ArbG Oldenburg, Urteil vom 04.05.2020 - 4 Ca 80/20
Fundstelle
openJur 2021, 16305
  • Rkr:

1. Nach allgemeinen Sprachverständnis schließen sich Fälle der Regelmäßigkeit und Unregelmäßigkeit gegenseitig aus. Eine tarifliche Regelung zur Nachtarbeit, welche weder unregelmäßig bzw. regelmäßig ist, hat keinen Anwendungsbereich.

2. Selbst wenn man abweichend vom allgemeinen Sprachverständnis einen Anwendungsbereich einer solchen Regelung annimmt, würde es sich um einen überaus ausgeprägten Ausnahmefall handeln mit der Konsequenz, dass sich Rückschlüsse im Sinne einer rechtswidrigen Ungleichbehandlung nicht herleiten lassen (Anschluss an die Entscheidung des BAG vom 11. Dezember 2013 – 10 AZR 736/12).

3. Eine Differenzierung einer Zuschlagshöhe für Nachtarbeit von 15 % für regelmäßige Nachtarbeit und 30 % für unregelmäßige Nachtarbeit stellt keine überproportionale Differenzierung im Sinne des Art. 3 GG dar. Abzustellen ist hier nicht allein auf die Relation der Zuschlagshöhen untereinander, sondern auch auf die Relation zur Höhe des Ausgangswertes.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 6.055,23 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge. Auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden ist der Manteltarifvertrag für die Metallindustrie Bezirk Küste, sei es aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit oder aber einzelvertraglicher Inbezugnahme. Für den hier einschlägigen Bezirk O. ist unter § 7 in Abschnitt 1.2 die Höhe der Nachtarbeitszuschläge wie folgt geregelt:

a. regelmäßige Nachtarbeit (mindestens eine Arbeitswoche oder regelmäßig wiederkehrend) 15 %

b. unregelmäßige Nachtarbeit 30 %

c. Nachtarbeit, soweit nicht unregelmäßige bzw. regelmäßige Nacht- oder Nachtschichtarbeit vorliegt 50 %"

Bei Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist unter Abschnitt 3 des § 7 geregelt, dass nur der jeweils höhere Zuschlag zu zahlen ist. Ausgenommen hiervon ist in Schichtbetrieben der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit, der neben den Zuschlägen für Mehrarbeit an Sonn- und Feiertagen gezahlt wird.

Der Kläger ist der Auffassung, die Differenzierung hinsichtlich der Höhe der Zuschläge für Nachtarbeit in der tarifvertraglichen Bestimmung sei wegen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz unwirksam.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.055,23 € brutto nebst Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 22. Februar 2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, die einschlägige tarifliche Bestimmung sei rechtswirksam. Insbesondere liege ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht vor.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch in vollem Umfang unbegründet. Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Vergütung für Nachtarbeit in Höhe von 50 % noch in Höhe von 30 % zu. Die Bestimmung des § 7 Abschnitt 1.2 zur Höhe der unterschiedlichen Zuschlagsarten für Nachtarbeit ist wirksam.

Es kann ausdrücklich dahinstehen, mit welcher Intention die seit über 50 Jahren unveränderte tarifliche Regelung zustande gekommen ist. Maßgebend ist die Beurteilung der Wirksamkeit der tariflichen Regelung bezogen auf die Monate, für welche Vergütungsdifferenzen geltend gemacht werden.

Ebenso kann ausdrücklich dahinstehen, wie im Betrieb der Beklagten die einzelnen Bestimmungen in der Praxis angewandt werden. Maßgebend für die Beurteilung einer tariflichen Regelung ist die fragliche Bestimmung selbst. Die Anwendung in der Praxis kann nur eingeschränkt herangezogen werden, da keine Vermutung dahingehend hergeleitet werden kann, dass die Rechtsanwendung uneingeschränkt zutreffend erfolgt.

Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die Beklagte zugunsten einzelner Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern bewusst vom Wortlaut der tariflichen Bestimmung abweicht. Eine individualrechtliche Anspruchsgrundlage, zum Beispiel in Form des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, ist folglich nicht ersichtlich.

Soweit von Seiten des Klägers die Auffassung vertreten wird, es sei aufgrund einer unwirksam differenzierenden tariflichen Bestimmung ein Nachtzuschlag in Höhe von 50 % zu zahlen, wird dem ausdrücklich nicht gefolgt.

Denn die Definition der Voraussetzungen dieser Zuschlagshöhe begründet schon durchgreifende Zweifel, ob es hierfür überhaupt einen praktischen Anwendungsfall gibt. Die Tarifvertragsparteien unterscheiden zwischen regelmäßiger Nachtarbeit oder unregelmäßiger Nachtarbeit. Es ist nicht ersichtlich, dass dabei die Tarifvertragsparteien von einem eigenständigen Begriff der Regelmäßigkeit oder Unregelmäßigkeit ausgehen. Nach allgemeinem Verständnis ist nun allerdings ein Sachverhalt entweder als regelmäßig oder aber als unregelmäßig zu charakterisieren. Mit anderen Worten, die Begriffe schließen einander aus. Im Ergebnis kann der Kläger keinen Anspruch auf eine Zuschlagshöhe haben, welche nach den rechtlichen Voraussetzungen keinen praktischen Anwendungsfall hat!

Selbst wenn man von diesem allgemeinen Sprachverständnis absehen würde, also einen praktischen Anwendungsbereich tatsächlich sähe, würde es sich hierbei um einen überaus ausgeprägten Ausnahmefall handeln. Dann ist allerdings im Sinne der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Dezember 2013 – 10 AZR 736/12 – von einem dermaßen seltenen Ausnahmefall auszugehen, dass hieraus Rückschlüsse im Sinne einer rechtswidrigen Ungleichbehandlung nicht hergeleitet werden können. Es liegt in dem gemäß Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz geschützten Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien, von ihrer Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen Gebrauch zu machen und extrem seltene Sonderfälle stark abweichend zu regeln.

Praktisch relevant ist dementsprechend die Frage, ob die Differenzierung zwischen regelmäßiger Nachtarbeit einerseits und unregelmäßiger Nachtarbeit andererseits zwischen einer Zuschlagshöhe von 15 % und 30 % von dem Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien abgedeckt ist.

Dabei folgt das Arbeitsgericht Oldenburg dem grundsätzlichen Ansatz der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. März 2018 – 10 AZR 34/17 –, dass die Schutzfunktion der Grundrechte die Arbeitsgerichte verpflichtet, solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu einer Gruppenbildung führen, mit der die Bestimmung des Art. 3 Grundgesetz verletzt wird (Rn. 44 mit weiteren Nachweisen).

Ebenso wird der Argumentation der zuvor zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts dahingehend gefolgt, dass die Gruppe der Arbeitnehmer, welche Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leistet, mit der Gruppe der Arbeitnehmer vergleichbar ist, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leisten (Rn. 46).

Dabei wird vorliegend nicht verkannt, dass die Tarifvertragsparteien in der hier maßgeblichen Bestimmung nicht von Nachtschichtarbeit reden, sondern vielmehr die regelmäßige Nachtarbeit unter die Voraussetzung stellen, dass diese mindestens eine Arbeitswoche umfasst oder regelmäßig wiederkehrend stattfindet. Bei lebensnahem Verständnis wird allerdings davon auszugehen sein, dass regelmäßig wiederkehrende Nachtarbeit insbesondere in einem rollierenden Schichtsystem stattfindet. Dementsprechend wird die Nachtschichtarbeit ein klassischer Anwendungsfall der hier tariflich geregelten regelmäßigen Nachtarbeit sein.

Als durch den Zuschlag zu kompensierende Erschwernisse kommen zum einen Gefährdungen der Gesundheit und zum anderen Aspekte einer erschwerten Teilhabe am sozialen Leben in Betracht (Bundesarbeitsgericht am angegebenen Ort, Rn. 52).

Selbst wenn einmal unterstellt wird, dass mit der Nachtarbeit einhergehende Gefährdungen der Gesundheit nicht im Wesentlichen unterschiedlich festzustellen sind bei regelmäßiger oder unregelmäßiger Nachtarbeit, ergeben sich durchaus unterschiedliche Aspekte der Erschwerung der Teilhabe am sozialen Leben. Bei unregelmäßiger Nachtarbeit stellt sich der Planungsaufwand für die betroffenen Arbeitnehmer zur Sicherstellung einer erwünschten Teilhabe am sozialen Leben aufwendiger dar, als bei regelmäßiger Nachtarbeit. Dabei ist nicht relevant, ob im Betrieb der Beklagten unregelmäßige Nachtarbeit womöglich schon mehrere Wochen zuvor zeitlich feststeht. Es kommt nicht auf den konkreten Anwendungsfall im Betrieb der Beklagten an, sondern darauf, welche Konstellationen die tarifliche Bestimmung zulässt. Denn danach wird nicht darauf abgestellt, mit welcher Ankündigungsfrist die konkrete Nachtarbeit angesetzt wird. Eine zeitliche Grenze der Ankündigung folgt allenfalls aus den gesetzlichen Ruhezeiten von 11 Stunden gemäß § 5 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz.

Bei der Frage, ob eine Differenzierung zwischen 15 % einerseits und 30 % andererseits von hinreichend gewichtigen Gründen einer Ungleichbehandlung gestützt wird, ist wiederum auf die den Tarifvertragsparteien zukommende Einschätzungsprärogative abzustellen. Diese sind bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Vielmehr genügt es, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht (Bundesarbeitsgericht vom 21. März 2018 – 10 AZR 34/17, Rn. 43 mit weiteren Nachweisen).

So liegt der Fall hier. Eine Differenz von 15 % des Stundenlohnes stellt keine überproportionale Differenzierung dar. Dabei ist es auch nicht zwingend zielführend, darauf abzustellen, dass die Differenz in Höhe von 15 % eine Verdopplung des Zuschlags für regelmäßige Nachtarbeit darstellt. Maßgebend ist immer zumindest auch die Relation zur Höhe des Ausgangswertes, des tariflichen Stundenlohnes. Es macht hinsichtlich der Anforderungen an den sachlichen Grund einer Differenzierung entscheidenden Unterschied, ob die Differenz im Verhältnis zum tariflichen Stundenlohn 1/3 beträgt (so im durch das Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall vom 21. März 2018) oder aber wie im vorliegenden Fall von 1/7.

Hinzu tritt, dass hier – wenngleich in überschaubarem Umfang – als kompensatorische Leistung eine Besonderheit zur Regelung des Zusammentreffens mehrerer Zuschläge in Betracht kommt. Die Tarifvertragsparteien haben im Abschnitt 3 geregelt, dass bei einem Zusammentreffen von Zuschlägen nur der jeweils höhere Zuschlag zu zahlen ist. Hierbei handelt es sich um eine durchaus übliche Formulierung. Allerdings wird für den Fall des Zusammentreffens mit einem Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit hiervon eine Ausnahme gemacht. Für diesen Fall sollen Zuschläge für Mehrarbeit an Sonn- und Feiertagen zusätzlich gezahlt werden!

Es ist allerdings nicht zu verkennen, dass nach dem Wortlaut der tariflichen Bestimmung die Ausnahmeregelung nur die Konstellation betrifft, dass Mehrarbeitszuschläge für Arbeit an Sonn- und Feiertagen gezahlt werden. Allerdings ist wiederum diese Bestimmung konsequent im Hinblick auf das bereits zitierte Erschwernis der Teilhabe am sozialen Leben. Insbesondere an Sonn- und Feiertagen ist dieses Erschwernis besonders fühlbar, da viele Bekannte und Verwandte, welche in einem Arbeitsverhältnis stehen, typischerweise an diesen Tagen nicht arbeitsbedingt von ihrer Wohnung abwesend sind. Und so ist es wohl kein Zufall, dass viele Familientreffen oder Treffen unter Freunden an Wochenenden oder an Feiertagen stattfinden. Die Wahrscheinlichkeit, dass allerdings Nachtarbeit an Sonntagen und/oder Feiertagen stattfindet, ist für Arbeitnehmer in regelmäßiger Nachtarbeit entschieden höher als für Arbeitnehmer, welche unregelmäßig in Nachtarbeit tätig sind.

Darüber hinaus ist hinsichtlich des Gewichts einer Differenz von 15 % als Zuschlag auch nicht zu verkennen, dass diese Differenz bei der Regelung von Zuschlagshöhen den Tarifvertragsparteien nicht gänzlich unbekannt ist. So wird hinsichtlich der Höhe der Zuschläge für Mehrarbeit differenziert zwischen 25 % für die erste und zweite Mehrarbeitsstunde und 40 % für weitere Stunden. Auch hier beträgt die Differenz also 15 %. Erschwernisse im Hinblick auf die Gefährdung der Gesundheit einerseits und Aspekte der Erschwernis der Teilhabe am sozialen Leben andererseits dürften hier nicht minder eine Rolle spielen. Gleichwohl ist nicht ersichtlich, dass hier die Differenzierung von 15 % aktuell als rechtlich bedenklich im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz erachtet wird.

Es kann dahinstehen, ob für den Fall der Unwirksamkeit einer tariflichen Bestimmung durch die Arbeitsgerichte eine Anpassung nach oben vorzunehmen ist oder aber ob die Arbeitsgerichte das Ausfüllen einer Regelungslücke den Tarifvertragsparteien überlassen müssen. Vorliegend gibt es keine Regelungslücke! Die Regelung ist wirksam!

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus dem Unterliegen des Klägers gemäß der §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO. Hinsichtlich der Höhe des Streitwerts zum Zweck der Gebührenberechnung folgt diese aus der Höhe der Klageforderung.