VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 20.04.2021 - 5 L 1071/21.F
Fundstelle
openJur 2021, 16819
  • Rkr:

1. Die Möglichkeit nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 15 HessAGVwGO im Wege eines Antrags auf prinzipale

Normenkontrolle mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO an den Hessischen

Verwaltungsgerichtshof sich unmittelbar gegen eine selbstvollziehende Rechtsverordnung zu wenden, schließt den

Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGo durch das angerufene Verwaltungsgericht mit inzidenter

Normenkontrolle nicht aus.

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2. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass der Normbefehl des § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Corona-

Quarantäneverordnung hinsichtlich der Regelung über die Absonderung von Ein- und Rückreisenden aus einem

Risikogebiet, jedenfalls soweit es sich nicht um ein Virusvarianten-Gebiet handelt, voraussichtlich verfassungswidrig ist,

soweit die Vorschrift Personen erfasst, die mit einem der derzeit zugelassenen COVID-19-mRNA-Impfstoffe (Corminaty

von BioNTech/Pfizer sowie COVID-19 Vaccine Moderna) oder mit dem Vector-basierten Impfstoff Vaxzervia von

AstraZeneca zweimal geimpft wurden und bei denen seit der Gabe der zweiten Impfdosis 14 Tage vergangen sind.

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, zu dulden, dass die Antragsteller nicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Corona-Quarantäneverordnung vom 26. November 2020 (GVBl. S. 826), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 12. April 2021 (GVBl. S. 207), für zehn Tage, beginnend mit dem Tag nach der Einreise in das Land Hessen am 16. April 2021, in häuslicher Quarantäne verbleiben.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen,

Der Streitwert wird auf 10 000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen die infektionsschutzrechtliche Anordnung ihrer Absonderung.

Am 16. April 2021 reisten die Antragsteller auf dem Luftweg von Dubai/Vereinigte Arabische Emirate nach Frankfurt am Main. Beide Antragsteller sind ausweislich ihrer in Ablichtung vorgelegten Impfpässe jeweils am 5. und 30. März 2021 gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 geimpft.

Bereits am 15. April 2021 haben die Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen das Land Hessen gestellt, mit dem sie sich gegen die Anordnung ihrer Absonderung für einen Zeitraum von zehn Tagen durch § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Corona-Quarantäneverordnung gewandt haben, den sie für unwirksam halten, da sie im Hinblick auf ihre Impfung nicht als Ansteckungsverdächtige behandelt werden dürften, und begehrt haben, zu dulden, dass sie sich nicht in häusliche Quarantäne begeben, hilfsweise festzustellen, dass sie hierzu nicht verpflichtet sind. Nach Anhörung zu einer beabsichtigen Verweisung an das Verwaltungsgericht Wiesbaden haben die Antragsteller ihren Antrag am 16. April 2021 geändert und gegen die Stadt Frankfurt am Main gerichtet.

Die Antragsteller beantragen,

im Wege der einstweiligen Anordnung wird die Antragsgegnerin verpflichtet, zu dulden, dass die Antragsteller nicht gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus (Corona-Quarantäneverordnung) vom 26. November 2020, zuletzt geändert am 8. März 2021, für zehn Tage, beginnend mit dem Tag nach der Einreise in das Land Hessen am 16. April 2021, in häuslicher Quarantäne verbleiben,

hilfsweise,

vorläufig festzustellen, dass die Antragsteller aufgrund von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus (Corona-Quarantäneverordnung) vom 26. November 2020, zuletzt geändert am 8. März 2021, nicht verpflichtet sind, sich für 10 Tagen nach der Einreise in Quarantäne zu begeben.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung verweist die Antragsgegnerin darauf, dass die Antragsteller nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 der Corona-Quarantäneverordnung von der Absonderung befreit seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Auf den zulässigerweise gestellten Antrag ist die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen (A.), wobei die Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen sind (B.) und der Streitwert auf den doppelten Auffangstreitwert festzusetzen ist (C.).

A.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig (1.) und begründet (2.), denn bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Betrachtung ist die Anordnung einer Absonderung der Antragsteller rechtswidrig und verletzt sie jedenfalls in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG.

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, der hier allein in Betracht kommt, kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs und der Grund für die notwendige vorläufige Regelung sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).

Die Möglichkeit, nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 15 HessAGVwGO im Wege eines Antrags auf prinzipale Normenkontrolle mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof sich unmittelbar gegen den Normbefehl zu wenden, schließt den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO durch das angerufene Verwaltungsgericht mit inzidenter Normenkontrolle nicht aus (vgl. Beschlüsse vom 1. April 2021 - 5 L 817/21.F - und 13. April 2021 - 5 L 902/21.F -, zur Veröffentlichung vorgesehen; Schoch/Schneider VwGO/Panzer, 39. EL Juli 2020, VwGO § 47 Rn. 9). Rechtsverhältnisse, die durch selbstvollziehende Rechtsverordnungen begründet sind, bilden nach der gegenwärtigen Rechtslage keinen exklusiven Gegenstand der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 15 HessAGVwGO durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Dies gilt insbesondere für die Vollzugsebene, wenn die Normbefolgung konzeptionell nicht im Wege der Verwaltungsvollstreckung, sondern des Ordnungswidrigkeitsverfahrens erzwungen werden soll. Die Verwaltungsgerichtsordnung ordnet nirgends einen Vorrang der prinzipalen Normenkontrolle an, weder hinsichtlich der in § 43 Abs. 2 Satz 1, § 111 Satz 1, § 113 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4, § 169 Abs. 2, § 191 Abs. 1 VwGO angeführten allgemeinen Leistungsklage noch der nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegenüber der Gestaltungs- oder Leistungsklage subsidiären Feststellungsklage. Ein solcher Vorrang würde sich auch schwerlich in das prinzipiell auf subjektive Rechtsschutzgewährung ausgerichtete Klagesystem der Verwaltungsgerichtsordnung einfügen. Weder der Bundesgesetzgebung (vgl. BTDrs. III/55 S. 32, wo zur Subsidiarität der Feststellungsklage der Normenkontrollantrag gerade nicht angeführt wird, und S. 33 f., BTDrs. 3/1094 S. 6, wo auf die Beschleunigung des Rechtsschutzes, die Rechtsklarheit und die ökonomische Gestaltung des Prozessrechts abgestellt wird; BTDrs. 7/4324 S. 6, BTDrs. 7/5492) noch der hessischen Ausführungsgesetzgebung (vgl. LTDrs. 4/939 S. 7, LTDrs. 8/3256 S. 7 bis 9, wo die mögliche Vorverlagerung der Rechtsschutzmöglichkeit betont wird) ist zu entnehmen, dass die Möglichkeit der prinzipalen Normenkontrolle individuelle Rechtsschutzmöglichkeiten einschränken sollte. Umgekehrt sollten unter Beibehaltung der in süddeutschen Verwaltungsgerichtsgesetzen vorgesehenen Möglichkeit der abstrakten Normenkontrolle (vgl. für Hessen § 25 VGG in der Fassung vom 30. Juni 1949, GVBl. S. 137) die Rechtsschutzmöglichkeiten verbessert werden. Bei der gegenteiligen Rechtsansicht, auf die sich auch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration in seiner Äußerung vom 16. April 2021 bezieht, handelt es sich um eine richterliche Rechtsfortbildung, die der aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG hergeleiteten Garantie effektiven Rechtsschutzes entgegenarbeitet. Denn dürften Rechtsschutzsuchende nur den Weg der prinzipalen Normenkontrolle gehen, um an vorläufigen Rechtsschutz zu gelangen, spielten ihre eigenen Rechte nur bei der Antragsbefugnis eine Rolle (Schoch/Schneider VwGO/Panzer, 39. EL Juli 2020, VwGO § 47 Rn. 44), darüber hinaus wäre lediglich die objektive Rechtskontrolle maßgeblich (a.a.O. Rn. 88). Niemand, der sich durch eine selbstvollziehende Rechtsverordnung in seinen eigenen Rechten verletzt sieht, ist indes gehalten, sich zum Fürsprecher des betroffenen Personenkreises aufzuschwingen und auch für andere eine Rechtskontrolle herbeizuführen.

2. Der Antrag ist auch begründet, denn die Antragsteller haben sowohl einen Anordnungsanspruch inne (a.) als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (b.).

a. Die Antragsgegnerin hat zu dulden, dass die Antragsteller sich nach ihrer Einreise nicht für einen Zeitraum von zehn Tagen absondern. Eine solche Verpflichtung der Antragsteller besteht nicht aus § 1 Abs. 1 der Corona-Quarantäneverordnung, die als Art. 1 der Zweiundzwanzigsten Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 26. November 2020 (GVBl. S. 826) verkündet und zuletzt durch Art. 1 der Einunddreißigsten Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 12. April 2021 (GVBl. S. 207) geändert worden ist. Hierdurch wird angeordnet:

§ 1Absonderung für Ein- und Rückreisende; Beobachtung

(1) 1Personen, die auf dem Land-, See-, oder Luftweg aus dem Ausland in das Land Hessen einreisen und sich zu einem beliebigen Zeitpunkt in den letzten zehn Tagen vor Einreise in einem zum Zeitpunkt der Einreise als Risikogebiet im Sinne des § 2 Nr. 17 des Infektionsschutzgesetzes mit einem erhöhten Risiko für eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus eingestuften Gebiet (Risikogebiet) aufgehalten haben, sind verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die Haupt- oder Nebenwohnung oder in eine andere, eine Absonderung ermöglichende Unterkunft zu begeben und sich

1. im Fall einer Einreise aus einem Virusvarianten-Gebiet im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Coronavirus-Einreiseverordnung vom 13. Januar 2021 (BAnz. AT 13. Januar 2021 V 1) in der jeweils geltenden Fassung für einen Zeitraum von vierzehn Tagen oder

2. im Übrigen für einen Zeitraum von zehn Tagen

nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern; dies gilt auch für Personen, die zunächst in ein anderes Land der Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. 2Den zur Absonderung verpflichteten Personen ist es in diesem Zeitraum nicht gestattet, Besuch von Personen zu empfangen, die nicht ihrem Hausstand angehören.

(2) ...

Zur nach § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG erforderlichen Begründung wurde bei der Verkündung der Ursprungsfassung auszugsweise Folgendes angeführt:

Das SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen in anderen Staaten ist weiterhin unübersichtlich und sehr dynamisch. Die bisherigen Erfahrungen zeigen einen signifikanten Eintrag von Infektionen mit SARSCoV-2 nach Hessen durch Personen, die aus dem Ausland einreisen. Zur Verminderung dieses Eintrages wird grundsätzlich eine zehntägige Quarantäne für diese Personen angeordnet.

Die mit der Verordnung getroffene Quarantäneanordnung (§ 1) ist trotz der hohen Infektionszahlen im Inland auch weiterhin geboten. Der mögliche Infektionseintrag aus dem Ausland erhöht in jedem Fall die infektiologische Gefahrenlage im Inland, auch wenn diese sich bereits auf einem hohen Niveau befindet. Zugleich finden die im Inland notwendigen Schutzmaßnahmen und die daraus resultierenden Erfolge bei der Pandemiebekämpfung durch die Vermeidung eines weiteren Virus-Eintrags aus dem Ausland eine zusätzliche Absicherung.

Zur Novellierung durch Art. 1 Nr. 1 der Achtundzwanzigsten Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 4. März 2021 (GVBl. S. 142), durch die der Normbefehl seine aktuelle Fassung erhalten hat, heißt es in der erforderlichen Begründung auszugsweise allgemein:

Weiterhin Sorgen bereiten Erkenntnisse über Varianten des SARS-CoV-2-Virus, die mit veränderten Eigenschaften einhergehen und für die es klinisch-diagnostische und epidemiologische Hinweise auf eine erhöhte Übertragbarkeit und schwerere Krankheitsverläufe gibt. Virusvarianten, die infektiöser sind als der ursprüngliche Typ des SARS-CoV-2-Virus, breiten sich besonders schnell aus. Der Anteil etwa der Virusvariante B.1.1.7 an den Infektionen in Deutschland steigt schnell an. Ein Zusammenhang mit der jedenfalls nicht zurückgehenden Zahl der Neuinfektionen scheint zu bestehen. Die Erfahrungen in anderen Staaten zeigen, wie gefährlich die verschiedenen SARS-CoV-2-Varianten sind. Damit können erhebliche zusätzliche Anstrengungen verbunden sein, um die Infektionszahlen wieder zu senken. Vorsicht ist also geboten beim Hochfahren des öffentlichen Lebens. Nur so kann auch gewährleistet bleiben, dass die bislang erreichten Erfolge in der Bekämpfung der Pandemie nicht verspielt werden. Der jetzige Erkenntnisstand erfordert daher ein vorsorgliches Handeln, weil die Folgen einer Verbreitung entsprechender Varianten mit höherem Ansteckungspotenzial eine schwerwiegende Verschärfung der pandemischen Lage bedeuten könnten.

Zwei Faktoren lassen eine deutliche positive Veränderung des Pandemiegeschehens erwarten. Konnte bislang ein Schwerpunkt der Pandemiebekämpfung im Wesentlichen nur auf Hygienegebote wie die AHA+L Regeln, auf die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter, auf die generelle Kontaktbeschränkung sowie auf den Schutz besonders vulnerabler Personengruppen und Einrichtungen gelegt werden, können die zunehmende Menge an Impfstoff sowie die Verfügbarkeit von Schnell- und Selbsttests einen erheblichen positiven Effekt auf die weitere Bekämpfung der Pandemie haben.

Die begonnenen Schutzimpfungen werden sich wesentlich zwar erst dann auf die Infektionsdynamik dämpfend auswirken, wenn größere Teile der Bevölkerung geimpft sind. Bis einschließlich 2. März 2021 liegt die Quote derjenigen, die hessenweit die erste Schutzimpfung erhalten haben, bei 4,9 Prozent der Bevölkerung. Die Zweitimpfung erhalten haben zu diesem Zeitpunkt 2,3 Prozent der hessischen Bevölkerung. Aufgrund der aktuell begrenzten Verfügbarkeit von Impfstoffen werden derzeit nur bestimmte als besonders schutzbedürftig oder vulnerabel erkannte Personen oder Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit mit diesen Personen regelmäßig in Kontakt kommen oder die einem erhöhten Risiko einer Infizierung ausgesetzt sind, geimpft. Jedoch ist ein Großteil der ältesten Bürgerinnen und Bürger, bei denen bisher ein großer Teil der schweren und tödlichen Verläufe zu beklagen war, bereits geimpft. In wenigen Wochen werden weitere als besonders vulnerable eingeschätzte Menschen geimpft sein. Damit einher geht die Erwartung, dass bei vergleichbarem Infektionsgeschehen die Zahl der schweren und tödlichen Verläufe weiter zurückgeht und damit auch die Belastung des Gesundheitssystems deutlich geringer sein wird.

Zur hier relevanten Neufassung heißt es:

Auf Grundlage der Empfehlungen des Robert Koch-Instituts wird die Absonderungsdauer für Personen, die einem erhöhten Risiko für eine Infektion mit einer Virusvariante mit höherem Ansteckungspotenzial und berichteter längerer Ansteckungsdauer ausgesetzt waren, auf 14 Tage verlängert.

Für die von der Antragsgegnerin angenommene Befreiung der Antragsteller nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 der Corona-Quarantäneverordnung

§ 2

(1) Von § 1 Abs. 1 Satz 1 nicht erfasst sind

1. bis 3. ...

4. bei Aufenthalten von weniger als 72 Stunden bei Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienekonzepte

a) Personen, die beruflich bedingt grenzüberschreitend Personen, Waren oder Güter auf der Straße, der Schiene, per Schiff oder per Flugzeug transportieren, oder

b) Personen, deren Tätigkeit für die Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens dringend erforderlich und unabdingbar ist, und dies durch den Dienstherrn, Arbeitgeber oder Auftraggeber bescheinigt wird.

ist dem Gericht nichts ersichtlich. Bei einer Impfung kann es sich schon begrifflich nicht um "angemessene[...] Schutz- und Hygienekonzepte" handeln. Abgesehen davon ist bleibt unklar, wie der Antragsteller zu 1. als geschäftsführender Gesellschafter eine Bescheinigung durch "den Dienstherrn, Arbeitgeber oder Auftraggeber" beibringen soll (vgl. Beschluss vom 8. Januar 2021 - 5 L 24/21.F, nunmehr zur Veröffentlichung vorgesehen). Eine Tätigkeit, die für "die Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens dringend erforderlich und unabdingbar ist", allein genügt nicht.

In der von der Corona-Quarantäneverordnung in Bezug genommenen Coronavirus-Einreiseverordnung vom 13. Januar 2021 (BAnz AT 13.01.2021 V1), die zuletzt durch Art. 10 Abs. 5 des Gesetzes vom 29. März 2021 (BGBl. I S. 370) geändert worden ist, werden außer "Risikogebieten" gesondert "Hochinzidenzgebiete", in denen eine besonders hohe Inzidenz für die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 besteht, und "Virusvarianten-Gebiete", in denen bestimmte Varianten des Coronavirus SARS-CoV-2 verbreitet aufgetreten sind, angesprochen, die durch das Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat festgestellt werden. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind seit dem 18. April 2021 nicht mehr Hochinzidenzgebiet, sondern bloß Risikogebiet und werden nicht als Virusvarianten-Gebiet geführt (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete_neu.html und https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/vereinigtearabischeemiratesicherheit/202332).

Gleichwohl sind die Antragsteller der - danach an sich für sie geltenden - Absonderungspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Corona-Quarantäneverordnung nicht unterworfen, denn nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist davon auszugehen, dass der Normbefehl hinsichtlich der Regelung über die Absonderung von Ein- und Rückreisenden aus einem Risikogebiet, jedenfalls soweit es sich nicht um ein Virusvarianten-Gebiet handelt, voraussichtlich verfassungswidrig ist, soweit die Vorschrift Personen erfasst, die mit einem der derzeit zugelassenen COVID-19-mRNA-Impfstoffe (Comirnaty von BioNTech/Pfizer sowie COVID-19 Vaccine Moderna) oder mit dem Vektor-basierten Impfstoff Vaxzervia von AstraZeneca zweimal geimpft wurden und bei denen seit der Gabe der zweiten Impfdosis 14 Tage vergangen sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. April 2021 - 1 S 1108/21 -, BeckRS 2021, 7228 Rn. 79 = juris Rn. 85). Die Antragsteller gehören zu dieser Personengruppe, denn ihre Impfungen mit Comirnaty von BioNTech/Pfizer fanden am 5. und 30. März 2021 statt.

Zwar verfolgt das Land Hessen mit der abstrakt-generellen Verpflichtung von Reiserückkehrern aus Risikogebieten auch in Bezug auf geimpfte Personen das legitime Ziel, die Eintragungen von Infektionen aus dem Ausland zu verhindern und neue Infektionsherde zu unterbinden. Auch ist die Verpflichtung zur Einhaltung einer zehntägigen Quarantäne zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Ob sie indes für diesen Personenkreis erforderlich ist, kann bereits bezweifelt werden. Das Robert Koch-Institut führt zur Wirkung einer abgeschlossenen Impfung folgendes aus (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/gesamt.html):

Daten aus Zulassungsstudien wie auch aus Untersuchungen im Rahmen der breiten Anwendung (sog. Beobachtungsstudien) belegen, dass die in Deutschland zur Anwendung kommenden COVID-19-Impfstoffe SARS-CoV-2-Infektionen (symptomatisch und asymptomatisch) in einem erheblichen Maße verhindern. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person trotz vollständiger Impfung PCR-positiv wird, ist bereits niedrig, aber nicht Null.

In welchem Maß die Impfung darüber hinaus die Übertragung des Virus weiter reduziert, kann derzeit nicht genau quantifiziert werden. Auf Basis der bisher vorliegenden Daten ist davon auszugehen, dass die Viruslast bei Personen, die trotz Impfung mit SARS-CoV-2 infiziert werden, stark reduziert und die Virusausscheidung verkürzt ist.

In der Summe ist daher das Risiko einer Virusübertragung stark vermindert. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass einige Menschen nach Kontakt mit SARS-CoV-2 trotz Impfung (asymptomatisch) PCR-positiv werden und dabei auch infektiöse Viren ausscheiden. Dieses Risiko muss durch das Einhalten der Infektionsschutzmaßnahmen zusätzlich reduziert werden. Daher empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) auch nach Impfung die allgemein empfohlenen Schutzmaßnahmen (Alltagsmasken, Hygieneregeln, Abstandhalten, Lüften) weiterhin einzuhalten.

Aus Public-Health-Sicht erscheint das Risiko einer Virusübertragung durch Impfung in dem Maß reduziert, dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung keine wesentliche Rolle mehr spielen.

Diese Einschätzungen beruhen auf folgender Evidenz:

• Die Impfung hat eine hohe Schutzwirkung (mindestens 80 %) gegen schweres COVID-19, unabhängig vom verwendeten Impfstoff (Comirnaty von BioNTech/Pfizer, COVID-19-Vaccine von Moderna, Vaxzevria von AstraZeneca).

• Die derzeitige Datenlage (zusammengefasst in der "Wissenschaftlichen Begründung der STIKO-Empfehlung") zeigt darüber hinaus, dass die Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff wie auch mit mRNA-Impfstoffen zu einer deutlichen Reduktion der SARS-CoV-2-Infektionen (symptomatisch + asymptomatisch) führt (Vaxzevria von AstraZeneca bereits nach der 1. Dosis ca. 65 %; Comirnaty von BioNTech/Pfizer nach der 2. Dosis ca. 90 %).

• Weitere Daten belegen, dass selbst bei Menschen, die trotz Impfung PCR-positiv werden, die Viruslast signifikant reduziert wird (Ct Shift) und weniger lange anhält (verkürztes Shedding).

Stand: 09.04.2021

Ist davon auszugehen, dass "Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung keine wesentliche Rolle mehr spielen", erweist sich die Absonderungsanordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Corona-Quarantäneverordnung jedenfalls voraussichtlich auch dann als unverhältnismäßig im engeren Sinne, wenn eine vollkommene Sicherheit nicht bestehen kann. Die Anordnung einer umfassenden Quarantänepflicht für alle Geimpften kann nach dem oben angeführten aktuellen Erkenntnisstand jedenfalls, soweit es nicht um Rückreisen aus Virusvarianten-Gebieten geht, allenfalls nur noch sehr geringfügig zur Erreichung des mit der Vorschrift verfolgten Zieles beitragen. Eine Absonderung der Antragsteller ist deshalb nicht mehr zu rechtfertigen.

Danach kommt es auf die weiteren, in der Antragsschrift aufgeworfenen Fragen, insbesondere ob die Corona-Quarantäneverordnung die Ermächtigung aus § 32 i.V.m. § 30 IfSG überschreite, für die Antragsteller nicht mehr an.

Unbeschadet dessen verbleiben Befugnisse des Gesundheitsamts gegenüber den Antragstellern aus § 1 Abs. 2 der Corona-Quarantäneverordnung.

(2) Die von Abs. 1 Satz 1 erfassten Personen sind verpflichtet, das zuständige Gesundheitsamt unverzüglich zu informieren, wenn bei ihnen typische Symptome einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus wie Husten (nicht durch chronische Erkrankungen verursacht), Fieber, Schnupfen oder Geruchs- und Geschmacksverlust während des Absonderungszeitraums auftreten.

b. Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund, denn mit ihrer Einreise unterfallen sie der Freiheitsbeschränkung durch § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Corona-Quarantäneverordnung. Ohne diese einstweilige Verfügung müssten die Antragsteller mit einem Ordnungswidrigkeitsverfahren nach § 5 Abs. 4 des Hessisches Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst in Verbindung mit § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG, § 5 Nr. 1 der Corona-Quarantäneverordnung durch die Antragsgegnerin rechnen.

B.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen, da sie unterlegen ist.

C.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, GKG. Dabei geht das Gericht vom Auffangstreitwert in Höhe von jeweils 5000 Euro für den Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2. aus. Da die Entscheidung in der Hauptsache ganz oder zum Teil vorweggenommen wird, ist der Streitwert nach Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013 (abrufbar über www.bverwg.de > Rechtsprechung > Streitwertkatalog) nicht zu ermäßigen.

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