits abgeschlossenen Eilverfahrens, der Bedeutung der Sache für die Klägerin und der Tatsache, dass diese nach den ablehnenden Beschlüssen im Eilverfahren nicht weiter Stellung nahm, nicht unangemessen, erst nach einem Zeitraum von gut acht Monaten das Verfahren weiter zu fördern, indem zur mündlichen Verhandlung geladen wurde. Dieser Zeitraum berücksichtigt einerseits das Warten darauf, ob die Klägerin noch Stellung nimmt, andererseits die Entscheidung darüber, in diesem Verfahren eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nachdem im zweiten mündlichen Verhandlungstermin am 15. Juni 2015 der vom Richter vorgeschlagene weitere Termin am 8. Juli 2015 von beiden Prozessbevollmächtigten wegen anderweitiger Gerichtstermine abgelehnt wurde, erfolgte zunächst zeitnah die Übersendung der vom Richter angeforderten Belege durch die Klägerin sowie eine weitere Stellungnahme der F., die der Klägerin lediglich zur Kenntnisnahme übersandt wurde. In den folgenden zwei Jahren erfolgten keine weiteren dokumentierten Handlungen durch das Gericht. Am 16. August 2017 verfügte der zuständige Richter Schreiben an die Beteiligten und fragte „vorsorglich“ wegen der Anberaumung eines Termins zur weiteren mündlichen Verhandlung für Ende September bzw. Oktober nach der Verfügbarkeit der Prozessbevollmächtigten. Zugleich wurde darauf verwiesen, dass die Verzögerungen unter anderem auf der „extrem angestiegenen Zahl von Eingängen aus dem Asylrecht“ beruhten. Hierauf antwortete der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 12. September 2017. Die nächste Handlung des Richters war sodann die Ladung zur weiteren mündlichen Verhandlung vom 11. Juni 2018. Angesichts der Tatsache, dass das Verfahren bei Durchführung der zweiten mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2015 bereits 18 Monate anhängig war und dass das Verfahren für die Klägerin eine große Bedeutung hatte, ist dieser Zeitraum von knapp drei Jahren, in denen das Verfahren nicht gefördert wurde, als unangemessen anzusehen. Dem Gericht kann nach Eingang des Bestellzettels durch die Klägerin und der Stellungnahme der F. vom 20. Juli 2015 durchaus noch ein Zeitraum von einigen Wochen bis Mitte August 2015 zugestanden werden, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Ein weiteres Zuwarten nach Ablauf dieses Zeitraums übersteigt hingegen den Gestaltungsspielraum des Richters. Der Gestaltungszeitraum trägt dem Umstand Rechnung, dass die Gestaltung des Verfahrens in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und diesem für die rechtliche Durchdringung des Streitstoffes, derer es für eine Förderung des Verfahrens bis hin zu einer Sachentscheidung bedarf, eine angemessene Zeit einzuräumen ist. Der Umfang des Gestaltungszeitraums ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit die Ex-ante-Sicht des mit dem Ausgangsverfahren befassten Gerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.8.2017 - BVerwG 5 A 2.17 D -, juris Rn. 34). Die Klägerin konnte angesichts der überdurchschnittlichen Bedeutung für sie und der lediglich leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeit die berechtigte Erwartung haben, ihr Verfahren werde nach der Durchführung von zwei Terminen zur mündlichen Verhandlung und nachdem das Verfahren zu diesem Zeitpunkt bereits 18 Monate anhängig war durch das Gericht weiter gefördert werden. Ein Nichtbetreiben des Verfahrens durch das Gericht für insgesamt 34 Monate war sachlich nicht gerechtfertigt. Die Verfügung des Richters vom 16. August 2017 unterbricht diesen Zeitraum nicht, da hiermit keine weitere Förderung des Verfahrens verbunden war. Der Richter wies vielmehr in erster Linie darauf hin, er habe durch eine Internet-Recherche den möglichen Zeugen H. ausfindig gemacht und plane eine weitere Terminierung im September/Oktober 2017, die jedoch nicht erfolgte. Eine solche Verfügung, aus der jedoch keine weiteren Schritte folgten, ist nicht geeignet, den Zeitraum der sachlich nicht gerechtfertigten Untätigkeit zu unterbrechen. Etwas anderes folgt nicht aus dem Vorbringen des Beklagten, durch die Ablehnung eines weiteren Termins am 8. Juli 2015 durch die Prozessbevollmächtigten sei eine weitere Verzögerung entstanden, da das Verwaltungsgericht Hannover am 15. Juli 2015 in ein neues Gebäude gezogen sei. Es ist bereits nicht ersichtlich, warum durch den Umzug des Gerichts eine relevante, wenige Tage übersteigende Verzögerung entstanden sein soll. Gleiches gilt für die Ermittlung des Zeugen H.. Aus der gerichtlichen Verfügung ergibt sich bereits nicht, dass es dem Richter - wie in der Klageerwiderung vom Beklagten vorgetragen - nur mit Mühe gelungen ist, die neue Praxis des Zeugen ausfindig zu machen. Wäre dies besonders zeitintensiv gewesen, wäre zudem zu erwarten gewesen, zunächst bei der F. - dem vormaligen Arbeitgeber des Zeugen - anzufragen. Dies erfolgte aber ausweislich der Verfahrensakte nicht. Ebenfalls ist nicht ersichtlich, warum eine Terminierung für Ende September/Oktober 2017 nicht mehr möglich gewesen sein soll, nur weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vom 2. Oktober 2017 bis 6. Oktober 2017 und vom 30. Oktober 2017 bis 3. November 2017 verhindert war. Es blieben somit im Oktober mehr als drei Wochen, in denen der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für eine mündliche Verhandlung grundsätzlich zur Verfügung gestanden hätte. Das weitere Vorbringen des Beklagten, ab Ende 2015 sei das Verwaltungsgericht und insbesondere die zuständige 6. Kammer stark durch asylrechtliche Verfahren belastet gewesen, führt ebenfalls nicht zu einer Rechtfertigung der Verfahrensverzögerung. Denn einerseits wäre es entweder Aufgabe des Präsidiums gewesen, die zuständige Kammer zu entlasten, oder - bei einer Überlastung des gesamten Gerichts - Aufgabe des Beklagten, zusätzliche Richter einzustellen. Derartige strukturelle Mängel muss sich, wie oben dargestellt, der Staat zurechnen lassen. Andererseits ging ein Großteil der Verfahren aus dem Bereich des Asylrechts deutlich später ein als das Verfahren der Klägerin, weshalb diesem schon deshalb eine höhere Priorität hätte beigemessen werden müssen. Zudem hatte eine zeitnahe Erledigung des Verfahrens der Klägerin für diese, wie oben dargestellt, eine große Bedeutung. Dies gilt in der Regel bei Verfahren aus dem Bereich des Asylrechts nicht in diesem Maße, da der Asylbewerber während der Dauer des Asylverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss eine Aufenthaltsgestattung bekommt (§§ 55 Abs. 1 Satz 1, 67 Abs. 1 AsylG), so dass er jedenfalls in diesem Zeitraum in der Bundesrepublik verbleiben kann. Gerade bei Verfahren von Asylbewerbern aus dem Irak, wie sie vom zuständigen Einzelrichter zu bearbeiten gewesen sind, wird die Abschiebungsandrohung in der Regel nicht nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG vor Abschluss des Klageverfahrens vollziehbar, da - wie gerichtsbekannt ist - die wenigsten Asylanträge von Irakern als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden. Somit verbleibt es für diesen Zeitraum von Mitte August 2015 bis Mitte Juni 2018 bei einer ungerechtfertigten Verzögerung des Verfahrens von 34 Monaten.

Es ist weiterhin zwischen den Beteiligten unstrittig, dass zwischen Mitte Juni 2018 und Mitte Oktober 2018 keine weitere Verzögerung des Verfahrens eintrat.

In der Folge geht der Senat von einer weiteren ungerechtfertigten Verzögerung des Verfahrens von vier Monaten aus. In der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2018 wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Frist von drei Wochen nach Erhalt des Protokolls der Sitzung eingeräumt, um zu der in der Sitzung stattgefundenen Beweisaufnahme Stellung zu nehmen; zugleich verzichteten die Beteiligten auf eine weitere mündliche Verhandlung. Auch wenn nicht nachvollziehbar ist, warum dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin das Protokoll der mündlichen Verhandlung erst nach rund sechs Wochen zugestellt wurde, liegt dies angesichts des Urlaubs des Einzelrichters und des Umfangs des Protokolls noch in einem Rahmen, der als gerechtfertigt angesehen werden kann. In der Folge nahm die Klägerin jedoch nicht mehr Stellung zu dem Protokoll, weshalb das Verfahren nach Ablauf der dreiwöchigen Frist zur Stellungnahme Ende November 2018 endgültig entscheidungsreif war. Es erscheint sachgerecht, dem Einzelrichter nach der letzten mündlichen Verhandlung, in der eine ausführliche Zeugenanhörung stattfand, und nach dem Verstreichen der Stellungnahmefrist weitere drei Monate zur Anfertigung des Urteils zuzugestehen. Angesichts der großen Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin, des Alters des Verfahrens - zu diesem Zeitpunkt war das Verfahren bereits fünf Jahre anhängig - sowie des nur leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrads hätte sich der Einzelrichter zu diesem Zeitpunkt nachhaltig um eine schnelle Entscheidung bemühen und das Verfahren innerhalb weniger Monate abschließen müssen. Insofern ist ein Zuwarten von sieben Monaten nicht mehr gerechtfertigt, vielmehr ist von einer weiteren ungerechtfertigten Verzögerung von Ende Februar bis Ende Juni 2019, mithin von vier Monaten, auszugehen.

Die Verfahrensdauer bleibt trotz des zügig durchgeführten Verfahrens über den Antrag auf Zulassung der Berufung vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht unangemessen. Zwar ist anerkannt, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer anhand der Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens von dessen Einleitung in der ersten Instanz bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss in der letzten Instanz zu ermitteln ist und somit eine Überlänge in einer Instanz durch eine entsprechend zügige Behandlung des Verfahrens in einer anderen Instanz (teilweise) kompensiert werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.2.2014 - BVerwG 5 C 1.13 D -, juris Rn. 12). Auch wenn der Antrag auf Zulassung der Berufung der beim Oberverwaltungsgericht am 17. Juli 2019 einging, in etwas weniger als einem halben Jahr - am 3. Januar 2020 - entschieden und somit vergleichsweise schnell bearbeitet wurde, so kann dies nicht die eingetretene Verfahrensverzögerung kompensieren. Denn auch unter Berücksichtigung des weiteren Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht bleibt es bei der Bewertung, dass eine Gesamtverfahrensdauer von mehr als sechs Jahren unangemessen ist und, wie oben dargestellt, 38 Monate der Verzögerung nicht gerechtfertigt werden können.

5. Durch die Verzögerung von 38 Monaten erlitt die Klägerin einen immateriellen Nachteil, der durch Entschädigung wiedergutzumachen ist.

Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Weder ist diese Vermutung vorliegend widerlegt noch eine Entschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ausgeschlossen. Danach entfällt eine Entschädigung, soweit nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles (BVerwG, Urt. v. 29.2.2016 - BVerwG 5 C 31.15 D -, juris Rn. 45; Niedersächsisches OVG, Gerichtsbescheid v. 24.6.2016 - 21 F 1/16 -, juris Rn. 63). Eine solche bloße Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist hier jedoch mit Blick auf den erheblichen Umfang der Verzögerung des vom Schwierigkeitsgrad leicht überdurchschnittlich gelagerten Falles und wegen der überdurchschnittlichen Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin nicht ausreichend.

Die Klägerin ist in Höhe von 3.800 EUR zu entschädigen. Die Bemessung des immateriellen Nachteils richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach ist der immaterielle Nachteil in der Regel in Höhe von 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Für Zeiträume unter einem Jahr lässt diese Regelung eine zeitanteilige, monatliche Berechnung zu (vgl. Niedersächsisches OVG, Gerichtsbescheid v. 24.6.2016 - 21 F 1/16 -, juris Rn. 65). Nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1.200 EUR nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Solche Umstände sind hier weder ersichtlich noch vorgetragen.

6. Der Zinsanspruch der Klägerin in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz bezogen auf den für den immateriellen Nachtteil zuerkannten Entschädigungsbetrag folgt aus § 291 Satz 1 i.V.m. § 188 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nach diesen auch im Verwaltungsprozess anwendbaren Vorschriften sind Prozesszinsen immer dann zu zahlen, wenn das einschlägige Fachrecht - so wie hier die §§ 198 ff. GVG - keine abweichende Regelung trifft und die Geldforderung - wie hier - eindeutig bestimmt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.2.2014 - BVerwG 5 C 1.13 D -, juris Rn. 46).

II. Die Klägerin hat daneben einen Anspruch auf Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG kann diese Feststellung - als Wiedergutmachung auf andere Weise - in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung trifft, ist in sein Ermessen („kann“) gestellt (BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 - BVerwG 5 C 23.12 D -, juris Rn. 63).

Zu der Frage, wann ein schwerwiegender Fall vorliegt, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. Juli 2013 (- BVerwG 5 C 23.12 D -, juris Rn. 66) ausgeführt:

„Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls ‚unter Würdigung der Gesamtumstände‘ zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff ‚schwerwiegend‘ bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).“

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, denen der Senat folgt, liegt ein schwerwiegender Fall vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung mehr als drei Jahre betrug und dem Verfahren für die Klägerin eine große Bedeutung zukam, da hiervon die Möglichkeit der Fortführung ihres Studiums abhing. Hinzu kommt im konkreten Einzelfall, dass die Klägerin, nachdem bereits zwei Mal mündlich verhandelt wurde, drei Jahre darauf warten musste, bis das Gericht das Verfahren weiter förderte. Selbst nach dem letzten Verhandlungstermin entstand eine weitere ungerechtfertigte Verzögerung, bis das Urteil ohne weitere mündliche Verhandlung zugestellt wurde. Dies zeigt, dass von einem schwerwiegenden Fall auszugehen ist.

Das hieraus folgende Ermessen, ob die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer neben dem Entschädigungsanspruch ausgesprochen wird, übt der Senat dahingehend aus, dass er diese Feststellung trifft. Vorliegend erscheint es dem Senat in Abwägung der Interessen angezeigt, über die Entschädigung für immaterielle Schäden hinaus die Feststellung zu treffen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Klägerin hat die Feststellung ausdrücklich beantragt und dadurch zu erkennen gegeben, dass sie auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung ihrer Rechte begreift (vgl. zu diesem Kriterium im Rahmen der Abwägung: BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 - BVerwG 5 C 23.12 D -, juris Rn. 69). Tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung des entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind nicht ersichtlich.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

V. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.