AG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 12.04.2021 - 3a C 253/20
Fundstelle
openJur 2021, 16409
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 105,46 sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von € 76,91 jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz der EZB seit 07.11.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Das Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) ist gem. § 32 ZPO, § 20 StVG örtlich und sachlich nach § 23 Nr. 1 GVG zuständig.

Zwar hat der Kläger in der Klageschrift den gesetzlichen Vertreter des Beklagten LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster AG erkennbar irrtümlich fehlerhaft angegeben, denn der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit wird durch den Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertreten, § 188 Abs. 1 Satz 2 VAG in Verbindung mit § 78 Abs. 1 Aktiengesetz. Die Klage ist indes durch die Geschäftsstelle des Amtsgerichts, die die Zustellung der Klageschrift gem. §§ 166 Abs. 2, 168, 170 ZPO zu bewirken hatte, unter Auslegung der Bezeichnung des gesetzlichen Vertreters die Zustellung an den nicht notwendig namentlich zu benennenden (BGH, NJW 1993, 2811) Vorstand der Beklagten als deren gesetzlichen Vertreter ausweislich der Postzustellungsurkunde bewirkt worden (Zu 35), sodass das Prozessrechtsverhältnis zur Beklagten wirksam zustande gekommen ist. Die Klage ist danach wirksam erhoben (BGH Urteil vom 14.03.2017 - XI ZR 442/16 m.w.N.).

Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.

Der Kläger hat einen weiteren Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von € 105,46 aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 30.09.2020 in Frankenthal (Pfalz) als Halter und Eigentümer des Unfallbeteiligten PKW O... der durch den Versicherungsnehmer der Beklagten Dr. M... mit dem Fahrzeug E... beschädigt worden ist, § 7 StVG, §§ 823 Abs. 1, 249 ff BGB, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG . Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Soweit die Beklagte Reinigungs- und Verbringungskosten in Höhe von € 63,00 von der Rechnung Autohaus F... vom 22.10.2020 abgesetzt hat, so sind diese entgegen der Auffassung der Beklagten erstattungsfähig.

Lässt der Geschädigte sein verunfalltes Fahrzeug instand setzen, so kann er die angefallenen Kosten durch Vorlage der Reparaturrechnung wie vorliegend gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Schädigers real abrechnen. Die durch das Autohaus F... in Rechnung gestellten Reinigungskosten für die Desinfektion des Klägerfahrzeuges sind gem. § 249 Abs. 1 BGB erstattungsfähig. Gem. § 249 Abs. 1 BGB hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Dabei kann der Geschädigte von der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Gebrauch machen und die Reparatur seines Fahrzeuges selbst veranlassen. Er kann danach, wenn bei der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten ist, den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Nach einer unfallbedingten Reparatur sieht sich der Geschädigte regelmäßig einer Rechnung der Werkstatt ausgesetzt. Unerheblich erscheint in diesem Zusammenhang, ob er jene bereits ausgeglichen hat. Denn auch die Belastung mit einer Verbindlichkeit stellt einen ersatzfähigen Schaden dar, die mangelnde ausdrückliche Vereinbarung zwischen dem Geschädigten und der Werkstatt steht der Annahme eines Schadens ebenso wenig entgegen. Vielmehr sind die Desinfektionsmaßnahmen Teil der infolge des Unfalls in Auftrag gegebenen Reparatur und damit im Rahmen der Schadensregulierung konkludent vereinbart worden. Insofern hat der Geschädigte objektiv betrachtet einen Schaden, welchen er auf der Grundlage des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB geltend machen kann. Die seitens der Werkstatt vorgenommene und in Rechnung gestellte Desinfektionsmaßnahme ist für die Reparatur des klägerischen Fahrzeuges auch erforderlich gewesen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH orientiert sich die Schadensbetrachtung nicht nur an objektiven Kriterien. Der Begriff der "Erforderlichkeit" Im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erweitert den Schadensbegriff um eine subjektive Komponente hinsichtlich der Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten (BGH Urteil vom 26.05.1970 - VI ZR 168/68). Danach darf der Geschädigte diejenigen Kosten ersetzt verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen (BGH Urteil vom 15.10.1991 - XI ZR 314/90). In diesem Zusammenhang wird auf die Hinweise des Robert-Koch-Instituts (https://www.rki.de/DE/content/InfAZ/N/neuartiges_coronavirus/steckbrief.html) verwiesen, wonach "eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen (...) insbesondere in der unmittelbaren Umgebung der infektiösen Person nicht auszuschließen sei, da vermehrungsfähige SARS-COV-2-Viren unter Laborbedingungen auf Flächen einige Zeit infektiös bleiben". Da im Rahmen der Reparatur das Fahrzeug des Geschädigten durch Dritte berührt wird, stellt die Desinfektion eine durchaus erforderliche Maßnahme dar, Corona-Viren auf den vermeintlich kontaminierten Oberflächen des Fahrzeuges unschädlich zu machen. Dabei gewährleistet das bloße Tragen von Schutzbekleidung keinen ausreichenden Schutz vor dem hochinfektiösen Corona-Virus. Wenngleich auch die teils ausufernden Empfehlungen der Bundes- und Landesregierung zur Vermeidung der Ausbreitung des Virus vermehrt Schutzmaßnahmen zeitigen, unterliegen Kfz-Werkstätten darüber hinaus ordnungsbehördlich überwachten Auflagen, wie der Desinfektion von Kundenfahrzeugen. Angesichts dieser Verpflichtung sind diese Schutzmaßnahmen bereits zur Aufrechterhaltung ihres Geschäftsbetriebes erforderlich. Unabhängig davon trägt der Schädiger auch das Werkstatt- und Prognose-Risiko, sodass sich die Werkstatt vielmehr als Erfüllungsgehilfe, § 278 BGB, des Schädigers erweist, dessen Haftpflichtversicherung für die Kosten der Schadensbehebung aufkommen muss. Dabei können dem Geschädigten, der regelmäßig Laie ist, keine Kenntnisse hinsichtlich betriebswirtschaftlicher Kalkulation von Reparaturwerkstätten unterstellt werden. Sofern die Reparaturrechnung mit dem eingeholten Sachverständigengutachten wie vorliegend im Wesentlichen übereinstimmt, besteht auch kein Anlass, jene anzuzweifeln. Von dem Geschädigten würde andernfalls in überzogener Form Expertenwissen verlangt, sodass in Folge dessen die Einholung eines Sachverständigengutachtens überflüssig wäre. Denn durch die Einholung eines solchen Schadensgutachtens soll dem Geschädigten überhaupt erst das notwendige Wissen über die erforderlichen Reparaturarbeiten verschafft werden (AG Landshut, Urteil vom 16.12.2020 - 4 C 1638/20). Anhaltspunkte für ein Auswahlverschulden des Klägers gem. § 254 BGB hinsichtlich der Werkstatt sind weder substantiiert dargetan noch ersichtlich. Die berechneten Desinfektionskosten sind auch kausal auf den Unfall zurückzuführen, denn nach der Äquivalenztheorie ist jede Handlung ursächlich, die nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Schaden in seiner konkreten Gestalt entfiele. Der Verkehrsunfall kann indes nicht gedanklich eliminiert werden, ohne dass die Reparatur und damit verbundenen Desinfektionsmaßnahmen, einschließlich deren Kosten wegfielen. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass eine Pandemie ein außergewöhnliches Ereignis sei, denn der Zurechnungszusammenhang nach der Adäquanztheorie entfällt nur bei gänzlich unwahrscheinlichen Ereignissen. Dabei liegt es bei nunmehr ohne wesentliche, konzeptionell begründete Gegenmaßnahmen bestehender Pandemie nicht außerhalb aller Lebenswahrscheinlichkeit, dass es zu entsprechenden Schutzmaßnahmen kommt und angesichts der aktuell empfohlenen Hygienemaßnahmen der Geschädigte die Desinfektion seines Fahrzeuges nach einer Reparatur berechtigterweise erwarten kann. Die Reinigungskosten sind vorliegend auch in voller Höhe erstattungsfähig, denn eine Differenzierung von Kostenpositionen im Zuge der Instandsetzung sind mit dem Grundgedanken des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB soll den Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst umfänglicher Schadensausgleich zukommen. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei den Desinfektionskosten auch nicht um Gemeinkosten, denn in den Arbeitswerten und Stundensätzen für die Reparatur sind allenfalls die Kosten für die übliche Reinigung des Fahrzeuges inbegriffen. Anders als bei einfachen Reinigungsarbeiten verlangt die Desinfektion den Einsatz spezieller Mittel und hohe Sorgfalt. Zudem sind jene gerade aufgrund des Unfalls angefallen, da das Fahrzeug des Geschädigten ansonsten nicht in eine Werkstatt hätte verbracht werden müssen. Die vorgenannten Gründe rechtfertigen auch die durch den Sachverständigen in Rechnung gestellte Desinfektionspauschale in Höhe von € 5,80.

Soweit die Beklagte Verbringungskosten in Höhe von € 118,00 beanstandet, so können diese Kostenpositionen bereits auch bei der fiktiven Abrechnung verlangt werden, wenn und soweit sie regional üblich sind, wenn sie in diesem Fall den Reparaturaufwand darstellen, der in dem inhaltlich relevanten Raum bei der Behebung des Fahrzeugschadens anfallen (LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 22.01.2014 - 2 S 237/13). Soweit in der Reparaturrechnung Lackierarbeiten und eine Probefahrt ausgewiesen sind, so lässt sich dies zwanglos mit der in Rechnung gestellten Verbringung des Klägerfahrzeuges vereinbaren, sodass auch diese Kostenposition erstattungsfähig ist.

Die Beklagte ist auch zur Erstattung restlicher Mietwagenkosten in Höhe von € 36,66 verpflichtet.

Ausgehend vom Schwacke Mietpreisspiegel (ständige Rechtsprechung AG Frankenthal (Pfalz) Urteil vom 25.01.2018 - 3a C 273/17 und Landgericht Frankenthal (Pfalz) Urteil vom 17.10.2018 -2 S 67/18) errechnen sich ausgehend von der Anmietung im PLZ-Gebiet 778 bei einem gruppengleichen Fahrzeug Klasse 5 und einer Tagespauschale von € 112,00 zzgl. Haftungsreduzierung und Winterbereifung (LG Frankenthal (Pfalz) Urteil vom 15.02.2012 - 2 S 156/11) von insgesamt € 144,00 abzgl. ersparter Eigenaufwendung bei dem 2014 erstmals zugelassenen Fahrzeug von 10 %, mithin € 14,40, erstattungsfähigen Mietwagenkosten in Höhe von € 129,60, so dass abzüglich durch die Beklagte vorgerichtlich gezahlter 87,00 € ein restlicher Anspruch auf Zahlung von 36,66 € besteht.

Der Kläger hat daneben einen Anspruch auf Erstattung weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren unter Berücksichtigung durch die Beklagte gezahlter € 326,31 in Höhe weiterer € 76,91, §§ 249, 251 BGB, als Kosten der notwendigen Rechtsverfolgung.

Die Zinspflicht folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.