VG Darmstadt, Beschluss vom 28.01.2021 - 5 L 83/21.DA
Fundstelle
openJur 2021, 16653
  • Rkr:

1. Bei Anträgen nach § 123 Abs. 1 VwGO gegen bevorstehende Abschiebungen ist das Regierungspräsidium als Bezirksordnungsbehörde nur hinsichtlich der Unterlassung bereits konkret betriebener, unmittelbar bevorstehender Abschiebungen passivlegitimiert.

2. Solange es an einer konkreten Vollstreckungsmaßnahme fehlt, können Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG im Wege gerichtlichen Eilrechtsschutzes zulässigerweise nur gegenüber der für die Erteilung einer Duldung zuständigen allgemeinen Ordnungsbehörde geltend gemacht werden.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Der am 13.01.2021 gestellte Antrag,

"die Antragsgegnerin zu 2.) im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen",

ist nur teilweise zulässig.

Soweit die Antragstellerin mit der Klage- und Antragsschrift vom 13.01.2021 zur Begründung ihres Begehrens schon das Vorliegen der Ausreisepflicht verneint, indem sie geltend macht, sie falle in den Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU, und bezweifelt, ob ihre Einreise in das Bundesgebiet angesichts ihres britischen Visums überhaupt unerlaubt erfolgt ist, ist der Antrag bereits gemäß § 123 Abs. 5 VwGO unstatthaft und damit unzulässig. Denn mit diesem Vorbringen wendet sie sich tatsächlich gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung der Stadt X in der Verfügung vom 18.12.2020, gegen die sie mit gleichem Schriftsatz Klage erhoben hat (Az. 5 K 60/21.DA). Die Statthaftigkeit eines Eilrechtsschutzantrags gegen eine Abschiebungsandrohung richtet sich aber nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, weil die hiergegen erhobene Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 16 HessAGVwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Insoweit ist die Antragstellerin auf ein gemäß § 123 Abs. 5 VwGO vorrangiges Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung der Stadt X zu verweisen. Dasselbe gilt für alle sonstigen Einwände gegen die Abschiebung, die bereits im Verfahren gegen die Abschiebungsandrohung angebracht werden können.

Der im Übrigen statthafte Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der hier allein in Betracht kommt, kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) und der Grund für eine notwendige vorläufige Sicherung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 123 Abs. 3 VwGO).

Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch gegen den Antragsgegner glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin wendet sich gegen den falschen Antragsgegner. Das Regierungspräsidium Y ist hinsichtlich des geltend gemachten rechtlichen Begehrens, vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen, nicht passivlegitimiert, weil sich die Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung nicht gegen eine konkrete Vollstreckungsmaßnahme wendet.

Nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 der Verordnung über die Zuständigkeiten der Ausländerbehörden und zur Durchführung des Aufenthaltsgesetzes und des Asylgesetzes vom 05.06.2018 (GVBl. S. 251 - im Folgenden: HessAuslBehZustV) ist das Regierungspräsidium als Bezirksordnungsbehörde für Maßnahmen zur zwangsweisen Durchsetzung der Ausreispflicht nach Kapitel 5 Abschnitt 2 des Aufenthaltsgesetzes und damit für Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts ausreisepflichtiger Ausländer im Wege der Abschiebung zuständig. Diese Zuständigkeit geht als besondere sachliche Zuständigkeit der § 1 HessAuslBehZustV zu entnehmenden allgemeinen sachlichen Zuständigkeit der allgemeinen Ordnungsbehörden (Ausländerbehörde) vor. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 5 HessAuslBehZustV ist hiervon aber die Zuständigkeit für Entscheidungen über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ausgenommen. Hierfür ist ebenso wie für das Ausstellen von Duldungsbescheinigungen die lokale Ausländerbehörde als allgemeine Ordnungsbehörde zuständig.

Hieraus folgt, dass bei Eilanträgen gegen bevorstehende Abschiebungen die Passivlegitimation des Regierungspräsidiums als Bezirksordnungsbehörde zur Abgrenzung von der grundsätzlich vorrangigen Zuständigkeit der allgemeinen Ordnungsbehörde für die Erteilung einer Duldung auf bereits konkret betriebene, unmittelbar bevorstehende Abschiebungen beschränkt ist (siehe VG Darmstadt, Beschluss vom 24.09.2018, 5 L 2091/18. DA, juris). Solange es an einer konkreten Vollstreckungsmaßnahme fehlt, kann die Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG im Wege gerichtlichen Eilrechtsschutzes nur von der für die Erteilung einer Duldung zuständigen allgemeinen Ordnungsbehörde verlangt werden. Anhaltspunkte für eine bereits konkret betriebene Abschiebung sind weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.

Vorliegend ist der Eilrechtsschutzantrag zwar als Unterlassungsantrag formuliert. Nach verständiger Würdigung (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) des maßgeblichen Vorbringens der Antragstellerin in ihrer Antragsbegründung begehrt die Antragstellerin tatsächlich aber nicht das Unterlassen einer konkreten Abschiebungsmaßnahme, sondern eine generelle Verpflichtung des Regierungspräsidiums Y, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen. Denn sie stützt ihre Antragsbegründung - neben den Ausführungen zur Ausreisepflicht, die nach dem oben Gesagten im Verfahren gegen die Abschiebungsandrohung geltend zu machen sind - im Wesentlichen darauf, dass sie wegen der bestehenden Schwangerschaft einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG hat. Hierfür ist aber nach den vorangehenden Ausführungen die lokale Ausländerbehörde und nicht das Regierungspräsidium sachlich zuständig.

Auch Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es nicht, den Rechtsschutz gegen die Bezirksordnungsbehörde bereits im Vorfeld konkreter Vollstreckungsmaßnahmen zu eröffnen. Zwar darf nach § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG der Termin der Abschiebung dem Ausländer nach Ablauf der Ausreisefrist nicht angekündigt werden, jedoch hat der Ausländer die Möglichkeit, bei der Ausländerbehörde eine Duldung zu beantragen, die nicht unter der auflösenden Bedingung der Bekanntgabe eines Abschiebungstermins steht. Liegen Gründe für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG vor, dann wird dieser Sachlage durch Erteilung einer unbedingten Duldung Rechnung zu tragen sein. Mit Erteilung einer unbedingten Duldung erhält der Ausländer eine Rechtsstellung, die ihn während ihres Gültigkeitszeitraums hinreichend vor Abschiebungen schützt.

Selbst wenn sich die Antragstellerin gegen eine konkrete Abschiebungsmaßnahme wenden würde und damit die Passivlegitimation des Regierungspräsidiums Y gegeben wäre, wäre der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO unbegründet, da die Antragstellerin den erforderlichen Anordnungsanspruch auf Unterlassung von Vollstreckungshandlungen nicht glaubhaft gemacht hat.

Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unter Berücksichtigung des tatsächlichen und rechtlichen Vorbringens fehlt es an einem Anordnungsanspruch, weil die Voraussetzungen für eine Abschiebung gemäß § 58 AufenthG erfüllt sind und die Antragstellerin auch keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung glaubhaft gemacht hat.

Im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 HessAuslBehZustV ist die Bezirksordnungsbehörde selbst für die Rechtmäßigkeit des von ihr vorzunehmenden Realakts der Abschiebung verantwortlich und hat daher auch das Bestehen der Ausreisepflicht sowie Abschiebungshindernisse, etwa nach § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG, stets zu prüfen und zu beachten, selbst wenn sie nicht entscheidungsbefugt ist. Werden bei dieser Prüfung Abschiebungshindernisse festgestellt, so wird dem Ausländer daher von der Bezirksordnungsbehörde keine Duldung erteilt. Vielmehr unterlässt diese die Abschiebung, weil sie davon ausgeht, dass dem Ausländer ein Anspruch auf positive Entscheidung über einen bereits gestellten oder noch zu stellenden Duldungsantrag zusteht (VG Darmstadt, Beschluss vom 01.10.2018, 5 L 1897/18.DA).

Der Antragstellerin wurde mit Verfügung der Stadt X vom 18.12.2020 nach § 59 Abs. 1 AufenthG die Abschiebung aus dem Bundesgebiet nach Marokkooder in einen anderen zu ihrer Rückübernahme bereiten oder verpflichteten Staat angedroht. Dabei ist es für die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung nicht von Bedeutung, ob sich die Abschiebungsandrohung selbst als rechtmäßig erweist. Erforderlich, aber auch ausreichend für ein rechtmäßiges Vollstreckungsverfahren ist die Wirksamkeit und Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung. Beide Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da die der Antragstellerin bekanntgegebene Abschiebungsandrohung als Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung von Gesetzes wegen nach § 16 HessAGVwGO i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO vollziehbar ist. Schließlich ist auch die der Antragstellerin gesetzte Ausreisefrist nach § 59 Abs. 1 AufenthG bis zum 02.01.2021 inzwischen abgelaufen.

Die Antragstellerin hat weiterhin nicht glaubhaft gemacht, dass einer konkreten Abschiebungsmaßnahme des Regierungspräsidiums Y ein Duldungsgrund entgegengehalten werden könnte. Die Antragstellerin hat insbesondere nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Abschiebung rechtlich unmöglich im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist.

Das bloße Vorliegen einer Schwangerschaft stellt kein rechtliches Abschiebungshindernis dar. Anders kann es im Hinblick auf die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 6 GG liegen bei einer mit einer Risikoschwangerschaft einhergehenden begründeten Befürchtung einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Schwangeren bzw. des Kindes im Zusammenhang mit der Abschiebung (vgl. OVG des Landes Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.09.2009 - 18 B 1156/09 -, Rn. 6, juris). Hierfür sind konkrete Anhaltspunkte bereits nicht vorgetragen, geschweige denn unter Wahrung der Vorgaben des § 60a Abs. 2c, Abs. 2d AufenthG glaubhaft gemacht worden.

Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin vorträgt, die Durchführung eines Visumverfahrens sei der schwangeren Antragstellerin im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie nicht zumutbar, ist die Antragstellerin auf die Stellung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu verweisen. In diesem Verfahren kann die zuständige Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Ermessenswege von der Voraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum absehen, falls die Nachholung des Visumverfahrens aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar sein sollte.

Dem weiteren Vorbringen des Bevollmächtigten der Antragstellerin kann ein Anordnungsanspruch schon im Ansatz nicht entnommen werden. Soweit dort Fehler bei der polizeilichen Vernehmung der Antragstellerin im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens geltend gemacht werden, erschließt sich nicht, inwieweit dies einer Abschiebung entgegenstehen sollte. Ein Verwertungsverbot ist dem Ausländerrecht als Teil des besonderen Ordnungsrechts aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr jedenfalls grundsätzlich fremd. Im Übrigen wiederholt der Sachvortrag der Antragstellerin in der Antragsschrift im Wesentlichen ihre Angaben im Rahmen der polizeilichen Vernehmung, sodass schon vor diesem Hintergrund nicht einleuchtet, weswegen der Verwertung ihrer Angaben nun "nachdrücklich widersprochen" wird. Abweichende Tatsachen, denen ein Anordnungsanspruch entnommen werden könnte, werden jedenfalls nicht vorgetragen. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich der Vortrag, die Übersetzung durch den Ehemann der Antragstellerin im Rahmen der Vernehmung sei unzureichend, da dieser nur rudimentär Arabisch bzw. Englisch spreche, als völlig lebensfremd erweist, da dies darauf hinausliefe, dass keine vernünftige sprachliche Verständigung zwischen der Antragstellerin und ihrem Ehemann möglich wäre.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen, da sie unterliegt.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Da der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, legt das Gericht den Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG zugrunde, der wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung nur zur Hälfte anzusetzen ist.

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