Schleswig-Holsteinisches OVG, Urteil vom 27.01.2021 - 5 KN 13/20
Fundstelle
openJur 2021, 15144
  • Rkr:

1. Regelungen, die erst im Stadium ihrer Entstehung sind, können nicht Gegenstand einer Normenkontrolle sein.

2. Die an den Entwurf einer Schutzverordnung anknüpfende gesetzliche Veränderungssperre gemäß § 12a Abs. 2 Satz 1 LNatSchG gibt keinen Anlass zu einer erweiternden Auslegung von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, da hinreichender Rechtsschutz gegen die Veränderungssperre auch dann gewährleistet ist, wenn hierfür das Normenkontrollverfahren nicht zur Verfügung steht.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Antragsteller ist Eigentümer landwirtschaftlich genutzter Flächen in dem Gebiet "Riesenwohld" im Kreis Dithmarschen. Der Antragsgegner beabsichtigt, dieses und weitere Gebiete durch Verordnungen als Landschaftsschutzgebiete auszuweisen.

Mit Veröffentlichung vom 2. Juli 2019 kündigte der Antragsgegner die Auslegung von Entwürfen der Verordnungen und die Durchführung eines förmlichen Beteiligungsverfahren an. Zugleich stellte er in Aussicht, dass sich nach Auswertung der eingehenden Stellungnahmen Änderungen an den Entwürfen ergeben könnten.

In der Zeit vom 15. Juli 2019 bis zum 16. August 2019 legte der Antragsgegner die Entwürfe der Landschaftsschutzgebietsverordnungen öffentlich aus. Die Entwürfe sehen unter anderem Einschränkungen für die Errichtung und Änderung baulicher Anlagen, insbesondere von größeren Windkraftanlagen, vor. Während des Auslegungsverfahrens machte der Antragsteller unter anderem geltend, er werde durch die Entwürfe in seinem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) verletzt. Die bauliche Nutzbarkeit und Bewirtschaftung seiner Grundstücke für private und betriebliche Zwecke werde eingeschränkt. Der Beleihungswert seiner Grundstücke sinke

Etwa zur gleichen Zeit wurde der Antragsgegner im Rahmen einer Behördenanhörung zu einem Bauvorhaben eines anderen Antragstellers angehört. Der Antragsgegner wies bei dieser Anhörung sinngemäß darauf hin, dass in den Genehmigungsunterlagen das einstweilig sichergestellte Landschaftsschutzgebiet Nordergeest - das ebenfalls von den ausgelegten Entwürfen betroffen ist - nicht berücksichtigt worden sei.

Mit dem vorliegenden Normenkontrollantrag greift der Antragsteller den ausgelegten Entwurf der Landschaftsschutzgebietsverordnung zu dem Gebiet "Riesenwohld" an. Mit Beschluss vom 4. September 2020 hat der Senat angeordnet, über die Zulässigkeit des Antrags abgesondert zu verhandeln.

Der Antragsteller vertritt die Auffassung, ein Normenkontrollantrag müsse zur Abwehr von Rechtsverletzungen ausnahmsweise statthaft sein. § 12a Abs. 2 LNatSchG verleihe dem Entwurf rechtliche Bindungswirkung. Außerdem werde ihm vom Antragsgegner bereits rechtliche Wirkung beigemessen. Ohne das Normenkontrollverfahren bestehe eine mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbare Rechtsschutzlücke. Daher sei der Entwurf als untergesetzliche Rechtsvorschriften im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 67 LJG anzusehen und im Wege der Normenkontrolle angreifbar. Dies gelte umso mehr, als der Antragsgegner seinen Entwürfen zum Beispiel bei der Behördenanhörung bereits Geltung beigemessen habe. Dies werde auch durch die Landesplanung bestätigt, weil die entwurfsbetroffenen Gebiete nicht als Windvorrangflächen in die Regionalpläne aufgenommen worden seien. Zur Gewährleistung von effektivem Rechtsschutz sei die Rechtsprechung zur Statthaftigkeit des Normenkontrollverfahrens bei Flächennutzungsplänen entsprechend heranzuziehen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß:

Der in der Zeit vom 15. Juli 2019 bis 16. August 2019 öffentlich ausgelegte Entwurf der Landschaftsschutzgebietsverordnung "Riesenwohld" ist unwirksam und entfaltet keine Rechtswirkung.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er ist der Ansicht, das Normenkontrollverfahren sei nicht statthaft. Das Verfahren diene nicht der präventiven Überprüfung werdenden Rechts. Eine Ausnahmesituation in der ein Anspruch auf vorbeugenden Rechtsschutz in Betracht zu ziehen sei, sei nicht gegeben. Eine Rechtsschutzlücke liege nicht vor. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verlange nicht, dass Rechtsschutz gerade im Wege des Normenkontrollverfahrens gewährt werden müsse. Die den Antragsteller treffende Veränderungssperre resultiere nicht aus den angegriffenen Entwürfen, sondern sei gem. § 12a Abs. 2 LNatSchG eine gesetzliche Folge des mit der Ankündigung der Auslegung eingeleiteten Rechtssetzungsverfahrens.

Mit Schriftsätzen vom 18. Januar 2021 und vom 22. Januar 2021 haben die Beteiligten ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag, über den der Senat gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist unzulässig.

Ein Normenkontrollverfahren findet in dem hier vorliegenden Fall nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 67 LJG nicht statt. Denn nach diesen Vorschriften entscheidet das Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften. Bei dem Entwurf der Landschaftsschutzgebietsverordnung "Riesenwohld" handelt es sich nicht um eine Rechtsvorschrift.

Der Begriff der Rechtsvorschrift ist über die in § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO genannten Merkmale hinaus nicht legal definiert. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass ein Normenkontrollantrag nur gegen bereits erlassene Normen stattfindet. Regelungen, die erst im Stadium ihrer Entstehung sind, können nicht Gegenstand einer Normenkontrolle sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juni 1992 - 4 N 1.90 -, Rn. 12 ff., juris; BeckOK VwGO, Posser/Wolf/Giesberts, 55. Ed. 1.10.2020, VwGO § 47 Rn. 19; Eyermann/Hoppe, 15. Aufl. 2019, VwGO § 47 Rn. 11; Fehling/Kastner/Störmer/Unruh, Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016, VwGO § 47 Rn. 27; Schoch/Schneider/Panzer, Verwaltungsgerichtsordnung Werkstand: 39. EL Juli 2020, VwGO § 47 Rn. 16; Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, VwGO § 47 Rn. 65; Wysk/Wysk, 3. Aufl. 2020, VwGO § 47 Rn. 18; v. Albedyll in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl. 2018, § 47 Rn. 9, juris).

Ob sich eine Rechtsvorschrift noch im Stadium ihrer Entstehung befindet oder sie in dem vorgenannten Sinne erlassen ist, richtet sich danach, ob die Tätigkeit der am Rechtssetzungsverfahren Beteiligten aus ihrer Sicht beendet ist und - vor allem - ob die Norm aus der Sicht des Normgebers formelle Geltung beansprucht. Geht der Normgeber davon aus, dass es sich um eine bereits erlassene Norm handelt, ist der Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO statthaft (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juni 1992 - 4 N 1.90 -, Rn. 14, juris). Auch diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Das Normsetzungsverfahren ist noch nicht beendet. Der Antragsgegner hat den Entwurf bislang nicht als Verordnung nach §§ 55 Abs. 1 ff. LVwG förmlich erlassen und insbesondere nicht nach § 60 Abs. 2 LVwG verkündet. Auch sonst hat er nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Inhalt des Entwurfs unverrückbar feststeht und er formelle Geltung beanspruchen soll. Vielmehr hat der Antragsgegner bei der Ankündigung der Auslegung mitgeteilt, dass sich der Entwurf nach Auswertung der Stellungnahmen ändern kann. Damit hat er klar zum Ausdruck gebracht, dass das Rechtsetzungsverfahren noch nicht beendet ist.

An dieser Tatsache ändert nichts, dass der Antragsgegner in einer Behördenanhörung auf das "einstweilig sichergestellte Landschaftsschutzgebiet "Nordergeest"" hingewiesen hat. Denn auch diese Äußerung belegt, dass der Antragsgegner lediglich von einer vorläufigen Veränderungssperre nach § 12a Abs. 2 Satz 1 LNatSchG ausgegangen ist. Die Vorschrift setzt voraus, dass ein Entwurf noch nicht als Verordnung in Kraft getreten ist und daher selbst noch keine Geltung beansprucht.

Der Umstand, dass die Landesplanung den Entwurf des Antragsgegners berücksichtigt, ändert an seinem vorläufigen Charakter ebenfalls nichts. Denn die für die Landesplanung zuständige Behörde ist für die Landschaftsschutzgebietsverordnung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 LNatSchG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 4 LNatSchG nicht als Normgeberin zuständig. Sie hat das Normsetzungsverfahren auch nicht beendet und dem Entwurf formelle Gültigkeit verliehen.

Vor diesem Hintergrund begründet auch die von dem Antragsteller ins Feld geführte Rechtsprechung zu § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und dem Zusammenspiel von Flächennutzungsplänen mit § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. August 2016 - 12 ME 147/16 -, Rn. 8, juris; BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 4 C 2/04 -, Rn. 23, juris) kein ihm günstigeres Ergebnis. Diese Rechtsprechung ist nicht einschlägig, weil sie im Ausgangspunkt die Rechtswirkungen von geltenden Flächennutzungsplänen beleuchtet und sich nicht mit Entwürfen von Flächennutzungsplänen befasst.

Auch eine den Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO erweiternde Auslegung des Begriffs Rechtsvorschrift kommt nicht in Betracht. Eine solche Auslegung kann insbesondere nicht mit dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) begründet werden, weil anderenfalls hinreichender Rechtsschutz nicht gewährt werden könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2001 - 4 BN 48.01 -, Rn. 5, juris). Denn entgegen der Auffassung des Antragstellers besteht keine Rechtsschutzlücke. Der Antragsteller hat eine solche Rechtsschutzlücke nicht dargelegt. Sie ist auch sonst nicht ersichtlich.

Sollte wegen § 12a Abs. 2 Satz 1 LNatSchG die Genehmigung konkreter Vorhaben verweigert werden, können sich die Vorhabenträger dagegen mit der Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zur Wehr setzen. Im Übrigen steht ihnen zur Durchsetzung von Ansprüchen die allgemeine Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 VwGO) zur Verfügung, die zum Beispiel auch auf die Beseitigung einzelner, bereits vollzogener Rechtssetzungsschritte abzielen kann. Dem noch vorgelagert wäre im Übrigen eine Klage auf Feststellung, dass der Antragsgegner zu einer bestimmten Normsetzung bzw. zu den der Normsetzung vorgelagerten, noch nicht vollzogenen Schritten nicht berechtigt ist (vgl. dazu Sodan/Ziekow/Sodan, Verwaltungsgerichtsordnung 5. Auflage 2018 Rn. 60, VwGO mit Hinweisen auf BVerwG, Urteil vom 8. September 1972 - IV C 17.71 und BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1977 - IV C 51.75). Aus der Existenz eines dem Normerlass nachgelagerten Kontrollverfahrens (§ 47 VwGO) kann jedenfalls nicht gefolgert werden, dass etwaige (materielle) Ansprüche auf Unterlassung bestimmter rechtsetzender Maßnahmen - Ansprüche also, die sich auf ein anderes (früheres) Verfahrensstadium beziehen - prozessual nicht durchsetzbar sein sollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1977 - IV C 51.75 -, Rn. 20, juris). Wenn es gleichwohl einen über das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO hinausgehenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Rechtsetzung in aller Regel "nicht gibt", dann liegt dies daran, dass das materielle Recht nur in seltenen Ausnahmefällen einen entsprechenden (Unterlassungs-)Anspruch gewährt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1977 - IV C 51.75 -, a.a.O.).

Ob eine allgemeine Leistungsklage bzw. eine vorbeugende Feststellungsklage gegen die Rechtssetzungsaktivitäten des Antragsgegners nicht nur statthaft, sondern auch im Übrigen zulässig wäre, braucht hier nicht geklärt zu werden. Das Oberverwaltungsgericht ist für diese Klagen nach § 45 VwGO nicht zuständig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

Gründe, welche die Zulassung der Revision rechtfertigen könnten (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor. Die Entscheidung hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sämtliche, für die Beurteilung des Streitfalls maßgeblichen Rechtsfragen sind bereits höchstrichterlich geklärt.