AG Kassel, Urteil vom 28.01.2021 - 800 C 2510/20
Fundstelle
openJur 2021, 16655
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin verfolgt die Anfechtung eines Beschlusses einer Wohnungseigentümergemeinschaft.

Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft A. Sie umfasst 13 Eigentumseinheiten, die im Eigentum von 11 Personen stehen. Mit Schreiben vom 06.07.2020 lud die Hausverwaltung zur Eigentümerversammlung auf den 22.07.2020. Im Einladungsschreiben (auf BI. 3 f. d. A. wird Bezug genommen) formulierte die Verwaltung wie folgt:

"Aufgrund der Größe der Sitzungsräume muss die Anzahl der anwesenden Eigentümer bei dieser Versammlung beschränkt werden (10 Personen inkl. Verwalter). Erteilen Sie deshalb möglichst dem Verwaltungsbeirat oder der Verwaltung die Vollmacht für die Teilnahme an der Versammlung. [...] Der Verwalter behält sich vor, die Versammlung nicht durchzuführen, sofern die Höchstzahl der Anwesenden überschritten wird und keine einvernehmliche Regelung am Versammlungstag dazu getroffen werden kann."

Die Klägerin nahm an der Versammlung nicht teil. In der Versammlung erfolgte zum Tagesordnungspunkt 9 eine Beschlussfassung über den Anstrich der Gebäudefassade. Auf Empfehlung der Firma B beschloss die Versammlung mehrheitlich, dass ein vorangegangener Beschluss in der Eigentümerversammlung vom 16.10.2018 zum dortigen TOP 8 dahingehend abgeändert wurde, dass der Fassadenanstrich inklusive Algenschutz mit einem von der Firma C hergestellten Anstrich ausgeführt werden soll.

Die Klägerin rügt eine fehlerhafte Einladung im Hinblick darauf, dass nach ihrem Wortlaut Miteigentümer wegen der Person Beschränkung von der Teilnahme ausgeschlossen werden können. In der Sache behauptet sie, der Beschluss sei deswegen fehlerhaft, weil es sich bei dem konkret benannten Anstrich um ein Material handele, das aufgrund seiner Eigenschaften toxisch mit entsprechender Konsequenz für die Gesundheit der Bewohner des Hauses sei. Auf europäischer Ebene fehle es dem konkret genannten Mittel an einer Zulassung. Darüber hinaus sei insbesondere auf den Fassadenseiten, die nicht nach Norden ausgerichtet sein, die Anwendung dieses Materials nicht geboten.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss aus der Einfuhrversammlung vom 22.07.2020 zum TOP 9 für ungültig zu erklären bzw. die Nichtigkeit des Beschlusses festzustellen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet unter Berufung auf Herstellerangaben die Gesundheitsschädlichkeit und Giftigkeit des Anstrichmaterials und beruft sich darüber hinaus auf einen der Eigentümerversammlung zustehenden Ermessensspielraum.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Auf Antrag der Klägerin hat das erkennende Gericht im Verfahren 800 C 2563/20 mit Urteil vom 27.08.2020 eine einstweilige Verfügung erlassen mit dem Inhalt, die Vollziehung des streitgegenständlichen Beschlusses einstweilen auszusetzen. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der hiesigen Beklagten hat das Landgericht Frankfurt am Main unter dem 17.12.2020 das vorgenannte Urteil aufgehoben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten des Berufungsurteils wird auf BI. 139 ff. d.A. Bezug genommen.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist noch die alte Fassung des WEG maßgeblich. Nach § 48 Abs. 5 WEG n.F. ist wegen Anhängigkeit der Klage vor Inkrafttreten der Neufassung noch das Prozessrecht gemäß der alten Fassung des WEG anzuwenden. Da streitgegenständlichen eine Beschlussanfechtungsklage ist, können angegriffene Beschlüsse auch nur nach der Rechtslage beurteilt werden, die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung galten, zumindest dann, wenn — wie hier — ein abgeschlossener Sachverhalt vorliegt (so wohl Dötsch/Schultzky/ Zschieschak, WEG-Recht 2021, 14. Kapitel Rdnr. 223 und 16. Kapitel Rdnr. 13 ff. und Hügel/Elzer, § 48 WEG Rdnr. 18).

Die Klage ist innerhalb der Fristen des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG a.F. erhoben und mit einer Begründung versehen worden.

Die angegriffene Beschlussfassung ist nicht wegen eines gravierenden Ladungsmangels nichtig. Das erkennende Gericht schließt sich nunmehr entgegen seiner im Urteil vom 27.08.2020 im dieselbe Angelegenheit betreffenden einstweiligen Verfügungsverfahren geäußerten Ansicht nunmehr der Rechtsauffassung des Landgerichts Frankfurt gemäß Urteil vom 17.12.2020 an. Dort ist u.a. ausgeführt:

"[...] Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Amtsgerichts, dass auch in Zeiten der Corona-Pandemie ein Anspruch der Eigentümer auf eine persönliche Teilnahme an Eigentümerversammlungen besteht und es unzulässig ist, Versammlung dahingehend zu beschränken, dass lediglich eine Teilnahme einzelner Personen gewährleistet wird und die übrigen Eigentümer Vollmachten zu erteilen haben oder gar von vorneherein lediglich zu so genannten Vertreterversammlungen geladen wird, bei denen sich die Eigentümer nur (üblicherweise vom Verwalter) vertreten lassen können. [...] In dieses Recht ist ein Eingriff durch die Einladung hier jedoch nicht erfolgt. [...] In der hier maßgeblichen Einladung ist lediglich darauf verwiesen worden, dass ein Versammlungssaal für 10 Personen angemietet wurde, zugleich ist auf die Erteilung von Vollmachten hingewiesen worden. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden. Aufgabe des Verwalters ist es, zu einer Versammlung einzuladen, dabei hat er über den Ort und die Zeit der Versammlung nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Gerade in den Zeiten der Corona-Pandemie [...] ist es ein sachgerechtes Ermessenskriterium, sich bei der Auswahl des Versammlungsortes an der zu erwartenden Teilnehmerzahl zu orientieren und dabei Vertretungsmöglichkeiten aktiv zu bewerben [...]. Ein - wohl allerdings auch nur zur Anfechtbarkeit führender - Verstoß gegen die Teilnahmerechte könnte bei dieser Vorgehensweise darin liegen, dass Teilnehmern der Zugang zum Saal verweigert wird, wenn die Kapazität erschöpft ist. Dies wird vorliegend jedoch nicht geltend gemacht. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts war die Klägerin aus anderen Gründen nicht anwesend.[•••]"

Aus diesen Ausführungen folgt, dass es an der Nichtigkeit des angegriffenen Beschlusses wegen des Ladungsmangels fehlt. Im Hinblick darauf, dass sich die Klägerin erklärtermaßen nicht wegen der Formulierung der Einladung von der Teilnahme an der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung hat abhalten lassen, sondern aus anderen Gründen abwesend war, kann nach der vorstehend geschilderten Auffassung des Landgerichts Frankfurt die Klägerin insoweit auch keinen Anfechtungsgrund bezüglich des angegriffenen Beschlusses geltend machen. Dabei kann das erkennende Gericht dahingestellt sein lassen, ob die Auffassung des Landgerichts Frankfurt bereits eine Abkehr von dem Grundsatz darstellt, dass die Kausalität eines Ladungsmangels vom Anfechtungsgegner zu widerlegen ist. Denn vorliegend ist bereits durch die Erklärung der Klägerin im einstweiligen Verfügungsverfahren, aus anderen Gründen von der Teilnahme an der Versammlung abgesehen zu haben, hinreichend, um eine fehlende Kausalität des Ladungsmangels für die konkrete Beschlussfassung anzunehmen.

Der angegriffene Beschluss entspricht auch ordnungsgemäßer Verwaltung.

Letztlich ist zwischen den Parteien der Umstand unstreitig, dass die Fassade des Gebäudes A u.a. wegen des Befalls mit Algen einer Behandlung bedarf, insbesondere die Nordfassade. Streitig ist nur, ob die konkret beschlossene Vorgehensweise bezüglich der Auswahl des Anstrichmaterials fehlerbehaftet ist oder nicht.

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass einer Eigentümergemeinschaft bei der Beschlussfassung über die Durchführung von baulichen Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum grundsätzlich ein Entscheidungsspielraum zusteht, in welcher Art und Weise die Maßnahme durchgeführt werden soll. Innerhalb dieses Entscheidungsspielraums dürfen danach alle geeigneten Maßnahmen beschlossen werden, die nicht mit einem für einzelne Miteigentümer oder sonstige Berechtigte unzumutbaren Nachteil verbunden sind. Vorliegend ist nicht erkennbar, dass die angegriffene Beschlussfassung diese Grenzen des Entscheidungsspielraums überschritten hätte.

Eine Überschreitung des Spielraumes liegt nicht bereits dann vor, wenn es sich bei dem Anstrichmaterial um ein solches mit toxische Wirkung für Lebewesen handelt. Denn Sinn und Zweck der von der Eigentümergemeinschaft gewollten Bearbeitung der Fassade unter anderem wegen Algenbefalls ist die Erzielung eines Zustandes, der die Befallspuren beseitigt und gegebenenfalls erneuten Befall verhindert oder wenigstens erschwert. Die Anwendung künstlich hergestellter Stoffe ist dafür grundsätzlich geeignet. Erst dann, wenn über bestimmte biozide Wirkungen hinausgehend auch eine Beeinträchtigung der Gesundheit von Bewohnern oder Anwohnern des Gebäudes ernstlich zu besorgen ist, könnte das Ermessen der Eigentümerversammlung hinsichtlich der Maßnahmenauswahl eingeschränkt sein. Solange derartige gesundheitlichen Risiken jedoch als noch hinnehmbar einzuordnen sind, ist die Auswahl eines entsprechenden Materials noch mit den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung vereinbar. Denn nur dann, wenn die Verwendung des Materials schlechterdings unzumutbar ist, wäre der Entscheidungsspielraum verlassen, wenn gleichwohl die Beschlussfassung dementsprechend ausfiele.

Die Klägerin hat hier nicht hinreichend dargetan, dass eine solche Situation bei der Beschlussfassung am 22.07.2020 vorlag. So ist ihrem Vorbringen bereits nicht zu entnehmen, dass aus Rechtsgründen das von der Firma B vorgeschlagene Anstrichmaterial nicht verwendet werden könnte. Alleine der Umstand, dass sich das Material derzeit in einem noch nicht abgeschlossenen Registrierungsvorgang bei einer europäischen Behörde befindet, führten nicht zu der Annahme, dass es sich um ein nicht zugelassenes Material handelt. Den in Anlagen K8 bis K10 vorgelegten Unterlagen vermag das Gericht nicht zu entnehmen, das ist nach Abschluss dieses Vorganges überhaupt eine Zulassung besteht. Darüber hinaus ist damit nicht gesagt, dass gegebenenfalls nach den Vorschriften des nationalen Rechts die Verwendung dieses Anstriches nicht zugelassen ware. Vor diesem Hintergrund dürften die Eigentümer bei der Beschlussfassung am 22.07.2020 davon ausgehen, dass Ihnen die Verwendung eines zugelassenen Materials vorgeschlagen wurde. Eine entsprechende Beschlussfassung Ist aber nicht zu beanstanden, wenn ein zugelassenes Verfahren gewählt wird.

Darüber hinaus hat sie auch keine unzumutbare Belastung für die Hausbewohner dargetan. Zwar hat sie in der Klageschrift darauf hingewiesen, dass toxische Stoffe in dem von der Fa. C hergestellten Material enthalten sind, beispielsweise 2-Octy1-2H-isothiazol-3-on, Pyrithionzink, Terbutryn und 2-Methyl-2H-iothiazol-3-on. Sie hat jedoch nicht dargetan, dass diese Stoffe in der konkreten Anwendung als Fassadenanstrich zwingend zu Schäden an der menschlichen Gesundheit führen. Alleine der Umstand, dass diese Stoffe in bestimmten Kontaktformen zu Auswirkungen etwa hinsichtlich der Funktionsfähigkeit der menschlichen Haut oder der menschlichen Fruchtbarkeit führen können, genügt dafür nicht. Für die insbesondere nicht hinreichend vorgetragen, dass nach Abschluss der Anstricharbeiten noch Kontaktmöglichkeiten etwa von Bewohnern des Hauses mit den Stoffbestandteilen des Anstrichs in einer entsprechenden Konzentration überhaupt stattfinden oder jedenfalls naheliegend sind, die zu nicht hinzunehmenden gesundheitlichen Nachteilen führen. Die Klägerin trägt lediglich pauschal vor, dass Auswaschungen durch Regenwasser denkbar sind. Alleine daraus vermag das Gericht jedoch nicht zu schließen, dass eine gesundheitsbeeinträchtigende Wirkung entsteht. Insoweit ist der Klagevortrag lückenhaft geblieben. Gleiches gilt im Hinblick auf von der Klägerin für möglich gehaltenen Einwirkungen auf die Luft und mittelbar die Innenraumluft. Es fällt aber sowohl an Vortrag dazu, ob derartige Stoffe überhaupt einem Sublimationsvorgang unterfallen und in welcher Art und Weise sich dieser vollzieht als auch dazu, wie sich die Folgen eines solchen etwaigen Vorganges auf Hausbewohner auswirken. Insbesondere kann das Gericht aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nichts zu diesen Fragestellungen entnehmen. Das von ihr vorgelegte Datenblatt der Firma C (Anlage K11) deutet zwar auf Risiken bei der Verarbeitung hin, insbesondere wenn direkter Körperkontakt mit dem Material stattfindet, nicht jedoch auf Risiken in zeitlich der Verarbeitung nachfolgenden Phasen. Vielmehr lässt sich dem Datenblatt entnehmen, dass keine Komponenten in toxische Konzentration vorhanden sind. Diese Aussage wird durch die anderen von der Klägerin vorgelegten Unterlagen nicht widerlegt. Vor diesem Hintergrund sind die bisherigen Beweisangebote der Klägerin zu der von ihr angenommenen Toxizität des Fassadenanstrichs als prozessual unzulässige Ausforschung einzuordnen.

Das Gericht kann zwar nicht ausschließen, dass zu einem aus heutiger Sicht nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt in der Zukunft wissenschaftliche Erkenntnisse hervorgetreten sind, die zu einer anderen Beurteilung des streitgegenständlichen Anstrichs führen. Abzustellen ist jedoch auf den Zeitpunkt der angegriffenen Beschlussfassung, zu dem solche allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisse auch nach dem Vorbringen der Klägerin nicht vorlagen.

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, die Behandlung lediglich der Nordfassade sei erforderlich und geboten, nicht aber diejenige der anderen Fassaden. Auch insoweit steht der Eigentümerversammlung bei der Beschlussfassung ein Entscheidungsspielraum zu. Behandelt man nur eine von mehreren Fassaden, so nimmt man zwangsläufig optische Unterschiede in Kauf. Die Klägerin ist bereits dem im Termin zur mündlichen Verhandlung erörterten Vorbringen nicht ernsthaft entgegengetreten, das dann, wenn mit demselben Anstrichmaterial zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Fassadenanstrich erfolgt, ein solcher Unterschied eintreten kann. Darüber hinaus ist es einer Eigentümerversammlung auch zuzubilligen, gegebenenfalls vorbeugend ein Schutzanstrich ausführen zu lassen. Die Klägerin hat nicht in Abrede gestellt, dass der streitgegenständliche Anstrich einem etwaigen zukünftigen Algenbefall vorbeugen kann.

Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass bei der vorangegangenen Eigentümerversammlung des Jahres 2018 eine anderweitige Beschlusslage herbeigeführt wurde. Denn der Vorgängerbeschluss aus der Versammlung vom 16.10.2018 war den Eigentümern in der Versammlung vom 22.07.2020 erkennbar bewusst und ist ausdrücklich abgeändert worden.

Vor diesem Hintergrund war der Klägerin auch kein Schriftsatzrecht mehr einzuräumen, weil es nach den vorstehenden Erwägungen nicht darauf ankommt, ob ein gleichermaßen taugliches Alternativprodukt zur Verfügung steht, bei dem nach dem Kenntnisstand der Klägerin nicht zu besorgen ist, es rufe vergleichbare gesundheitliche Risiken hervor.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.