LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.11.2020 - 3 Sa 188/20
Fundstelle
openJur 2021, 15397
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 18.06.2020 - 8 Ca 362/19 P - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten ihrer Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten (im Berufungsverfahren nur noch) darüber, ob die von der Beklagten dem Kläger am 05.09.2019 erteilte Abmahnung aus der Personalakte des Klägers zu entfernen ist.

Der 1959 geborene Kläger ist seit 01.01.2013 bei der Beklagten im Jugendheim "Mü." in Ro. als Erzieher gegen ein monatlichen Bruttoentgelt von zuletzt 3.020,00 EUR beschäftigt. In diesem Jugendheim sind überwiegend in zwei geschlossenen Gruppen schwersterziehbare Kinder und Jugendliche infolge gerichtlicher Einweisung untergebracht.

Am 05.09.2019 hat die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung wegen Aufsichtspflichtverletzung erteilt, hinsichtlich deren weiteren Inhalts auf Bl. 32 d. A. Bezug genommen wird und die, soweit vorliegend maßgeblich, folgenden Wortlaut hat:

"... nach erneuter Prüfung unter Einbeziehung Ihrer Stellungnahme vom 26.06.2019 hat sich der vorgeworfene Sachverhalt bestätigt. Wir mahnen Sie daher ab.

Am 04.06.2019 begleiteten Sie als verantwortlicher Betreuer vier Jugendliche ins Schwimmbad in Co., darunter ein Jugendlicher in der Stufe 3. Während dieses Schwimmbadbesuchs konsumierten die Jugendlichen wiederholt Cannabis (3-5 Joints, die im Schwimmbad "gebaut" wurden), was Sie nicht bemerkten, weil Sie an einer anderen Stelle lagen als die Jugendlichen. Sie hatten die Jugendlichen lediglich angewiesen, sich alle halbe Stunde bei Ihnen zu melden. Damit sind Sie Ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen.

Wir sind nicht bereit, ein derartiges Fehlverhalten hinzunehmen.

Bei den Jugendlichen im Jugendheim Mü. ist eine besondere Betreuung und Aufsicht vonnöten und sie sind im Blick zu behalten. Dabei reicht es nicht, ihnen zu sagen, dass sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt zu melden haben.

Der Jugendliche in der Stufe 3 muss während des gesamten Zeitraums, in dem er sich außerhalb des Einrichtungsgeländes bewegt, durchgängig persönlich begleitet und beaufsichtigt werden. Hier regelt der Ihnen bekannte Stufenplan ganz klar, dass bei Aktivitäten außerhalb des Geländes eine aktive Aufsicht durch Sie hätte erfolgen müssen. Mit Ihrer Entscheidung, den Jugendlichen der Stufe 3 ins Schwimmbad mitzunehmen, übernahmen Sie die Verantwortung, diesen unmittelbar zu beaufsichtigen, d. h. direkt bei ihm zu sein - zumal der Jugendliche kurz zuvor von Stufe 4 auf Stufe 3 wegen Fehlverhaltens herabgestuft worden war.

Aus diesem Grund mahnen wir Sie hiermit ausdrücklich ab und fordern Sie auf, zukünftig Ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß nachzukommen.

Wir machen Sie in aller Form und in aller gebotenen Ernsthaftigkeit darauf aufmerksam, dass wir diesen Verstoß gegen Ihre Treuepflicht gegenüber Ihrem Arbeitgeber nicht hinnehmen können. Wir bitten Sie eindringlich, in Zukunft Ihren Pflichten aus dem Arbeitsvertrag ordnungsgemäß und vollständig nachzukommen. Sollten wir in Zukunft bei Ihnen Pflichtverstöße der hier abgemahnten oder einer ähnlichen Art erneut feststellen, müssen Sie davon ausgehen, dass von uns arbeitsrechtliche Sanktionen bis hin zur Kündigung ergriffen werden.

Diese Abmahnung wird in Ihre Personalakte aufgenommen.

Wir bitten Sie, uns den Erhalt dieser Abmahnung zu bestätigen. ..."

Am 04.06.2019 hatte der Kläger als verantwortlicher Betreuer vier Jugendliche ins Schwimmbad in Co. begleitet, darunter einen Jugendlichen in der maßgeblichen Stufe drei; die anderen Jugendlichen sind in der Stufe vier kategorisiert. Während dieses Schwimmbadbesuches konsumierten die Jugendlichen wiederholt Cannabis (drei bis fünf Joints, die im Schwimmbad "gebaut" wurden). Der Kläger hatte die Jugendlichen zuvor angewiesen, sich alle halbe Stunde bei ihm zu melden. Jugendliche der Stufe drei dürfen nach der maßgeblichen Kategorisierung an begleiteten Gruppenaktivitäten teilnehmen, z. B. Eislauf, Schwimmen, Kino; sie haben täglich zudem eine halbe Stunde unbegleiteten Ausgang auf dem Gelände. Jugendliche der Stufe vier dürfen dagegen zusätzlich an einem unbegleiteten Ausgang teilnehmen, beginnend mit drei Stunden pro Woche, verteilt auf Tage, mit Handy; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Bl. 97 d. A. Bezug genommen.

Der Kläger hat vorgetragen,

bei einem Schwimmbadbesuch sei die durchgehende Betreuung nur durch einen Betreuer gar nicht möglich. Herr Sch. habe hinsichtlich der Beaufsichtigung mehrerer Jugendlicher seit kurzem die Vorgabe gemacht, einen "erhöhten Platz" aufzusuchen, um von dort die Jugendlichen bei ihren Aktivitäten zu beaufsichtigen. Da dies aufgrund der Weitläufigkeit der Anlage im Schwimmbad nicht möglich gewesen sei, habe er die Jugendlichen angewiesen, sich halbstündig bei ihm zu melden. Er habe nicht bemerkt, dass hinter seinem Rücken Cannabis konsumiert worden sei. Er habe nicht permanent bei den Jugendlichen bleiben können, da diese ja nicht immer alle vier zusammen in unmittelbarer Nähe gewesen seien. Eine 100%ige Beaufsichtigung mehrerer Jugendlicher gleichzeitig an einem solchen öffentlichen Ort sei schlichtweg unmöglich, erst recht über Stunden.

Der Kläger hat, soweit für das Berufungsverfahren von Belang, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die ihm mit Schreiben vom 05.09.2019 erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

die Abmahnung vom 05.09.2019 sei zu Recht ergangen.

Der Kläger habe am 04.06.2019 ein Freibad mit vier Jugendlichen, davon drei aus der Stufe 4 und einem aus der Stufe 3, besucht. Jugendliche der Stufe 3 dürften nur an begleiteten Gruppenaktivitäten außerhalb des Geländes teilnehmen und müssten daher stets unter Aufsicht stehen. Eine Verpflichtung seitens des Klägers, den Jugendlichen der Stufe 3 mit zum Ausflug zu nehmen, habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Dies sei also freiwillig erfolgt.

Im Auto habe der Kläger die Jungen informiert, keinen Unfug zu machen und sich ordentlich zu benehmen. Im Übrigen hätten sie sich bei ihm alle halbe Stunde zu melden. Während des Besuchs hätten die Jugendlichen laut deren Aussagen, an einer anderen Stelle des Freibades gelegen, die weit weg von anderen Personen und damit auch vom Kläger gewesen sei. Die Jugendlichen hätten die "Meldepausen" sodann dafür genutzt, sich in der Zwischenzeit Joints zu bauen und zu konsumieren.

Wäre der Kläger seiner Aufsichtspflicht nachgekommen, wäre dies nicht möglich gewesen. Er sei dazu verpflichtet gewesen den Jugendlichen der Stufe 3 nicht unbeaufsichtigt zu lassen. Dies sei ihm auch hinlänglich bekannt.

Hinsichtlich des weiteren streitigen Vorbringens der Beklagten im erstinstanzlichen Rechtszug wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 9 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 198 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - hat daraufhin die Beklagte durch Urteil vom 18.06.2020 - 6 Ca 362/2019 P verurteilt, die dem Kläger mit Schreiben vom 05.09.2019 erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 191-206 d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihr am 25.06.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 16.07.2020 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 04.09.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor durch Beschluss vom 21.08.2020 ihre Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung auf ihren begründeten Antrag hin bis zum 25.09.2020 einschließlich verlängert worden war.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, es treffe nicht zu, dass die Abmahnung auf mehrere Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers gestützt werde, von denen eine nicht zutreffe. Der in der Abmahnung enthaltene Absatz "am 04.06.2019 begleiteten Sie ... damit sind Sie Ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen. Wir sind nicht bereit, ein derartiges Verhalten hinzunehmen" diene der Einleitung und schildere die Geschehnisse und das Verhalten des Klägers am 04.06.2019.

Aus dem nachfolgenden Text, bei genauer Durchsicht der Abmahnung und deren Aufbau werde aber deutlich, dass die Beklagte zwar missbilligen möge, dass den Jugendlichen der Stufe vier die Gelegenheit gegeben worden sei, Cannabis zu konsumieren, abgemahnt worden sei jedoch eindeutig die Verletzung der Aufsichtspflicht des Jugendlichen der Stufe 3. Dies ergebe sich insbesondere aus der Begründung, dass es die Entscheidung des Klägers gewesen sei, den Jugendlichen der Stufe 3 mit ins Freibad zu nehmen, was zur Folge gehabt habe, dass dieser ungeachtet der Tatsache, ob er seine Zeit mit den Jugendlichen der Stufe 4 verbringe oder nicht, vom Kläger unmittelbar habe beaufsichtigt werden müssen.

Auch aus der Anhörung des Kläger zu der beabsichtigten Erteilung einer Abmahnung vom 25.06.2019 ergebe sich eindeutig, dass die Tatsache, dass der Jugendliche der Stufe drei während des Schwimmbadbesuches, an dem er zwar habe teilnehmen dürfen, dann aber rund um die Uhr unter Aufsicht habe gestellt werden müssen, gerügt und letztlich auch abgemahnt werde; dass sich die Heimleitung weitergehend grundsätzlich wünsche, dass eine gesteigerte Aufsichtspflicht zur gewährleisten sei, möge zwar so sein, dies sei jedoch nicht abgemahnt worden. Insoweit sei lediglich ein Wunsch geäußert worden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 04.09.2020 (Bl. 281-285 d. A.) sowie ihren Schriftsatz vom 05.11.2020 (Bl. 304, 305 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 18.06.2020 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - 6 Ca 362/19 P - die Klage im Hinblick auf die Abmahnung vom 05.09.2019 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammer Pirmasens - vom 18.06.2020 - 6 Ca 362/19 P - zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, bereits anhand des Wortlauts der Abmahnung könne kein Zweifel daran bestehen, dass die Beklagte auch die Tatsache, dass die vier Jugendlichen Cannabis konsumiert hätten, ohne dass der Kläger dies verhindert habe, habe abmahnen wollen. Zu keinem Zeitpunkt habe für den Kläger ein Zweifel darüber bestanden, dass er abgemahnt worden sei, weil die vier Jugendlichen illegal Drogen konsumiert hätten, und zudem auch noch, weil er den einen Jugendlichen hätte durchgehend beaufsichtigen müssen. Nichts Anderes ergebe sich bereits aus dem Anhörungsschreiben, dass der Kläger vor Ausspruch der Abmahnung erhalten habe; in diesem Schreiben vom 25.06.2019 werfe sie ihm ganz eindeutig und vor allem primär die Ermöglichung des Joint-Rauchens aller vier Jugendlichen vor. Hinsichtlich des Inhalts dieses Anhörungsschreibens wird auf Bl. 301 d. A. Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 30.10.2020 (Bl. 298-300 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 16.11.2020.

Gründe

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass die von der Beklagten dem Kläger erteilte Abmahnung vom 05.09.2019 rechtswidrig und folglich aus der Personalakte zu entfernen ist.

Die Berufung der Beklagten war folglich zurückzuweisen.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 05.09.2019 aus der Personalakte.

Der Arbeitnehmer kann analog § 242, 1004 Abs. 1, Satz 2 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte verlangen (BAG 20.01.2015, NZA 2015, 805; 19.07.2012 EzA § 611 BGB 2002 Nr. 7; s. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Arbeitsrechts, 15. Auflage 2020, DLW/Dörner, Kapitel 4 Rn. 2705 ff.). Der Anspruch besteht dann, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtstellung und seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen können, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, sowie ferner dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (BAG 20.01.2015, a. a. O.).

Denn bei einer Abmahnung, die zwischenzeitlich in § 314 Abs. 2 BGB ausdrücklich gesetzlich verankert worden ist, handelt es sich um die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Gläubigerrechts durch den Arbeitgeber. Als Gläubiger der Arbeitsleistung weist er den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Hinweisfunktion). Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, wenn ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion). Eine solche missbilligende Äußerung des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung ist geeignet, den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen und seinem Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen (BAG 23.06.2009, NZA 2009, 1011 ff.). Deshalb kann der Arbeitnehmer die Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Er besteht ferner auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleiben in der Personalakte besteht (BAG 20.01.2015 a. a. O.).

Wird die Abmahnung auf mehrere Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers gestützt, so ist sie in der Regel bereits dann aus der Personalakte zu entfernen, wenn nur eine der dem Arbeitnehmer zur Last gelegten Pflichtverletzungen nicht zutrifft (BAG 13.03.1991, EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 20; LAG Hamm 10.01.2006, NZA-RR 2006, 290; LAG Köln, 19.09.2006, AuR 2007, 142 LS; 15.06.2007, AuR 2007, 323 LS; LAG Hamm 25.05.2007, AuR 2007, 405 LS). Sie kann dann nicht nach den zu § 139, 140 BGB entwickelten Grundsätzen teilweise aufrechterhalten werden (s. DLW/Dörner, a. a. O., Kap. 4, Rn. 2713).

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht in der streitgegenständlichen Entscheidung ausgeführt:

"Die Beklagte hat in der Abmahnung vom 05.09.2019 gerügt, dass der Kläger am 04.06.2019 als verantwortlicher Betreuer vier Jugendliche ins Schwimmbad in Co. begleitete, darunter ein Jugendlicher in der Stufe 3. Während dieses Schwimmbadbesuchs konsumierten die Jugendlichen wiederholt Cannabis (3 - 5 Joints, die im Schwimmbad "gebaut" wurden), was der Kläger nicht bemerkte, weil er an einer anderen Stelle als die Jugendlichen lag. Der Kläger hatte die Jugendlichen lediglich angewiesen, sich alle halbe Stunde bei ihm zu melden. Damit sei der Kläger seiner Aufsichtspflicht nicht nachgekommen.

Die Beklagte differenziert insoweit nicht zwischen den unterschiedlichen Aufsichtspflichten gegenüber Jugendlichen der Stufe 4 und der Stufe 3. Vielmehr erklärt die Beklagte allgemein, dass der Kläger seiner Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sei. Dies ist so nicht richtig. Jugendliche der Stufe 4 dürfen in der Öffentlichkeit zeitweise unbegleitet sein gemäß der Anlage B8, Bl. 97 d. A. Danach haben Jugendliche der Stufe 4 zusätzlich das Recht auf einen unbegleiteten Ausgang beginnend mit drei Stunden wöchentlich auf drei Tage mit Handy. Folglich durfte der Kläger die Jugendlichen der Stufe 4 anweisen sich lediglich alle halbe Stunde bei ihm zu melden. Dass diese Jugendlichen die unbegleitete Zeit zum Bauen von Joints und zum Konsumieren von Cannabis nutzten, stellt kein Fehlverhalten des Klägers, sondern ein Fehlverhalten der Jugendlichen der Stufe 4 dar. Hierfür hätte der Kläger nicht abgemahnt werden können.

Jedoch hat der Kläger seine Aufsichtspflicht gegenüber dem Jugendlichen der Stufe 3 verletzt. Jugendliche der Stufe 3 dürfen entsprechend dem Stufenplan in der Öffentlichkeit nur begleitet an Gruppenaktivitäten teilnehmen. Dies bedeutet, wenn sich der Kläger dazu entschließt, einen Jugendlichen der Stufe 3 zu einem Schwimmbadbesuch mitzunehmen, dass er diesen Jugendlichen ständig zu beaufsichtigen hat, auch wenn dies dazu führen würde, dass dieser Jugendliche sich ständig bei dem Kläger und gerade nicht bei den anderen Jugendlichen der Stufe 4 aufhalten kann. Indem der Kläger auch gegenüber dem Jugendlichen der Stufe 3 angeordnet hat, dass er sich nur alle halbe Stunde bei ihm melden müsse, hat er gegen seine Aufsichtspflichten verstoßen, die durch den Stufenplan der Anlage B8 konkretisiert sind.

Da jedoch eine Pflichtverletzung gegenüber den Jugendlichen der Stufe 4 nicht besteht, war die Abmahnung insgesamt aus der Personalakte zu entfernen."

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer voll inhaltlich an und stellt dies hiermit ausdrücklich gemäß § 69 Abs. 5 ArbGG ausdrücklich fest.

Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des insoweit maßgeblichen Lebenssachverhalts. Es macht vielmehr lediglich, wenn auch aus der Sicht der Beklagten heraus verständlich, deutlich, dass die Beklagte mit der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des tatsächlichen und rechtlichen Vorbringens der Parteien im erstinstanzlichen Rechtszug durch das Arbeitsgericht, der die Kammer voll inhaltlich folgt, nicht einverstanden ist. Es enthält aber keinerlei neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Gleiches gilt für etwaige Rechtsbehauptungen. Aus den von der Beklagten zitierten Textpassagen wird bei genauer Durchsicht und unter Berücksichtigung von deren Aufbau keineswegs nur deutlich, dass die Beklagte zwar missbilligen mag, dass den Jugendlichen der Stufe 4 die Gelegenheit gegeben wurde, Cannabis zu konsumieren, wohingegen abgemahnt jedoch lediglich die Verletzung der Aufsichtspflicht des Jugendlichen der Stufe 3 worden sei. Dies trifft weder nach dem Wortlaut des Textes, noch nach dem systematischen Zusammenhang der einzelnen Absätze zu. Denn die Formulierung "damit sind Sie Ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen" bedeutet nichts anderes, als dem Kläger eine Arbeitsvertragspflichtverletzung vorzuwerfen; aus dem Nachsatz "Wir sind nicht bereit, ein derartiges Verhalten hinzunehmen" kann in Verbindung mit der Formulierung "aus diesem Grund mahnen wir sie hiermit ausdrücklich ab" im Nachgang kann nur mit dem Arbeitsgericht der Schluss gezogen werden, dass sich die Abmahnung auch auf dieses behauptete Fehlverhalten beziehen soll. Genau dies ergibt sich im Übrigen bereits, worauf der Kläger zutreffend hingewiesen hat, aus dem der Abmahnung vorangehenden Anhörungsschreiben der Beklagten vom 25.06.2019. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass sich die streitgegenständliche Abmahnung auf zwei arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen beziehen soll; da betreffend den Cannabis-Genuss aber eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung des Klägers auch nach der Darstellung der Beklagten nicht vorliegt, ist die gleichwohl (auch) auf diese behauptete Pflichtverletzung gestützte Abmahnung insoweit rechtswidrig.

Folglich ist die Beklagte verpflichtet, die Abmahnung vom 05.09.2019 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen; sie ist freilich dadurch nicht gehindert, eine erneute Abmahnung zu erteilen, in der der unberechtigte Vorwurf fehlt (s. DLW/Dörner, a. a. O., Kap. 4, Rn. 2715).

Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

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