VG München, Beschluss vom 06.02.2020 - M 7 K 19.1778
Fundstelle
openJur 2021, 17513
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre am ... April 2019 erhobene Klage gegen die Kostenrechnung des Polizeipräsidiums M. vom 7. März 2019.

Am ... Dezember 2018 wurde die Klägerin gegen 19:30 Uhr von Beamten der Polizeiinspektion ... M. (...) in Schutzgewahrsam genommen.

Laut Stellungnahme des PHM S., einem der handelnden Polizeibeamten, vom 9. Juni 2019 sei die Klägerin am ... Dezember 2018 gegen 19:30 Uhr im ... Garten angetroffen worden. Zuvor sei ein telefonischer Notruf einer Spaziergängerin über eine hilflose Person eingegangen. Die Klägerin sei auf einer Parkbank gesessen. Es sei dunkel, die Wiese nass und laut Thermometer des Streifewagens -0,5 bis 0 Grad kalt gewesen. Die Klägerin sei stark alkoholisiert, ihre Kleidung größtenteils feucht und vereinzelt nass gewesen. Die Klägerin habe eine für diese Temperaturen zu dünne Jacke angehabt. Ein normales Gespräch sei auf Grund der alkoholbedingten Ausfallerscheinungen nicht möglich gewesen. Die Klägerin habe sich nur schwer artikulieren können. Sie habe weder Namen noch Adresse nennen können. Zur Feststellung der Identität habe die Handtasche der Klägerin durchsucht werden müssen. Als das mitgeführte Mobiltelefon der Klägerin geklingelt habe, habe diese das Gespräch auf Grund der motorischen Schwierigkeiten nicht annehmen können. Ohne Hilfe habe die Klägerin weder Stehen noch Gehen können. Diese habe ständig gestützt werden müssen. Selbst das aufrechte Sitzen sei ohne fremde Hilfe nicht möglich gewesen. Auf Grund dieser Umstände habe die Klägerin nicht im ... Garten belassen werden können und sei daher in Schutzgewahrsam genommen worden. Auf der Polizeiinspektion habe nach einem langen Gespräch in Erfahrung gebracht werden können, dass die Klägerin eine Tochter habe. Um den Gewahrsam so kurz wie möglich zu halten, sei die Tochter der Klägerin telefonisch informiert worden. Diese habe die Klägerin gegen 22:00 Uhr abgeholt.

Mit Schreiben vom 24. Januar 2019 teilte das Polizeipräsidium M. der Klägerin mit, dass beabsichtigt werde, dieser die Kosten für die Gewahrsamnahme infolge Trunkenheit in Rechnung zu stellen.

Mit Leistungsbescheid (Kostenrechnung) vom 7. März 2019 stellte das Polizeipräsidium M. der Klägerin 60,- EUR (Gebühr für die Gewahrsamnahme) gemäß Art. 1, 2, 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a, Art. 6, 10 Abs. 1 Nr. 1, 5 Kostengesetz, Tarif-Nr. 2.II.5/4 in Rechnung.

Hiergegen hat die Betreuerin der Klägerin, eine Rechtsanwältin, am ... April 2019 Klage erhoben und zugleich beantragt,

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe bewilligt und die Unterfertigte beigeordnet.

Der Beklagte trägt vor, die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG hätten bei der Gewahrsamnahme der Klägerin vorgelegen. Diese habe sich beim Eintreffen der Polizeibeamten in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand und in hilfloser Lage befunden. Die Klägerin sei daher zur Abwendung einer nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegenden zu erwartenden gesundheitlichen Gefährdung in Schutzgewahrsam genommen worden. Die Gewahrsamnahme sei zum Schutz der Gesundheit bzw. des Lebens der Klägerin erforderlich gewesen. Gründe, die gegen die Gewahrsamnahme hätten sprechen können, seien nicht ersichtlich gewesen. Die Gewahrsamnahme habe auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen. Die Gebührenerhebung widerspreche nicht dem Grundsatz der Billigkeit. Da die Gewahrsamnahme im Interesse der Klägerin erfolgt sei, sei diese gemäß Art. 2 Abs. 1 KG als Kostenschuldnerin heranzuziehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg.

Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die auf die hinreichende Erfolgsaussicht gerichtete rechtliche Prüfung ist nur eine summarische Prüfung. Denn die Prüfung der Erfolgsaussicht dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Prozesskostenhilfeverfahren vorzuverlagern, das den Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen will (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 3). Die Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht dürfen nicht überspannt werden. Der Erfolg muss nicht gewiss sein. Es genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die bereits gegeben ist, wenn ein Obsiegen ebenso ungewiss ist wie ein Unterliegen. Allerdings genügt eine nur entfernte, eine nur theoretische Wahrscheinlichkeit nicht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. Rn. 26).

Bei Beachtung dieser Grundsätze war der Antrag der Klägerin auf Prozesskostenhilfe abzulehnen, da nach summarischer Prüfung für ihre Klage diesbezüglich sowohl im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 7.7.2015 - 10 C 14.726 - juris Rn. 3) als auch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

Der Leistungsbescheid vom 7. März 2019 dürfte rechtmäßig sein und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Erhebung der Gebühren i.H.v. 60,- EUR in Zusammenhang mit der Gewahrsamnahme vom 29. Dezember 2018 gemäß Art. 1, 2, 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a, Art. 6, 10 Abs. 1 Nr. 1, 5 Kostengesetz, Tarif-Nr. 2.II.5/4 dürfte rechtmäßig sein.

Nach Art. 1 Satz 1 KG erheben die Behörden des Staates für Tätigkeiten, die sie in Ausübung hoheitlicher Gewalt vornehmen (Amtshandlungen), Kosten (Gebühren und Auslagen) nach den Vorschriften dieses Abschnitts. Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 KG werden grundsätzlich Kosten nicht erhoben für Amtshandlungen, die von der Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 2 des Polizeiaufgabengesetzes vorgenommen werden, soweit nichts anderes bestimmt ist. Gemäß Art. 10 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a KG sind Amtshandlungen kostenpflichtig, soweit diese beantragt oder sonst veranlasst sind und nicht überwiegend im öffentlichen Interesse vorgenommen werden.

Vorliegend war die Anordnung des Schutzgewahrsams gegenüber der Kläger durch diese veranlasst und zudem nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse geboten, sodass die Amtshandlung vorliegend kostenpflichtig i.S.v. Art. 10 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a KG ist.

Soweit aus dem Rechtsstaatsprinzip bzw. Art. 16 Abs. 5 KG folgt, dass Kosten nur für rechtmäßige Polizeimaßnahmen erhoben werden (vgl. BayVGH, U.v. 17.4.2008 - 10 B 08.449 - juris Rn. 12), dürfte dies vorliegend nicht zur Kostenfreiheit der polizeilichen Maßnahme führen. Denn die Anordnung des Schutzgewahrsams gegenüber der Klägerin am ... Dezember 2018 gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG dürfte rechtmäßig sein.

Nach Art. 17 Abs. 1 Nr. PAG kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet.

Erforderlich ist eine Gefahr für Leib oder Leben des Betroffenen, wobei die Gefahr konkret, aber nicht gegenwärtig sein muss, da die Polizei mit der Ingewahrsamnahme nicht warten muss, bis die Gefahr sich zu realisieren beginnt. Eine Gefahr für Leib oder Leben liegt vor, wenn aus der exante-Sicht bei Nichteingreifen mit dem Tod oder der Verletzung der körperlichen oder geistigen Unversehrtheit oder der Gesundheit gerechnet werden muss (vgl. Grünewald in BeckOK PolR Bayern, 11. Ed. 10.11.2019, PAG Art. 17 Rn. 17).

Ausweislich der in der Behördenakte befindlichen Stellungnahme des handelnden Polizeibeamten PHM S. war die Klägerin am ... Dezember 2019 gegen 19:30 Uhr im ... Garten bei einer Temperatur von -0,5 bis 0 Grad mit größtenteils feuchter und vereinzelt nasser Kleidung angetroffen worden. Zudem sei ein normales Gespräch sei auf Grund der alkoholbedingten Ausfallerscheinungen nicht möglich gewesen, da sich die Klägerin nur schwer habe artikulieren und weder Namen noch Adresse habe benennen können. Des Weiteren habe die Klägerin ohne Hilfe weder Stehen noch Gehen können und ständig gestützt werden müssen. Ausweislich des in der Behördenakte befindlichen Protokolls "Maßnahme Alkohol-/Drogentest" (Blatt 10 d. Behördenakte) ergab ein bei der Klägerin am ... Dezember 2018 um 20:06 durchgeführter Atemalkoholmessung-Vortest eine Atemalkoholkonzentration von 0,94mg/l, was 1,88 Promille entspricht (vgl. § 24a Abs. 1 StVO). Auf Grund der äußeren Witterungsverhältnisse (-0,5 bis 0 Grad) sowie der Verfassung der Klägerin (feuchte/nasse Kleidung, 1,88 Promille) durften die handelnden Polizeibeamten somit vertretbar davon ausgehen, dass ohne ein Eingreifen eine Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Klägerin besteht.

Die Anordnung des Schutzgewahrsams war auch ermessensfehlerfrei i.S.v. Art. 5 PAG, § 114 Satz 1 VwGO und insbesondere verhältnismäßig i.S.v. Art. 4 PAG.

Die Inanspruchnahme der Klägerin als Kostenschuldnerin ist nicht zu beanstanden. Denn bei dem sog. Schutzgewahrsam gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG handelt es sich um eine Rettungsmaßnahme, die bezweckt, den Betroffenen - ungeachtet der Ursache - vor einer konkreten Gefahr für Leben oder Gesundheit zu bewahren (vgl. Grünewald in BeckOK PolR Bayern, 11. Ed. 10.11.2019, PAG Art. 17 Rn. 17). Er stellt sich damit als Maßnahme dar, die im überwiegenden Interesse des von der polizeilichen Maßnahme Betroffenen erfolgt. Ein überwiegendes öffentliches Interesse, wie es Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 Satz 2 lit. a KG über den Ausschluss einer Kostenerhebung für die polizeiliche Amtshandlung verlangt, besteht an der Maßnahme des Schutzgewahrsams nicht (vgl. VG München, U.v. 14.10.2015 - M 7 K 15.2370 - juris Rn. 15 m.w.N.).

Die Höhe der in dem Bescheid vom 7. März 2019 geltend gemachten Kosten ist ebenfalls nicht zu beanstanden (vgl. BayVGH, B.v. 11 Mai 2015 - 10 C 14.2739 - juris Rn 6). Sie umfassen lediglich die Regelgebühr für den Gewahrsam in Höhe von 60,- EUR, die auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 Buchst. a), Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und 3, 10 Abs. 1 Nr. 1, 5 KG i.V.m. Tarif-Nr. 2.II.5/4 Kostenverzeichnis erhoben werden kann.

Nach alledem liegen aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten der Klage die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vor. Der Antrag war daher abzulehnen.

Der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO war insgesamt abzulehnen. Denn soweit der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen war, war diesbezüglich bereits deshalb auch der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (vgl. BVerwG, U.v. 4.11.1976 - V C 1/75 - juris Rn. 18, 24).