LG Köln, Beschluss vom 15.12.2020 - 28 O 159/20
Fundstelle
openJur 2021, 16354
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf gerichtliche Anordnung der Zulässigkeit der Auskunftserteilung gemäß § 14 Abs. 4 TMG wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert wird auf 20.000 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag vom 30.04.2020, der unter Berücksichtigung der Antragsänderung vom 14.05.2020 darauf gerichtet ist, der Beteiligten zu gestatten,

I. der Antragstellerin Auskunft zu erteilen über die Bestandsdaten der auf der Plattform www.entfernt.de registrierten Nutzer, die sich als Kunden der Antragstellerin über die von der Beteiligten bereitgestellten Online-Formulare über den Zustand der von der Antragstellerin auf www.entfernt.de unter den ASIN B..., B..., B..., B..., B... bzw. B... angebotenen und ausgelieferten Produkte beschwert haben,

durch Angabe jeweils der folgenden, bei der Beteiligten gespeicherten Daten:

a. Namen der Nutzer

b. Benutzername der Nutzer

c. Anschrift der Nutzer

d. E-Mail der Nutzer

e. Nummer der Bestellung

f. Genauer Zeitpunkt der Bestellung unter Angabe des Datums und der Uhrzeit inklusive Minuten, Sekunde und Zeitzone

g. Genauer Zeitpunkt der Kundenbeschwerde unter Angabe des Datums und der Uhrzeit inklusive Minuten, Sekunde und Zeitzone

h. Inhalt der Kundenbeschwerden unter Angabe des vollständigen Wortlauts,

II. der Antragstellerin Auskunft zu erteilen über die Bestandsdaten der auf der Plattform www.entfernt.de registrierten Nutzer, die als Kunden der Antragstellerin über die von der Beteiligten bereitgestellten Online-Formulare Verstöße von Angebotsrichtlinien in den Angeboten der Antragstellerin auf www.entfernt.de unter den ASIN B..., B..., B..., B... bzw. B... gemeldet haben,

durch Angabe jeweils der folgenden, bei der Beteiligten gespeicherten Daten:

a. Namen der Nutzer

b. Benutzername der Nutzer

c. Anschrift der Nutzer

d. E-Mail der Nutzer

e. Nummer der Bestellung

f. Genauer Zeitpunkt der Bestellung unter Angabe des Datums und der Uhrzeit inklusive Minuten, Sekunde und Zeitzone

g. Genauer Zeitpunkt der Kundenbeschwerde unter Angabe des Datums und der Uhrzeit inklusive Minuten, Sekunde und Zeitzone

h. Inhalt der Kundenbeschwerden unter Angabe des vollständigen Wortlauts

ist unzulässig, im Übrigen aber auch unbegründet.

I.

Eine internationale Zuständigkeit des LG Köln liegt nicht vor.

1.

Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach der EuGVVO, die gemäß deren Art. 1 Abs. 1 in Zivil- und Handelssachen anzuwenden ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind dies Rechtsstreitigkeiten, deren Rechtsnatur nach materiellrechtlichen Kriterien zivilrechtlicher Natur ist (EuGH, Urteil vom 18. Oktober 2011, C-406/09 Rn. 39 - Realchemie Nederland). Nach diesen Grundsätzen ist der Anwendungsbereich der EuGVVO bei Streitigkeiten nach § 14 Abs. 3-5 TMG eröffnet (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2019, VI ZB 39/18).

2.

Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Köln folgt hier nicht aus Art. 7 Ziff. 2 EuGVVO.

a)

Demnach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat - wie hier die Verfahrensbeteiligte in M - in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.

Die Zuständigkeit kann sich dabei aus einer Anknüpfung an den Handlungs- oder an den Erfolgsort ergeben. Der Handlungsort, der "Ort des ursächlichen Geschehens" (EuGH, NJW 1977, 493 Rn. 15 ff. - Handelskwekerij Bier / Mines de Potasse d'Alsace), liegt dort, wo die Handlung ganz oder teilweise ausgeführt wurde oder deren Ausführung unmittelbar bevorsteht. Bei Distanzdelikten ist der Ort der Handlungsort, an dem das schädigende Ereignis seinen Ausgang nahm. Bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie bei Angriffen auf die Ehre, ist der Handlungsort an dem Ort, an dem die deliktische Handlung vorgenommen worden ist (EuGH, EuZW 1995, 248 Rn. 24 - Shevill u.a. / Presse Alliance; (BeckOK ZPO/Thode, 35. Ed. 01.01.2020, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 84-86). Der Erfolgsort liegt dort, wo das geschützte Rechtsgut tatsächlich oder voraussichtlich verletzt wird. Der EuGH qualifiziert den Ort als Erfolgsort, an dem "die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten" (EuGH, EuZW 1995, 248 Rn. 28 - Shevill u.a. / Presse Alliance). Erfolgsort ist nur ein Ort, an dem der Handelnde mit einem Handlungserfolg rechnen musste (MüKoZPO/Gottwald, 5. Aufl. 2017, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 57).

b)

Vor diesem Hintergrund ist hier weder ein Handlungs- noch ein Erfolgsort im Sinne der Art. 7 Ziff. 2 EuGVVO im Bezirk des Landgerichts Köln anzunehmen.

Die Antragstellerin beruft sich darauf, dass in mehreren Fällen der Tatbestand des § 186 StGB (üble Nachrede) zu ihren Lasten durch vorsätzlich falsche Beschwerden von Kunden gegenüber der Beteiligten erfüllt worden sei. Der Erfolgsort dieser unerlaubten Handlungen wäre im Grundsatz an jedem Ort anzunehmen, an dem die rechtsverletzende Beschwerde einsehbar bzw. zur Kenntnis genommen würde. Da die Äußerungen indes im internen System der Beteiligten erfolgten und nur gegenüber dieser erfolgten, aber gerade nicht veröffentlicht wurden, ist der entsprechende Erfolgsort nur am Sitz der Beteiligten anzunehmen, also in M.

Nähere Angaben zum Handlungsort sind hier nicht erfolgt; es sprechen ohne näheren Vortrag keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerden von Kunden aus dem Bezirk des Landgerichts Köln erfolgt sind.

Die Kammer übersieht dabei nicht, dass Gegenstand des hiesigen Verfahrens nicht die möglichen deliktischen Ansprüche der Antragstellerin gegenüber den Kunden selbst sind, sondern Auskunftsansprüche der Antragstellerin gegenüber der Beteiligten. Indes folgt bei deliktischen Ansprüchen durch persönlichkeitsrechtsverletzende Äußerungen auf einer Internetseite ein aus Treu und Glauben hergeleiteter Auskunftsanspruch des Verletzten gegenüber dem Plattformbetreiber (vgl. dazu BGH, NJW 2014, 2651), auf den sich die Antragstellerin hier auch beruft. Auch bei der Annahme, dass die Zuständigkeit für den an die deliktische Handlungen anknüpfenden Auskunftsanspruch der Zuständigkeit für die deliktische Handlung folgt, fehlt es aber aus den dargelegten Gründen an einer Zuständigkeit in Köln.

3.

Eine internationale Zuständigkeit ergibt sich auch nicht aus Art. 7 Ziff. 1 EuGVVO.

Zwar ist die Antragstellerin unstreitig mit der Beteiligten vertraglich verbunden ("B Services Europe Business Solutions Vertrag"), der Erfüllungsort für etwaige vertragliche Auskunftsansprüche ist indes am Sitz der Beklagten in M anzunehmen.

Für derartige Auskunftsansprüche ist im Übrigen auch eine Auslegung des Vertrags zwischen den Parteien unerlässlich (vgl. dazu die von der Beteiligten zitierte Entscheidung EuGH, Urteil vom 13.03.2014, C- 548/12 Rn. 20 - Brogsitter, der allerdings nach Auffassung der Kammer nicht zu entnehmen ist, dass darüber hinaus eine Zuständigkeit gemäß Art. 7 Ziff. 2 EuGVVO bei Geltungmachen eines an deliktische Handlungen anknüpfenden Auskunftsanspruch aus § 242 BGB ausgeschlossen sein soll).

4.

Die Beklagte hat sich auch nicht rügelos auf das Verfahren eingelassen gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24. September 2019 - VI ZB 39/18).

5.

Eine internationale Zuständigkeit folgt schließlich auch nicht aus § 14 Abs. 4 S. 3 TMG. Vorschriften des deutschen Rechts über die internationale Zuständigkeit finden neben der EuGVVO keine Anwendung; sie sind vollständig verdrängt (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 1995, C-364/93 Rn. 13 - Marinari; Urteil vom 19. Dezember 2013, C- 9/12 Rn. 21 f. - Corman-Collins).

II.

Der Antrag wäre - die Annahme einer Zuständigkeit unterstellt - auch unbegründet.

1.

Gemäß § 14 Abs. 3 TMG darf der Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte, die von § 1 Absatz 3 NetzDG erfasst werden, erforderlich ist. Gemäß § 1 Abs. 3 NetzDG sind rechtswidrige Inhalte Inhalte im Sinne des § 1 Abs. 1 NetzDG, die den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b in Verbindung mit 184d, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 StGB erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.

2.

Die Verfahrensbeteiligte ist passivlegitimiert. Sie ist als "Diensteanbieterin" im Sinne der §§ 14 Abs. 3, 2 Nr. 1 TMG anzusehen.

Diensteanbieter ist gemäß § 2 Nr. 1 TMG jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt.

Zwar liegt der technische Betrieb der Webseite bei der B S.à r.l., die Verfahrensbeteiligte ist indes Betreiberin des B.de Marketplace, auf dem der Verkauf der Waren der Antragstellerin erfolgt. Unstreitig unterhält die Verfahrensbeteiligte die vertraglichen Beziehungen mit den Marketplace-Verkaufspartnern, verwaltet die Vertragsbeziehungen mit den Marketplace-Verkaufspartnern und ist für die rechtliche Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen mit den Marketplace-Verkaufspartnern zuständig, so dass sie als maßgeblicher Diensteanbieter anzusehen ist (vgl. dazu etwa Spindler/Schmitz, TMG, 2. Aufl. 2018, § 2 TMG Rn. 12 ff).

3.

Es fehlt indes an "Inhalten" im Sinne von § 14 Abs. 3 TMG.

Die Antragstellerin trägt dazu wie ausgeführt vor, dass sie die Auskunft von der Verfahrensbeteiligten zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche - nämlich etwaiger Ansprüche gegen die Kunden, welche sich über sie bei der Beteiligten beschwert haben - benötigen würde. Bei den Behauptungen der Kunden der Antragstellerin gegenüber der Beteiligten handele es sich um unwahre Tatsachenbehauptungen, da die Antragstellerin - wie glaubhaft gemacht - keine gebrauchten Matratzen veräußere bzw. keine Verstöße gegen Angebotsrichtlinien habe feststellen können.

Unabhängig davon, ob dieses Verhalten der jeweiligen Kunden den Tatbestand des § 186 StGB erfüllen würde - wofür bei Zugrundelegung des Vortrags der Antragstellerin einiges spricht - fehlt es aber am Vorliegen von Inhalten im Sinne von § 14 Abs. 3 TMG. Denn die konkreten Kundenbeschwerden, um die es der Antragstellerin geht, wurden nicht öffentlich geäußert oder veröffentlicht (und sind daher auch für die Antragstellerin nicht einsehbar), sondern nur von den jeweiligen Kunden gegenüber der Beteiligten geäußert. Ein öffentlicher einsehbarer "Inhalt", der vom Schutzzweck des § 14 Abs. 3 TMG erfasst wäre, etwa in Form einer öffentlich einsehbaren Kundenbewertung, liegt mithin gerade nicht vor. Die vorliegende Konstellation ist von der Regelung des § 14 TMG nach Auffassung der Kammer nicht umfasst.

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass der Antragstellerin durch die aus ihrer Sicht anonymen Kundenbeschwerden erhebliche Nachteile erleidet und dies zu Unrecht erfolgen würde, sofern es sich um Kundenbeschwerden handeln würde, die auf unwahren Tatsachenbehauptungen beruhten. Ferner steht ihr ohne Mitwirkung der Beteiligten keine Möglichkeit zu, sich gegenüber diesen Kundenbeschwerden zur Wehr zu setzen, so dass ihr unter Abwägung der gesamten Umstände ohne weiteres ein Auskunftsanspruch gegenüber der Beteiligten als ihrer Vertragspartnerin zustehen dürfte. Ein schutzwürdiges Interesse der Beteiligten, einerseits der Antragstellerin auf Grund der Kundenbewertungen ihre vertraglichen Rechte zu beschränken, ohne ihr aber andererseits die Möglichkeit zu geben, sich gegen die den Beschränkungen zu Grunde liegenden Kundenbewertungen zur Wehr zu setzen, ist nicht ersichtlich. Es handelt sich dabei aber um einen vertraglichen Auskunftsanspruch.

4.

Schließlich dürfte dem hier geltend gemachten Auskunftsanspruch auch entgegenstehen, dass er in der konkret gewählten Form zu umfangreich ist, insoweit also nicht "erforderlich" im Sinne von § 14 Abs. 3 TMG ist. Bei beiden Anträgen begehrt die Antragstellerin Auskunftserteilung von Bestandsdaten hinsichtlich sämtlicher Nutzer, die sich bei den im Antrag konkret aufgezählten Produkten über den Zustand beschwert haben bzw. Verstöße von Angebotsrichtlinien gemeldet haben. Die Antragsformulierung enthält weder eine zeitliche Einschränkung noch eine sachliche Einschränkung dahingehend, dass es etwa nur auf Beschwerden beschränkt wäre, in denen der Zustand als "gebraucht" angegeben würde. Die gewählte Antragsfassung ist vor diesem Hintergrund zu weitgehend.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 4 S. 6 TMG, die Festsetzung des Streitwerts aus § 3 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. § 14 Abs. 4 S. 7 TMG):

Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Beschwerde ist bei dem Landgericht Köln, Luxemburger Str. 101, 50939 Köln, in deutscher Sprache schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Die Beschwerde muss spätestens innerhalb von zwei Wochen nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses bei dem Landgericht Köln eingegangen sein. Dies gilt auch dann, wenn die Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines Amtsgerichtes abgegeben wurde. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses. Fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen und soll begründet werden.