FG Hamburg, Urteil vom 29.01.2021 - 4 K 26/16
Fundstelle
openJur 2021, 15453
  • Rkr:

1. Eine ohne Anschreiben vom Beklagten übersandte Postzustellungsurkunde einer Einspruchsentscheidung ist ein "Schriftsatz" i.S.d. § 77 Abs. 1 S. 4 FGO, der dem anderen Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln ist.

2. Unterbleibt eine solche Übermittlung, wodurch der Klägerin die Möglichkeit genommen wird, den verspäteten Eingang ihrer Klage zu erkennen und Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu beantragen, ist aus rechtsstaatlichen Gründen ein der höheren Gewalt vergleichbarer Fall gem. § 56 Abs. 3 FGO anzunehmen, sodass die dortige Jahresfrist einem verspäteten Wiedereinsetzungsantrag nicht im Wege steht.

3. Die Jahresfrist findet aber Anwendung, wenn die Klägerin die Wiedereinsetzung in die Klagefrist aus nicht ausschließlich in der Sphäre des Gerichts liegenden Gründen erst nach Ablauf der Jahresfrist beantragt hat. Dies ist der Fall, wenn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Einsicht in die Sachakte genommen hat und die dortige Postzustellungsurkunde über die Einspruchsentscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die zolltarifliche Einreihung von sog. "Sonnen- oder Solarsimulatoren".

Die Klägerin beantragte am 7. August 2012 die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) für ein "Testsystem für Solarzellen und -module". Mit vZTA vom 20. Juni 2013 (vZTA-Nummer: DE-xxx) reihte der Beklagte die Ware in die Unterposition 9030 3200 KN ein. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 11. Juli 2013 Einspruch ein und begehrte vorrangig eine Einreihung in die Unterposition 9027 8013 KN. Mit Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2015 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und stellte die Entscheidung den früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin mittels Postzustellungsurkunde am Samstag, dem 19. Dezember 2015 zu. Das Büro der früheren Prozessbevollmächtigten vermerkte im Folgenden einen Eingang am 21. Dezember 2015 auf der zugegangenen Ausfertigung der Einspruchsentscheidung.

Mit am Donnerstag, dem 21. Januar 2016 bei Gericht eingegangenem Fax vom selben Tag hat die Klägerin durch ihre früheren Prozessbevollmächtigten Klage erhoben und verfolgt ihr Begehren weiter. Auf Seite 2 der Klageschrift wird vorgetragen, dass die Einspruchsentscheidung am 21. Dezember 2015 bei den früheren Klägerbevollmächtigten eingegangen sei. Die Klage werde mit gesondertem Schriftsatz weiter begründet werden. Am 25. Januar 2016 hat der stellvertretende Senatsvorsitzende verfügt, dem Beklagten die Klage zur Kenntnisnahme zuzustellen und die früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin gebeten, die Klage binnen eines Monats zu begründen.

Mit Fax vom 2. Februar 2016 sandte der Beklagte das Empfangsbekenntnis über die Zustellung der Klageschrift an das Gericht zurück. Dem Empfangsbekenntnis beigefügt war ohne ein Anschreiben oder eine Stellungnahme die Urkunde über die Zustellung der Einspruchsentscheidung, aus der sich die Zustellung am 19. Dezember 2015 ergibt. Das Empfangsbekenntnis und die beiliegende Zustellungsurkunde wurden von der Geschäftsstelle des Senats lediglich zur Akte genommen und dem Senatsvorsitzenden nicht vorgelegt. Es erfolgte auch keine Übersendung der Postzustellungsurkunde an die früheren Klägerbevollmächtigten. Die Akte wurde dem Senatsvorsitzenden erst anlässlich des Eingangs des Schriftsatzes vom 25. Februar 2016 wiedervorgelegt, in dem die früheren Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht beantragten. Hierauf übersandte der Beklagte die Sachakten in Form eines Ordners, in den die früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 23. März 2016 Einsicht nahmen. Auf Bl. 302 des Ordners befindet sich die Zustellungsurkunde über die Einspruchsentscheidung im Original.

Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2016 begründeten die früheren Klägerbevollmächtigten die Klage. Die Klageerwiderung des Beklagten ging am 22. August 2016 bei Gericht ein. Darin begründete der Beklagte seine Einreihungsentscheidung und brachte - wie auch im Folgenden - keine Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage vor. Bis zum Ende des Jahres 2016 trugen die Beteiligten weiter zur Einreihung der streitgegenständlichen Ware vor. Im Frühjahr 2018 legitimierte sich der aktuelle Prozessbevollmächtigte der Klägerin zum Verfahren.

Der Senat förderte das Verfahren wieder ab Frühjahr 2020. Dabei wurde aufgrund Bl. 302 der Sachakte erstmalig das tatsächliche Zustellungsdatum der Einspruchsentscheidung bemerkt und auch, dass die Zustellungsurkunde bereits zusammen mit dem Empfangsbekenntnis 2016 vom Beklagten übersandt worden war.

Auf den Hinweis des Gerichts vom 24. November 2020, dass die Klagefrist nicht eingehalten sein dürfte, hat die Klägerin am 8. Dezember 2020 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Aufgrund eines Büroversehens der bei den früheren Prozessbevollmächtigten mit der Bearbeitung des Posteingangs betrauten Mitarbeiterin sei ein unzutreffender Posteingangsstempel auf der Einspruchsentscheidung aufbracht worden. In der Folge sei auch die Fristeintragung unrichtig gewesen. Wegen einer stets ausreichenden Büroorganisation und Fristenkontrolle sei den früheren Prozessbevollmächtigten die verfristete Einreichung der Klage aber nicht zuzurechnen.

In der Sache beantragt die Klägerin,1. den Beklagten unter Aufhebung der verbindlichen Zolltarifauskunft Nr. DE-xxx vom 20. Juni 2013 (Testsystem für Solarzellen und -module, sog. Solarsimulatoren) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2015 zu verpflichten, ihr eine verbindliche Zolltarifauskunft zu erteilen, mit der die Ware "Solarsimulatoren" für den Zeitraum vom 20. Juni 2013 bis zum 19. Juni 2019 in die Unterposition 9027 8013 KN eingereiht wird,2. hilfsweise, festzustellen, dass die verbindliche Zolltarifauskunft Nr. DE 18416/12-1 -xxx-1 vom 20. Juni 2013 (Testsystem für Solarzellen und -module, sog. Solarsimulatoren) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2015 rechtswidrig war und die Ware in die Unterposition 9027 8013 KN einzureihen gewesen wäre.

Der Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat von der Gelegenheit, sich zur Zulässigkeit der Klage zu äußern, keinen Gebrauch gemacht.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 19. Januar 2021 auf den Einzelrichter übertragen.

...

Gründe

I.

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren (§ 90 Abs. 2 FGO).

II.

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist bereits unzulässig.

Die Klägerin hat die Frist zur Erhebung der Verpflichtungsklage von einem Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 FGO nicht eingehalten. Die Klage ist am Donnerstag, den 21. Januar 2016 bei Gericht eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war die Klagefrist bereits abgelaufen. Die Einspruchsentscheidung wurde den früheren Prozessbevollmächtigten am 19. Dezember 2015 zugestellt. Nach den für die Berechnung der Klagefrist maßgeblichen Normen der §§ 54 Abs. 2 FGO, 222 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB begann die Klagefrist am Sonntag, den 20. Dezember 2015 zu laufen und endete mit Ablauf des 19. Januar 2016.

Der Klägerin ist auch keine Wiedereinsetzung in die Klagefrist nach § 56 Abs. 1 FGO zu gewähren. Danach ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ob die Klägerin bzw. ihre ursprünglichen Prozessbevollmächtigten schuldhaft gehandelt haben, kann offenbleiben. Einer Wiedereinsetzung in die Klagefrist steht jedenfalls § 56 Abs. 3 FGO entgegen. Danach kann Wiedereinsetzung nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist nicht mehr beantragt oder ohne Antrag bewilligt werden, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Hierbei handelt es sich um eine absolute Frist bzw. materielle Ausschlussfrist, die Rechtssicherheit schaffen soll und in die eine Wiedereinsetzung nicht möglich ist (Bruns in Gosch, AO/FGO, § 56 FGO, Rn. 48, Stand September 2017).

Die Klägerin hat die Wiedereinsetzung im Dezember 2020 und damit deutlich nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende der Klagefrist im Januar 2016 beantragt.

Die Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in die Klagefrist war vor Ablauf der Jahresfrist nicht infolge höherer Gewalt unmöglich. Höhere Gewalt ist nach der Rechtsprechung des BFH ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte. Sie umfasst von außen kommende Ereignisse, die vom Betroffenen nicht zu beherrschen sind und damit auch sog. unabwendbare Zufälle wie Krieg, Stillstand der Behördentätigkeit oder Naturkatastrophen. Geringstes Verschulden schließt höhere Gewalt aus (BFH, Urteil vom 12. Januar 2011, I R 37/10, juris, Rn. 18; Bruns in Gosch, AO/FGO, § 56 FGO, Rn. 49, Stand September 2017). Die Unkenntnis über den Lauf und die Versäumung der Jahresfrist stellt keine höhere Gewalt dar (FG Hamburg, Urteil vom 7. Mai 1996, II 100/95, juris, Rn. 86; BFH, Urteil vom 21. Juli 1983, V R 107/78, juris, Rn. 14; FG Köln, Urteil vom 30. Mai 2001, 9 K 4868/00, juris, Rn. 42; FG Düsseldorf, Urteil vom 30. Mai 1968, VIII 603/66 L, juris). Vorliegend ist kein Ereignis gegeben und ein solches wird von der Klägerin auch nicht vorgetragen, das sie daran gehindert hätte, die Wiedereinsetzung in die Klagefrist bis zum Ablauf des 19. Januar 2017 zu beantragen. Die Klägerin und ihre früheren Prozessbevollmächtigten hatten lediglich keine Kenntnis von der Verfristung der Klage und dem Lauf der Jahresfrist gem. § 56 Abs. 3 FGO. Dieser Umstand stellt nach zutreffender Rechtsprechung aber keinen Fall höherer Gewalt dar.

Vorliegend ist auch kein Ereignis gegeben, das aus Billigkeitsgründen einem Fall höher Gewalt gleichzustellen wäre. Die Rechtsprechung lässt die Jahresfrist gemäß § 56 Abs. 3 FGO (ebenso wie die entsprechenden Fristen in § 60 Abs. 3 VwGO, § 234 Abs. 3 ZPO) ausnahmsweise unangewendet, wenn sich der Beteiligte in einer unverschuldeten Verfahrenssituation befindet und die Anwendung der Jahresfrist seinen Anspruch auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren verletzen würde. Eine solche Situation wird u.a. dann angenommen, wenn das Gericht bei einem Beteiligten durch seine Verfahrensweise über einen längeren Zeitraum das Vertrauen erweckt hat, der eingelegte Rechtsbehelf sei zulässig (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2016, IX ZA 24/15, juris, Rn. 8). Nach der Rechtsprechung des BFH ist insoweit trotz Ablaufs der Jahresfrist ausnahmsweise Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn die Prüfung der Rechtzeitigkeit der Klageerhebung allein aus in der Sphäre des Gerichts liegenden Gründen nicht innerhalb der Jahresfrist erfolgt ist und beide Beteiligten aufgrund gerichtlicher Verfügungen der Ansicht waren, dass demnächst eine materiell-rechtliche Entscheidung ergehen würde. Die Beteiligten hätten - in dem der Entscheidung des BFH zugrundeliegenden Fall - aufgrund der durch die Setzung einer Ausschlussfrist zusätzlich qualifizierten Aufforderung an die Kläger, die Klage (materiell) zu begründen, davon ausgehen können, das Gericht habe keine Zweifel am fristgerechten Eingang der Klageschrift. Es sei mit dem Sinn und Zweck des § 56 Abs. 3 FGO nicht vereinbar, auch solche Wiedereinsetzungsanträge auszuschließen, zu deren Verspätung es nur deshalb gekommen sei, weil das Gericht infolge Überlastung seiner Aufgabe, Recht zu gewähren, erst nach Ablauf der Jahresfrist habe nachkommen können. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die verspätete Prüfung der Rechtzeitigkeit der Klageerhebung nicht durch ein unsachgemäßes Verhalten oder ein unrichtiges Vorbringen der Partei mitverursacht worden sei, sondern ausschließlich der Sphäre des Gerichts zuzuordnen sei (BFH, Urteil vom 26. März 1997, II R 28/96, juris, Rn. 12 ff.).

Solche rechtsstaatlichen Gründe führen vorliegend nicht zur Nichtanwendung der Jahresfrist gemäß § 56 Abs. 3 FGO. Bereits das Bundesarbeitsgericht hat in der der Rechtsprechung des BFH zugrundeliegenden Entscheidung unterstrichen - und dies hat der BFH übernommen, s.o. -, dass die Jahresfrist doch gelte, wenn die verspätete Prüfung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels durch ein unsachgemäßes Verhalten oder ein unrichtiges Vorbringen der Parteien (z.B. unrichtige Angabe der Zustellung des angefochtenen Urteils) mitverursacht worden sei, also nicht ausschließlich der Sphäre des Gerichts zuzuordnen sei (BAG, Urteil vom 2. Juli 1981, 2 AZR 324/79, juris, Rn. 16). Vorliegend ist die verspätete Prüfung der Zulässigkeit der Klage nicht ausschließlich der Sphäre des Gerichts zuzuordnen. Die ursprünglichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben in der Klageschrift unrichtige Angaben zum Zugangszeitpunkt der Einspruchsentscheidung gemacht. So heißt es auf Seite 2 der Klageschrift vom 21. Januar 2016 ausdrücklich, dass die Einspruchsentscheidung am 21. Dezember 2015 eingegangen sei. Da die Klageschrift vorab per Fax an das Gericht gesendet wurde, ist wenige Zentimeter oberhalb des unrichtigen Vorbringens auch das Faxdatum "21/01 2016" deutlich erkennbar, sodass der mit der Eingangsbearbeitung betraute stellvertretende Vorsitzende damals von einer fristgemäßen Klageerhebung ausgehen musste.

Die Jahresfrist gemäß § 56 Abs. 3 FGO findet auch nicht deshalb Anwendung, weil das Gericht die vom Beklagten im Februar 2016 übermittelte Zustellungsurkunde über die Einspruchsentscheidung nicht an die früheren Klägerbevollmächtigten weitergeleitet hat. Zwar liegt hierin ein Verfahrensverstoß durch das Gericht (1.), der unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten grundsätzlich dazu führt, die Jahresfrist nicht anzuwenden (2.). Vorliegend beruht die Nichtbeantragung der Wiedereinsetzung innerhalb der Jahresfrist aber nicht ausschließlich auf diesem Versehen des Gerichts, sondern lag ebenso in der Einflusssphäre der früheren Prozessbevollmächtigten. Diese haben im März 2016 Einsicht in die Sachakten des Beklagten genommen, weshalb sie und die Klägerin sich nicht darauf berufen können, vom Inhalt der Zustellungsurkunde keine Kenntnis gehabt zu haben (3.).

1. Die unterlassene Übermittlung der Zustellungsurkunde stellt einen Verstoß gegen § 77 Abs. 1 Satz 4 FGO und damit einen Verfahrensfehler dar. Danach sind Schriftsätze den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln. Die Vorschrift bezweckt, das Recht der Beteiligten auf Gehör zu gewährleisten. Auch die kommentarlos zusammen mit dem Empfangsbekenntnis übersandte Zustellungsurkunde stellt einen "Schriftsatz" im Sinne der Norm dar. Zwar ist es äußerst ungewöhnlich, dass die Zollverwaltung, wenn sie in der Sache etwas mitteilen möchte, lediglich eine Urkunde übersendet. Der Beklagte übersendet stets Schriftsätze, die ein Anschreiben und eine inhaltliche Stellungnahme beinhalten. Allerdings entspricht die schlichte Übersendung der Zustellungsurkunde aus der Sicht eines objektiven Empfängers vom Erklärungswert her im Wesentlichen einer kurzen Stellungnahme mit dem Hinweis auf einen verspäteten Eingang der Klage bei Gericht und ist daher als Schriftsatz anzusehen (ebenso Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 86, Rn. 98, zum inhaltsgleichen § 86 Abs. 4 VwGO, wonach den Beteiligten "alle Schriftstücke" der jeweils anderen Partei zu übersenden sind).

2. Der Anspruch der Klägerin auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren hätte es verboten, die Klägerin angesichts dieses Verfahrensverstoßes mit ihrem Wiedereinsetzungsantrag wegen Ablaufs der Jahresfrist auszuschließen. Das nicht ordnungsgemäße Verhalten der Geschäftsstelle, die die Zustellungsurkunde nicht dem Senatsvorsitzenden vorgelegt hat, ist dem Gericht zuzurechnen und darf nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Es ist hinreichend wahrscheinlich, dass sowohl der zuständige Richter, wenn ihm die Urkunde vorgelegt worden wäre, als auch die früheren Klägerbevollmächtigten, sofern diese die Zustellungsurkunde erhalten hätten, dies zum Anlass genommen hätten, die Klagefrist zu überprüfen. Denn ein anderer Erklärungswert geht mit einer eingereichten Zustellungsurkunde einer Einspruchsentscheidung nicht einher. Die Klägerin hätte in der Folge vor Ablauf der Jahresfrist einen Wiedereinsetzungsantrag stellen können.

3. Vorliegend war das Versehen des Gerichts aber nicht (allein) dafür ursächlich, dass die Klägerin vor Ablauf der Jahresfrist keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat. Das Verhalten ihrer früheren Prozessbevollmächtigten war jedenfalls mitursächlich. Diese haben Ende März 2016 Einsicht in den vom Beklagten übersandten Ordner genommen. Auf Bl. 302 des Ordners befindet sich die Zustellungsurkunde über die Einspruchsentscheidung im Original. Aufgrund der Akteneinsicht war den früheren Klägerbevollmächtigten der Akteninhalt und damit auch die Zustellungsurkunde bekannt. Selbst wenn ein Bevollmächtigter Teile einer Sachakte nicht gelesen haben sollte, wird er jedenfalls nach erfolgter Akteneinsicht so gestellt, als hätte er Kenntnis der ganzen Akte und kann sich nicht darauf berufen, von Teilen des Akteninhalts keine Kenntnis erlangt zu haben (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Oktober 2012, 10 K 4743/10, juris, Rn. 67, 78). Mit dieser Kenntnis hätte die Klägerin vor dem Ablauf der Jahresfrist die Wiedereinsetzung in die Klagefrist beantragen können.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.