LAG Düsseldorf, Beschluss vom 30.03.2021 - 4 Ta 55/21
Fundstelle
openJur 2021, 17004
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 5 Ga 18/20

1. Der von § 48 Abs. 1 GKG iVm. § 6 ZPO starr vorgegebene Gebührenstreitwert für den Streit um die Sicherstellung einer Forderung (etwa durch Bürgschaft) in Höhe des Nennbetrages der Forderung bedarf aufgrund des grundrechtlichen Justizgewährungsanspruchs der Korrektur, wenn er zu einem Kostenrisiko führt, dass außer Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert des Verfahrensgegenstands steht (BVerfG 16.11.1999 - 1 BvR 1821/94).

2. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren haben die Parteien gemäß § 12a ArbGG den Aufwand für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten in erster Instanz auch im Obsiegensfall selbst zu tragen. Übersteigt allein dieser Aufwand das wirtschaftliche Interesse des Beklagten an der Nichterfüllung des Klagebegehrens, kann dies den Justizgewährungsanspruch verletzen.

3. Liegt der Nennbetrag der Forderung (hier: 267.000,00 €) erheblich über den für die Bürgschaftsbestellung aufzuwendenden Kosten (hier: 3.100,00 €), kann der Streitwert so zu bemessen sein, dass jedenfalls die Kosten der erstinstanzlichen Rechtsverteidigung des Beklagten nicht höher als das wirtschaftliche Interesse des Beklagten an der Nichterfüllung des Klagebegehrens liegen (hier bei einem Streitwert von 40.000,00 €).

Tenor

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Gebührenstreitwert auf 40.000,00 Euro festgesetzt.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe

I.

Streitig ist die Festsetzung des Gebührenwertes für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, die Antragsgegnerin zu verpflichten, einen am 23.04.2020 vertraglich vereinbarten Abfindungsanspruch in Höhe von 276.657,00 Euro, der am 31.05.2021 fällig wird, vereinbarungsgemäß gegen Insolvenz zu sichern. Der Antrag richtete sich auf Bestellung einer entsprechenden Bürgschaft bei einem inländischen Kreditinstitut oder Hinterlegung von Geld beim Amtsgericht, hilfsweise auf sonstige Sicherung gegen Insolvenz.

Die Parteien haben den Rechtsstreit für erledigt erklärt, nachdem die Verfügungsbeklagte eine Zahlungsbürgschaft über den Abfindungsbetrag vorlegt hat. Das Arbeitsgericht hat die Kosten durch Beschluss nach § 91 a ZPO der Verfügungsbeklagten auferlegt.

Mit Beschluss vom 04.01.2021 hat das Arbeitsgericht den Gebührenstreitwert auf 3.112,50 Euro festgesetzt. Dieser Betrag entspricht den von der Verfügungsbeklagten für die Bestellung der Bankbürgschaft aufgewendeten Kosten.

Mit ihrer am 26.01.2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Beschwerde haben die Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin unter Hinweis auf § 6 ZPO eine Wertfestsetzung in Höhe des zu sichernden Abfindungsbetrages von 276.657,00 Euro begehrt.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 01.02.2021 nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer des Landesarbeitsgerichts zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nur zu einem Teil begründet. Der Gebührenstreitwert war grundsätzlich gemäß § 6 ZPO mit dem vollen Betrag der zu sichernden Forderung festzusetzen. Wegen der damit verbundenen unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten für Arbeitssachen war dieser Gebührenstreitwert in verfassungskonformer Auslegung der Norm jedoch auf 40.000,00 Euro zu reduzieren.

1. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG richtet sich der Gegenstandswert der Rechtsanwaltsgebühren nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Vorschriften. Nach § 48 GKG richten sich die Gerichtsgebühren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach den für die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels geltenden Vorschriften über den Wert des Streitgegenstandes, soweit nichts anderes bestimmt ist. Danach kommt § 6 Satz 1 Hs. 2 ZPO zur Anwendung. Nach dieser Vorschrift bestimmt sich u.a. der Wert für die begehrte Sicherstellung einer Forderung nach deren Betrag. Angesichts dieser speziellen Regelung für die Wertfestsetzung ist ein Rückgriff auf die Wertfestsetzung nach freiem Ermessen gemäß § 3 ZPO ausgeschlossen. Deshalb kann offenbleiben, ob im Rahmen einer solchen Wertfestsetzung maßgeblich die Höhe des Insolvenzrisikos bei der Verfügungsbeklagten zu berücksichtigen und mit 3.112,50 Euro entsprechend den von der Bank hierfür berechneten Kosten der Bürgschaft zutreffend ermittelt wäre.

2.Die Wertfestsetzung auf der Grundlage von § 6 ZPO in Höhe des Nennbetrags der zu sichernden Forderung (267.657,00 Euro) führt indessen im vorliegenden Fall zu einer verfassungsrechtlich unzumutbaren Erschwerung des Zugangs zu den Arbeitsgerichten und bedarf daher der Korrektur (vgl. zum Nachfolgenden BVerfG 16.11.1999 - 1 BVR 1821/94, juris, Rn. 15 ff. mwN).

a.Aus Artikel 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich auch für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten die Gewährung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes. Der Zugang zu den Gerichten darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Justizgewährungsanspruch schließt es allerdings nicht aus, dass der Gesetzgeber für die Inanspruchnahme der Gerichte Gebühren erhebt. Die entsprechenden Vorschriften müssen aber der Bedeutung des Justizgewährungsanspruchs im Rechtsstreit Rechnung tragen.

Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es auch, dass die Kosten des Rechtsstreits nach §§ 91 ff. ZPO regelmäßig von der unterlegenden Partei zu tragen sind. Mit der Bedeutung des Justizgewährungsanspruchs ist es aber nicht vereinbar, wenn einer Partei dabei Kosten entstehen, die außer Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert des Verfahrensgegenstandes stehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine unzumutbare Erschwerung des Rechtsweges regelmäßig dann zu bejahen, wenn es nicht nur um geringfügige Beträge geht und wenn schon das Gebührenrisiko für nur eine Instanz das wirtschaftliche Interesse eines Beteiligten an dem Verfahren erreicht hat oder sogar übersteigt.

Diese Grundsätze gelten nicht nur für eine klagende Partei. Sie finden auch dann Anwendung, wenn eine Partei durch den Kläger in einen Prozess gezogen wird. Die beklagte Partei hat dann zwar den Zugang zu den Gerichten nicht von sich aus gesucht. Sie steht aber regelmäßig vor der Frage, ob sie den Anspruch des Klägers erfüllen oder sich dagegen zur Wehr setzen soll. Entscheidet sie sich zur Verteidigung, muss sie mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung rechnen. In ihrer Freiheit zu entscheiden, ob sie einen Anspruch erfüllen oder es auf einen Prozess ankommen lassen soll, wäre sie in rechtsstaatlich nicht mehr zu vertretender Weise beeinträchtigt, wenn bereits die Kosten einer Gerichtsinstanz ihr wirtschaftliches Interesse an einer Rechtsverteidigung überstiegen.

b.Unter Berücksichtigung dessen bestünde hier bei Annahme eines Streitwerts von 267.000,00 Euro für die Verfügungsbeklagte eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu den Arbeitsgerichten. Die Kosten eines anwaltlichen Beistandes für die erste Instanz sind im arbeitsgerichtlichen Verfahren gemäß § 12a ArbGG von den Parteien unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits zu tragen. Die Kosten würden bei einem Gebührenstreitwert von 267.000,00 Euro den Aufwand für die Erfüllung des Anspruchs übersteigen. Damit käme eine angemessene Rechtsverteidigung von vornherein einer Selbstschädigung gleich. Der von § 48 Abs. 1 GKG iVm. § 6 ZPO starr vorgegebene Gebührenwert von 276.657,00 Euro bedarf daher aus verfassungsrechtlichen Gründen der Korrektur.

aa.Es entspricht dem aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 2 Abs. 1 iVm. mit dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Justizgewährungsanspruch, dass der Beklagten nicht verwehrt werden kann, sich im vorliegenden Rechtsstreit anwaltlichen Beistand zu nehmen. Die Beklagte hatte sich in Ziff. 11 der Vereinbarung vom 22.04.2020 zur Sicherung der von ihr zugesagten Leistungen gegen Insolvenz verpflichtet. Die gegen sie gerichtete einstweiligen Verfügung zur Sicherung der Abfindungsforderung gegen Insolvenz wahlweise durch Bankbürgschaft oder Hinterlegung oder ("hilfsweise") auf sonstige, nicht näher bestimmte Weise ist im Hinblick auf die zu wählende Art der begehrten Sicherungen wie auch die ausreichende Bestimmtheit des Begehrens keineswegs so einfach gelagert, dass es der Inanspruchnahme anwaltlichen Beistands von vorn herein nicht bedurfte. Demgemäß waren beide Parteien anwaltlich vertreten.

bb.Gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG besteht in Urteilsverfahren des ersten Rechtszuges kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis oder auf Erstattung der Kosten für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistandes. Die Verfügungsbeklagte hat daher im Unterliegens- wie im Obsiegensfall den Aufwand ihrer erstinstanzlichen anwaltlichen Rechtsverteidigung zu tragen.

cc.Bei einem Streitwert von 267.000,00 € beträgt der Aufwand allein für die anwaltliche Vertretung der Beklagten in erster Instanz über 7.000,00 € (1,3 Verfahrens- und 1,2 Terminsgebühren = 2,5 x 2.373,00 Euro zzgl. MWSt). Dies ist mehr als das Doppelte dessen, was die Beklagte für die Erfüllung des Klageanspruchs, nämlich die Bürgschaftsbestellung, aufwenden muss (3.112,50 Euro).

Damit würde die angemessene Rechtsverteidigung der Beklagten zu einer Selbstschädigung führen. Dies erschwerte ihr der Zugang zu den Gerichten in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise. Denn über die Vermeidung des Erfüllungsaufwands, also der Kosten für die Bürgschaftsbestellung in Höhe von 3.112,50 Euro hinaus hat die Beklagte keinerlei weiteres Abwehrinteresse. Sie würde bei den dargelegten Kosten vernünftigerweise selbst dann von ihrer Rechtsverteidigung absehen, wenn sie von der Unbegründetheit des klägerischen Begehrens überzeugt wäre. Dabei geht es nicht nur um geringfügige Beträge im Randbereich der Gebührentabellen, bei denen sich Verwerfungen nicht ganz vermeiden lassen, sondern um ein der Höhe nach durchaus erhebliches Hindernis für den Zugang zu den Arbeitsgerichten.

Der Streitwert ist im vorliegenden Fall daher aus verfassungsrechtlichen Gründen so zu bemessen, dass jedenfalls die Kosten der erstinstanzlichen Rechtsverteidigung nicht höher als der Erfüllungsaufwand liegen. Das ist bei einem Streitwert von 40.000,00 Euro der Fall (1,3 Verfahrens- und 1,2 Terminsgebühren = 2,5 x 1.013,00 Euro für eine Rechtsanwaltsgebühr zzgl. MWSt = 3.013,68 Euro).

dd.Eine weitere Absenkung des Werts ist nicht geboten. Das gesamte Kostenrisiko der Beklagten einschließlich Gerichtskosten für die erste Instanz betrüge bei einem Streitwert von 40.000,00 Euro im Unterliegensfall immer noch weniger als 4.000,00 Euro, da sie die Kosten der anwaltlichen Vertretung des Gegners gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht zu tragen hätte. Dies liegt nur geringfügig über den Kosten des Erfüllungsaufwandes und ist zumutbar. Das - erheblich höhere - Kostenrisiko der weiteren Instanzen, das auch die Rechtsanwaltskosten des Gegners umfasst, nötigt nach Auffassung der Beschwerdekammer nicht zu einer weiteren Absenkung. Denn hier hat jede Partei bereits eine Instanz hinter sich und kann ihre Obsiegenschancen und damit auch ihr Kostenrisiko selbst abschätzen.

Eine weitere Absenkung ist auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Vorläufigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens geboten. Das Verfahren nimmt vielmehr die Hauptsache vorweg, weil die Abfindung bereits am 31.05.2021 fällig und damit die weitere Sicherstellung der Forderung obsolet wird.

3.Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Gemäß § 68 Abs. 3 GKG ist das Verfahren gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 32 Abs. 1 RVG, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Quecke

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