AG Coburg, Endurteil vom 16.01.2020 - 17 C 2207/19
Fundstelle
openJur 2021, 17187
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 415,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.07.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 415,40 € festgesetzt.

Tatbestand

Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin war Eigentümerin des Fahrzeugs Ford Mondeo mit dem amtlichen Kennzeichen .... Das Fahrzeug wurde am 31.07.2017 bei einen Verkehrsunfall, der durch das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... verursacht worden ist, beschädigt.

Der Unfallhergang und die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten sind zwischen den Parteien unstreitig.

Mit Schreiben vom Unfalltag, dem 31.01.2017, hat die Beklagte gegenüber der Klägerin ihre Haftung für die unfallbedingten Schäden dem Grunde nach bestätigt.

Bei der Klägerin handelt es sich unstreitig um ein führendes Leasingunternehmen, welches häufig mit der Abwicklung von Schadensfällen befasst ist und auch geschäftsgewandt ist.

Mit Schreiben vom 16.10.2017 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten ihre Schadensersatzansprüche unter Übergabe der entsprechenden Schadensbelege geltend. Mittels dieses Schreibens wurden die netto Reparaturkosten, netto Gutachterkosten, die Wertminderung, Mietwagenkosten und die allgemeine Auslagenpauschale, insgesamt 6.048,93 € geltend gemacht. Die Abrechnung der Reparaturkosten erfolgte fiktiv auf Basis eines von der Klägerin eingeholten Sachverständigengutachtens.

Auf das Schreiben der Klägerin antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 24.10.2017, wo bereits eine Abrechnung der Gutachterkosten und der Kostenpauschale erfolgte. Dabei wurden seitens der Beklagten bereits Kürzungen vorgenommen. Von den geltend gemachten Gutachterkosten in Höhe von 964,30 € wurden lediglich 630,25 € zur Auszahlung gebracht. Dabei teilte die Beklagte mit, dass das Honorar nach Auffassung der Beklagten einerseits den erforderlichen Aufwand zur Schadensbeseitigung übersteige und andererseits gegen die Pflicht zur Schadensminderung verstoße. Hinsichtlich der Kosten für einen Mietwagen unter Nutzungsausfall bat die Beklagte in dem Schreiben um die Vorlage weiterer Unterlagen. Betreffende die Position der Reparaturkosten teilte die Beklagte mit, dass sie die eingereichten Unterlagen prüfe und unaufgefordert auf die Klägerin zukommen werde.

Mit Schreiben vom 14.11.2017 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine Regulierung der Schadensersatzposition "Fahrzeugscheiben" derzeit nicht möglich sei. Es müsse eine Prüfung vorgenommen werden, ob das Gutachten als Regulierungsgrundlage herangezogen werden könne. Nach den der Beklagten vorliegenden Informationen gebe das vorgelegte Gutachten den Schaden nicht korrekt wieder. Die Beklagte forderte daher die Klägerin auf, eine Besichtigung des beschädigten Fahrzeugs und ggf. auch eine Gegenüberstellung der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge durch einen Sachverständigen der Beklagten vornehmen zu lassen. In diesem Schreiben wies die Beklagte die Klägerin weiter darauf hin, dass eine Beweisvereitelung z.B. durch Weigerung des Geschädigten oder Veräußerung oder Reparatur des Fahrzeugs vor der Besichtigung zu Lasten des Geschädigten gehen würde. Eine Verweigerung der Nachbesichtigung würde dazu führen, dass auf Grund eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB jede Ansprüche aus dem Schadensfall verwirkt wären.

Die Beklagte beauftragte die ... mit der Nachbesichtigung des verunfallten Fahrzeugs der Klägerin. In der Folge bat die Beklagte die Klägerin mehrfach schriftlich um eine Nachbesichtigung des betroffenen Fahrzeugs, auch die beauftragte ... setzte sich diesbezüglich mehrfach mit der Klägerin in Verbindung.

Mit Schreiben vom 24.01.2019 zeigten sich die Klägervertreter für die Klägerin gegenüber der Beklagten an und machten die weitergehenden Ansprüche geltend. Ferner teilten die Klägervertreter in diesem Schreiben der Beklagten mit, dass ein Recht auf Nachbesichtigung des Fahrzeugs nicht bestehen würde.

Mit Schreiben vom 31.05.2019 rechnete die Beklagte die übrigen von der Klägerin geltend gemachten Schadenspositionen ab. Die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren wurden mittels dieses Schreibens abgelehnt.

Mit Schreiben vom 19.06.2019 baten die Klägervertreter die Beklagte um Ausgleich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Mit Schreiben vom 13.07.2019 lehnte die Beklagte die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten erneut ab.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass aufgrund des Umstandes, dass die Beklagte nach dem Schreiben vom 24.10.2017 bzw. 14.11.2017 keine weitere Regulierung vornahm, das Erfordernis einer weiteren Mahnung entfallen sei. Die Klägerin sei daher spätestens zu diesem Zeitpunktberechtigt gewesen sich juristischen Beistand zu holen.

Ferner vertritt die Klägerin die Auffassung, dass aufgrund des Umstandes, das die Beklagte die Regulierung von der Besichtigung des Fahrzeuges abhängig machte, spätestens zu diesem Zeitpunkt die Beauftragung eines Rechtsanwaltes gerechtfertigt gewesen sei. Auf eine solche Besichtigung habe der Versicherer nämlich grundsätzlich keinen Anspruch.

Die Klägerin beantragt daher:

Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 415,40 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 14.07.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass ein Verzug der Beklagte nicht eingetreten ist. Unstreitig wurde keine Mahnung versandt. Aus anderen Gesichtspunkten sei Verzug ebenfalls nicht eingetreten. Für die Klägerin sei die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur Geltendmachung ihrer unfallbedingten Ansprüche nicht erforderlich gewesen. Die Beklagte hätte die Regulierung nicht verzögert. Zudem läge auch kein schwierig gelagerter Schadensfall vor. Dies wurde insbesondere dadurch deutlich, dass die Beklagte bereits mit Schreiben vom Unfalltag gegenüber der Klägerin ihre Haftung für die unfallbedingten Schäden im Grunde nach bestätigt hat und die Klägerin als geschäftsbewandtes Leasingunternehmen häufig mit Schadensfällen und deren Abwicklung befasst ist. Entsprechend habe die Klägerin ihre Schadensersatzansprüche auch zunächst selbst gegenüber der Beklagten geltend gemacht.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen.

Gründe

Gemäß § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.

Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten nach dem Verkehrsunfall vom 31.01.2017, bei welchem das klägerische Fahrzeug Ford Mondeo ... durch ein bei der Beklagten pflichtversichertes Fahrzeug beschädigt wurde, kein Anspruch auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten aus Verzug gem. §§ 280 Abs. 2, 286 BGB zu.

Die Beklagte befand sich zum Zeitpunkt der Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht im Verzug.

Die Klägerin mahnte die Beklagte zu keiner Zeit an. Auch greift kein Ausnahmetatbestand des § 286 Abs. 2 BGB.

Demgemäß konnten die Kosten der Klägerin nur nach § 249 BGB erstattet werden.

Insoweit wird die Auffassung vertreten, dass Leasing- und Mietwagenunternehmen grundsätzlich Anwaltskosten nur als Verzugsschaden geltend machen können (Jahnke in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, zu § 249 BGB, Rn. 306). Hiernach würde ein Anspruch nach § 249 BGB schon von vorherein ausscheiden.

Der Klägerin steht jedoch ein Anspruch auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten als unfallbedingte Schadensposition gemäß §§ 115 VVG, 7 Abs. 1 StVG, 249 ff. BGB zu.

Gemäß § 249 BGB ist Schadensersatz in Art und Umfang nur im Hinblick auf den erforderlichen Geldbetrag gerechtfertigt. Die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin war vorliegend erforderlich.

Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Auch dabei ist gemäß dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten zu nehmen. An die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. Ist die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe derart klar, dass aus Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde, so wird es grundsätzlich nicht erforderlich sein, schon für die erstmalige Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Schädiger oder dessen Versicherer einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. In derart einfach gelagerten Fällen kann der Geschädigte grundsätzlich den Schaden selbst geltend machen, so dass sich die sofortige Einschaltung eines Rechtsanwalts nur unter besonderen Voraussetzungen als erforderlich erweisen kann, etwa wenn der Geschädigte aus Mangel an geschäftlicher Gewandtheit oder sonstigen Gründen wie Krankheit oder Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Schaden selbst anzumelden. (vgl. BGH (VI. Zivilsenat), Urteil vom 29.10.2019 - BGH Aktenzeichen VI ZR 45/19, BeckRS 2019, 30178 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen kann sich eine etwaige Geschäftsgewandtheit des Geschädigten - insbesondere Sach- und Fachkenntnisse im Zusammenhang mit der Abwicklung vergleichbarer Schadensfälle - (nur) in zweierlei Hinsicht auswirken: Erstens bei der Beurteilung, ob aus Sicht des entsprechend qualifizierten Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde. Zweitens hat der Geschädigte, wenn es sich nach den genannten Kriterien um einen derart einfachen, aus seiner Sicht zweifelsfreien Fall handelt, sein Wissen bei der erstmaligen Geltendmachung des Schadens einzusetzen, darf also die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts (zunächst) nicht für erforderlich erachten. Handelt es sich hingegen nicht um einen einfach gelagerten Fall, ist der Geschädigte, gleich ob Privatperson, Behörde oder Unternehmen, ungeachtet etwaiger Erfahrungen und Fachkenntnisse zur eigenen Mühewaltung bei der Schadensabwicklung nicht verpflichtet. Demnach kann es auch einem mit Schadensabwicklungen vertrauten Unternehmen nicht verwehrt werden, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, sofern nicht zweifelsfrei ist, dass und inwieweit der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners den Schaden regulieren wird. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts, also die Sicht ex ante. (vgl. BHG a.a.O.)

Inzwischen wird in der Rechtsprechung der unteren Instanzgerichte überwiegend die Auffassung geteilt, dass die schadensrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall darstellt. (vgl. BHG a.a.O. m.w.N.)

Dabei wird darauf abgestellt, dass bei einem Fahrzeugschaden die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition in Rechtsprechung und Lehre seit Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wird, die umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rechtsprechung hierzu nach wie vor fortentwickelt wird und dementsprechend zwischen den Geschädigten und den in der Regel hoch spezialisierten Rechtsabteilungen der Haftpflichtversicherer nicht selten um einzelne Beträge bis in die letzte Gerichtsinstanz gestritten wird.

Bei Unklarheiten im Hinblick jedenfalls auf die Höhe der Ersatzpflicht, wie sie typischerweise bei Fahrzeugschäden nach einem Verkehrsunfall bestehen, darf aber auch und gerade der mit der Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen vertraute Geschädigte vernünftige-Zweifel daran haben, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird. Dass der erfahrene Geschädigte durchaus in der Lage sein wird, den Unfallhergang zu schildern und - ggf. unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens - die aus seiner Sicht zu ersetzenden Schadenspositionen zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit des Haftungsgrundes nicht zu einem einfach gelagerten und schließt deshalb die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht aus. (vgl. BHG a.a.o.).

Vorliegend hat zwar die Beklagte unverzüglich ihre Haftung dem Grunde nach gegenüber der Klägerin erklärt und letztlich auch den vollständigen von der Klägerin begehrten Schaden ersetzt. Jedoch stand die Höhe des zu erstattenden Schadens zeitweise in Zweifel. Die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin war daher erforderlich.

Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO.