SG Koblenz, Urteil vom 22.01.2020 - S 13 KR 198/18
Fundstelle
openJur 2021, 15128
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2018 verpflichtet, die Klägerin mit einer Magenbybass-Operation zu versorgen.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

Zwischen Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Versorgung mit einer adipositaschirurgischen Operation streitig.

Die am 1981 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Durch Vorlage eines Antrages auf Kostenübernahme des Adipositaszentrums Professor Dr. med. W., vom 22.02.2017 beantragte sie am 09.01.2017 die Übernahme der Kosten einer Magenbypass-Operation. Dabei teilte sie mit, dass Ihr aktuelles Gewicht bei einer Größe von 163 cm 98,3 kg betrage; dies entspreche einem BMI von 37. Sie sehe daher die bariatrische Operation als letzte Möglichkeit, um dieses Übergewicht zu reduzieren. Ihr sei durchaus bewusst, dass sie nach der Operation aktiv am Erfolg mitwirken müsse. Dies werde sie gerne tun. Sie müsse darauf hinweisen, dass Ihr alltägliches Leben durch ihr Übergewicht stark beeinflusst sei. Ihr jüngstes Kind sei 3,5 Jahre alt. Gemeinsame Aktivitäten mit Familie, Freunden oder der Kindergartengruppe seien oft schwierig und würden daran scheitern, dass sie keine langen und steilen Strecken laufen könne. Sie arbeite weiterhin als medizinische Fachangestellte in einer großen Gemeinschaftspraxis für Kardiologie und Gastroenterologie. Viele Funktionstätigkeiten würden hier im Stehen und Gehen ausgeübt, was sich wiederum negativ auf die Gelenke auswirke und sich am Ende des Tages bemerkbar machen würde. Durch das hohe Gewicht neige sie auch zu schnellem Schwitzen und Atemlosigkeit. Dies sei insbesondere bei Patientenkontakt sehr unangenehm. Die Klägerin legte eine Teilnahmebescheinigung der Adipositas-Selbsthilfegruppe am ..... .in .....sowie ein psychosomatisches Gutachten der Dr. med. K. vor. Weiterhin wies sie nach, eine Ernährungsberatung durchzuführen und reichte einen endokrinologischen Befundbericht des Dr. med. K. ein. Außerdem ergab sich aus den beigefügten Unterlagen eine Mitgliedschaft im Sportverein nebst Bewegungsprotokoll sowie eine orthopädische Bescheinigung des Dr. med. A.. Auch hatte die Klägerin ein Ernährungstagebuch geführt.

Die Beklagte schaltete am 04.09.2017 den MDK ein und bat diesen um Stellungnahme zum Leistungsantrag. Mit Schreiben vom gleichen Tag wurde die Klägerin hierüber informiert.

Am 06.09.2017 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass eine Empfehlung zur paritätischen Operation nicht ausgesprochen werden könne, denn die Einschlusskriterien seien nicht erfüllt. Es liege keine schwere Komorbidität bei einem BMI von über 40 vor. Darüber hinaus habe die Klägerin bisher kein sechsmonatiges multimodales Behandlungskonzept durchgeführt. Der Gesundheitszustand erlaube eine permanente Fortsetzung der konservativen Maßnahmen, um einer weiteren Gewichtszunahme vorzubeugen.

Mit Bescheid vom 11.09.2017 lehnte die Beklagte die begehrte Kostenübernahme unter Bezugnahme auf die Feststellungen des MDK ab.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 14.09.2017 Widerspruch ein. Den Nachweis über ein sechsmonatiges multimodales Behandlungskonzept unter professioneller Betreuung durch die Ernährungsberater Frau U. sende sie in der nächsten Woche zu. Sodann äußerte sich der behandelnde Arzt zu der Ablehnung. Es sei vorliegend nicht davon auszugehen, dass konservative Methoden Vorrang hätten. Die Klägerin leide unter Adipositas Grad III. Konservative Therapiemöglichkeiten mit einer wirklichen Erfolgsperspektive seien nicht mehr möglich.

Die Klägerin legte weiterhin den Nachweis einer sechsmonatigen Ernährungsberatung vor. Aus den Unterlagen ergab sich, dass hierbei Gespräche über die Auslöser für Heiß- oder Süßhungerattacken geführt worden seien. Man habe aber auch mögliche Folgen einer Magenoperation sowie die notwendige Veränderung des Essverhaltens danach besprochen. Die Klägerin habe mithilfe von Ernährungsprotokollen in ihre Nahrungsaufnahme reflektiert. Sie achte sehr auf eine ausgewogene Mischkost und esse kaum Süßes. Auch seien die Portionsmengen im Zeitraum der Protokollierung nicht auffallend groß gewesen, Mahlzeiten würden regelmäßig eingenommen. Dennoch sei keine wirkliche Gewichtsreduktion erreicht worden. Die Klägerin habe während der Beratungen eine intensive Bereitschaft zur Mitarbeit gezeigt, habe ihr Gewicht aber trotz großer Bemühungen nicht reduzieren können. Sie habe aber mit Nachdruck geäußert, dass dies ihr Ziel sei, zumal sie insbesondere durch die bereits bestehende Insulinresistenz beunruhigt sei.

Die Beklagte schaltete erneut den MDK ein. Dieser teilte am 17.11.2017 mit, dass er bei seiner bisherigen Einschätzung verbleibe. Laut dem vorliegenden Abschlussbericht ergebe sich eine übermäßige Essmenge. Ein bloßes Bemühen seitens der Klägerin reiche nicht aus, denn ihre Essgewohnheiten habe sie offensichtlich nicht geändert. Vor diesem Hintergrund sei eine psychische Verhaltenstherapie zu empfehlen. Die Operation müsse stets als ultimaratio angesehen werden. Dies sei hier noch nicht der Fall, zumal der BMI unter 40 liege.

Die Klägerin wurde über das Ergebnis des MDK informiert, hielt ihren Widerspruch jedoch aufrecht.

Mit Bescheid vom 18.01.2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Der Anspruch auf Krankenbehandlung sei in § 27 SGB V geregelt. Nach dieser Bestimmung hätten Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um die Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dabei sei auch die stationäre Krankenhausbehandlung mit umfasst. Der Leistungsanspruch sei in § 39 Abs. 1 SGB V geregelt und setze voraus, dass das Behandlungsziel nicht auch durch ambulante Behandlung erreicht werden könne. Vorliegend sei bereits schon nicht unumstritten, ob bereits der Adipositas als solcher ein Krankheitswert zukomme. Einigkeit bestehe in der Medizin aber darüber, dass bei einem starken Übergewicht, im allgemeinen ab einem BMI von mindestens 35, eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich sei, weil andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen wie Stoffwechselkrankheiten, Herz- und Kreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparates und bösartiger Neubildungen bestehen würde. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes bestehe eine Leistungspflicht für chirurgische Eingriffe jedoch nur dann, wenn diese Operation sich als letzte Möglichkeit gestalte. Denn es müsse berücksichtigt werden, dass durch eine solche Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen werde. Voraussetzung nach der Rechtsprechung sei damit ein BMI, der über 40 liege und erhebliche Begleiterkrankungen hervorgerufen habe, die Erschöpfung konservativer Behandlungsmethoden, ein tolerables Operationsrisiko, eine ausreichende Motivation sowie das Nichtvorliegen einer manifestierten psychischen Erkrankung. Die Beklagte habe vorliegend den MDK befragt. Dieser habe diese Voraussetzungen aber verneint.

Mit ihrer am 19.02.2018 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der von der Beklagten verneinte Anspruch bestehe durchaus. Die Klägerin erfülle in geradezu prototypischer Weise die Voraussetzungen für einen adipositaschirurgischen Eingriff. Die konservativen Therapien seien erschöpft, die Voraussetzungen der Leitlinien der Fachgesellschaften und der höchstrichterlichen Rechtsprechung seien allesamt erfüllt. Die Klägerin werde auf herkömmlichem, das heißt nichtchirurgischem Wege, nicht signifikant und nachhaltig Gewicht verlieren. Aufgrund des Nebenerkrankungsprofiles sei es für die Klägerin mit ihrem Ausgangsgewicht und ohne operative Maßnahme nicht mehr möglich, eine Absenkung ihres Gewichtes zu erreichen. Es sei lediglich denkbar, dass nichtchirurgische Therapieoptionen begleitend erforderlich seien, alleine würden sie aber nicht zu dem nötigen Erfolg verhelfen können. Das folge aus wissenschaftlichen Belegen, wonach nichtchirurgische Maßnahmen in der Patientengruppe der Klägerin nur zu einem Gewichtsverlust von 3-11 Kilo in einem Zeitraum von max. 2 Jahren führen würden. Danach sei der weitere Gewichtsverlauf ungewiss und werde in den meisten Studien mit steigender Tendenz wiedergegeben. Der Erfolg der Adipositaschirurgie sei weiterhin in der gesamten Fachwelt unbestritten, ganz besonders gelte dies für Magenband, Schlauchmagen und Magenbypass. Ein Anspruch auf die ansprechende Maßnahme ergebe sich auch aus der aktuellen sozialgerichtlichen Rechtsprechung, klageabweisende Urteile seien mittlerweile eine Seltenheit.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2018 zu verpflichten, sie mit einer Magenbybass-Operation zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahmen fest und verweist insoweit auf ihr Vorbringen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens. Der Ablehnungsbescheid vom 11.09.2017 entspreche der aktuellen "Leitlinie Adipositas". Es lägen keine schwerwiegenden Begleiterkrankungen vor und ein BMI von 37 begründe ohne Begleiterkrankungen keinen Leistungsanspruch. Auch wenn die Rechtsprechung mittlerweile entschieden habe, dass einer Adipositas ab einem BMI von 30 ein Krankheitswert zukomme, führe dies nicht alleine zu einem Leistungsanspruch der Klägerin. Die Klägerin selbst habe nicht nachgewiesen, welche Maßnahmen sie durchgeführt habe, um ihr Gewicht zu reduzieren.

Das Gericht hat vorliegend Beweis erhoben durch die Einholung von Befundunterlagen. So teilte die R. GmbH dem Gericht mit, dass die Klägerin im Zeitraum 05.04.2017 bis 15.09.2017 an einer Ernährungstherapie teilgenommen habe. Die entsprechenden Unterlagen wie auch das geführte Ernährungstagebuch waren beigefügt. Die behandelnde Hausärztin teilte weiterhin mit, dass die Klägerin ihres Erachtens nach im Jahre 2017 alles unternommen habe, um eine Gewichtsreduktion zu bewirken. Der Gewichtsabnahme trotz regelmäßiger sportlicher Betätigung stehe aber eine mehrfach bestätigte Insulinresistenz entgegen. Im Verlauf des Jahres 2018 zeigten sich nun eine erneute Erhöhung der Transaminase-Werte bei erneuter Gewichtszunahme und ein labiler Hypertonus. Dies halte sie für eine adipositasassoziierte Begleiterkrankung. Vor diesem Hintergrund spreche sie sich für die begehrte Maßnahme aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die zum Gegenstand der vorliegenden Entscheidung gemacht worden sind.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage erweist sich als vollumfänglich begründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 11.09.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2018, mit dem die Beklagte die Versorgung der Klägerin mit einer Magenbypass-Operation abgelehnt hat, erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Denn ein Anspruch der Klägerin folgt aus § 27 SGB V. Zweifel daran, dass diese Maßnahme die letzte und einzige Möglichkeit der Klägerin ist, ihr Gewicht nachhaltig zu reduzieren, hat die Kammer nicht.

1. Nach § 27 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (Satz 1). Die Krankenbehandlung umfasst ärztliche Behandlung sowie Krankenhausbehandlung (Satz 2 Nrn. 1 und 5). Diese Voraussetzungen liegen vor.

Die Adipositas der Klägerin stellt eine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V dar. Zwar ist in der Medizin umstritten, ob jede Adipositas als solche eine Krankheit im eben genannten Sinne darstellt. Einigkeit besteht aber dahingehend, dass bei starkem Übergewicht - d.h. ab einem BMI von mehr als 30 - eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2003 - B 1 KR 1/02 R). Der BMI der Klägerin beträgt 37. Damit hat ihr Zustand Krankheitswert.

2. Aus der Feststellung, dass die Adipositas der Klägerin eine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist, ergibt sich allerdings nicht ohne Weiteres ein Anspruch auf operative Behandlung. Zu berücksichtigen ist hier vielmehr, dass es sich bei der begehrten Magenbypass-Operation um eine sogenannte mittelbare Krankenbehandlung handelt, bei der zur Behandlung der Adipositas in ein an sich intaktes Organ - den Magen - eingegriffen wird. Das hat zur Folge, dass die hier streitigen Behandlung neben den allgemeinen Anforderungen - es muss sich um eine notwendige und wirtschaftliche Behandlung handeln (§12 Abs. 1, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V) - auch den besonderen Anforderungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts genügen muss. Danach bedarf die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (BSG, Urteil vom 16.12.2008, Az.: B 1 KR 2/08 R; BSG, Urteil vom 19.02.2003, Az.: B 1 KR 1 /02 R; Hessisches LSG, Urteil vom 19.02.2009, Az.: L 8 KR 328/07).Die Magenbypass-Operation kommt nur als Ultima Ratio und nur bei Patienten in Betracht, die kumulativ eine Reihe von Bedingungen für eine erfolgreiche Behandlung erfüllen: Der BMI muss entweder ≥ 40 oder ≥ 35 mit erheblichen Begleiterkrankungen sein; konservative Behandlungsmethoden müssen ausgeschöpft sein oder dürfen keine Aussicht auf Erfolg haben bzw. der Gesundheitszustand des Patienten darf keinen Aufschub erlauben; es muss ein tolerables Operationsrisiko gegeben sein; der Patient muss ausreichend motiviert sein und darf an keiner manifesten psychiatrischen Erkrankung leiden; des Weiteren muss die Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung bestehen

3. Im vorliegenden Fall war der BMI der Klägerin unmittelbar vor der durchgeführten Operation 37,56 kg/m² und damit < 40. Die Klägerin leidet ausweislich der dem Gericht vorliegenden Unterlagen jedoch an erheblichen Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus, Schlafapnoe-Syndrom, Refluxerkrankung, Fettstoffwechselstörung, Hypercholesterienämie und arterielle Hypertonie. Im Rahmen des Diabetes mellitus bestand eine ausgeprägte Insulinresistenz. Die Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung ist ebenfalls gegeben. Ausweislich der eingeholten Befundberichte war das Operationsrisiko tolerabel und die Klägerin war ausreichend motiviert. Letzteres wurde auch durch den persönlichen Eindruck der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt. Gerade der Umstand, dass die Klägerin selbst im medizinischen Bereich tätig ist, macht es für die Kammer plausibel, dass sie um etwaige Folgen ihres Übergewichts weiß und vor diesem Hintergrund alles tun möchte, um dieses zu reduzieren. Anhaltspunkte für eine Essstörung lagen nicht vor.

4. Problematisch ist hier allein die Frage, ob die Klägerin die konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat oder ob die weitere konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg war oder ob der Gesundheitszustand der Klägerin keinen Aufschub des operativen Eingriffs erlaubte (vgl. die Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S 3 zur "Prävention und Therapie der Adipositas" der Deutschen Adipositasgesellschaft unter 5.4.7 sowie die Leitlinie "S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas", Version 2010 Nr. 3.2). Diesbezüglich kommt es auf den Zeitpunkt der Operation an. Nach der Rechtsprechung einiger Landessozialgerichte setzt das Ausschöpfen konservativer Behandlungsmethoden voraus, dass eine wenigstens sechs Monate dauernde ärztlich begleitete Maßnahme der Gewichtsreduktion durchlaufen wird, welche durch ein Konzept der psychologischen Begleitung und Ernährungsberatung sowie Bewegungsanregung begleitet wird (multimodales Konzept) (zum Erfordernis eines sog. multimodalen Konzepts unter ärztlicher Begleitung vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 27.04.2012 - Az. L 5 KR 374/11; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.03.2011 - Az. L 11 KR 3560/09). Diese alternative ambulante und im Vergleich mit der Magenbypass-Operation wegen der dort erforderlichen lebenslangen Nachbetreuung wirtschaftlichere Maßnahme genießt danach Vorrang vor dem hier streitgegenständlichen Eingriff (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 27.04.2012 - Az. L 5 KR 374/11; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 01.03.2011 - Az. L 11 KR 3560/09). Dieses Erfordernis wird so u.a. auch von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft aufgestellt (vgl. die Leitlinie "S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas", Version 2010 Nr. 3.1 und Nr. 3.2).

5. Vorliegend ist zwischen den Beteiligten streitig, ob die Klägerin ein diesen Ansprüchen genügendes Konzept durchlaufen hat. Die Kammer ist in diesem Zusammenhang geneigt, dies zu bejahen - auch wenn es hierauf, wie gleich zu zeigen sein wird, letztlich nicht ankam. Denn die Klägerin leidet seit Jahren unter Adipostias. Neben verschiedenen Diäten in Eigenregie hat sie an einer sechsmonatigen Ernährungsberatung teilgenommen und hier auch sorgfältig ein Ernährungstagebuch geführt. Sie hat den Nachweis diverser Sportkurse und sonstiger sportlicher Aktivitäten erbracht, eine psychosomatische Evaluation hat stattgefunden. Darüber hinaus hält die Klägerin zumindest seit Beginn des vorliegenden Verfahrens im Jahre 2017 ihr Gewicht, was eindeutig dafür spricht, dass hier nicht unerhebliche Bemühungen unternommen werden.

Letztlich kam es auf die Frage, ob ein den oben dargestellten Anforderungen entsprechendes multimodales Konzept durchgeführt wurde, aber nicht an. Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist stets anhand des konkreten Einzelfalles festzustellen, ob die adipositaschirurgische Maßnahme in diesem konkreten Einzelfall die ultimaratio ist. Das ist immer dann der Fall, wenn im konkreten Einzelfall keine zumutbaren und sachgerechten Handlungsalternativen bestehen. Eine schematische Prüfung, wie vom MDK und dem folgend der Beklagten vorgenommen, scheidet vor diesem Hintergrund aus.

Im vorliegenden Fall litt die Klägerin seit Jahren an einer erheblichen Adipositas; der BMI lag allerdings mit 37kg/m² noch im Bereich zwischen 35 und 40. Als besonders schwere Begleiterkrankung der Adipositas (im Sinne der Interdisziplinären Leitlinie der Qualität S 3 zur "Prävention und Therapie der Adipositas" der Deutschen Adipositasgesellschaft unter 5.4.7) lag jedoch (neben weiteren erheblichen Begleiterkrankungen, eine Insulinresistenz vor. Ausweislich der Interdisziplinären Leitlinie der Qualität S 3 zur "Prävention und Therapie der Adipositas" der Deutschen Adipositasgesellschaft unter 5.4.7. macht ein extrem hoher Insulinbedarf eine diätetische Therapie praktisch unmöglich und stellt somit eine Indikation für eine primäre chirurgische Therapie (d.h. ohne eine präoperative konservative Therapie) dar. Dies ergibt sich so auch aus der Stellungnahme der die Klägerin behandelnden Ärztin Dr. med. Sch.. Diese hat am 23.09.2018 mitgeteilt, dass eine mehrfach bestätigte Insulinresistenz einer Gewichtsabnahme trotz regelmäßiger sportlicher Betätigung entgegenstehe.

Damit kam es vorliegend auf die Frage, ob die Klägerin weitere konservative Maßnahme hätte ausprobieren müssen, nicht an. Denn diese hätte aufgrund der bestehenden Begleiterkrankungen den gewünschten Erfolg nicht herbeiführen können. Berücksichtig man darüber hinaus die vom Klägerbevollmächtigten angeführten Studien dazu, welche Gewichtsmengen überhaupt im Verlauf von zwei Jahren abgenommen werden können, so muss der Anspruch der Klägerin als gegeben angesehen werden.

Der Klage war stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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