LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.03.2021 - 5 Sa 284/20
Fundstelle
openJur 2021, 17698
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 26. August 2020, Az. 5 Ca 40/20, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Jahresleistungsprämie.

Der 1970 geborene Kläger war vom 15.11.2004 bis zum 31.01.2020 bei der Beklagten, einem Reifenhersteller, als Wechselschichtarbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine Eigenkündigung des Klägers vom 08.10.2019 zum 31.01.2020. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die Tarifverträge der Kautschukindustrie für Hessen/Rheinland-Pfalz Anwendung. Der Manteltarifvertrag (MTV) regelt in § 13 Ziff. 5 eine Kündigungsfrist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats. Verlängerte Fristen gelten nur für Kündigungen durch den Arbeitgeber.

Im Tarifvertrag "Jahresleistungsprämie" für die Kautschukindustrie (TV-P) vom 11.02.2000 ist eine Sonderzahlung geregelt, die bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Bruttomonatsentgelt beträgt. Der TV-P lautet auszugsweise:

"§ 2 Berechtigung

1. Arbeitnehmer, die bis zum 30. September des laufenden Kalenderjahres eingetreten sind und am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis stehen, erhalten spätestens in der 1. Dezemberhälfte eine Jahresleistungsprämie.

2. Ausgenommen sind die Arbeitnehmer, die sich am Auszahlungstag in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befinden, es sei denn, das Arbeitsverhältnis ist betriebsbedingt gekündigt worden."

Die Beklagte zahlt der Belegschaft die Jahresleistungsprämie mit dem regulären Gehaltslauf für den Monat November des jeweiligen Kalenderjahres. Dem Kläger zahlte sie aufgrund seiner Eigenkündigung im Jahr 2019 keine Jahresleistungsprämie. Im Januar 2020 erhob er Klage.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 3.095,00 brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 26.08.2020 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Trier hat mit dem vorbezeichneten Urteil die Klage abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung der Jahresleistungsprämie 2019, weil der Tarifvertrag ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis am Auszahlungstag voraussetze. Die Stichtagsregelung in § 2 TV-P verstoße nicht gegen Art. 3 Abs.1 GG oder Art. 12 Abs. 1 GG. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 26.08.2020 Bezug genommen.

Gegen das am 01.09.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 01.10.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 30.10.2020 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Er macht geltend, das Arbeitsgericht sei fehlerhaft von einem "gekündigten" Arbeitsverhältnis ausgegangen. Es habe zwar eine Kündigung mit Wirkung zum 31.01.2020 erklärt, diese habe er jedoch vor "Ingangsetzung der eigentlichen" Kündigungsfrist mit Schreiben vom 08.10.2019 eingereicht. Er hätte fristgerecht erst am 03.01.2020 kündigen müssen, um das Arbeitsverhältnis zum 31.01.2020 zu beenden. In diesem Fall hätte er eine Jahresleistungsprämie für 2019 beanspruchen können. Es sei nicht ersichtlich, weshalb er wegen der früheren Abgabe der Kündigung schlechter gestellt werde. Mit der Jahresleistungsprämie solle - schon nach der Bezeichnung - die bereits geleistete Arbeit honoriert werden. Die Beklagte stelle nicht in Abrede, dass er im gesamten Jahr 2019 die geschuldete Arbeitsleistung erbracht habe. Nach Sinn und Zweck des § 2 TV-P reiche dieser Umstand für eine zu belohnende Betriebstreue aus. Bei der vorzunehmenden Gesamtschau sei die fehlende zukünftige Betriebstreue allein nicht maßgeblich, sie habe vielmehr hinter dem Leistungscharakter, der der Jahresleistungsprämie innewohne, zurückzutreten. Schließlich verstoße § 2 TV-P gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Tarifnorm definiere entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts keinen "Stichtag". Der Arbeitgeber habe nach § 2 TV-P die Option durch die einseitige Verschiebung des Auszahlungstags bestimmte Arbeitnehmer von der Zahlung einer Jahresleistungsprämie auszuschließen. Nach dem Wortlaut des § 2 Ziff. 1 TV-P sei die Zahlung der Jahresleistungsprämie mit Ablauf der ersten Dezemberhälfte, also mit Ablauf des 15.12. fällig. Zum Zeitraum der Erfüllbarkeit, also der Frage, ab wann der Schuldner zur Leistungserbringung berechtigt sei und der Gläubiger die Leistung annehmen müsse, enthalte der Tarifvertrag keine Regelung. Der Anspruch sei vom 01.01. bis zum 15.12. jeden Kalenderjahres erfüllbar, so dass lediglich ein Zeitraum von 14 Tagen verbleibe, in dem keine Erfüllbarkeit bestehe, in dem die Prämie mithin verdient werden könne. Die tarifvertragliche Regelung ermögliche es dem Arbeitgeber, die Arbeitnehmer ohne sachlichen Grund ungleich zu behandeln, weil er einseitig den Auszahlungstag verschieben könne. Dies zeige das Beispiel eines anderen Arbeitnehmers der Beklagten. Dieser habe sein Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.11.2019 gekündigt. Die Beklagte habe ihm die Jahresleistungsprämie 2019 mit dem Novemberentgelt gezahlt, der Betrag sei dessen Konto am 28.11.2019 gutgeschrieben und später vom Dezemberentgelt abgezogen worden. Das Verfahren (5 Ca 170/20) sei durch Abschluss eines Vergleichs erledigt worden. Nichtsdestotrotz zeige das Beispiel, dass die Beklagte ihre Arbeitnehmer ungleich behandeln könne. Die tarifliche Regelung verstoße ferner gegen Art. 12 Abs. 1 GG, denn sie schränke die berufliche Freiheit der Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung der grundgesetzlich gewährleisteten Tarifautonomie unverhältnismäßig ein. Der Arbeitgeber habe durch das Fehlen eines Stichtags die Möglichkeit, bestimmte Arbeitnehmer von der Zahlung einer Jahresleistungsprämie auszuschließen. Insbesondere sei für die Arbeitnehmer nicht nachvollziehbar, um welchen Stichtag es sich handeln solle. Das Arbeitsgericht habe auch verkannt, dass die tarifvertragliche Regelung gegen das Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit verstoße, weil kein Stichtag festgelegt worden sei. Den Arbeitnehmern sei aufgrund der Formulierung des § 2 TV-P nicht möglich, einen Stichtag zu ermitteln. Ein Arbeitnehmer, der eine Kündigung erklären wolle, könne sich nie sicher sein, ab welchem Zeitpunkt er eine Jahressonderzahlung noch erhalten könne. Diese Unsicherheit dürfe nicht akzeptiert werden.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 26.08.2020, Az. 5 Ca 40/20, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 3.095,00 brutto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Gründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO und erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine tarifliche Jahresleistungsprämie für das Jahr 2019.

Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag "Jahresleistungsprämie" für die Kautschukindustrie (TV-P) vom 11.02.2000 Anwendung. Dem Kläger steht wegen § 2 TV-P keine Sonderzahlung für das Jahr 2019 zu, weil das Arbeitsverhältnis aufgrund seiner Eigenkündigung vom 08.10.2019 am Auszahlungstag nicht ungekündigt bestand.

1. Entgegen der Ansicht der Berufung enthält § 2 TV-P eine Stichtagsregelung. Das Arbeitsverhältnis muss am "Auszahlungstag" bestehen. Die Auszahlung der Jahresleistungsprämie an die Mitarbeiter erfolgt im Betrieb der Beklagten mit dem regulären Gehaltslauf für November. Das Arbeitsentgelt ist nach allgemeinem Schuldrecht (§ 614 Satz 2 BGB) am Schluss jeden Monats zu zahlen. Die Jahresleistungsprämie war also im Betrieb der Beklagten am 1. Dezember eines jeden Jahres fällig. Nach § 2 Ziff. 1 TV-P ist die Jahresleistungsprämie spätestens in der ersten Dezemberhälfte auszuzahlen. Der maßgebliche Stichtag ist der "Auszahlungstag". Entgegen der Ansicht der Berufung verstößt es nicht gegen das Gebot der Normenklarheit und Bestimmtheit, das auch für tarifvertragliche Regelungen gilt, dass der "Auszahlungstag" nicht im TV-P konkret genannt ist. Tarifvertragsparteien haben bei der technischen Umsetzung der von ihnen verfolgten Zwecke regelmäßig einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl. BAG 11.04.2019 - 3 AZR 357/18 - Rn. 30 mwN). Der Auszahlungszeitpunkt ist im Betrieb der Beklagten mit dem regulären Gehaltslauf für den November festgelegt. Dies ist nach dem Tarifvertrag möglich, weil die Auszahlung spätestens in der ersten Dezemberhälfte erfolgen muss. Das tarifliche Regelungskonzept lässt es zu, den Auszahlungszeitpunkt, der nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG der Mitbestimmung unterliegt, im Betrieb festzulegen. Dagegen bestehen keine rechtlichen Bedenken. Entgegen der Ansicht der Berufung ist es den Arbeitnehmern möglich, einen Stichtag zu ermitteln. Es ist lebensfremd anzunehmen, dass die Belegschaft nicht weiß, wann die Jahresleistungsprämie im Betrieb der Beklagten gezahlt wird.

Die Erwägung der Berufung, die Beklagte könne den "Auszahlungstag" einseitig verschieben, um bestimmte Arbeitnehmer von der Zahlung einer Jahresleistungsprämie auszuschließen, entbehrt jeder Grundlage. Die von der Berufung gezogenen Schlüsse, der Anspruch sei vom 01.01. bis zum 15.12. jeden Kalenderjahres erfüllbar, so dass lediglich ein Zeitraum von 14 Tagen verbleibe, in dem keine Erfüllbarkeit bestehe, in dem die Prämie mithin verdient werden könne, sind nicht nachvollziehbar. Die tarifvertragliche Regelung ermöglicht es dem Arbeitgeber nicht, den Auszahlungstag zu Lasten bestimmter Arbeitnehmer zu verschieben. Aus dem von der Berufung aufgeführte Beispielsfall kann der Kläger nichts Gegenteiliges herleiten. Wenn der Arbeitskollege des Klägers kurzfristig vor dem Auszahlungstag am 27.11.2019 gekündigt hat, konnte die Überweisung der Jahresleistungsprämie nicht mehr gestoppt werden. Sollte die Gutschrift auf dem Konto am 28.11.2019 erfolgt sein, bestand ein Rückzahlungsanspruch, den die Beklagte geltend gemacht hat. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Berufung meint, dieses Beispiel verdeutliche eine Ungleichbehandlung, denn die Fälle sind nicht vergleichbar. Der Kläger hat bereits am 08.10.2019 gekündigt, so dass keine Überweisung veranlasst worden ist. Soweit der Kläger ausführt, der Beispielsfall sei durch einen Vergleich erledigt worden, übersieht er, dass die Beklagte auch ihm in erster Instanz einen Vergleich angeboten hat, den er nicht annehmen wollte.

Die Überlegung der Berufung, dass von keinem "gekündigten Arbeitsverhältnis" iSd. § 2 Ziff. 2 TV-P auszugehen sei, weil der Kläger die Kündigung vom 08.10.2019 vor "Ingangsetzung der eigentlichen Kündigungsfrist eingereicht" habe, ist abwegig. Der Kläger hat vor dem Auszahlungstag gekündigt. Dass er auch noch später hätte kündigen können, um das Arbeitsverhältnis zum 31.01.2020 zu beenden, ist unerheblich.

2. Die arbeitsvertraglich in Bezug genommene Regelung des § 2 TV-P verstößt entgegen der Ansicht der Berufung nicht gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 12 Abs. 1 GG. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

a) Die Stichtagsregelung des § 2 TV-P, die den Anspruch auf eine Jahresleistungsprämie an den ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses am Auszahlungstag knüpft, entspricht den Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung tarifvertraglicher Regelungen, die sich aus der Schutzpflichtfunktion von Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG ergeben.

aa) Die Tarifvertragsparteien sind nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden, wenn sie tarifliche Normen setzen. Allerdings begrenzt die Schutzpflichtdimension der Grundrechte die Gestaltungsmacht der Tarifvertragsparteien. Dementsprechend ist die Rechtsprechung dazu verpflichtet, solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen oder die unangemessene Beschränkung eines grundrechtlichen Freiheitsrechts zur Folge haben (vgl. BAG 03.07.2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 17, 18 mwN).

Tarifvertragsparteien steht als selbstständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie verfügen über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung. Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Verbände setzen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht (vgl. BAG 03.07.2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 19 mwN).

bb) Nach diesem Prüfungsmaßstab, dem auch die Berufungskammer folgt, hält sich die Stichtagsregelung des § 2 TV-P innerhalb der den Tarifvertragsparteien gesetzten Grenzen aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Sie knüpft den Anspruch auf die tarifvertragliche Sonderzahlung zulässigerweise an den ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses am Auszahlungstag.

(1) Die tarifvertragliche Regelung kann ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG Arbeitnehmer vom Anspruch auf eine Jahresleistungsprämie ausnehmen, die sich am Auszahlungstag in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befinden. Die Differenzierung ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt, die sich am Zweck der Stichtagsregelung orientieren.

Die im TV-P geregelte Jahresleistungsprämie soll sowohl erbrachte Arbeitsleistung vergüten als auch vergangene und zukünftige Betriebstreue belohnen. Der Zweck einer tariflichen Leistung ist im Weg der Auslegung der Tarifnorm zu ermitteln. Er ergibt sich insbesondere aus den in der Regelung selbst normierten Voraussetzungen sowie den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen, die die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben (vgl. BAG 03.07.2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 22 mwN).

Danach ist davon auszugehen, dass mit der tariflichen Jahresleistungsprämie einerseits die im Bezugszeitraum erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich vergütet werden soll. Das folgt aus § 3 Nr. 4 TV-P, wonach Teilzeitbeschäftigten der Anspruch nur pro rata temporis zusteht. Der Entgeltcharakter der Sonderzahlung kommt darüber hinaus in den Regelungen des § 3 Nr. 6, Nr. 7 und § 4 TV-P zum Ausdruck, nach denen ein zeitanteiliger Anspruch entsprechend der zurückgelegten Dauer des Arbeitsverhältnisses oder der Beschäftigung im jeweiligen Kalenderjahr besteht (vgl. BAG 03.07.2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 23 mwN). Andererseits belohnt die Jahresleistungsprämie auch in der Vergangenheit erbrachte Betriebstreue. Dies ergibt sich daraus, dass sich die Höhe der Leistung auch nach dem Eintrittszeitpunkt richtet. Wer erst im Vorjahr oder im laufenden Kalenderjahr eingetreten ist, erhält nach § 3 Nr. 6 TV-P nur eine prozentual gestaffelte Leistung je nach dem Eintrittsquartal. In den Genuss der vollen Jahresleistungsprämie kommen nur die Arbeitnehmer, die bereits im Vorjahr im Arbeitsverhältnis gestanden haben. Schließlich begründet die Jahresleistungsprämie einen Anreiz für zukünftige Betriebstreue. Sie erfordert nach der Regelung des § 2 TV-P den ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses am Auszahlungstag, es sei denn, das Arbeitsverhältnis ist (vom Arbeitgeber) betriebsbedingt gekündigt worden.

Angesichts des Zwecks der Jahresleistungsprämie, auch bereits geleistete und zukünftige Betriebstreue zu belohnen, ist die Differenzierung durch die Stichtagsregelung sachlich gerechtfertigt. Indem sie den ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses am Auszahlungstag verlangt. Das Erfordernis, dass die von der Jahresleistungsprämie begünstigten Arbeitnehmer auch darauf verzichten, das Arbeitsverhältnis im laufenden Kalenderjahr mit Wirkung zu einem späteren Zeitpunkt zu kündigen, orientiert sich an dem legitimen Interesse, zukünftige Betriebstreue zu belohnen. Der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien wird damit nicht überschritten (vgl. BAG 03.07.2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 25 mwN).

Der Kläger kann sich im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er sein Arbeitsverhältnis zu früh - "vor Ingangsetzung der eigentlichen Kündigungsfrist" - gekündigt habe. Die Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG verlangt nicht, im Tarifvertrag Ausnahmen von der Stichtagsregelung für Arbeitnehmer vorzusehen, die ihr Arbeitsverhältnis noch nach dem Auszahlungstag hätten kündigen können. Stichtagsregelungen sind "Typisierungen in der Zeit". Sie sind Ausdruck einer pauschalisierenden Betrachtung und aus Gründen der Praktikabilität - ungeachtet damit eventuell verbundener Härten im Einzelfall - zur Abgrenzung der begünstigten Personenkreise sachlich gerechtfertigt, wenn sich die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiert (vgl. BAG 03.07.2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 26 mwN). Diese Voraussetzung ist hier gewahrt. Tarifliche Jahressonderzahlungen werden typischerweise bereits mit dem Gehaltslauf November gewährt, damit sie dem Arbeitnehmer vor dem Weihnachtsfest zufließen.

(2) Die Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. 1 GG stehen der Stichtagsregelung des § 2 TV-P ebenfalls nicht entgegen. Auch insoweit ist der weite Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen. Er ist erst überschritten, wenn die Regelung die berufliche Freiheit der Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung der grundgesetzlich gewährleisteten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) und der daraus folgenden Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien unverhältnismäßig einschränkt (vgl. BAG 03.07.2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 27 mwN).

Stichtagsregelungen für Sonderzahlungen schränken die Berufsfreiheit ein. Art. 12 Abs. 1 GG garantiert die freie Wahl des Arbeitsplatzes und schützt den Entschluss, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen, ein Arbeitsverhältnis beizubehalten oder es aufzugeben. Diese Freiheit wird durch § 2 TV-P beeinträchtigt, weil mit der Regelung die selbstbestimmte Arbeitsplatzaufgabe des Arbeitnehmers verzögert oder verhindert werden soll. Der Anspruchsberechtigte muss sich am Auszahlungstag in ungekündigter Stellung befinden.

Der mit der Stichtagsregelung verbundene Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG ist sachlich gerechtfertigt. Die Tarifvertragsparteien haben den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Der Stichtagsregelung liegt das berechtigte Interesse der Arbeitgeber zugrunde, die Arbeitnehmer dazu anzuhalten, eine Eigenkündigung zu unterlassen oder jedenfalls aufzuschieben. Sie ist dazu geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Sie schafft einen Anreiz für Arbeitnehmer, von einer an sich zulässigen Kündigungsmöglichkeit keinen oder nur verzögerten Gebrauch zu machen. Die Stichtagsregelung ist auch erforderlich. Es ist kein anderes, gleich wirksames, aber die Berufsfreiheit des betroffenen Arbeitnehmers weniger einschränkendes Mittel ersichtlich, um ihn an der Arbeitsplatzaufgabe zu hindern. Die Einschränkung der Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ist angesichts des den Tarifvertragsparteien zustehenden - gegenüber einseitigen Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen erweiterten - Gestaltungsspielraums auch angemessen. Für Sonderzahlungen, die neben der Vergütung für die erbrachte Arbeitsleistung auch der Belohnung der erbrachten und der Förderung künftiger Betriebstreue dienen, hat das Bundesarbeitsgericht sowohl innerhalb als auch außerhalb des Bezugszeitraums liegende Stichtage als zulässig angesehen (vgl. BAG 03.07.2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 33 mwN).

Den Tarifvertragsparteien muss es überlassen bleiben, in eigener Verantwortung Vorteile in einer Hinsicht mit Zugeständnissen in anderer Hinsicht auszugleichen. Eine bestimmte Leistung des Arbeitgebers zu erhalten, kann es daher erforderlich machen, dass der Anspruch auf sie mit Einschränkungen verbunden wird, die Nachteile für einzelne Arbeitnehmer oder eine Gruppe von Arbeitnehmern mit sich bringen können. Vor allem im Bereich der Sonderzahlungen ist den Tarifvertragsparteien ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum eingeräumt. Bei der Festsetzung von Sonderzuwendungen handelt es sich nicht nur um einen Teilbereich der Entgeltregelungsbefugnis und damit um einen typischen Regelungsbereich der Tarifvertragsparteien. Die Sonderzuwendungen des Arbeitgebers und ihre Voraussetzungen müssen im Zusammenhang mit den Vergütungstarifen im Übrigen gesehen werden. Ein Vorteil im Entgeltsystem kann ein Zugeständnis im Bereich der Sonderzahlungen erforderlich machen. Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht den Tarifvertragsparteien auch in seiner Rechtsprechung zu Sonderzahlungen, insbesondere zu Bindungs- und Rückzahlungsregelungen, einen weiten Gestaltungsspielraum zugestanden (vgl. BAG 03.07.2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 34 mwN). Dieser ist hier nicht überschritten.

III.

Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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