VG Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 18.02.2021 - 2 K 302/20.NW
Fundstelle
openJur 2021, 16413
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Aufenthaltsrechts.

Der Kläger wurde am 0. Juni 19... in N... geboren und ist türkischer Staatsangehöriger. Am 17. Juli 1997 wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 5. Juni 2010 - Vollendung des 16. Lebensjahres - erteilt. Im Juli 2010 stellte er einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Aufgrund von strafrechtlichen Ermittlungen durch die Polizei wurden dem Kläger zunächst Fiktionsbescheinigungen ausgestellt. Unter anderem gab es Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung und Hausfriedensbruch. Mit Schreiben vom 19. November 2010 hat die damals zuständige Kreisverwaltung B... das Verfahren hinsichtlich einer Niederlassungserlaubnis ausgesetzt, da mehrere Ermittlungsverfahren bzw. Anzeigen gegen den Kläger vorgelegen hätten. In der Folge wurden dem Kläger Fiktionsbescheinigungen ausgestellt.

Mit Urteil des Amtsgerichts N... vom 5. Mai 2011 wurde der Kläger wegen Körperverletzung zu einem Dauerarrest von einer Woche verurteilt. Durch ein weiteres Urteil des Amtsgerichts N... vom 17. Juni 2013 (Bl. 121 ff. Behördenakte - BA -) wurde der Kläger wegen vorsätzlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Die Verhängung von Jugendstrafe wurde gemäß § 27 JGG zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde auf zwei Jahre festgesetzt.

Nachdem der Kläger im Oktober 2014 nach N... umgezogen war, wurde ihm ein Aufenthaltstitel nach § 34 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - erteilt. Die Aufenthaltserlaubnis war gültig bis zum 28. Juni 2015. Am 2. Juli 2015 stellte der Kläger einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Am 4. August 2015 sprach er bei der Beklagten vor und gab an, dass er in die USA gehen werde, um dort eine Karriere als Profisportler zu beginnen. Er stehe dort für die nächsten fünf Jahre unter Vertrag und werde daher seinen Wohnsitz in Deutschland abmelden, spätestens bis zum 1. September 2015 wollte er in die USA reisen. Zugleich nahm er seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zurück (Bl. 191 BA).

Am 7. August 2015 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Zugleich gab er an, dass er in zwei Wochen in die USA reisen werde.

Mit Urteil des Amtsgerichts M... vom 13 Juli 2015 wurde der Kläger wegen Geldfälschung in Tateinheit mit Betrug für schuldig befunden. Die Entscheidung über eine Verhängung einer Jugendstrafe wurde zurückgestellt, die Bewährungszeit wurde auf zwei Jahre festgesetzt. Darüber hinaus wurde dem Kläger die Weisung erteilt, jeden Wechsel des Wohnsitzes oder des zuständigen Aufenthaltes dem bewährungsüberwachenden Gericht unverzüglich anzuzeigen.

In der Folge wurde der Kläger durch die Beklagte aufgefordert, bezüglich seines Antrags auf Aufenthaltserlaubnis erneut vorzusprechen und fehlende Unterlagen vorzulegen (vgl. Schreiben vom 20. Oktober 2016, Bl. 235 BA und Schreiben vom 24. Februar 2017, Bl. 243 BA). Mit Schreiben vom 24. April 2017 (Bl. 244 BA) wurde der Kläger letztmalig an seine Mitwirkungspflichten erinnert und zugleich nach § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - angehört und eine Entscheidung nach Aktenlage angedroht. In der Folge wurden dem Kläger auch keine Fiktionsbescheinigungen mehr ausgestellt unter Verweis darauf, dass er sich tatsächlich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalte (vgl. Aktenvermerk Bl. 256 BA).

Aus einem Telefonat der Beklagten mit dem amerikanischen Generalkonsulat am 17. Mai 2018 folgt, dass sich der Kläger jedenfalls seit Januar 2017 dauerhaft in den USA aufhält. Daraufhin wurde er am 7. Juni 2018 rückwirkend zum 1. Januar 2017 von Amts wegen abgemeldet (Bl. 407 BA).

Der Bevollmächtigte des Klägers nahm in der Folge Kontakt zu der Beklagten auf. Über den Antrag auf Verlängerung werde seit Jahren nicht entschieden, es werde daher eine rechtsmittelfähige Entscheidung erbeten. Der Kläger sei Sohn eines türkischen Arbeitnehmers, weshalb das Assoziationsabkommen greife. In den USA sei er nur vorübergehend, und er habe Deutschland nicht dauerhaft den Rücken gekehrt. In den USA halte sich der Kläger nur für seine Karriere als Boxer auf. Er wolle aber mit der Familie in Deutschland leben. Die Karriere als Boxer hätte es auch zugelassen, dass er seinen Aufenthalt in Deutschland beibehalte. In den Jahren 2015 und 2016 sei er jeweils für sechs Monate in Deutschland gewesen. Eine weitere Rückkehr nach Deutschland sei ihm verwehrt worden, da er die Fiktionsbescheinigungen nicht verlängert bekommen habe. Zudem stelle die Profiboxkarriere einen berechtigten Grund i. S. d. Assoziierungsabkommens dar.

Aus der Visa-Auskunft vom 12. Februar 2019 (Bl. 430 - 432 BA) ist zu entnehmen, dass dem Kläger für den Zeitraum vom 17. Februar 2019 bis 17. März 2019 ein Visum ausgestellt wurde. Er habe sich dann auch vom 17. Februar 2019 bis zum 17. März 2019 in Deutschland zum Familienbesuch befunden.

Mit ausländerrechtlicher Verfügung vom 2. April 2019 wurde der Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis finde sich keine Rechtsgrundlage. Die letzte Aufenthaltserlaubnis sei bis zum 28. Juni 2015 gültig gewesen. Der Antrag auf Verlängerung sei erst am 7. August 2015 und damit verspätet gestellt worden. Daher sei dies als Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu werten. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 AufenthG lägen nicht vor. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben. Insbesondere seien keine Nachweise bezüglich der Sicherung des Lebensunterhalts erbracht worden. Zudem sei fraglich, ob das Aufenthaltsgesetz überhaupt anwendbar sei. Der Kläger habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit Mitte 2014 in den USA. Dies folge aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag und bereits aus dem Urteil des Amtsgerichts M... Bereits seit Januar 2017 halte er sich dauerhaft in den USA auf. Ihm stünde auch kein Assoziationsrecht nach ARB 1/80 zu. Der Vater habe einen Beschäftigungszeitraum über drei Jahre erst 12 Jahre nach der Geburt des Klägers erreicht. Dem Versicherungsverlauf der Mutter lasse sich entnehmen, dass sie ab dem 2. August 1994 für drei Jahre, allerdings mit einer Unterbrechungszeit von 3 ½ Monaten, dem Arbeitsmarkt angehört habe. Auch wenn sich daraus eventuell ein Assoziationsrecht ableiten ließe, sei dieses Recht erloschen. Dabei seien die Regelungen der Unionsbürgerrichtlinie heranzuziehen. Als wichtiger Grund für einen Auslandsaufenthalt im Ausland kämen z. B. ein Studium, eine Ausbildung oder berufliche Entsendung in Betracht. Der Kläger habe sich jedoch seit 2015 überwiegend in den USA aufgehalten und dort auch einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Er habe somit seine Integrationsverbindungen freiwillig aufgegeben.

Gegen diesen Bescheid, der dem Bevollmächtigten des Klägers am 4. April 2019 zugestellt wurde, hat der Kläger am 26. April 2019 Widerspruch erhoben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2020, zugestellt am 25. Februar 2020, wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Dieser sei offensichtlich unzulässig, da kein Rechtsschutzinteresse bestehe und es keinen Fortsetzungsfeststellungswiderspruch gebe. Seit 2014 sei der Kläger in den USA. Für die Einreise in das Bundesgebiet benötige er daher ein Visum der Auslandsvertretung. Mit einer Aufenthaltserlaubnis könne er die Wiedereinreise nicht erreichen.

Dagegen hat der Kläger am 23. März 2020 Klage erhoben. Ihm stünde ein Assoziationsrecht aus Art. 7 ARB, abgeleitet von der Mutter, zu. In den ersten drei Jahren nach der Geburt des Klägers habe seine Mutter ihren Wohnsitz in Deutschland genommen und habe auch als Arbeitnehmerin gearbeitet. Dies sei nicht durch "Lücken" verloren gegangen. Er habe Deutschland auch nicht endgültig verlassen. Vielmehr sei die Aufnahme einer Karriere als Profiboxer ein berechtigter Grund, um sich in den USA aufzuhalten. Der Kläger habe sich bemüht, wieder eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland zu erhalten. Selbst wenn er sich seit 2017 dauerhaft in den USA aufhalte, sei dies nur deshalb, weil er keine Aufenthaltserlaubnis bekommen habe, nicht, weil er Deutschland endgültig den Rücken habe kehren wollen.

Der Kläger beantragt,

die Verfügung vom 2. April 2019 und den Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auszustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt zunächst Bezug auf den Verwaltungsvorgang, den Bescheid und den Widerspruchsbescheid. Ergänzend führt sie aus, dass nach der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis mehrere Visa für Kurzaufenthalte erteilt worden seien. Zuletzt sei ein Visum für kurzfristige Aufenthalte bis zum 18. Dezember 2020 ausgestellt worden. Es seien auch keine Bemühungen bezüglich eines Visums für einen dauerhaften Aufenthaltszweck erkennbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen verwiesen. Ferner wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet und hat daher keinen Erfolg.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis aus § 4 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz - AufenthG -. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt. Nach Satz 2 wird die Aufenthaltserlaubnis auf Antrag ausgestellt. Die auf Antrag auszustellende Aufenthaltserlaubnis entfaltet nur deklaratorische Wirkung (Axer, in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 7. Edition, Stand 1. Oktober 2020, § 4 AufenthG, Rn. 14 m. w. N.).

II. Zu Gunsten des Klägers geht das Gericht davon aus, dass der Kläger ein Recht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation erlangt hat. Der Kläger selbst hat nie in Deutschland gearbeitet, sodass für ihn nur ein abgeleitetes Recht aus Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80 - in Betracht kommt. Auch Personen, deren Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 abgeleitet wird, haben Anspruch auf die nach § 4 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auszustellende Aufenthaltserlaubnis (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juni 2020, § 4 AufenthG, Rn. 60).

Diese Frage muss jedoch abschließend nicht geklärt werden, da ein solches Recht des Klägers aus Art. 7 ARB 1/80 jedenfalls erloschen wäre.

Nach der Rechtsprechung des EuGH kann ein Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers, der die Voraussetzungen des Art. 7 ARB 1/80 erfüllt, die ihm nach dieser Vorschrift zustehenden Rechte in zwei Fällen verlieren, und zwar, wenn entweder die Anwesenheit des türkischen Migranten im Aufnahmemitgliedsstaat wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit i. S. von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 darstellt oder der Betroffene das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 -, juris, Rn. 49; EuGH, Urteil vom 16. März 2000 - C-329/97 -, juris, Rn. 48 unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 17. April 1997 - C-351/95 -, Kadiman, Rn. 48).

Der Kläger hat das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigten Grund verlassen.

Es kommt im Falle eines längeren Auslandsaufenthaltes des assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen bei der Bewertung aller Umstände des Einzelfalles, ob er das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, maßgeblich darauf an, ob er seinen Lebensmittelpunkt aus Deutschland wegverlagert hat. Dabei stehen das zeitliche Moment und die Gründe für das Verlassen des Bundesgebiets nicht isoliert nebeneinander; vielmehr besteht zwischen ihnen ein Zusammenhang: Je länger der Betroffene sich im Ausland aufhält, desto eher spricht das dafür, dass er seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland aufgegeben hat. Ab einem Auslandsaufenthalt von ungefähr einem Jahr müssen gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Lebensmittelpunkt noch im Bundesgebiet ist (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 19.14 -, BVerwGE 151, 377-386, auch juris, Rn. 18).

Das Verständnis des Erlöschensgrundes ist vom Ziel und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 her zu bestimmen. Für die aus dieser Vorschrift abgeleiteten Rechte gilt, dass sie sich nach ihrer Entstehung aus der Abhängigkeit von der beschäftigungsbezogenen Rechtsstellung des Stammberechtigten lösen und der allmählichen Integration des Familienangehörigen im Mitgliedsstaat dienen sollen (BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 -, BVerwGE 134, 27 - 41, auch juris, Rn. 27 m. w. N.). Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedsstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedsstaat soll erleichtert und gefördert werden. Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird. Art. 7 ARB 1/80 dient dem Schutz der wirtschaftlichen Integration der Kinder von türkischen Arbeitnehmern, die ihrerseits ein Recht aus Art. 6 ARB 1/80 erworben haben. Gerade im Hinblick auf Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 wird deutlich, dass Personen, die in Deutschland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben und sich in den hiesigen Arbeitsmarkt integriert haben, besonderen Schutz erhalten sollen.

Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedsstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat. Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte Stufe mit in den Blick zu nehmen. Wer als Kind eines Migranten den Integrationsgrad des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedsstaat zu verlieren, als derjenige, der sich auf Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. (vgl. VGH BW, Urteil vom 15. April 2011 - 11 S 189/11 -, juris, Rn. 35 ff.).

Der Kläger hat lediglich eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworben, was bei der weiteren Prüfung zu berücksichtigen ist.

Der Kläger befand sich bereits Ende 2013 und Anfang 2014 in den Vereinigten Staaten von Amerika (vgl. das Visum und die entsprechenden Einreisestempel Bl. 199 BA). Zudem gab der Kläger am 4. August 2015 bei der Beklagten an, dass er eine Karriere als Profisportler anstrebe, einen Vertrag für die nächsten fünf Jahre habe und daher sein Wohnsitz in Deutschland abmelden werde, um in die USA zu gehen (Niederschrift Bl. 191 BA). In diesem Zusammenhang hat der Kläger seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zurückgezogen. In diesem Verhalten kommt eindeutig zum Ausdruck, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt von Deutschland in die USA verlegen wollte. Dies zeigt sich daran, dass sich der Kläger mit dem Wissen um seine berufliche Tätigkeit gezielt dazu entschieden hatte, den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zurückzunehmen. Der Kläger hatte sich durch einen Vertrag dazu verpflichtet, fünf Jahre als Boxer dem damaligen Vertragspartner zur Verfügung zu stehen (vgl. dazu den Boxer-Manager-Contract, der eine Laufzeit vom 30. Juli 2014 bis zum 30. Juli 2019 hat, Bl. 214 f. BA). Der Umstand, dass sich der Kläger zunächst für fünf Jahre vertraglich verpflichtete, in den USA dem Boxsport nachzugehen, zeigt, dass er einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt in den USA anstrebte. Die vertragliche Verpflichtung machte es für den Kläger auch erforderlich, seinen Lebensmittelpunkt von Deutschland in die USA zu verlegen, um dort seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommen zu können. Auch der zuletzt vom Klägerbevollmächtigten vorgelegte Boxvertrag des Klägers (Bl. 74 f. Prozessakte) hat eine mehrjährige Laufzeit und die Option auf eine Verlängerung, wenn der Kläger gewisse sportliche Erfolge vorweisen kann. Auch dieser Vertrag zeigt deutlich, dass der Kläger seinen wirtschaftlichen Lebensmittelpunkt in die Vereinigten Staaten von Amerika verlegt hat. Dafür sprechen zudem die von der Beklagten erstellten Ausdrucke der Facebook-Seite des Klägers (Bl. 261 ff. BA). Aus diesen geht hervor, dass der Kläger sich sowohl wirtschaftlich als auch persönlich in den USA integriert hat und dort seinen Lebensmittelpunkt sieht. Es finden sich sowohl Einträge zu seinen Boxkämpfen in den Vereinigten Staaten als auch zu seinen Trainingseinheiten. Darüber hinaus gibt der Kläger Einblicke in sein soziales Leben, welches er in den USA hat. Weiter findet sich ein Eintrag, in dem er Bezug nimmt auf die ersten Monate in den Vereinigten Staaten, die bereits mehrere Jahre zurückliegen (Bl. 267 BA). Auch dies spricht für einen verfestigten Aufenthalt in den USA. Der Kläger bringt auch sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass er aufgrund seines Berufes nicht in der Lage ist, mehr Zeit mit seiner Mutter zu verbringen, da sie weit entfernt von ihm lebt (Bl. 272 BA). Mithin erkennt der Kläger selbst, dass sein Aufenthalt in den Vereinigten Staaten nicht nur vorübergehender Natur ist, sondern eine dauerhafte bzw. langfristige Trennung von der Familie bedeutet.

Daran ändern auch die Besuche bei der Familie nichts. Besuche bei der Familie in Deutschland führen nicht dazu, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hätte. Die Familienbesuche des Klägers sind auf überschaubare, zuvor bestimmte Zeiträume ausgelegt, an deren Ende der Kläger jeweils an seinen Lebensmittelpunkt in den USA zurückzukehren gedenkt und auch zurückgekehrt ist.

Die wesentlichen sozialen und wirtschaftlichen Verbindungen des Klägers unterhält dieser in den Vereinigten Staaten ab. Der Kläger hat dort eine Wohnung und gab als ladungsfähige Anschrift im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens ... A... Street, Appartement ..., .../Kalifornien, an. In Deutschland hat er darüber hinaus nie beruflich Fuß gefasst. Er hat weder die Schule noch eine Berufsausbildung abgeschlossen und hat auch nie in Deutschland gearbeitet. Mithin hat er auch nicht die Stellung des Art. 7 S. 2 ARB 1/80 erreicht. Sein Geld verdient der Kläger ausschließlich mit seiner Betätigung als Boxer, und diese Tätigkeit führt er auch seit mehreren Jahren ausweislich der vorgelegten Verträge seit dem Jahr 2014 ununterbrochen aus. Unerheblich ist dabei, dass der Kläger sich immer wieder, teilweise auch für mehrere Wochen, in Deutschland zum Besuch bei der Familie aufgehalten hat. Ein Urlaub - wenn auch ausgedehnt - lässt eine berufliche/wirtschaftliche Tätigkeit nicht entfallen. Dabei findet der weit überwiegende Teil seiner beruflichen Tätigkeit in den Vereinigten Staaten statt. Die vom Kläger im Rahmen des Verfahrens vorgelegten Unterlagen, insbesondere auch seine Kontoauszüge und die Versicherungen, zeigen, dass er seine Existenz in den Vereinigten Staaten von Amerika aufgebaut hat. Mit dem Bundesgebiet verbindet den Kläger lediglich noch, dass sich seine Familie hier aufhält. Dem Bedürfnis, die Familie zu besuchen, konnte der Kläger jedoch bereits in der Vergangenheit mit Besuchsvisa nachgehen.

Vergleicht man das Integrationsniveau, welches der Kläger seit 2014 in den USA erreicht hat - berufliche Erfolge, soziales Leben, wirtschaftliche Integration - mit dem Integrationsniveau in Deutschland - kein Schulabschluss, keine Berufsausbildung, keine Arbeit - obwohl er sich in Deutschland seit seiner Geburt aufgehalten hat, spricht dies ebenfalls dafür, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland aufgegeben hat.

Der Kläger ist auch nicht mit einem berechtigten Grund ausgereist. Berechtigte Gründe i.S.d. Art. 7 ARB 1/80 sind dann anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, was etwa bei Urlaub und Besuchsaufenthalten (beispielsweise bei Verwandten) zu bejahen ist oder aber wenn der Auslandsaufenthalt durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt ist, etwa bei Ableistung des Allgemeinen Wehrdienstes oder aber es sich um ein sonstiges schutzbedürftiges und schutzwürdiges Verhalten des Betroffenen handelt (Armbruster, HTK-AuslR / ARB 1/80 / Art. 7 / Erlöschen der Rechtsstellungen, Stand: 18.11.2016, Rn. 53 ff. m. w. N.). Berechtigte Gründe stellen insbesondere Schwangerschaft, Niederkunft, schwere Krankheit, Studium oder Berufsausbildung sowie berufliche Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat dar (OVG NRW, Urteil vom 6. Dezember 2011 - 18 A 2765/07 -, juris, Rn. 87).

Einen solchen Grund vermag der Kläger nicht geltend zu machen. Der Kläger ist nicht zur Ausbildung in die USA gegangen, sondern um dort professionell zu boxen und damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Im Gegensatz zu einer beruflichen Entsendung ist die Stellung des Klägers eher mit der eines Selbstständigen vergleichbar. Dieser trägt das (wirtschaftliche) Risiko seiner Entscheidung. Der Kläger hat sich bewusst entschieden, dem Beruf des Profisportlers nachzugehen und professionell zu boxen. Dies steht einer beruflichen Entsendung nicht gleich. Ein Arbeitnehmer, der durch seinen Arbeitgeber im Rahmen einer beruflichen Entsendung ins Ausland geschickt wird, gibt dadurch nicht seine wirtschaftliche Verbindung nach Deutschland auf. Er ist weiterhin abhängig beschäftigt und wird i. d. R. nach Beendigung der Entsendung wieder zu seinem Arbeitgeber in Deutschland zurückkehren und die Tätigkeit dort wieder aufnehmen. Er hat die Bande, die ihn mit Deutschland verbunden hat, nicht getrennt, da er eine Rückkehrperspektive hat. Davon unterscheidet sich die Situation des Klägers. Wie andere Selbstständige entscheidet der Kläger, an welchem Ort er seinem Beruf am besten nachgehen kann bzw. wo er seine Arbeitsleistung am besten vermarkten und gewinnbringend einsetzen kann. Dies ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers im Verfahren und den vorgelegten Verträgen. Mithin hat der Kläger bewusst die Entscheidung getroffen, ein Leben in den USA zu führen und sich bewusst von Deutschland abgewendet. Der Kläger hat sich durch mehrjährige Verträge in den USA gebunden. Nach Deutschland hat er keinerlei berufliche Verbindungen mehr bzw. solche haben beim Kläger nie bestanden. Im Gegensatz zu einem Arbeitnehmer, der entsandt wurde, besteht für den Kläger nicht ohne weiteres die Möglichkeit, seine Tätigkeit im gleichen Umfang auch in Deutschland auszuüben.

Nach alledem hat der Kläger seinen Lebensmittelpunkt in die Vereinigten Staaten von Amerika verlegt und hält sich dort seit vielen Jahren auf. Zudem hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass der Kläger mittlerweile eine Beziehung zu einer US-amerikanischen Bürgerin habe. Auch wenn der Prozessbevollmächtigte weiter angibt, dass der Kläger gerne mit seiner Freundin nach der Eheschließung nach Deutschland ziehen würde, ist jedoch der Umstand, dass er eine Liebesbeziehung zu einer US-Amerikanerin aufrechterhält, ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger sich den Vereinigten Staaten von Amerika zu- und von der Bundesrepublik Deutschland abgewandt hat.

Im Übrigen hat der Kläger keine - von der obergerichtlichen Rechtsprechung geforderten - gewichtigen Anhaltspunkte dargelegt, die dafür sprechen würden, dass er weiterhin seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat. Die Versuche, weiterhin einen Aufenthaltstitel zu erhalten, genügen dafür nicht.

Im Übrigen verweist die Kammer auf den Bescheid der Beklagten, § 117 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten aus § 167 VwGO i. V. m § 708 ff. Zivilprozessordnung - ZPO -.

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