Bayerisches LSG, Urteil vom 12.12.2019 - L 7 AS 755/17
Fundstelle
openJur 2021, 17445
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 27. September 2017 abgeändert und der Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 7.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.4.2016 verurteilt, der Klägerin für Dezember 2014 SGB II-Leistungen von insgesamt 552,84 € und für Januar 2015 von 525,44 € zu bewilligen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Der Beklagte trägt 1/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Wege eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X höhere SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1.12.2014 bis 31.5.2015, insbesondere ohne Anrechnung von Trinkgeldern und unter Anerkennung höherer Kosten der Unterkunft und Heizung.

Die 1977 geb. Klägerin lebt allein. Die 1998, 2001 und 2006 geb. Töchter leben nicht bei der Klägerin. Die jüngste Tochter lebt bei ihrem Vater. Die Klägerin nahm ein begleitetes Umgangsrecht außer Haus wahr. Die Entfernung gab die Klägerin mit 17 km an. Hierfür werden ihr vom Beklagten die Fahrtkosten erstattet in Höhe von 3,40 € (17 km x 0,1 € x 2). Das Umgangsrecht nahm die Klägerin im streitigen Zeitraum am 13.12.2014, 3.1. und 24.1. und am 7.3.2015 wahr. Die Kosten für die damalige 80 qm große 4-Zimmer-Wohnung in S-Stadt - zwischenzeitlich ist die Klägerin nach A-Stadt zu ihrem Lebensgefährten gezogenbetrugen monatlich insgesamt 410 € (325 € Grundmiete, 35 € Nebenkosten, 35 € Heizkosten, 15 € Garage). Bereits mit Schreiben vom 4.6.2014 wurde die Klägerin zur Kostensenkung aufgefordert. Es wurde angekündigt, ab 1.12.2014 nur noch die angemessenen Unterkunftskosten von 321,20 € zuzüglich der Heizkosten zu übernehmen. Der Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung betrug nach dem vorgelegten Kontoauszug vom 8.5.2015 monatlich 48,54 €. Ferner entrichtete die Klägerin einen Beitrag von 5 € monatlich für die geförderte Altersvorsorge (Riestervertrag). Sie erzielte ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit von 50 € brutto gleich netto monatlich, das im Folgemonat ausgezahlt wurde sowie Trinkgeld in Höhe von 25 € monatlich. Nach eigenen Angaben der Klägerin betrugen die Fahrtkosten zur Arbeit monatlich 33,48 €. Ab 1.1.2015 wurde der Arbeitsvertrag abgeändert und das Einkommen auf 144,50 € erhöht. Gemäß der Einkommensbescheinigung des Arbeitgebers wurden tatsächlich monatlich 147,31 € brutto gleich netto gezahlt. Angegeben wurde dabei vom Arbeitgeber, dass das Gehalt am Ende des laufenden Monats ausgezahlt wird. Demgegenüber ergibt sich aus den vorgelegten Kontoauszügen eine Überweisung von 50 € am 2.1.2015 und eine Gutschrift von 147,31 € am 2.2.2015. Die Klägerin erhielt letztmals am 4.5.2015 ihr Gehalt von 147,31 € überwiesen. Ab Mai übte sie keine Beschäftigung mehr aus. Ferner bezog die Klägerin Arbeitslosengeld I von monatlich 290,10 €, zuletzt im Mai 96,70 €; der Arbeitslosengeld I-Bezug endete am 10.5.2015.

Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 23.10.2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin zuletzt (Bewilligungsbescheid vom 7.11.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 1.12.2014, 5.2.2015 und 8.4.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.5.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.5.2015 und des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 26.6.2015) für Dezember 2014 516,96 €, Januar 2015 386,91 €, Februar 2015 422,36 €, März 2015 425,76 €, April 2015 422,36 € und Mai 2015 1.112,01 €.

Am 7.9.2015 stellte die Bevollmächtigte der Klägerin einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X, da die Klägerin Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung habe und die Trinkgelder als Erwerbseinkommen und nicht als sonstiges Einkommen zu berücksichtigen und somit 25 € monatlich nachzuzahlen seien.

Mit Überprüfungsbescheid vom 7.12.2015 wurde dem Überprüfungsantrag teilweise stattgegeben und insoweit ein Änderungsbescheid vom 7.12.2015 erlassen. Bewilligt wurden für Dezember 2014 531,96 €, Januar 2015 406,91 €, Februar 2015 442,36 €, März 2015 445,76 €, April 2015 442,36 € und Mai 2015 1.127,01 €. Die Bevollmächtigte der Klägerin legte mit Schriftsatz vom 8.1.2016 gegen den Änderungsbescheid vom 7.12.2015 Widerspruch ein. Die Kosten der Unterkunft und Heizung seien in tatsächlicher Höhe zu übernehmen. Wegen der bevorstehenden Übernachtungen der Tochter T. sei der Klägerin ein Umzug nicht zumutbar und auch nicht wirtschaftlich sinnvoll. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.4.2016 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Eine Rückführung der Tochter T. stehe nicht bevor. Übernachtungen fänden nicht statt, da der Kindsvater damit nicht einverstanden sei.

Dagegen erhob die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 11.5.2016 Klage zum Sozialgericht Landshut. Das Trinkgeld sei nicht als Einkommen anzurechnen. Dies sei unbillig gemäß § 11a Abs. 5 SGB II. Entsprechend dem Beschluss des Amtsgerichts vom 28.4.2015 seien ab 2015/2016 Übernachtungen der Tochter geplant gewesen, ein Umzug daher unwirtschaftlich. Dass die damals geplanten Übernachtungen nicht stattgefunden hätten, liege daran, dass der Kindsvater eine neue Lebensgefährtin hatte und einen weiteren Umgang ab Ende 2015 nicht zugelassen habe. Dennoch habe ein erhöhter Raumbedarf bestanden.

Mit Urteil vom 27.9.2017 wurde die Klage als unbegründet abgewiesen. Ein Anspruch auf höhere Kosten der Unterkunft und Heizung als bewilligt bestehe nicht. Das Trinkgeld sei als Einnahme nach § 11 Abs. 1 SGB II anzurechnen. Dies sei nicht grob unbillig. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 5 SGB II seien nicht erfüllt. Die Berufung wurde im Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Die Bevollmächtigte der Klägerin legte mit Schriftsatz vom 30.10.2017 Berufung beim Bay. Landessozialgericht ein. Die Berücksichtigung der Trinkgeldeinnahmen sei grob unbillig. In Anlehnung an die Rechtsprechung zu Motivationszuwendungen sei bei Beträgen bis zu 60 € nicht davon auszugehen, dass die Lage des Leistungsberechtigten hierdurch so günstig beeinflusst werde, dass SGB II-Leistungen daneben nicht gerechtfertigt wären. Die Kosten der Unterkunft und Heizung seien in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen. Den 6-Monatszeitraum habe der Beklagte ohne Grund nicht ausgeschöpft. Im Übrigen sei der Klägerin ein Umzug nicht zumutbar gewesen, da Übernachtungen der Tochter zum Jahreswechsel geplant gewesen seien.

Die Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 27.9.2017 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 7.12.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 7.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.4.2016 zu verurteilen, der Klägerin SGB II-Leistungen in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 1.12.2014 bis 31.5.2015 zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143,144, 151 SGG) ist im tenorierten Umfang begründet.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 7.12.2015 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 7.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.4.2016, mit dem die Bewilligung höherer SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1.12.2014 bis 31.5.2015, als zuletzt mit Bescheid vom 7.12.2015 bewilligt, abgelehnt wurde. Statthafte Klageart ist zuletzt die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG, gerichtet auf die Gewährung höherer SGB II-Leistungen als mit Teilabhilfebescheid vom 7.12.2015 bewilligt wurden.

Die Klägerin hat im Dezember 2014 Anspruch auf SGB II-Leistungen in Höhe von insgesamt 552,84 €, §§ 9, 11, 11b, 19, 20, 21 Abs. 6, § 22 SGB II. Bewilligt waren zuletzt 531,96 €, so dass sich der Auszahlungsanspruch auf die Differenz von 20,88 € beschränkt.

Der Bedarf der Klägerin setzt sich aus dem Regelbedarf von 391 €, dem Mehrbedarf wegen Ausübung des Umgangsrechts von 3,40 € und den tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung von 395 € zusammen, insgesamt 789,40 €. Tatsächliche, höhere Fahrtkosten werden von der Klägerin nicht geltend gemacht. Eine (temporäre) Bedarfsgemeinschaft mit der Tochter T. besteht nicht. Diese wohnte im streitigen Zeitraum ausschließlich bei ihrem Vater. Auch aus der Umgangsvereinbarung vom 28.4.2015 ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tochter zumindest zeitweise bei der Klägerin wohnt. In Ziffer 5 der Vereinbarung wurden erste Übernachtungen bei der Klägerin erst zum Jahreswechsel 2015/2016 angestrebt. Diese Vereinbarung wurde nachfolgend zu keinem Zeitpunkt tatsächlich umgesetzt. Im Dezember nahm die Klägerin nachweislich nur einen Termin zur Ausübung des Umgangsrechts wahr. Die hierfür anfallenden Kosten von 3,40 € sind gemäß § 21 Abs. 6 SGB II zu übernehmen. Weitere Mehrbedarfe macht die Klägerin nicht geltend und sind auch sonst nicht ersichtlich. Die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II betragen 395 €. Die Kosten für die Garage sind keine Wohnkosten. Sie sind daher grundsätzlich nicht als Bedarf anzuerkennen (vgl. BSG vom 7.11.2006, B 7b AS 10/06 R, Rn 28). Für eine ausnahmsweise Übernahme der Kosten ergeben sich aus dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte. Diesbezüglich wurde auch nichts vorgetragen. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nicht angemessen sind, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es dem Leistungsberechtigten nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Eine Kostensenkung vor Ablauf von sechs Monaten ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht ausgeschlossen, erfordert jedoch als Ausnahme vom Regelfall die Ausübung von Ermessen. Mit der Kostensenkungsaufforderung vom 4.6.2014 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ab 1.12.2014 nur noch die angemessenen Unterkunftskosten von 321,20 € zuzüglich der Heizkosten zu übernehmen. Zum 30.11.2014 war der 6-Monats-Zeitraum noch nicht abgelaufen. Der Kostensenkungsaufforderung sind keine Ermessenserwägungen für die Verkürzung des Regelzeitraums zu entnehmen. Daher sind als Bedarf für Dezember noch die tatsächlichen Aufwendungen von 395 € anzuerkennen.

Dem Bedarf im Dezember 2014 steht nach §§ 11, 11b SGB II i.V.m. §§ 2, 4 und 6 Alg II-V ein anzurechnendes Einkommen von 236,56 € gegenüber.

Trinkgeldeinnahmen sind Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden Fassung. Danach sind alle Einnahmen in Geld als Einkommen zu berücksichtigen abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen. Den Gesetzesmaterialien zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BT-Drs. 15/1516, S. 53, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber den Einkommensbegriff wählte, der im Wesentlichen dem des Sozialhilferechts entspricht. Nach § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sind bei der Berechnung der Einkünfte in Geld oder Geldeswert, die nach § 82 Abs. 1 SGB XII zum Einkommen gehören, alle Einnahmen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft und Rechtsnatur sowie ohne Rücksicht darauf, ob sie zu den Einkunftsarten im Sinne des Einkommensteuergesetzes gehören und ob sie der Steuerpflicht unterliegen, zugrunde zu legen.

Demnach sind auch Trinkgeldeinnahmen, die nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG und § 3 Nr. 51 EStG ohne betragsmäßige Beschränkung steuerfrei sind, Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 1 SGB II (vgl. juris-PK, § 11 Rn 39).

Die bedarfsmindernde Berücksichtigung von Trinkgeldeinnahmen ist nicht nach § 11a Abs. 5 SGB II ausgeschlossen. Nach § 11a Abs. 5 SGB II sind Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit ihre Berücksichtigung grob unbillig wäre (Nr. 1) oder sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären (Nr. 2).

Nummer 1 dieser Vorschrift erfasst Fälle, bei denen eine Berücksichtigung des zugewendeten Betrages ohne Rücksicht auf die Höhe der Zuwendung nicht akzeptabel wäre und die Zuwendung erkennbar nicht auch zur Deckung des physischen Existenzminimums verwendet werden soll, wie z.B. Soforthilfen bei Katastrophen, gesellschaftliche Preise zur Ehrung von Zivilcourage (vgl. Gesetzesbegründung zum Gesetzentwurf zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 17/3404, S. 94 und 95). Ein vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor. Der Trinkgeldgeber honoriert im Einzelfall die Art und Weise der Erbringung einer Serviceleistung. Es ist Ausdruck der Zufriedenheit mit der Qualität der Dienstleistung. Eine darüberhinausgehende Vorstellung oder gar Erwartungshaltung, wie der Empfänger das Trinkgeld verwenden soll, ist damit nicht verbunden. Dass das Trinkgeld zur Bestreitung des Lebensunterhalts eingesetzt wird, ist angesichts des allgemein bekannten niedrigen Gehaltsniveaus, z.B. im Gastronomiegewerbe, eine naheliegende Möglichkeit, die vom Trinkgeldgeber nicht weiter in Frage gestellt oder sonstwie beeinflusst wird.

Nummer 2 dieser Vorschrift betrifft Zuwendungen, die üblich und auch gesellschaftlich akzeptiert sind und die Lage des Leistungsberechtigten nur unmaßgeblich beeinflusst, wie z.B. ein geringfügiges monatliches Taschengeld der Großeltern. Auch diesbezüglich liegt kein vergleichbarer Fall vor. Es fehlt an einer entsprechenden Nähebeziehung zwischen Trinkgeldgeber und Leistungsempfänger. Zu beachten ist dabei auch die Wertung, die der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V getroffen hat. Danach hat der Gesetzgeber die Bagatellgrenze bei 10 € gezogen, bis zu der Einkommen unbeachtlich sein soll. Eine Analogie zu den Zuwendungen der freiwilligen Wohlfahrtspflege zu ziehen, bei denen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Zuwendungen in etwa bis zu 60 € unschädlich sind, ist nicht zulässig. Hierfür fehlt es schon an einer planwidrigen Gesetzeslücke. Wären die Zuwendungen Dritter nach § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II gleich zu behandeln mit Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege nach § 11a Abs. 4 SGB II hätte es keiner weiteren Differenzierung durch Bildung einer gesonderten Fallgruppe bedurft. Es ist davon auszugehen, dass die Träger der freien Wohlfahrtspflege nicht zuletzt wegen ihrer besonderen Aufgabenwahrnehmung gegenüber sonstigen Dritten Zuwendungsgebern gezielt privilegiert werden sollten. Nicht zuletzt ist auch der Charakter von Trinkgeldeinnahmen zu berücksichtigen. Sie sind als Einkommen aus abhängiger Beschäftigung zu qualifizieren. Der Gesetzgeber hat in § 11b SGB II abschließend geregelt, in welcher Höhe Erwerbseinkommen bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist. Für eine weitere Privilegierung besteht kein Anlass.

Die Höhe des anzurechnenden Einkommens richtet sich nach § 11b SGB II i.V.m. §§ 2, 4 Alg II-V, § 14 SGB IV. Nach § 2 Abs. 1 Alg II-V ist bei der Berechnung des Einkommens aus nichtselbständiger Tätigkeit (§ 14 SGB IV) von den Bruttoeinnahmen auszugehen. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Bei Trinkgeldeinnahmen handelt es sich um Einkommen aus abhängiger Beschäftigung und nicht um sonstiges Einkommen. Es ist zwar nicht Bestandteil des vom Arbeitgeber gezahlten Gehalts, ist aber ohne die Beschäftigung nicht erzielbar und daher so eng mit der Einkommenserzielung verknüpft, dass es als Einkommen aus abhängiger Beschäftigung zu qualifizieren ist (vgl. BFH vom 19.7.1963, VI 73/62 U; BSG vom 31.3.2015, B 12 R 1/13 R, Rn 24 und 26).

Trinkgeldeinnahmen bleiben nicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV i.V.m. § 3 Nr. 51 EStG bei der Berechnung des Einkommens aus abhängiger Beschäftigung im Rahmen des SGB II unberücksichtigt. Nach § 1 Abs. 1 SGB IV sind die Vorschriften des SGB IV auf das SGB II nicht anwendbar. Die SvEV dient gemäß § 17 SGB IV der Wahrung der Belange der Sozialversicherung und der Arbeitsförderung, der Förderung der betrieblichen Altersversorgung oder der Vereinfachung des Beitragseinzugs. Die Arbeitslosengeld II-Verordnung dagegen beruht auf § 13 SGB II und ist im Bereich der Grundsicherung als abschließende Regelung anzusehen. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, welche Einnahmen unberücksichtigt bleiben dürfen. § 2 Alg II-V beschränkt sich auf die Inbezugnahme des § 14 SGB IV. Die Geltung der Sozialversicherungsentgeltverordnung wurde dagegen nicht angeordnet. Eine planwidrige Gesetzeslücke liegt insoweit nicht vor. Auch in § 1 Alg II-V findet sich keine Regelung zu Trinkgeldeinnahmen. Dies zeigt insgesamt, dass der Gesetzgeber eine weitere Privilegierung oder einen Gleichklang mit dem sozialversicherungsrechtlichen Beitragsrecht oder Steuerrecht gerade nicht gewollt hat.

Das Einkommen aus abhängiger Beschäftigung beträgt brutto 75 € (50 € plus 25 € Trinkgeld), nach Abzug des Grundfreibetrags von 100 € ist kein Einkommen aus abhängiger Beschäftigung anzurechnen.

Das Arbeitslosengeld I von 290,10 € ist als sonstiges Einkommen zu bereinigen mit dem Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 48,54 € und zur Riesterrente von 5 €. Ein weiterer Abzug durch Berücksichtigung der nicht verbrauchten Versicherungspauschale ist nicht zulässig (vgl. BSG vom 5.6.2014, B 4 AS 49/13 R, Rn 19 und 21). Bedarfsmindernd anzurechnen ist somit ein Betrag von 236,56 €.

Die Klägerin hat im Januar 2015 Anspruch auf SGB II-Leistungen in Höhe von insgesamt 525,44 €, §§ 9, 11, 11b, 19, 20, 21 Abs. 6, § 22 SGB II. Bewilligt waren zuletzt 406,91 €, so dass sich der Auszahlungsanspruch auf die Differenz von 118,53 € beschränkt.

Der Bedarf der Klägerin setzt sich aus dem Regelbedarf von 399 €, dem Mehrbedarf wegen Ausübung des Umgangsrechts an nachweislich zwei Terminen im Januar von 6,80 € und den angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung von 356,20 € zusammen, das sind insgesamt 762 €.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gehören zu den Kosten für Unterkunft und Heizung die tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind.

Zur Festlegung der abstrakt angemessenen Leistungen für die Unterkunft ist zunächst die angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche örtliche Vergleichsraum zu ermitteln. Angemessen ist eine Wohnung nur dann, wenn sie nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist, wobei es genügt, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, angemessen ist (vgl. BSG vom 16.6.2015, B 4 AS 44/14 R, Rn 13). Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für die Unterkunft hat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. zuletzt BSG vom 30.1.2019, B 14 AS 24/18 R, Rn 19 und 20) in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst ist die abstrakt angemessene Bruttokaltmiete zu ermitteln; dann ist die konkrete (= subjektive) Angemessenheit dieser Aufwendungen im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit der notwendigen Einsparungen, einschließlich eines Umzugs, zu prüfen. Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der Produkttheorie ("Wohnungsgröße in Quadratmeter multipliziert mit dem Quadratmeterpreis") in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen. Dabei ist zunächst die (abstrakt) angemessenen Wohnungsgröße für die leistungsberechtigte(n) Person(en) und der angemessene Wohnungsstandard zu bestimmen, sodann die aufzuwendende Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept unter Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten zu ermitteln.

Die abstrakt zu ermittelnde Wohnungsgröße hat nach den landesrechtlichen Durchführungsbestimmungen zu § 10 WoFG zu erfolgen (vgl. BSG vom 7.11.2006, B 7b AS 18/06 R, Rn 19). Nach Nummer 22 der Bay. Wohnraumförderungsbestimmungen 2012 vom 11.1.2012 (AllMBl 2012, S. 20) beträgt die angemessene Wohnungsgröße für einen Einpersonenhaushalt bis zu 50 qm. Demgegenüber ist die 4-Zimmer-Wohnung der Klägerin 80 qm groß. Die Bruttokaltmiete beträgt 360 €. Hinzu kommt der monatliche Abschlag für Heizung von 35 €. Der Beklagte hat kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Referenzmiete im Landkreis B. erstellt. Ein solches kann auch nachträglich nicht mehr erarbeitet werden. Der Beklagte verfügt über keine Daten, die noch ausgewertet, noch ist ersichtlich, auf welche sonstige Weise solche beschafft werden könnten. Eine rückwirkende Datenerhebung ist allein wegen des Zeitablaufs ohne unverhältnismäßigem Aufwand nicht mehr möglich. Die Amtsermittlungspflicht der Tatsacheninstanzen ist insoweit begrenzt. Keinesfalls ist das Gericht verpflichtet, anstelle des Grundsicherungsträgers ein schlüssiges Konzept zu erstellen. Auch der Senat geht daher von einem Erkenntnisausfall aus. Im Falle eines Erkenntnisausfalls zur Ermittlung der angemessenen Referenzmiete sind grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese werden wiederum durch die Tabellenwerte zu § 12 WoGG im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (vgl. BSG vom 12.12.2013, B 4 AS 87/12 R, Rn 25; BSG vom 7.5.2009, B 14 AS 14/08 R).

Im vorliegenden Fall ist der Wohnort der Klägerin als Teil des Landkreises B. der Mietenstufe I gemäß der Anlage zu § 1 Abs. 3 der Wohngeldverordnung zuzuordnen. Gemäß § 12 WoGG ergibt sich hieraus eine Angemessenheitsgrenze von 292 € zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10%, das sind 321,20 €, zuzüglich der Heizkosten. Demgegenüber ist die Wohnung der Klägerin zu groß und mit einer Bruttokaltmiete von 360 € zu teuer.

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass aufgrund des Umgangs mit der Tochter konkret höhere Unterkunftskosten anzuerkennen sind als abstrakt angemessen und ein Umzug in eine kleinere Wohnung unzumutbar ist, § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Dabei kann nach der Rechtsprechung des BSG ein zusätzlicher Wohnraumbedarf von vornherein nur in Betracht kommen, wenn der Ort des persönlichen Umgangs die Wohnung des Umgangsberechtigten ist (vgl. BSG vom 29.8.2019, B 14 AS 43/18 R, Rn 33). Daran fehlt es hier. Im streitigen Bewilligungszeitraum übernachtete die Tochter kein einziges Mal bei der Klägerin. Das Umgangsrecht wurde ausschließlich außerhalb der Wohnung der Klägerin ausgeübt. Gemäß der Umgangsvereinbarung vom 28.4.2015 hatte die Klägerin ab 16.5.2015 im zweiwöchigen Turnus, jeweils samstags, ein Recht auf begleiteten Umgang für die nächsten sechs Termine (davon 2 Termine mit 4 h Stunden, dann 6 h und schließlich 8 h). Nach diesen 6 Terminen war ein unbegleiteter ganztägiger Umgang vereinbart. Etwa zum Jahreswechsel 2015/2016 waren Übernachtungen angestrebt. Es handelt sich hierbei um eine bloße Absichtserklärung. Diese Vereinbarung kam nachfolgend nie zur Umsetzung. Angesichts dieser Umstände des Einzelfalls war ein zusätzlicher Wohnraumbedarf nicht anzuerkennen und ein Umzug nicht allein wegen des Umgangs unzumutbar. Ohnehin ist die Klägerin zwischenzeitlich zu ihrem neuen Lebenspartner umgezogen.

Mit der Kostensenkungsaufforderung vom 4.6.2014 unter Hinweis auf die nach Auffassung des Beklagten angemessene Mietobergrenze von 321,20 € plus Heizkosten hatte die Klägerin die erforderliche Kenntnis der Obliegenheit zur Senkung der Kosten der Unterkunft. Zum 1.1.2015 war der Regelzeitraum von sechs Monaten abgelaufen. Bis dahin hatte die Klägerin keinerlei Bemühungen zur Kostensenkung unternommen.

Dem Bedarf im Januar 2015 steht nach §§ 11, 11b SGB II i.V.m. §§ 2, 4 und 6 Alg II-V ein anzurechnendes Einkommen von 236,56 € gegenüber. Anders als der Beklagte angenommen hat, ist der Klägerin Einkommen aus abhängiger Beschäftigung nur in Höhe von 75 € zugeflossen sowie das Arbeitslosengeld I von 290,10 €. Das gemäß der Einkommensbescheinigung vereinbarte (höhere) Erwerbseinkommen von 147,31 € ist der Klägerin entgegen den Angaben des Arbeitgebers erst im Folgemonat zugeflossen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aufgrund der vorgelegten Kontoauszüge. Danach sind im Januar 2015 lediglich 50 € vom Arbeitgeber überwiesen worden. Im Mai sind nochmals 147,31 € auf dem Konto der Klägerin eingegangen, obwohl sie in diesem Monat nicht mehr arbeitete. Auch dies spricht für einen Zugang jeweils im Folgemonat. Hieraus ergibt sich im Ergebnis wie im Dezember ein anzurechnendes Einkommen von 236,56 €.

Im Februar 2015 hat die Klägerin keinen höheren Anspruch auf SGB II-Leistungen, als vom Beklagten zuletzt in Höhe von 442,36 € bewilligt und ausgezahlt worden war. Der Bedarf betrug 755,20 €. Ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II war nicht zu berücksichtigen. Ein Umgang fand in diesem Monat nicht statt. Dem Bedarf stand ein anzurechnendes Einkommen von 315,60 € gegenüber. Die Klägerin erzielte Einkommen aus abhängiger Beschäftigung von brutto gleich netto 172,31 € (147,31 € plus 25 € Trinkgeld), das um den Grund- und Erwerbstätigenfreibetrag von insgesamt 114,46 € zu bereinigen war. Die geltend gemachten Absetzbeträge betrugen insgesamt 132,35 € (30 € Versicherungspauschale, 15,33 € Werbekostenpauschale, 33,48 € Fahrtkosten, 48,54 € Kfz-Haftpflichtversicherung, 5 € Riesterrente). Die den Grundfreibetrag übersteigenden 32,35 € sind vom Arbeitslosengeld I noch abzuziehen, so dass 257,75 € anzurechnen sind sowie 57,85 € aus abhängiger Beschäftigung.

Im März 2015 hat die Klägerin Anspruch auf 443 €. Bewilligt waren zuletzt 445,76 €. Ein weiterer Nachzahlungsanspruch ergibt sich somit nicht. Der Bedarf betrug 758,60 € incl. Mehrbedarf von 3,40 € für die Wahrnehmung eines nachgewiesenen Umgangstermins. Bedarfsmindernd zu berücksichtigen war ein Einkommen von 315,60 € wie im Februar.

Der Anspruch im April 2015 beträgt wie im Februar 2015 439,60 €. Bewilligt waren 442,36 €. Auf die dortigen Berechnungen wird Bezug genommen.

Im Mai 2015 hat die Klägerin Anspruch auf 1.037,46 €. Bewilligt waren 1.127,01 €, so dass sich hieraus kein weiterer Auszahlungsanspruch ergibt. Der Bedarf betrug unter Berücksichtigung der bereits vom Beklagten übernommenen, im Mai fälligen Nebenkostennachzahlungsforderung von 384,46 € insgesamt 1.139,66 €. Anzurechnen war ein Einkommen in Höhe von 102,20 €. Die Klägerin war im Mai nicht mehr tätig und erzielte somit kein Trinkgeld mehr. Zugeflossen sind noch 147,31 € sowie Arbeitslosengeld I in Höhe von 96,70 €. Vom Einkommen aus abhängiger Beschäftigung sind ein Grund- und Erwerbstätigenfreibetrag von 109,46 € abzuziehen, vom sonstigen Einkommen ein Betrag von 32,35 €.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit der Klage weitere Leistungen in Höhe von 472,80 € geltend machte, jedoch nur hinsichtlich eines Betrages von 139,41 € erfolgreich war.

Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben. Insbesondere hat die Angelegenheit keine grundsätzliche Bedeutung. Weder stehen bei der Klägerin weitere Bewilligungszeiträume wegen der Erzielung von Trinkgeldeinnahmen im Streit, noch ist ersichtlich oder sonst dargelegt, dass die Rechtsfrage über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung hätte.

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