OLG Koblenz, Urteil vom 31.03.2021 - 7 U 1602/20
Fundstelle
openJur 2021, 16800
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 28.10.2020, Az.: 5 O 141/20, teilweise abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger gemäß § 852 BGB zum Ersatz des Restschadens verpflichtet ist, der aus der Manipulation des Fahrzeugs ... mit der FIN ... durch die Beklagte resultiert.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 15 %, die Beklagte zu 85 %.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger aufgrund des sogenannten ...-Diesel-Abgasskandals zum Schadensersatz verpflichtet ist.

Der Kläger erwarb am 05.07.2010 bei der Autohaus ...[A] in ...[Z] den streitgegenständlichen ... als Neuwagen zum Preis von 21.648,40 €.

In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut. Bei diesem Motor ist eine Software vorhanden, welche auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxidoptimierten Modus 1 wechselt. Für den Fahrzeugtyp ist eine Typengenehmigung nach der VO (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Für die Erteilung dieser Typengenehmigung war der geringe Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand maßgeblich.

Ab Oktober 2015 wurde nach einer Pressemitteilung der Beklagten über den Abgasskandal betreffend Motoren vom Typ EA 189 in den nationalen und internationalen Medien ausführlich berichtet. Bereits zuvor hatte die Beklagte in ihrer Ad-hoc-Mitteilung vom 22.09.2015 darauf hingewiesen, dass es eine auffällige Abweichung zwischen den auf dem Prüfstand und den im realen Fahrbetrieb gemessenen Abgaswerten gibt. Das Kraftfahrtbundesamt beanstandete Motoren des Typs EA 189 und ordnete am 15.10.2015 einen Rückruf der betroffenen Fahrzeuge an, über den die Medien gleichfalls ausführlich berichteten. Die Beklagte informierte ihre Vertragshändler, Servicepartner und die anderen Konzernhersteller über den Umstand, das Fahrzeuge mit dem Motortyp EA 189 über eine Umschaltlogik verfügen.

Zur Behebung der Abgasproblematik entwickelte die Beklagte nach Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt ein Softwareupdate, das auch für das streitgegenständliche Fahrzeug angeboten wurde.

Mit seiner am 06.07.2020, einem Montag, bei dem Landgericht eingegangenen, der Beklagten am 27.07.2020 zugestellten Klage hat der Kläger geltend gemacht,

die Beklagte habe ihn sittenwidrig geschädigt, indem sie bewusst und gewollt in Kenntnis aller Umstände den mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehenen Motor EA 189 entwickelt, hergestellt und in Verkehr gebracht habe, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Die Typengenehmigung habe für mit diesem Motor ausgestattete Fahrzeuge nicht erteilt werden dürfen und die Zulassung seines Fahrzeugs sei gefährdet. Er hätte den Pkw nicht gekauft, wenn er von der vorhandenen illegalen Umschaltlogik gewusst hätte. Die hierin liegende sittenwidrige Schädigung habe die Beklagte durch das Softwareupdate wiederholt, da dieses nicht dazu geeignet

sei, den Mangel des Fahrzeugs zu beheben und die Schädigung zu beseitigen. Überdies sei zu befürchten, dass das Softwareupdate schädliche Auswirkungen auf die Haltbarkeit des Motors und weiterer Bauteile des Fahrzeugs habe.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs ... mit der FIN ... durch die Beklagtenpartei resultieren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die ursprünglich erhobene Einrede der Verjährung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 07.10.2020 fallen lassen und hat behauptet,

dass es sich bei der eingebauten Software nicht um eine unzulässige Abschaltvorrichtung handele. Entsprechendes gelte auch für das Softwareupdate, in dem ein Thermofenster enthalten sei. Dieses diene dem Bauteilschutz. Mangels sittenwidriger Schädigung und Täuschung des Klägers bestünden die geltend gemachten Ansprüche nicht.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei wegen einer zum Nachteil des Klägers verübten sittenwidrigen Schädigung zum Schadensersatz verpflichtet.

Gegen das ihr am 28.10.2020 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 03.11.2020 eingegangen Berufung vom selben Tag, die sie mit am 28.12.2020 eingegangenem Schriftsatz begründet hat.

Die Beklagte vertritt die Auffassung,

die von dem Kläger erhobene Feststellungsklage sei unzulässig, weil ihm eine Leistungsklage zumutbar und möglich gewesen sei. Das vom Kraftfahrtbundesamt geprüfte und genehmigte Softwareupdate enthalte keine unzulässige Abschalteinrichtung, sei wirksam und führe zu keinen technischen Nachteilen. Das verwendete Thermofenster sei technisch erforderlich und zulässig und gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt offengelegt worden.

Im Übrigen erhebe sie die Einrede der Verjährung. Hieran sei sie nicht gehindert, weil sie erstinstanzlich auf die Einrede nicht verzichtet, sondern diese lediglich habe fallen lassen. Die Regelverjährung sei mit Ablauf des Jahres 2015 eingetreten. Ein Anspruch aus § 852 BGB sei ebenfalls verjährt und überdies aus Rechtsgründen nicht gegeben.

Die Beklagte beantragt,

das am 28.10.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Trier, Az.: 5 O 141/20, im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertritt die Auffassung,

die erhobene Feststellungsklage sei in Anbetracht der nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung zulässig. Die geltend gemachten Ansprüche seien auch nicht verjährt. Jedenfalls stehe ihm der Restschadensersatzanspruch des § 852 Satz 1 BGB zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 511 ff. ZPO statthaft und zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet. Sie hat in der Sache selbst teilweise Erfolg, weil zwar etwaige deliktische Schadensersatzansprüche des Klägers verjährt sind, ihm aber der Restschadensanspruch aus § 852 Satz 1 BGB zusteht.

Die von dem Kläger erhobene Feststellungsklage ist nach § 256 ZPO zulässig. Im Zeitpunkt der Klageerhebung am 06.07.2020 war die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen. Der Kläger nutzt das streitgegenständliche Fahrzeug weiter. Er will sich offenbar die Wahl vorbehalten, ob er das Fahrzeug gegen Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich des anzurechnenden Nutzungsersatzes der Beklagten zurückgibt oder ob er es behält und zu einem späteren Zeitpunkt weiterveräußert. Ob und welchen Voraussetzungen ein dann bei einer Verwertung des Fahrzeugs möglicherweise auftretender Differenzschaden im Rahmen deliktischer Schadensersatzansprüche ersatzfähig ist, ist umstritten (vgl. zu den Auswirkungen des Weiterverkaufs einerseits OLG Koblenz, Urteil vom 26.01.2021, Az.: 3 U 1283/20; OLG Stuttgart, Urteil vom 29.09.2020; Az.: 12 U 449/19; OLG Frankfurt, Urteil vom 18.12.2020, Az.: 13 U 326/19; andererseits OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2019; Az.: 17 U 70/19; OLG Celle, Urteil vom 19.02.2020, Az.: 7 U 424/18). Der Senat hält diese Vorgehensweise für zulässig. Andernfalls wäre der Käufer gezwungen, das vom Abgasskandal betroffene Fahrzeug bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu behalten und müsste es dann Zug um Zug gegen Erstattung des um die anzurechnenden Nutzungsvorteile reduzierten Kaufpreises an diese zurückgeben. Hierdurch würde er erneut in seiner wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit beeinträchtigt, was unbillig erschient. Will der Kläger das Fahrzeug im Rahmen seiner wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit zunächst behalten und erst zu einem späteren, derzeit noch nicht absehbaren Zeitpunkt weiterveräußern, ist ihm die Bezifferung eines Differenzschadens zwischen dem im Fall der Rückabwicklung von der Beklagten zu erstattenden Kaufpreises und einem im Fall einer späteren Veräußerung erzielten Verkaufspreises noch nicht möglich. Dessen Höhe hängt nämlich nicht nur vom Zeitpunkt des Verkaufs, sondern auch von weiteren derzeit nicht abschätzbaren Umständen, wie der Laufleistung des Fahrzeugs und seiner Akzeptanz auf dem Gebrauchtwagenmarkt, ab.

1.

Dem Kläger stehen als Käufer eines der von der seitens der Beklagten verübten Abgasmanipulation betroffenen Fahrzeuge zwar Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB gegen diese zu (vgl. grundlegend BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19).

2.

Dieser Anspruch ist aber, wie sämtliche weiteren, hier allein in Betracht zu ziehenden deliktischen Schadensersatzansprüche nach § 195 BGB verjährt.

a)

Dabei ist es unschädlich, dass die Beklagte die erstinstanzlich ursprünglich erhobene Einrede der Verjährung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 07.10.2020 nach dem Hinweis des Gerichts auf § 852 BGB hat fallen lassen. Diese Erklärung beinhaltet nach ihrem Erklärungsgehalt nämlich nicht die endgültige Aufgabe der Einrede der Verjährung, sondern kann, da keine sonstigen, für einen Verzicht sprechende Umstände ersichtlich sind, nur dahin verstanden werden, dass die Lage wieder so sein sollte, wie vor der Erhebung der Einrede. Dies ist nicht gleichbedeutend mit einem Verzicht auf die Einrede, so dass die Beklagte diese nicht verloren hat, sondern sie erneut erheben kann (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.1956, III ZR 121/55, BGHZ 22, 367; OLG Oldenburg, Urteil vom 02.03.2021, 12 U 161/20).

Der erneuten Erhebung der Verjährungseinrede steht im Berufungsverfahren auch nicht der Novenausschluss nach §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 ZPO entgegen.

Zwar kann nach den genannten Vorschriften in der Berufungsinstanz nicht mehr eingeführt werden, was der Partei vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz hätte bekannt sein müssen, also bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bereits vorgetragen werden können. Neues unstreitiges Vorbringen ist in der Berufungsinstanz aber zu berücksichtigen, selbst wenn dadurch eine neue Beweisaufnahme notwendig wird (vgl. BGH NJW 2018, 2269; BGH FamRZ 2005, 1555; Zöller-Heßler, ZPO, 33. Aufl., § 531 Rn. 20 m. w. N.). Dies gilt auch für die erstmalige Erhebung der Verjährungseinrede in der Berufungsinstanz, wenn die den Verjährungseintritt begründenden Tatsachen unstreitig sind (BGH NJW 2008, 3435; BGH NJW 2009, 685; Zöller-Heßler, a. a. O.).

Damit ist die Beklagte hier mit der erneuten Erhebung der Einrede der Verjährung im Berufungsverfahren auch nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Die den Verjährungseintritt begründenden Tatsachen sind nämlich vorliegend unstreitig, denn sie stehen fest (OLG Oldenburg, Urteil vom 02.03.2021, 12 U 161/20).

b)

Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist bereits mit dem Erwerb des Fahrzeugs am 05.07.2010 entstanden (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19). Das Vorgehen der Beklagten im Zusammenhang mit dem Softwareupdate ist demgegenüber für den Schadenseintritt ohne Bedeutung, da es für den Kaufentschluss des Klägers und damit für den in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit bestehenden Schaden nicht ursächlich geworden sein kann. Das erst nachträglich entwickelte Softwareupdate hat den ursprünglichen, für den Schaden des Klägers kausalen Entschluss, das streitgegenständliche Fahrzeug zu erwerben, nicht beeinflusst. Das Softwareupdate hat die Beklagte nämlich erst nach dem Bekanntwerden der in den Motoren der Baureihe EA 189 verbauten Umschaltlogik und deren Einordnung als unzulässige Abschalteinrichtung im Herbst 2015 entwickelt. Bei Abschluss des Kaufvertrages vom 05.07.2010 stand es nicht im Raum (so auch OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 05.01.2021, 2 U 168/20 und Beschluss vom 21.01.2021, 2 U 168/20; OLG Koblenz, Urteil vom 01.12.2020, 3 U 1283/20; Urteil vom 19.11.2020, 7 U 535/20). Es stellt damit kein neu schädigendes Ereignis dar, das eine neue Kausalkette und damit eine neue Verjährungsfrist in Gang setzen konnte (OLG Koblenz, Urteil vom 19.11.2020, 7 U 535/20; LG München Beck RS 2021, 1049).

c)

Die Verjährung des dem Kläger danach bereits mit Vertragsschluss am 05.07.2010 entstandenen Schadensersatzanspruchs richtet sich nach §§ 195, 199 BGB. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre und beginnt bei sämtlichen hier alleine in Betracht zu ziehenden deliktischen Ansprüchen nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Kläger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis erlangen musste. Dabei muss der Gläubiger die Tatsachen kennen oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kennen, die die Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Norm erfüllen. Dazu gehören bei Schadensersatzansprüchen die Pflichtverletzung oder die ihr gleichstehende Handlung, der Eintritt des Schadens und die Kenntnis der eigenen Schadensbetroffenheit (BGH NJW 1996, 117).

Diese Kenntnis ist grundsätzlich gegeben, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage erfolgsversprechend, wenn auch nicht ohne Risiko möglich ist. Es ist weder notwendig, dass er alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand halten, um den Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20; BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19; BGH NJW 2008, 2596). Vielmehr muss die Erhebung der Klage bei verständiger Würdigung in einem solchen Maße Erfolgsaussichten haben, dass sie zumutbar ist (vgl. BGH a. a. O.).

Danach ist hier, wo Hersteller des Fahrzeugs und Entwickler des Motors identisch sind, aufgrund der Omnipräsenz der Dieselabgasproblematik in den Medien ab Herbst 2015 von einem Verjährungsbeginn am 31.12.2015 auszugehen, so dass die regelmäßige Verjährungsfrist am 31.12.2018 abgelaufen und damit die am 06.07.2020 erhobene Klage die Verjährung nicht mehr nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB unterbrechen konnte. Denn aufgrund des öffentlichen Bekanntwerdens des Abgasskandals bestanden Veranlassung und Möglichkeit, über einfach zugänglich Wege in Erfahrung zu bringen, ob der jeweilige Pkw vom Abgasskandal betroffen ist. Soweit potenziell betroffene Fahrzeugeigentümer sich trotz der sich regelrecht aufdrängenden Umstände nicht weiter informiert haben, ist ihnen grob fahrlässige Unkenntnis von Anspruch und Schädiger im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorzuwerfen (BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20; OLG Koblenz, Urteil vom 30.06.2020, 3 U 1785/19).

Denn durch die Pressemitteilungen der Beklagten im Herbst 2015 wurden sowohl die Softwaremanipulation durch die Beklagte als auch die Betroffenheit des klägerischen Fahrzeugs offen gelegt. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang zunächst die Ad-hoc-Mitteilung der ... AG vom 22. September 2015 gegenüber ihren Aktionären und die entsprechende - an die breite Öffentlichkeit gerichtete - Pressemitteilung vom gleichen Tage, in der auf Unregelmäßigkeiten der in den Dieselmotoren Typ EA 189 verwendeten Software hingewiesen und auffällige Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und dem realen Fahrbetrieb offen gelegt wurden. In einer weiteren Pressemitteilung vom 2. Oktober 2015 kündigte die Beklagte die Freischaltung einer Website mit einer Suchmaschine für die darauffolgende Woche an, mit deren Hilfe durch Eingabe der Fahrzeugidentifizierungsnummer festgestellt werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der beanstandeten Motorsteuerungssoftware ausgestattet war.

Der Kläger kann bei dieser Sachlage nicht damit gehört werden, dass er hiervon keine Kenntnis gehabt habe. Monatelang war der Dieselskandal beherrschendes Thema in sämtlichen Medien, sowohl in den Fernsehnachrichten als auch in regionalen und überregionalen Tageszeitungen sowie Fachzeitschriften. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, dass dies dem Kläger gänzlich verborgen geblieben ist, so dass ihm insoweit zumindest grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorgeworfen werden muss (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20; OLG Koblenz, Urteil vom 30.06.2020, 3 U 1785/19).

d)

Das von der Beklagten in den Pressemitteilungen zur Schadensbeseitigung angekündigte Softwareupdate steht dem nicht entgegen. Ein Schaden ist nämlich eingetreten, wenn sich die Vermögenslage des Betroffenen objektiv verschlechtert hat, ohne dass bereits feststehen muss, ob dieser Nachteil bestehen bleibt und der Schaden damit endgültig wird (BGHZ 114, 150 ff.). Der Schaden des Klägers besteht hier im Erwerb eines Fahrzeugs mit der beanstandeten Motorsteuerungssoftware, d. h. im Abschluss des Kaufvertrages. Der Kläger hätte den Eintritt dieses Schadens, nämlich die Betroffenheit seines Fahrzeugs, bereits im Herbst 2015 durch eine Abfrage auf der von der Beklagten freigeschalteten Website feststellen können. Dass die Beklagte hier die Auffassung vertreten hat und weiterhin vertritt, dass durch das von ihr in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt entwickelte Softwareupdate der Schaden beseitigt werden könne, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Das Deliktsrecht kennt eine Nachbesserungsmöglichkeit nicht, so dass die Möglichkeit des nachträglichen Softwareupdates den bereits durch den Vertragsschluss entstandenen Schaden unberührt lässt.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Frage, ob die Beklagte deliktisch in Anspruch genommen werden kann, in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt wurde und erst seit Mai 2020 eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage vorliegt. Ausnahmsweise kann zwar Rechtsunsicherheit den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage besteht, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag; denn in diesem Fall würde es an der Zumutbarkeit einer Klageerhebung fehlen (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20; BGH MDR 2019, 1027 und 1538). Hiervon kann hier aber nicht ausgegangen werden: Einerseits genügt es nicht, dass noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer bestimmten Frage vorliegt. Andererseits ist für die Beurteilung, ob eine unsichere oder zweifelhafte Rechtslage gegeben ist, der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung maßgeblich (BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20; BGH NJW 2014, 3713). Bei Vertragsschluss im Jahr 2010 und noch im Herbst 2015 herrschte aber kein ernsthafter Meinungsstreit in Literatur und Rechtsprechung über die Frage einer deliktischen Haftung der Beklagten. Gerichtliche Entscheidungen hierzu sind erst von 2016 an ergangen. Dass die Rechtslage zu einem späteren Zeitpunkt unsicher wird, nachdem die Verjährung erst einmal zu laufen begonnen hat, vermag den Verjährungsbeginn nicht nachträglich zu verlängern (BGH a.a.O.).

Auch eine Unterbrechung oder ein Neubeginn der Verjährung ist hier nicht dargetan: Eine Verjährungsunterbrechung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB durch Anmeldung zu dem Musterfeststellungsverfahren beim OLG Braunschweig, 4 MK 1/18, wird vorliegend von dem Kläger nicht behauptet. Deren Erhebung hat entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung ohne Beteiligung des jeweiligen Anspruchsinhabers keine hemmende Wirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB. Vielmehr ist insoweit die individuelle Anmeldung des Anspruchs zur Eintragung in das Klageregister erforderlich (Palandt-Ellenberger, BGB, 80. Aufl., § 204 Rn. 16a m.w.N.). Das angebotene Softwareupdate hat ebenfalls nicht zu einem Neubeginn der Verjährung nach § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB geführt, denn diesem waren weder Verhandlungen zwischen den Parteien vorausgegangen, noch hat die Beklagte durch die Entwicklung und das zur Verfügung stellen des Softwareupdates etwaige Schadensersatzansprüche des Klägers anerkannt.

Dass das Softwareupdate nach dem Vortrag des Klägers seinerseits mangelhaft und zur Schadensbehebung nicht geeignet ist, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Das erst nachträglich entwickelte Softwareupdate hat - wie dargelegt - den ursprünglichen, für den Schaden des Klägers kausalen Entschluss, das streitgegenständliche Fahrzeug zu erwerben, nicht beeinflusst. Bei Abschluss des Kaufvertrages am 05.07.2010 stand das von der Beklagten später entwickelte und angebotene Softwareupdate nicht im Raum. Dieses stellt kein neues schädigendes Ereignis dar, das eine neue Kausalkette und damit eine abweichende Verjährungsfrist in Gang gesetzt hätte.

Soweit sich der Kläger auf andere deliktische Anspruchsgrundlagen stützt, scheitern diese abgesehen davon, dass ihre Anspruchsvoraussetzungen nicht vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19), ebenfalls an der von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung.

3.

Dem Kläger steht nach dem Eintritt der Verjährung seiner deliktischen Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte allerdings der Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB zu. Die damit verbundene Beschränkung seiner Schadensersatzansprüche war auf die Berufung der Beklagten im Tenor zu 1. zum Ausdruck zu bringen.

Der Senat sieht keine Veranlassung, den Anwendungsbereich der Vorschrift, etwa im Wege der teleologischen Reduktion, einzuschränken. Eine solche Reduktion des Anwendungsbereichs der Bestimmung kann im sogenannten ...-Abgasskandal insbesondere nicht aus der Möglichkeit der Beteiligung der von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigten Fahrzeugkäufer an der Musterklage vor dem OLG Braunschweig hergeleitet werden. Die insoweit von der Beklagten vertretene Auffassung ist abwegig.

Der historische Normzweck des § 852 BGB bestand darin klarzustellen, dass der Bereicherungsanspruch gegen den Ersatzpflichtigen, der aus einer unerlaubten Handlung auf Kosten des Geschädigten etwas erlangt hat, nicht der kurzen deliktischen Verjährung unterliegt, und darin, diesen Anspruch inhaltlich zu regeln. Der Deliktsschuldner sollte nicht besser stehen als ein bösgläubiger Bereicherungsschuldner. Diese Anliegen des historischen Gesetzgebers wurden mit der Schuldrechtsreform obsolet, weil seither generell und damit auch für Bereicherungsansprüche grundsätzlich eine dreijährige Verjährungsfrist gilt und damit die Ansprüche aus Bereicherungs- und Deliktsrecht regelmäßig zeitgleich verjähren. Im Zuge der Schuldrechtsreform wurde dementsprechend die Aufhebung der Bestimmung erwogen, weil befürchtet wurde, die Haftung wegen Eingriffserwerbs werde in einer Weise ausgeweitet, die weder praktikabel noch sachlich gerechtfertigt ist (vgl. BeckOGK-Spickhoff, BGB, Stand 01.12.2020, § 852 Rn. 2).

Die Beibehaltung der Bestimmung wurde schließlich damit begründet, dem Geschädigten solle ein längerer Entscheidungszeitraum hinsichtlich der Durchsetzung seines deliktischen Schadensersatzanspruchs zugebilligt werden, wenn der Dieb nach seiner Festnahme behauptet, das Diebesgut versetzt und den Erlös verbraucht zu haben, oder in dem Fall, dass ein Lösegelderpresser behauptet, das Lösegeld auf seiner Flucht verjubelt zu haben. Werde zwar der Erpresser, nicht aber das Lösegeld gefunden und verzichte der Geschädigte in dieser Situation deshalb zunächst auf die Geltendmachung des Ersatzanspruchs, solle die Herausgabe der Beute nach § 852 BGB verlangt werden können, wenn sie binnen weiterer sieben Jahre nach Vollendung der Regelverjährungsfrist auftauche (BT-Drs. 14/6040 S. 270). Ferner habe sich gezeigt, dass die Beibehaltung bei deliktsähnlichen Verletzungen auf dem Gebiet geistigen Eigentums erforderlich sei, da etwa trotz Kenntnis von der Patentrechtsverletzung oftmals auf eine Verfolgung der Ansprüche innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist verzichtet werde, wenn der Patentrechtsinhaber hinsichtlich des Bestandes des Klagepatents unsicher sei (BT-Drs. 14/6040 S. 282).

Der heutige Normzweck des § 852 BGB ist damit weiter. Der deliktisch Geschädigte soll eine durch die unerlaubte Handlung verursachte Bereicherung des Ersatzpflichtigen auch dann noch abschöpfen dürfen, wenn der Schadensersatzanspruch längst verjährt ist (BT-Drs. 14/6040 S. 270). Der Deliktstäter soll nicht schon nach Ablauf der kurzen Verjährungsfrist des Schadensersatzanspruchs das zu Lasten des Geschädigten durch die unerlaubte Handlung Erlangte behalten dürfen (vgl. BGH NJW 1965, 1914; BGHZ 169, 308 ff und 71, 86 ff). Soweit der Normzweck darüber hinaus darin gesehen wird, dass der Geschädigte nicht innerhalb der kurzen Verjährungsfrist des § 195 BGB gezwungen sein soll, einen Rechtsstreit anzustrengen, wenn die Zwangsvollstreckung derzeit aussichtslos erscheint oder weil der Ersatzpflichtige behauptet, nicht mehr im Besitz des Erlangten zu sein, überzeugt dies nicht, da derartige Probleme sich grundsätzlich bei jedem Anspruch stellen können (BeckOGK-Spickhoff, a.a.O., Rn. 3; Ebert NJW 2003, 3035 ff).

Festzuhalten ist danach, dass sich der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung trotz der im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens geäußerten Kritik und Bedenken bewusst gegen die Aufhebung des § 852 Abs. 3 BGB aF und für die Neuregelung der Bestimmung in § 852 Satz 1 BGB entschieden hat. Dass die praktische Bedeutung des Restschadensersatzanspruchs damit erheblich zugenommen hat, weil anders als früher ein neben der Deliktshaftung gegebener Anspruch aus Eingriffskondiktion normalerweise mit dem deliktischen Anspruch verjährt, so dass nach Ablauf der Regelverjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB dem Geschädigten allein die Berufung auf § 852 BGB weiterhilft, hat der Gesetzgeber damit nicht nur gesehen, sondern gerade gewollt.

An diesem gesetzgeberischen Willen hat die Einführung des seit dem 01.11.2018 anzuwendenden § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB mit Gesetz vom 12.08.2018 nichts geändert. Die Musterfeststellungsklage ist als Form des kollektiven Rechtsschutzes ein Produkt der Aufarbeitung des ...-Abgasskandals und hat es dem Verbraucher ermöglicht, sich anstelle der Erhebung einer Individualklage an der Klage eines Verbraucherschutzverbandes zu beteiligen. § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB will sicherstellen, dass angemeldete Verbraucher, die den Ausgang der Musterklage im Hinblick auf die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils abwarten, nicht durch den Ablauf der Verjährungsfristen während des Musterfeststellungsverfahrens daran gehindert werden, ihren Anspruch gerichtlich durchzusetzen (BT-Drs. 19/2507, 28).

Damit scheidet eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 852 BGB im Wege der teleologischen Reduktion entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung offensichtlich aus: Die teleologische Reduktion setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus, wobei zu deren Feststellung von der in der Gesetzesbegründung niedergelegten gesetzgeberischen Absicht auszugehen ist (BGH NJW 2014, 2646; 2009, 427). Eine solche Lücke besteht im Anwendungsbereich des § 852 BGB aber nicht. Sinn und Zweck der Beibehaltung der Bestimmung bestanden gerade darin, den Anwendungsbereich der Norm im Interesse des deliktisch Geschädigten von der kurzen Regelverjährung der §§ 195, 199 BGB auszunehmen. Trotz der im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung geführten Diskussion hat der Gesetzgeber die Bestimmung beibehalten und auch die Einführung des ebenfalls dem Schutz des Geschädigten vor der kurzen Regelverjährung dienenden § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB nicht dazu genutzt, den Anwendungsbereich der Vorschrift zugunsten des Schädigers einzuschränken. Damit widerspricht die von der Beklagten vorgeschlagene teleologische Reduktion offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers, der sowohl bei der Neufassung des § 852 BGB im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung als auch bei der Einführung des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB die Rechte des Geschädigten stärken und nicht den Schädiger entlasten wollte (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 02.03.2021, 12 U 161/20; a. A.: Martinek jM 2021, 56).

Die Beklagte ist dem Kläger daher nach § 852 Satz 1 BGB nach der Verjährung der diesem zustehenden Schadensersatzansprüche zur Herausgabe des infolge der von ihr verübten vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung Erlangten verpflichtet. Während der Kläger bis zum Eintritt der Verjährung die Kompensation sämtlicher Nachteile verlangen konnte, ist der Ausgleich nunmehr der Höhe nach auf die dem Schädiger verbliebene Bereicherung begrenzt.

Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 852 S. 1 BGB ist nicht nach § 852 S. 2 BGB verjährt. Nach dieser inhaltlich an § 199 Abs. 3 BGB angeglichenen eigenständigen Sonderregelung verjährt der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB in 10 Jahren von seiner Entstehung an. Nachdem der Schaden des Klägers in dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrages vom 05.07.2010 liegt und seine Klage am 06.07.2020, einem Montag, bei dem Landgericht eingegangen ist, ist sein Anspruch auf Restschadensersatz auch nicht verjährt (§§ 193, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, 222 ZPO).

III.

Die prozessuale Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 17.318,72 € festgesetzt. Dies entspricht dem Interesse des Klägers, der einerseits mit der erhobenen Feststellungsklage möglicherweise auch die Rückabwicklung des am 05.07.2010 geschlossenen Kaufvertrags, in dem er sich zur Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 21.648,40 € verpflichtet hat, begehrt, ohne einen Vorteilsausgleich zu berücksichtigen. Hiervon ist, da es sich um eine positive Feststellungsklage handelt, ein Abschlag von 20 % gegenüber dem Wert der entsprechenden Leistungsklage vorzunehmen und zwar auch dann, wenn der Kläger damit rechnen kann, dass der Gegner freiwillig zahlen wird (BGH MDR 2008, 829).

V.

Die Revision wird zugelassen. Die Frage des Bestehens eines Anspruchs aus § 852 BGB nach Eintritt der Verjährung deliktischer Ansprüche ist höchstrichterlich bislang noch nicht entschieden und wird unterschiedlich beantwortet (vgl. einerseits OLG Oldenburg, Urteil vom 02.03.2021, 12 U 161/20 und andererseits OLG Oldenburg, Beschluss vom 21.01.2021, 2 U 168/20).