SG Detmold, Urteil vom 27.01.2020 - S 1 VG 24/16
Fundstelle
openJur 2021, 16551
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. L 13 VG 28/20
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf die Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) hat.

Der am 00.00.1954 geborene Kläger beantragte im Dezember 2014 die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG). Dazu trug er vor, er sei seit seinem zweiten Lebensjahr im Heim untergebracht worden. Dort habe er Gewalt- und Missbrauchserfahrungen erlebt. Er sei in diversen Heimen/Psychiatrien gewesen. Täter seien verschiedene Erzieher/Mitarbeiter gewesen.

Als Folge leide er unter dissoziativen Störungen, psychogenen Anfällen, Depressionen, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Der Beklagte zog Unterlagen der Krankenkasse des Klägers, der IKK classic, bei, Berichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie die den Kläger betreffenden Schwerbehindertenrechtsakten des Versorgungsamtes T.

Am 00.00.2015 erteilte der Beklagte einen Bescheid, mit dem er feststellte, der Kläger habe keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger beantrage Versorgung nach dem OEG für die Folgen einer gesundheitlichen Schädigung (dissoziative Störungen, psychogene Anfälle, Depressionen, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, posttraumatische Belastungsstörung), die er nach seinen Angaben ab 1956 erlitten habe. Zur Begründung des Antrags habe er angegeben, dass er Gewalt- und Missbrauchserfahrungen in diversen Heimen und Psychiatrien gemacht habe. Um den Tatablauf und die gesundheitlichen Folgen zu ermitteln, habe der Beklagte Arztberichte, die Schwerbehindertenakte und Unterlagen der LWL-Behindertenhilfe Westfalen beigezogen. All diese Beweismittel habe der Beklagte ausgewertet. Der Kläger leidet seit Jahren an einer Vielzahl von Erkrankungen. Er habe eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Auch wenn nachvollzogen werden könne, dass es dem Kläger nicht gut gehe, habe der Beklagte sich an die strengen Vorgaben des OEG zu halten. Es seien leider keine Beweismittel vorhanden, die die Taten nachwiesen oder konkretisierten. Eine detaillierte Schilderung der Tathergänge liege nicht vor bzw. es sei dem Kläger nicht möglich, eine solche Schilderung abzugeben. Dies sei nicht verwunderlich, da die Taten teilweise fast 60 Jahre zurück lägen. Es könne somit nicht zweifelsfrei festgestellt werden, was genau in der Kindheit des Klägers geschehen sei. Wenn Tatsachen nicht ausreichend bewiesen werden könnten, habe derjenige die Folgen zu tragen, der daraus ein Recht herleiten wolle (Grundsatz der objektiven Beweislast). Das bedeute, dass sich der fehlende Beweis für den Kläger nachteilig auswirke. Daher müsse der Antrag abgelehnt werden.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch, der nicht begründet wurde, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.2016 als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 00.00.2016 Klage erhoben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der Kläger sei mit etwa drei Jahren in die Einrichtung St. K in N gekommen. Während des dortigen Aufenthaltes sei er ständig durch die betreuenden Pflegekräfte misshandelt worden. Auch vielfache sexuelle Übergriffe des Pflegers "B" habe der Kläger erleiden müssen. Als Pflegekind der Stiftung habe er als schulpflichtiges Kind schwere landwirtschaftliche Arbeiten in der anstaltsbezogenen Einrichtung verrichten müssen, so dass er sich auf seine schulischen Leistungen nicht genug habe konzentrieren können. Dadurch bedingt habe er nach 13 Jahren ins daraufhin überstellte Nonnenkloster dieser Einrichtung keinen Schulabschluss erlangen können. Der Kläger sei bis heute weder des Schreibens noch des Lesens mächtig. Bis heute leide er unter extremen psychischen Störungen und werde von daher ständig fachärztlich betreut. Das Vermögen des Klägers, die damaligen Umstände zu schildern, sei beschränkt. Zum einen hänge dies von seiner jeweiligen psychischen Verfassung ab. Zum anderen auch von dem Vertrauensverhältnis, welches der Kläger gegenüber der Gesprächsperson aufzubauen vermöge. Am 00.00.2015 habe der Kläger sich gegenüber dem jetzigen Vorsitzenden des Vereins "F I" anvertrauen können. Er habe mitgeteilt, dass er im Alter von 12 Jahren in der Pflegeabteilung der oben genannten Einrichtung mindestens drei Wochen eingesperrt gewesen sei. Er sollte in dem landwirtschaftlichen Eigenbetrieb der Einrichtung Unkraut jäten. Es sei ihm nicht erklärt worden, was Unkraut sei. Daraufhin habe er auch Nutzpflanzen mitgejätet. Er sei mit einem Stück vom Gartenschlauch geschlagen worden und habe daraufhin am ganzen Körper farbige Blutergüsse gehabt. Dann sei er drei Wochen eingesperrt worden. Der Pfleger "B" habe ihn in dieser Zeit zweimal wöchentlich vergewaltigt. Nach diesen Straftaten sei der Kläger traumatisiert gewesen und sei als "aggressiv und gefährlich" abgestempelt worden. Daraufhin sei er nach "X" verlegt worden, wo ihm starke Medikamente sowohl in Tabletten- als auch in Spritzenform verabreicht worden seien. Seitdem habe er Schlafstörungen. Aufgrund der Vorfälle in der vorgenannten Einrichtung sei der Kläger nicht nur Analphabet, sondern auch schwerstens psychisch und physisch geschädigt.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.2016 zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem OEG nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist bei seiner Auffassung geblieben, die angefochtene Verwaltungsentscheidung entspreche der Sach- und Rechtslage und sei nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht konnte vorliegend nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da der Sachverhalt geklärt war und die Streitsache auch keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies.

Das Gericht hat keine Veranlassung gesehen, nach fünf Fristverlängerungsanträgen des Bevollmächtigten des Klägers zu der ihm am 00.00.2019 zugegangenen Gerichtsbescheidsanhörung weiteren Fristverlängerungsanträgen des Bevollmächtigten des Klägers nachzukommen, nachdem diesem bereits mit Verfügung vom 00.00.2019 mitgeteilt wurde, es werde letztmalig Fristverlängerung bis zum 00.00.2019 gewährt und der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 00.00.2020 mitgeteilt hat, er müsse nochmal "letztmalig" um stillschweigende Fristverlängerung bis zum 00.00.2020 bitten.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 00.00.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.2016 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, denn dieser Bescheid ist nicht rechtswidrig.

Der Beklagte hat die Gewährung von Leistungen nach dem OEG zu Recht abgelehnt.

Für den Anspruch des Klägers auf Leistungen nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind. Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (23.05.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.05.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10 a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härtereglung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis zum 15.05.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, so lange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung Schwerbeschädigte und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50 festgestellt ist, wobei ein bis zu 5 v.H. geringerer GdS mit umfasst ist (§ 1 Abs. 1 OEG i.V. mit § 31 Abs. 2 und § 30 Abs.2 BVG).

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit den tätlichen Angriffen) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinaus gehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erreichen. Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen.

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches Übergewicht" für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet, das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehende Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss eine den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstaben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht.

Nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrundezulegen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind. Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserweiterung des § 15 Satz 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind.

Dabei ist die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson und deren Behandlung beeinflusst sein können. Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG, da nicht festgestellt werden kann, dass die Angaben des Klägers zumindest glaubhaft im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG sind.

Der Kläger ist nicht aussagetüchtig. So hat der Bevollmächtigte des Klägers in der Klagebegründung vom 00.00.2017 selbst ausgeführt, das Vermögen des Klägers, die damaligen Umstände zu schildern, sei beschränkt. Das Gericht hat versucht, den Kläger im Rahmen eines Termins am 00.00.2018 zu dem von ihm angegebenen körperlichen und sexuellen Missbrauch im St. K in N zu befragen. Diese Befragung musste abgebrochen werden, da der Kläger während seiner Befragung einen psychogenen Anfall erlitten hat. Auch eine erneute Befragung des Klägers durch das Gericht kommt nicht in Betracht. Ausweislich der Bescheinigung des den Kläger behandelnden Nervenarztes Dr. T vom 00.00.2019 steht zu befürchten, dass bei jedem persönlichen Erscheinen des Klägers zum Gerichtstermin eine akute Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers eintritt, die in anfallsartigen dissoziativen Zuständen besteht.

Soweit der Kläger im Termin am 00.00.2018 Angaben gemacht hat, die protokolliert werden konnten, ist zunächst darauf hinzuweisen, N war.

Soweit der Kläger im Termin angegeben hat, er sei vier- bis fünfmal wöchentlich, als er im St. K in N war, von Nonnen und Pflegern mit einem Rohrstock geschlagen worden, wenn er etwas falsch gemacht habe oder Widerworte gegeben habe, ist darauf hinzuweisen, dass Eltern wie Erziehungsberechtigten zum Zeitpunkt der angeschuldigten Taten in den Fünfziger-, Sechziger und Siebzigerjahren nach der damaligen Rechtslage (und Gesellschaftsauffassung) eine Befugnis zur maßvollen körperlichen Züchtigung verblieb. Sogar die Verwendung von Schlaggegenständen erfüllte nach den damaligen Maßstäben nicht zwingend das Merkmal einer verbotenen und damit ggf. als Körperverletzung strafbaren Erziehungsmaßnahme. Zu Erziehungszwecken erlaubte Schläge von strafbaren Körperverletzungen abzugrenzen, erfordert es vielmehr eine Würdigung der objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, die Anlass, Ausmaß und Zweck der Bestrafung berücksichtigte. So urteilte der BGH im Jahr 1952, dass Eltern, die ihre 16-Jährige "sittlich verdorbene" Tochter durch Kurzschneiden der Haare und Festbinden an Bett und Stuhl bestraften, nicht das elterliche Züchtigungsrecht überschritten. 1957 führte der BGH aus, dass Ohrfeigen und Rohrstockschläge eines Lehrers nicht strafbar seien, wenn der Lehrer zur Züchtigung rechtlich befugt sei und sich innerhalb der Grenzen dieser Befugnis halte. Und noch im Jahr 1986 sah der BGH nicht per se das elterliche Züchtigungsrecht als überschritten an, als Eltern ihr Kind mit einem 1,4 cm starken und in sich stabilen Wasserschlauch auf Gesäß und Oberschenkel geschlagen hatten, wobei jeweils rote Striemen entstanden waren. Vielmehr forderte der BGH auch in diesem Fall eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Tatgeschehens und erkannte ausdrücklich, dass allein die Verwendung eines Schlaggegenstandes noch nicht das Merkmal der "entwürdigenden Erziehungsmaßnahme" erfülle. Bis zur Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts im November 2000 können elterliche Schläge deshalb nicht grundsätzlich als "rechtswidrig" eingestuft werden. Notwendig ist vielmehr die Abgrenzung zur maßvollen körperlichen Züchtigung und eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, die Anlass, Ausmaß und Zweck der Bestrafung berücksichtigt (vgl. zum Vorstehenden: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.12.2014 -L 6 VG 2838/12-).

Eine derartige Abgrenzung ist hier nicht möglich, da der Kläger -wie dargelegt- zu den Einzelheiten der körperlichen Züchtigung nicht mehr befragt werden kann. Die Angabe des Klägers, er sei geschlagen worden, wenn er etwas falsch gemacht oder Widerworte gegeben habe, spricht eher dafür, dass die Schläge vom (damaligen) Züchtigungsrecht gedeckt waren. Die Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen geht nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 -B 9 VG 3/99 R-).

Das Gericht hält hier die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zur Feststellung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers für unumgänglich, da die Angaben des Klägers zum körperlichen und sexuellen Missbrauch mangels Augenzeugen (die Berichte von so genannten "Zeitzeugen" reichen insoweit nicht aus) das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung des Klägers und deren Behandlung beeinflusst sein können. Das Versorgungsamt T hat bei dem Kläger mit Bescheid vom 00.00.1998 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 für die Behinderungen "Geistesschwäche" (Einzel-GdB 100) und "cerebrales Anfallsleiden" (Einzel - GdB 80) festgestellt. Darüber hinaus wurde bei dem Kläger eine dissoziale Persönlichkeitsstörung bei grenzwertiger Intelligenzminderung sowie der Verdacht auf ein hirnorganisches Anfallsleiden (Bericht der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie M vom 00.00.1997) diagnostiziert. Das Gericht schließt sich der Auffassung der von dem Beklagten gehörten Dipl.-Psych. Frau T vom 00.00.2017 an, wonach sich Zweifel an der spezifischen Aussagetüchtigkeit aufgrund der konkreten Aufgabenanforderungen ergeben und die bei dem Kläger vorliegenden psychischen Beeinträchtigungen als wichtige Personenvariablen im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung besonders zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus stünden bei einer aussagepsychologischen Begutachtung im Schwerpunkt die Analysen der Aussageentstehungsgeschichte und der Analyse der weiteren inhaltlichen Entwicklung der Aussage im Zentrum, um die Frage zu klären, wie wahrscheinlich es ist, dass es im konkreten Fall zu Realitätsverkennungen und/oder Quellenverschiebungen bzw. Fehlereinflüssen, Verzerrungen und Reinterpretationen gekommen ist.

Die Einholung eines derartigen aussagepsychologischen Gutachtens ist dem Gericht jedoch nicht möglich, da es unumgänglich ist, dass der Kläger im Rahmen der Begutachtung von der/dem Sachverständigen im Einzelnen zu den vorgetragenen Taten befragt wird, was nach der Bescheinigung des den Kläger behandelnden Nerverarztes Dr. T vom 00.00.2019 wie eine Retraumatisierung wirken könnte und die dissoziativen Anfälle auch in ungewollte Gewaltausbrüche münden können.

Selbst wenn man hier unterstellt, dass der von dem Kläger angegebene körperliche und sexuelle Missbrauch so stattgefunden hat, wie von dem Kläger (schriftlich) vorgetragen wurde, ist nach Auffassung des Gericht eine psychiatrische Begutachtung des Klägers aufgrund einer persönlichen Untersuchung durch eine/n Sachverständige(n) unumgänglich. Eine derartige psychiatrische Begutachtung ist zum einen erforderlich, um etwaige Schädigungsfolgen von schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen abzugrenzen zu können und zum anderen, um im Hinblick auf § 10a OEG feststellen zu können, ob die festgestellten Schädigungsfolgen einen GdS von mindestens 50 bedingen. Dass der Kläger schwerbehindert ist (Grad der Behinderung von 50) reicht zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 10 a OEG nicht aus. Der Kläger muss vielmehr allein infolge der vorgetragenen Schädigungen während der Heimzeit schwerbeschädigt sein. Hierfür ist Voraussetzung, dass eine Schwerbeschädigung mit Wahrscheinlichkeit zumindest annähernd gleichwertig neben anderen Ursachen auf die vorgetragenen körperlichen und sexuellen Gewalterfahrungen im Heim zurückzuführen ist. Dies kann hier ohne eine persönliche Begutachtung des Klägers nicht festgestellt werden. Ausweislich der ärztlichen Stellungnahme der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie M vom 00.00.1997 befand sich der Kläger zum damaligen Zeitpunkt bereits zum 19. Mal in der Klinik zur stationärpsychiatrischen Behandlung und ausweislich der von der IKK Classic erteilten Auskunft ist der Kläger seit dem Jahr 2002 wegen einer Vielzahl von (hauptsächlich psychischen und neurologischen) Gesundheitsstörungen behandelt worden. Aufgrund des komplexen Lebens- und Leidensweges des Klägers ist zur Abgrenzung von etwaigen Schädigungsfolgen von Nichtschädigungsfolgen eine Befragung des Klägers zu den von ihm vorgetragenen Taten erforderlich und eine Begutachtung nach Lage der Akten durch einen Sachverständigen nicht ausreichend. Dies gilt umso mehr, als die persönliche Begegnung mit dem Probanden unter Einbeziehung eines explorierenden Gesprächs bei einem psychiatrischen Gutachten eine prägende und regelmäßig in einem nicht verzichtbaren Kern vom Sachverständigen zu erbringende Zentralaufgabe ist (vgl. BSG, Beschluss vom 18.09.2003 - B 9 VU 2/03 B -).

Es reicht insoweit auch nicht die von dem Kläger vorgelegte Bescheinigung seines Nervenarztes Dr. T vom 00.00.2019, der bei dem Kläger eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit Wesensänderung nach Gewalterfahrung und sexuellem Missbrauch diagnostiziert hat und weiter ausgeführt hat, die bei dem Kläger bestehenden gesundheitlichen Störungen stünden in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch und den Gewalterfahrungen in der Kindheit. Abgesehen davon, dass Dr. T seine Auffassung mit keinem Wort begründet hat, ist insoweit darauf hinzuweisen, dass ein Rückschluss einer Diagnose auf eine Gewalttat im Sinne des OEG nicht zulässig ist (vgl. z.B. Landesozialgericht NRW, Urteil vom 11.12.2013 - L 10 VG 13/07 - und vom 16.12.2011 - L 13(6) V 55/08 -).

Soweit der Kläger vorgetragen hat, er sei nach seiner Verlegung nach "X" (gemeint ist wohl das Landeskrankenhaus M-C) mit starken Medikamenten sowohl in Tabletten- als auch in Spritzenform behandelt worden, bzw. es sei eine wahllose Medikamentenvergabe erfolgt, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des BSG zwar auch in einem ärztlichen Eingriff ein tätlicher Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegen kann (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R -). Voraussetzung für die Bewertung eines ärztlichen Eingriffs "als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist zunächst, dass dieser als vorsätzliche Körperverletzung strafbar ist. Jeder ärztliche Eingriff erfüllt zunächst den Tatbestand einer vorsätzlichen Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB. Er bedarf grundsätzlich der Einwilligung, um rechtmäßig zu sein. Die Einwilligung kann nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist. Aufklärungsmängel können eine Strafbarkeit des Arztes wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung jedoch nur begründen, wenn der Patient bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht in den Eingriff eingewilligt hätte. Das Fehlen einer "hypothetischen Einwilligung" ist dem Arzt nachzuweisen.

In Weiterentwicklung des Begriffs des vorsätzlichen tätlichen Angriffs hat das BSG als weitere Voraussetzung dargestellt, dass ärztliche Eingriffe grundsätzlich in der Absicht durchgeführt werden zu heilen und nicht in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Es sind daher Fälle denkbar, bei denen der vorsätzliche Aufklärungsmangel zwar zu einer strafbaren vorsätzlichen Körperverletzung führt, es wegen einer vorhandenen Heilungsabsicht jedoch nicht gerechtfertigt ist, den ärztlichen Eingriff als eine gezielte gewaltsame Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten, mithin als feindselige Angriffshandlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu bewerten. Daher muss für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - hinzukommen, dass der strafbare ärztliche Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintangestellt hat (BSG, aaO).

Es gibt hier jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Medikamentengabe im Krankenhaus M-C aus der Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohl des Klägers diente.

Die Klage konnte nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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