OLG Zweibrücken, Urteil vom 29.04.2021 - 4 U 179/20
Fundstelle
openJur 2021, 17704
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung der Verfügungsklägerinnen wird das Schlussurteil der 6. Zivilkamme

des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 18.09.2020, Az. 6 O 77/18, geändert und in der Urteilsformel die nachstehende Nummer 4 hinzugefügt: " 4. Die Verfügungsbeklagten haben die Kosten des Verfügungsverfahrens in allen Rechtszügen zu tragen."

II. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf einen Betrag in der Gebührenstufe bis

zu 110.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten seit 2015 im Wege von einstweiligen Verfügungs- und Hauptsacheverfahren über Ansprüche, deren sich die Verfügungsklägerinnen gegen die Verfügungsbeklagten wegen behaupteter und im Einzelnen streitiger Urheberrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Entwicklung und dem Vertrieb eines EDV-basierten Lagerführungssystems berühmen. In dem vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geht es um urheberrechtliche Besichtigung gemäß § 101a UrhG in einer Kombination von selbständigem Beweisverfahren und einstweiliger Verfügung nach dem sogenannten "Düsseldorfer Verfahren".

Wegen der Vorgeschichte und des Ablaufs des Verfahrens im Einzelnen wird auf das in dieser Sache ergangene Senatsurteil vom 27.06.2019 (4 U 145/18) Bezug genommen.

Das Erstgericht hat mit seinem - insoweit unangefochten gebliebenen - Schlussurteil vom 18.09.2020 über den Umfang der Zugänglichmachung von Sachverständigengutachten an die Verfügungsklägerinnen entschieden. Vom Erlass einer abschließenden Kostengrundentscheidung für das einstweilige Verfügungsverfahren hat die Zivilkammer dabei ausdrücklich Abstand genommen und sich hierfür auf Stimmen in Schrifttum und Rechtsprechung berufen.

Dagegen richtet sich das "Rechtsmittel" der Verfügungsklägerinnen mit dem Ziel der Auferlegung der Verfahrenskosten auf die Verfügungsbeklagten.

Demgegenüber verteidigen die Verfügungsbeklagten die von ihnen für zutreffend gehaltene Rechtsauffassung des Landgerichts, dass in dem vorliegenden Verfahren keine Kostenentscheidung zu treffen sei.

Auf die von den Parteien in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst den dazu vorgelegten Anlagen wird zur Ergänzung der Sachdarstellung Bezug genommen.

II.

Das "Rechtsmittel" ist als Berufung gegen die in Urteilsform ergangene Entscheidung zum Kostenpunkt aufzufassen, als solche verfahrensrechtlich bedenkenfrei und hat auch in der Sache Erfolg.

Die Verfügungsbeklagten haben gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens in allen Instanzen zu tragen. Das fogt aus dem für die Kostentragungspflicht maßgeblichen "Erfolgsprinzip", demzufolge die Kostenlast dem Erfolg der Parteien im Verfahren umgekehrt zu entsprechen hat.

Im Einzelnen gilt dazu Folgendes:

1. Der Berufung gegen das Unterlassen einer Kostengrundentscheidung in dem verfahrensbeendenden Urteil erster Instanz steht § 99 ZPO nicht entgegen. Denn das Rechtsmittel bezweckt keine Abänderung des Urteils allein im Kostenpunkt, sondern die Nachholung einer hierzu unterlassenen Entscheidung (BGH NJW 1959, 291). Deshalb greift § 99 Abs. 1 ZPO bereits nach dem Wortlaut nicht ein, da eine Kostenentscheidung fehlt, auf welche die Rechtsmittelsperre anwendbar sein könnte (MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, § 99 Rn. 4 m.w.N.).

Da das Erstgericht über die Kosten bewusst nicht entschieden hat, scheidet eine Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO aus. Vielmehr kommt nur eine Nachholung der Kostenentscheidung im Rechtsmittelzug in Betracht (BeckOK ZPO/Elzer, 39. Ed. 1.12.2020, § 321 Rn. 11).

2. Vorab ist festzuhalten, dass das Erstgericht über die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens in jedem Fall eine Entscheidung zu treffen hatte. Denn die Literaturmeinung, auf welche sich die Kammer beruft, spricht lediglich davon, dass "die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens ... gerichtliche Kosten des nachfolgenden Hauptsacheprozesses" seien, womit "sich die Kostentragungspflicht nach der dortigen Kostengrundentscheidung" richte (Schricker/Loewenheim/Wimmers, Urheberrecht, 6. Aufl. 2020, UrhG § 101a Rn. 40 a). Auch wenn man dem folgt, muss aber über die Kosten des auf Duldung gerichteten "begleitenden" Verfügungsverfahrens jedenfalls dann befunden werden, wenn die miteinander kombinierten Anordnungen auf Beweiserhebung und deren Duldung - wie vorliegend geschehen - von dem Gericht nicht getrennt, sondern in einem einheitlich geführten Verfahren getroffen wurden. Ansonsten fände der Verfahrensteil "Eilrechtsschutz", dessen

Gegenstand nicht deckungsgleich mit einem nachfolgenden Hauptsacheprozess über Urheberrechtsverletzung ist, keinen Abschluss im Kostenpunkt.

3. Umstritten ist, wer von den Beteiligten die Kosten des Verfügungsverfahrens zu tragen hat "für den Fall, dass das Gutachten (bezüglich der Verletzungsfrage) keine Klarheit gebracht hat" (Schricker/Loewenheim/Wimmers a.a.O; Fromm/Nordemann/Czychowski, Urheberrecht, 12. Aufl. 2018, UrhG § 101a Rn. 36).

aa. Einer Auffassung nach können dann dem Antragsgegner nicht die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, da die durch einstweilige Verfügung angeordnete Duldung die durch selbständige Beweisanordnung (§§ 485 ff ZPO) beschlossene Besichtigung nur begleite und die Kosten des Beweisverfahrens nur erstattet verlangt werden könnten, wenn der Antragsteller in einem nachfolgenden Verletzungsverfahren in der Hauptsache obsiege. Dies gelte selbst dann, wenn eine Urheberrechtsverletzung wahrscheinlich ist (Fromm/Nordemann/Czychowski a.a.O.; OLG München, Beschluss vom 12.01.2011 - 6 W 2399/10 -, juris).

bb. Nach anderer - von dem erkennenden Senat für zutreffend gehaltener - Auffassung kommt es allein darauf an, ob zum Zeitpunkt des Erlasses der Besichtigungsanordnung deren tatbestandliche Voraussetzungen, insbesondere eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Rechtsverletzung, vorlagen (Zöllner, GRUR-Prax 2010, 74 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.01.2006, - 11 W 21/05 -, juris).

Der von der Gegenmeinung als notwendig erachtete Schutz desjenigen, der "unschuldig" mit einem Besichtigungsverfahren überzogen werde (Fromm/Nordemann/Czychowski a.a.O.) kann nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung über § 101a Abs. 5 UrhG erfolgen. Der Besichtigungsanspruch des § 101a UrhG soll als effektives Mittel dem Rechteinhaber zur Verfügung stehen, der sich vergewissern möchte, ob eine bestimmte Sache unter Verletzung des geschützten Werks hergestellt worden ist (vgl. BGH GRUR 2002, 1047 - Faxkarte). Dabei räumt das Gesetz den Anspruch gerade demjenigen ein, der sich mit Hilfe der Besichtigung erst Gewissheit über das Vorliegen eines Anspruchs verschaffen will. Der Besichtigungsanspruch besteht also auch in Fällen, in denen ungewiss ist, ob eine Rechtsverletzung überhaupt vorliegt. Voraussetzung ist dafür lediglich, dass eine "gewisse Wahrscheinlichkeit" besteht, die allerdings nur einen im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Punkt darstellt (OLG Frankfurt a.a.O.). Eine nachträgliche "Entwertung" des Besichtigungsanspruchs durch eine ex-post-Betrachtung bei der Kostenentscheidung liefe zum einen den allgemeinen Grundsätzen der Kostentragung im einstweiligen Verfügungsverfahren zuwider, zum anderen - wegen der potentiell abschreckenden Wirkung des Kostenrisikos auf den Rechteinhaber - auch dem Grundgedanken des Art. 50 Abs.1b des TRIPS-Abkommens, wonach schnelle und wirksame Maßnahmen zur Verhinderung von Verletzungen des Rechts am geistigen Eigentum zu schaffen sind (entsprechend auch die Vorgaben der Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG; vgl. Schricker/Loewenheim/Wimmers a.a.O. UrhG § 101a Rn. 5). Einzige Voraussetzungen sollen danach (in Anlehnung an die englische "Anton-Piller-order" und die französische "saisie-contrefaçon") sein, dass der Rechteinhaber alle verfügbaren Beweismittel zur Begründung der Ansprüche vorgelegt hat und die Vorlage keine Geheimhaltungsinteressen der gegnerischen Partei verletzt (Eisenkolb, GRUR 2007, 387). Eine ex-post-Betrachtung bei der Kostenentscheidung würde demgegenüber die Gefahr begründen, dass die Effektivität des Besichtigungsanspruchs deutlich gemindert würde.

Soweit die Verfügungsbeklagten geltend machen, eine Kostenentscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erfasse systemwidrig auch die der Sache nach dem Verfahrensteil "selbständiges Beweisverfahren" zuzuordnenden Sachverständigenkosten, überzeugt dieses Argument im Ergebnis nicht. Diese Folge ist hinzunehmen wegen der besonderen Verfahrenskombination beim Immaterialgüterrechtsschutz nach dem "Düsseldorfer Verfahren", mit welcher die rechtlich geschützten Interessen der Verfahrensbeteiligten gewahrt werden sollen. Als Mittel der Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) im Verfügungsverfahren sind im Übrigen alle Beweismittel zugelassen, auch der Beweis durch Sachverständige (§§ 402 ff. ZPO).

3. Das Argument der Verfügungsbeklagten zu 2), gegen sie sei die einstweilige Verfügung auf Besichtigung ins Leere gegangen, da sie an der Kontrollstelle keine Geschäftsräume mehr unterhalten habe, ist kein tauglicher Einwand gegen ihre Belastung mit Verfahrenskosten. Denn hierauf kommt es für die vorliegend zu treffende Kostengrundentscheidung nicht an, weil Gegenstand des Besichtigungsverfahrens nach § 101a UrhG nicht die Frage ist, ob eine Rechtsverletzung nachweislich vorgelegen hat oder nicht. Das spätere Ergebnis der Besichtigung spielt im Rahmen des materiellen Anspruchs auf Durchführung einer Besichtigung keine Rolle. Das Beweisergebnis kann deshalb, wenn - was hier in Richtung auf die Verfügungsbeklagte zu 2) sehr wohl der Fall war - "ex ante" der hinreichende Verdacht einer Urheberrechtsverletzung bestand, später nicht im Wege einer "ex post"- Betrachtung aus Billigkeitserwägungen bei der Kostenentscheidung herangezogen werden (vgl. Zöllner a.a.O., S. 79). Andernfalls würde letztlich doch geprüft, ob materielles Urheberrecht tatsächlich verletzt war. Dies ist aber nicht Streitgegenstand des Anspruchs auf Vorlage und Besichtigung nach § 101a UrhG, auf welchen die im einstweiligen Verfügungsverfahren zu treffende Kostenentscheidung bezogen ist.

III.

Ein gesonderter Ausspruch über die Pflicht zur Tragung der Kosten des Berufungsverfahrens ist nicht veranlasst; deren Überbürdung auf die Verfügungsbeklagten wird in Ziffer I. der Urteilsformel zum Ausdruck gebracht. Den Streitwert für das Berufungsverfahren hat der Senat entsprechend den unwidersprochenen Angaben in der Rechtsmittelschrift (dort S. 4) zu den im Verfahren bis dahin ausgelösten gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten bemessen.

IV.

Da die Entscheidung ist nicht weiter angreifbar ist (§ 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO) bedarf es keines Ausspruchs zur Vollstreckbarkeit.