OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.04.2021 - 7 D 11518/20
Fundstelle
openJur 2021, 15444
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 5. November 2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren zu bewilligen.

1. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

a) Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe dient demnach sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch nach der Zielrichtung der gesetzlichen Regelung dazu, einer bedürftigen Partei die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu ermöglichen, sofern diese hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. März 1998 - 1 PKH 3.98 -, juris, Rn. 2; OVG Nds, Beschluss vom 27. Juli 2010 - 4 PA 175/10 -, juris, Rn. 2). Dieser Zweck der Prozesskostenhilfe kann nach der Beendigung des Rechtsstreits durch eine Klagerücknahme nicht mehr verwirklicht werden, weil eine Rechtsverfolgung nach der Rücknahme der Klage nicht mehr im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO beabsichtigt ist. Daher kommt eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach der Beendigung des Verfahrens durch eine Klagerücknahme grundsätzlich nicht mehr in Betracht (ebenso: OVG Nds, Beschluss vom 27. Juli 2010, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 20. April 2017 - 13 E 220/17 -, juris, Rn. 2; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 166 Rn. 132; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 166 Rn. 14, alle m.w.N.; a.A.: OVG Nds, Beschluss vom 21. November 2011 - 13 LA 222/10 -, NJW 2012, 248; Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 166 Rn. 47 f. m.w.N.).

Dem steht nicht entgegen, dass für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung grundsätzlich der Zeitraum der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags maßgeblich ist (vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, a.a.O., § 166 Rn. 14a m.w.N.). Denn die Vorverlegung des für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung maßgeblichen Zeitpunkts auf den der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags ändert nichts daran, dass die Rechtsverfolgung auch im Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe grundsätzlich noch beabsichtigt sein muss, weil Prozesskostenhilfe dazu dient, einer bedürftigen Partei die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu ermöglichen. Abgesehen davon lässt die Klagerücknahme die Rechtshängigkeit der Klage nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO rückwirkend entfallen, so dass die Rechtsverfolgung auch bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags nicht mehr als beabsichtigt im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO angesehen werden kann (vgl. OVG Nds, Beschluss vom 27. Juli 2010, a.a.O., Rn. 3 m.w.N.).

Ebenso wenig spricht gegen die hier vertretene Auffassung die Regelung in § 87a Abs. 1 Nr. 2 VwGO, wonach bei Rücknahme der Klage im vorbereitenden Verfahren der Vorsitzende entscheidet, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe. Aus dieser Regelung der Entscheidungszuständigkeit für einen Prozesskostenhilfeantrag nach Klagerücknahme folgt nicht zwingend, dass auch die Möglichkeit einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Klagerücknahme als gesetzlich verankert anzusehen ist (vgl. OVG Nds, Beschluss vom 21. November 2011, a.a.O.). Außerdem verbleibt nicht nur für eine Ablehnung, sondern auch für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Klagerücknahme ein Anwendungsbereich der Vorschrift des § 87a Abs. 1 Nr. 2 VwGO, lediglich begrenzt auf Ausnahmefälle von dem oben genannten Grundsatz (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, a.a.O., § 166 Rn. 134).

b) Von dem oben genannten Grundsatz ist nämlich eine Ausnahme zuzulassen, wenn der Kläger vor der Beendigung des Verfahrens alles ihm Zumutbare unternommen hat, um dem Gericht eine Entscheidung über seinen bewilligungsreifen Prozesskostenhilfeantrag zu ermöglichen. Dies ist nicht nur aus Billigkeitsgründen gerechtfertigt, sondern im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich geboten (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, a.a.O., § 166 Rn. 133 m.w.N.).

Alles Erforderliche für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat der Kläger getan, wenn er vor Abschluss des Verfahrens einen vollständigen Prozesskostenhilfeantrag mit Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gestellt hat. Außerdem ist es ihm grundsätzlich zuzumuten, dass er gegenüber dem Gericht vor der Klagerücknahme die Entscheidung über seinen noch offenen Prozesskostenhilfeantrag anmahnt (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, a.a.O., § 166 Rn. 133 f. m.w.N.).

2. Hiervon ausgehend scheidet eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren aus, nachdem der Kläger seine Klage in der mündlichen Verhandlung am 24. September 2020 zurückgenommen hat, so dass es an einer beabsichtigten Rechtsverfolgung im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO fehlt.

Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise rückwirkende Bewilligung nach Beendigung des Verfahrens durch die vom Kläger erklärte Klagerücknahme liegen nicht vor. Der Kläger hat zwar bereits Ende 2019 einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt und eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Er hat jedoch vor der Klagerücknahme gegenüber dem Verwaltungsgericht die Entscheidung über seinen noch offenen Prozesskostenhilfeantrag nicht angemahnt, obwohl hierzu jedenfalls nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung oder spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung Anlass bestanden hätte.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger angeführten Umstand, dass er die Klage zurückgenommen hat, nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ihre Bereitschaft erklärt hatte, den Vollzug des angefochtenen aufenthaltsbeendenden Bescheids vorläufig auszusetzen. Damit hat die Beklagte zwar ein gewisses Entgegenkommen in Aussicht gestellt, aber keine Klaglosstellung. Es kann daher keine Rede davon sein, dass der Kläger - wie von ihm mit der Beschwerde geltend gemacht - gezwungen gewesen wäre, die Klage zurückzunehmen, oder dass es ihm unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, vor Erklärung der Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung über seinen noch offenen Prozesskostenhilfeantrag gegenüber dem Verwaltungsgericht anzumahnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.