VG Ansbach, Beschluss vom 10.03.2021 - AN 17 E 21.50060
Fundstelle
openJur 2021, 14936
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Ergebnis die Durchführung ihres Asylverfahrens in Deutschland.

Die am ... 1999 geborene Antragstellerin, syrische Staatsangehörige, stellte am 31. August 2020 in Griechenland einen Asylantrag. Sie gab an, mit dem in Deutschland lebenden Herrn ..., geboren am ... 1987, syrischer Staatsangehöriger, verheiratet zu sein. Herr ... ist im Besitz einer bis zum 14. Juli 2021 gültigen Aufenthaltserlaubnis (Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 AufenthG) und wurde mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 5. Juli 2016 als Flüchtling anerkannt.

Mit einem an die Antragsgegnerin gerichteten Schreiben vom 6. Oktober 2020 ersuchte er zunächst um die Aufnahme seiner Ehefrau nach Deutschland. Die Antragsgegnerin wertete den Antrag als einen Antrag auf Antrag auf Familiennachzug und reichte diesen an die zuständige Ausländerbehörde zur Bearbeitung weiter.

Mit Schreiben vom 16. November 2020 richtete Griechenland schließlich ein auf Art. 9 Dublin III-VO gestütztes Aufnahmegesuch an die Antragsgegnerin. Diese teilte mit Schreiben vom 24. November 2020 mit, dass die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerin nicht zuständig sei. Die eingereichten Dokumente seien von schlechter Qualität und nicht lesbar, weswegen die Antragsgegnerin den Fall nicht bearbeiten könne. Die griechischen Behörden übersandten am 10. Dezember 2020 diverse Unterlagen ("written consent" vom 17. September 2020 der Antragstellerin, Wunsch auf Zusammenführung von Herrn ... vom 8. September 2020, Eheurkunde, Auszug aus dem Familienregister, Auszug aus dem Personenstandsregister, Generalvollmacht Nr. ... aus 2015, Spezialvollmacht ... weiß aus 2020, syrischer Arztbericht vom 25. Juni 2019 über eine Asthmaerkrankung der Antragstellerin etc.) an die Antragsgegnerin.

Die Antragsgegnerin lehnte das Übernahmeersuchen erneut mit Schreiben vom 15. Dezember 2020 ab und legte dar, dass die Eheschließung in Syrien in Abwesenheit des Ehemannes erfolgte. Außerdem sei nicht nachgewiesen worden, dass die Ehe in Deutschland von einem Standesamt anerkannt worden sei. Zudem sei der Ehemann bereits seit 2015 in Deutschland, weshalb die am ... 2020 in Abwesenheit geschlossene Ehe nicht als stabil erachtet werde. Daher werden die Antragstellerin und Herr ... nicht als Familienmitglieder i.S.v. Art. 2 lit. g Dublin III-VO angesehen.

Die griechischen Behörden ersuchten mit Schreiben vom 5. Januar 2021 erneut um Aufnahme der Antrastellerin und führten aus, dass Art. 2 lit. g Dublin III-VO lediglich die Eheschließung erfordere. Die Antragstellerin habe den Ehemann bereits 2014 kennengelernt. Die Verlobung sei am 4. Januar 2015 gewesen. Der Ehemann habe am 1. Oktober 2015 wegen des Krieges fliehen müssen. Die Antragstellerin habe ihn nicht begleiten können, da es zu gefährlich gewesen sei. Art. 9 Dublin III-VO erfordere gerade nicht, dass die Ehe bereits im Herkunftsland bestanden habe. Irrelevant sei, ob die Ehe in Deutschland anerkannt wurde. Ob ein Familienleben existiere, sei eine Tatsachenfrage und hänge von vielen Faktoren ab wie der Länge der Beziehung und ob man füreinander einstehe.

Die Antragsgegnerin lehnte das Ersuchen mit Schreiben vom 5. Januar 2021 erneut ab.

Mit am 23. Februar 2021 bei dem Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten stellte die Antragstellerin einen Antrag nach § 123 VwGO. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Art. 9 Dublin III-VO gerade nicht erfordere, dass die Familienangehörigkeit bereits im Herkunftsland begründet worden sei. Aufgrund Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO genüge es, wenn die Familienbindung im Zeitpunkt der Antragstellung, mithin am 31. August 2020 gegeben sei, was erfüllt sei. Auch ergebe sich aus den vorgelegten Unterlagen unzweifelhaft die Eheschließung. Die Gültigkeit der Eheschließung richte sich nach dem Recht des Herkunftsstaates, Art. 13 EGBGB. Es komme darauf an, ob die sachlichen Eheschließungsvoraussetzungen (Art. 13 Abs. 1 EGBGB) und die förmlichen Eheschließungsvoraussetzungen (Art. 13 Abs. 4 Satz 2, 11 EGBGB) erfüllt seien. Nachbeurkundungen deutscher Standesämter seien irrelevant. Diese seien nur deklaratorisch. Auch Stellvertreterehen seien nach syrischem Recht möglich und auch formwirksam, solange der Stellvertreter seine Vollmacht nicht überschreite, was vorliegend nicht der Fall sei. Auch ein ordre public-Verstoß liege nicht vor. Die Ehe sei in das syrische Eheregister eingetragen. Dies erbringe ausweislich Art. 13 Abs. 4 Satz 2 EGBGB den vollen Beweis der Eheschließung. Unschädlich sei, dass das griechische Dublin-Referat eine fehlerhafte Übersetzung der Heiratsurkunde eingereicht habe. Zum einen ergebe sich das Vorliegen einer Ehe bereits aus dem Auszug aus dem Familienregister. Zum anderen sei unzweifelhaft, dass die Übersetzung fehlerhaft sei. So sei sowohl das Geburtsjahr der Antragstellerin mit 1990 fehlerhaft angegeben als auch das Geburtsjahr des Vaters mit 1997, was schon denklogisch nicht möglich sei. Ohnehin sei eine Übersetzung nicht erforderlich. Auch sei ein Anordnungsgrund gegeben. Es sei der Antragstellerin nicht zumutbar, eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Dies ergebe sich daraus, dass durch die Ablehnungen der Antragsgegnerin jederzeit eine Entscheidung über den Asylantrag in der Sache durch die griechischen Behörden drohe. Sobald die Entscheidung in der Sache erginge, wäre die Antragstellerin nicht mehr Asylsuchende und unterfalle nicht mehr dem Anwendungsbereich der Dublin III-VO. Ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens würde die Rechtsdurchsetzung unmöglich machen und sei nicht zumutbar. Ein Anhörungstermin müsse noch nicht vorliegen. Dieser sei jederzeit möglich. Aufgrund der rechtswidrigen Trennung der Antragstellerin von ihrem Ehemann würden deren Rechte nach Art. 8 EMRK tagtäglich verletzt. Es handele sich hierbei um einen Dauerzustand, der durchgehend auch in Zukunft die Rechte der Antragstellerin auf ein Zusammenleben mit ihren Familienmitgliedern verletze.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlage durch das Griechische Migrationsministerium - Nationales Dublin-Referat - für den Asylantrag der Antragstellerin für zuständig zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 25. Februar 2021,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte sowie die in elektronischer Form vorgelegten Behördenakten der Antragstellerin sowie von Herrn ... verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig (2), aber unbegründet (3). Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach ist für die Entscheidung zuständig (1).

1. Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach ergibt sich hier aus § 52 Nr. 2 Satz 3, Nr. 3 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 5 VwGO, da sich die Antragstellerin in Griechenland aufhält. Die für asylrechtliche Streitigkeiten (vgl. für Streitigkeiten nach der Dublin III-VO: BVerwG, B.v. 2.7.2019 -1 AV 2/19 - juris Rn. 4) regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO und auch § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO greift daher nicht, denn die Antragstellerin hat weder i.S.d. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO ihren Aufenthalt nach den Vorschriften des Asylgesetzes zu nehmen noch verfügt sie über einen Wohnsitz im Bundesgebiet (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), weshalb für die örtliche Zuständigkeit nur die Auffangregelung des § 52 Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO in Betracht kommt. Danach ist dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Antragsgegnerin ihren Sitz hat. Wird der Antrag gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, ist auf den Sitz der handelnden Behörde abzustellen. Im vorliegenden Fall ist dies das Bundesamt, das seinen Sitz in Nürnberg und mithin nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO im Bezirk des Verwaltungsgerichts Ansbach hat (zum Ganzen BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 6). Einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO bedarf es vorliegend nicht, da die Person, zu der zugezogen werden soll, nicht als Antragsteller auftritt und damit keine Kollision von Zuständigkeiten besteht.

2. Der Antrag, zu dessen Entscheidung nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Einzelrichterin berufen ist, ist zulässig.

Insbesondere ist hinsichtlich des vorliegenden Begehrens die Antragstellerin in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Erforderlich ist hierfür die Geltendmachung einer möglichen Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers. Die Regelungen der Dublin III-VO schließen eine Antragsbefugnis von Familienangehörigen, die aus einem anderen Mitgliedstaat in den zuständigen Staat überstellt werden, jedenfalls nicht ausdrücklich aus; dies legen die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der Dublin III-VO, Art. 47 GR-Charta sowie Art. 6 GG nahe (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 12). Es erscheint möglich, dass die dem Kindeswohl und dem Schutz der Familie dienenden Vorschriften der Art. 9, 16, 17 Abs. 2 Dublin III-VO der in Griechenland befindlichen Antragstellerin ein subjektives Recht auf Überstellung nach Deutschland vermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2019 - 1 AV 2/19 - juris Rn. 12 sowie VG Ansbach, B.v. 2.10.2019 - AN 18 E 19.50790, B.v. 26.11.2019 - AN 18 E 19.50958 - ju-ris Rn. 26, VG Berlin, B.v. 15.3.2019 - 23 L 706.18 A - juris Rn. 20; VG Münster, B.v. 20.12.2018 - 2 L 989/18.A - juris Rn. 21).

3. Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und den Antragstellern nicht schon in vollem Umfang, das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnten. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 - 6 VR 3/13 - juris Rn. 5,7).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Antragstellerin ist es weder gelungen, einen Anordnungsanspruch (a) noch einen Anordnungsgrund (b) glaubhaft zu machen.

a) Es liegt weder ein Anspruch aus Art. 9 Dublin III-VO noch aus Art. 16 Dublin III-VO noch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO vor.

(1) Nach Art. 9 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens eines Antragstellers zuständig, in dem dessen Familienangehöriger - ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat - internationalen Schutz erlangt hat, sofern beide Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun. Als Familienangehöriger ist nach Art. 2 lit. g Dublin III-VO der Ehegatte oder ein nicht verheirateter Partner einer Dauerbeziehung anzusehen, soweit eine solche Beziehung nach dem Recht oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaates ausländerrechtlich vergleichbar behandelt wird.

Bei Herrn ... handelt es sich um einen in Deutschland anerkannten Flüchtling und somit um einen Begünstigten internationalen Schutzes i.S.d. Art. 9 Dublin III-VO. Dennoch ist ein Anspruch aus Art. 9 Dublin III-VO nicht gegeben. Weder liegt eine vergleichbare Dauerbeziehung i.S.d. Art. 2 lit. g Dublin III-VO vor, noch handelt es sich bei der Antragstellerin und Herrn ... um Ehegatten. Eine wirksame Eheschließung wurde nicht glaubhaft gemacht. Wie die Antragstellerseite richtigerweise ausführt, ist für die Frage, ob eine wirksame Eheschließung vorliegt, nicht maßgeblich, ob die Ehe nach deutschen Recht von einem Standesbeamten anerkannt wurde. Aufgrund der syrischen Staatsangehörigkeit der Eheschließenden ist hinsichtlich der sachlichen Voraussetzungen das syrische Recht maßgeblich, Art. 13 Abs. 1 EGBGB. Hinsichtlich der Form ist bei einer Eheschließung im Ausland Art. 11 EGBGB zu beachten, wobei hier sowohl das Orts- als auch das Geschäftsrecht das syrische Recht ist, Art. 11 Abs. 1 EGBGB. Grundsätzlich lässt das syrische Rechte eine Vertretung bei der Eheschließung zu, Art. 8 Abs. 1 syrisches PSG.

Der bei der Eheschließung am ... 2020 in Syrien nicht anwesende Herr ... wurde laut vorgelegter Eheurkunde bei der Eheschließung von dem Rechtsanwalt ... gemäß Spezialvollmacht ... weiß aus 2020 vertreten. Die ebenso vorgelegte Spezialvollmacht ... weiß aus 2020 wurde allerdings nicht von Herrn ... unterschrieben. Vielmehr ist Vollmachtgeber Herr ..., der - sich auf die Generallvollmacht Nr. ... aus 2015 berufend - u.a. den Rechtsanwalt ... (ebenso vorhandene Schreibweise: ...*) bevollmächtigt, ihn bei Gerichtsverhandlungen und kontradiktorischen Verhandlung des öffentlichen Rechts mit jeder Person und mit Frau ... und mit jedem, der damit zu tun hat, bezüglich der Durchführung des Ehevertrages, gesetzlicher und administrativer Ehebestätigung, Wortwechsel bei der Eheschließung, Bestimmung, Bezahlung und Änderung der Mitgift, in Voraus- und Nachzahlung, Ableisten von Unterschriften (...) zu vertreten. Die Generalvollmacht Nr. ... aus 2015 wurde von Herrn ... unterschrieben (Vollmachtgeber). Mit der Generalvollmacht bevollmächtigt Herr ... u.a. den Rechtsanwalt ... ihn zu vertreten u.a. bei der Ernennung von Experten und Anwälten (...), Eheschließung und Ehebestätigung, Wortwechsel bezüglich der Eheschließung, Bestimmung von Mitgift (...).

Selbst wenn man unterstellt, dass Herr ... mit seiner Generalvollmacht die dort genannten Anwälte auch bevollmächtigte, Untervollmachten zu erteilen, Stichwort: "Ernennung von Anwälten", was schon sehr fraglich ist, und die Eheschließung damit nicht bereits an der fehlenden Vollmacht des Rechtsanwaltes ... scheitert, liegt dennoch keine wirksame Eheschließung vor. Die von Herrn ... erteilte Generalvollmacht überlässt dem Bevollmächtigten sowohl die Frage des "Ob" einer Eheschließung als auch die Frage mit wem. Zwar wird in der Spezialvollmacht die Antragstellerin explizit erwähnt (wobei auch hier nach dem Wortlaut nicht klar ist, ob und dass eine Ehe ausschließlich mit der Antragstellerin zu schließen ist). Selbst wenn man dies jedoch unterstellt, so hat die diesbezügliche Wahl nicht Herr ... getroffen, sondern der generalbevollmächtigte Rechtsanwalt ..., der diesbezüglich dann die Untervollmacht an den handelnden Rechtsanwalt ... erteilte.

Damit liegt hier keine sog. "Handschuh-Ehe" vor, bei der es sich um eine bloße Stellvertretung in der Erklärung handelt. Bei einer Handschuhehe hat die Mittelsperson nur die vom Vertretenen vorgegebene Konsenserklärung vor dem Trauungsorgan abzugeben, ohne eigene Entscheidungsfreiheit zur Partnerwahl zu besitzen. Es handelt sich vielmehr um eine Stellvertretung im Willen. Im Gegensatz zur Handschuhehe hat der Vertreter bei der Willenserklärung die (Mit-)Entscheidung über das "Ob" der Eheschließung oder über die Wahl des Partners (hierzu: Andrae in Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack BGB, AT/EGBGB, 4. Aufl. 2021, Art .13 EGBGB Rn. 142 ff.).

Das syrische Recht lässt eine solche Stellvertretung im Willen nicht zu. Erlaubt ist die Stellvertretung bei der Eheschließung, Art. 8 Abs. 1 syrisches PSG. Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Stellvertreter lediglich den Willen einer der Parteien zum Ausdruck bringt, ist dies nicht mehr gewahrt, wenn der Stellvertreter über das "Ob" der Heirat oder über die Wahl des Ehepartners entscheidet. Dies würde über die zulässige Stellvertretung "bei der Eheschließung" hinausgehen. Die Auswahl des Ehepartners kann nicht dem Stellvertreter überlassen werden (vgl. hierzu: Max Plank Institut für ausländisches und internationales Privatrecht; Familienrecht im Nahen Osten, Kommentar zum staatlichen Familienrecht: Die Ehe, abrufbar: https://www.familienrecht-in-nahost-de/8555/Syrien-Kommentar-Ehe). Doch selbst bei unterstellter Wirksamkeit einer solchen Eheschließung nach syrischem Recht ist die hier geschlossene Ehe wegen des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung - ordre public-Verstoß - jedenfalls nicht als wirksam anzuerkennen (Art. 6 EGBGB), denn eine solche Stellvertretung im Willen widerspricht den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts. Sie ist mit den grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen der deutschen Rechtsordnung nicht vereinbar. Eine solche Eheschließung verstößt gegen grundlegende Menschenrechtsprinzipien der deutschen Verfassung, Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 GG. Die beschriebene Stellvertretung im Willen verstößt insbesondere gegen den Grundsatz der Selbstbestimmung in höchstpersönlichen Angelegenheiten und degradiert den Akt der Eheschließung zu einem bloßen Handelsgeschäft (vgl auch: AG Gießen, B.v. 31.1.2000 - 22 III 81/99 - juris; AG Lüdenscheidt, B.v. 13.1.2016 - 5 F 1442/14 - juris; OLG Zweibrücken, B.v. 8.12.2010 - 3 W 175/10 - juris; VG Düsseldorf; B.v. 22.20.2018 - 22 L 1774/18.A - unveröffentlicht; siehe jedoch https://www.keienborg.de/2018/10/23/vg-duesseldorf-zu-dublin-auch-stellvertreter-ehe-ist-ehe/; Andrae in Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack BGB, AT/EGBGB, 4. Aufl. 2021, Art.13 EGBGB Rn. 142 ff., Götz Schulze in Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack BGB, AT/EGBGB, 4. Aufl. 2021, Art. 6 EGBGB Rn. 61 mit weiteren Nachweisen).

Anzumerken ist, dass das Gericht zudem Zweifel hegt, ob Art. 9 Dublin III-VO in dem hier vorliegenden Fall, auch bei unterstellter wirksamer Eheschließung, anzuwenden wäre. Zwar stellt die Vorschrift, anders als Art. 2 lit. g Dublin III-VO, nicht darauf ab, ob die Familienzugehörigkeit bereits im Herkunftsland bestanden hat. Maßgeblich ist hier, dass die Familienzugehörigkeit jedenfalls zum Zeitpunkt der Antragstellung durch die Antragstellerin, mithin am 31. August 2020, bestanden hat, was, bei unterstellter wirksamer Eheschließung am ... 2020, zu bejahen ist. Die Art. 8 ff. Dublin III-VO beruhen insbesondere auf den der Dublin III-VO zugrundeliegenden Erwägungsgründen 13 ff. Nach dem 14. Erwägungsgrund soll die Achtung des Familienlebens bei Anwendung der Dublin III-VO eine vorrangige Erwägung sein. Die Antragstellerin gab an, Herrn ... bereits 2014 kennengelernt zu haben. Die Verlobung sei am ... 2015 gewesen. Am 1. Oktober 2015 habe Herr ... wegen des Krieges fliehen müssen. Seitdem waren die Antragstellerin und Herr ... getrennt voneinander und haben am ... 2020 in Abwesenheit des Herrn ... in Syrien geheiratet. Selbst bei unterstelltem Kennenlernen 2014 und unterstellter Verlobung 2015 ist fraglich ob hier ein "Familienleben" vorliegt, das zu schützen ist und zu dessen Schutz u.a. die Regelung in Art. 9 Dublin III-VO geschaffen wurde. Hier würde die Familienzusammenführung letztlich erst der Begründung eines bis dato nicht existierenden Familienlebens ermöglichen. Ob dies vom Schutzzweck des Art. 9 Dublin III-VO umfasst ist, ist fraglich, kann hier jedoch offen bleiben.

(2) Ein Anspruch auf Zuständigkeitsübernahme folgt nicht aus Art. 16 Dublin III-VO, denn die Antragstellerin und Herr ... unterfallen schon nicht dem mit dieser Vorschrift geschützten Personenkreis.

(3) Die Zuständigkeit Deutschlands ergibt sich - selbst bei unterstellter Wirksamkeit der Eheschließung - auch nicht aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO.

Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO kann derjenige Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Art. 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betreffenden Personen müssen dem schriftlich zustimmen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Dublin III-VO.

Es ist schon zweifelhaft, ob das bloße Vorliegen einer familiären Beziehung bereits als humanitärer Grund i.S.d. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gesehen werden kann oder ob es nicht vielmehr hierfür eines besonderen Nähe- oder Abhängigkeitsverhältnisses bedarf wie es regelmäßig etwa zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern besteht (vgl. im Einzelnen: VG Ansbach, B.v. 2. Juli 2019 - AN 18 E 19.50571, AN 18 E 19.50573 - juris). Doch selbst bei Bejahung eines humanitären Grundes sind die persönlichen Umstände der Antragstellerin gleichwohl nicht ausreichend, um das im Hinblick auf eine Zuständigerklärung der Antragsgegnerin bestehende weite Ermessen (so zur Vorgängernorm: EuGH, U.v. 6. 11. 2012 - C-245/11 - NVwZ-RR 2013, 69 Rn. 27) zugunsten des Antragstellers auf Null zu reduzieren. Es müssten über das bloße Interesse an der Familienzusammenführung hinausgehende Umstände vorliegen, welche ausnahmsweise die Annahme eines Härtefalls begründen und jede andere Entscheidung unvertretbar erscheinen lassen. Eine derartige Ermessensreduktion kann nach der Konzeption der Vorschrift nur in besonders gelagerten Fallkonstellationen in Betracht kommen. Dafür reicht die Existenz eines humanitären Grundes noch nicht aus. Zu fordern ist namentlich eine besondere Verdichtung von humanitären Umständen, die unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls einen Härtefall begründen können, der jede andere Entscheidung unvertretbar erscheinen lässt (vgl. VG Berlin, B.v. 15.3.2019 - 23 L 706.18 A - juris Rn. 32; ähnlich zu Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO BayVGH, U.v. 3.12.2015 - 13a B 15.50124 - juris Rn. 22). Angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin und Herr ... - selbst bei unterstelltem Kennenlernen in 2014 und unterstellter Verlobung in 2015 - noch nie eine eheliche Lebensgemeinschaft geführt habe, seit 2015 getrennt sind und jedenfalls die Antragstellerin 2014 gerade mal 15 Jahre alt war und die Stabilität der emotionalen Nähe insgesamt betrachtet nach all den Jahren fraglich ist, liegt ein solcher Härtefall nicht vor. Auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen Erkrankung der Antragstellerin ist eine Ermessensreduktion auf Null nicht gegeben. Im Allgemeinen ist laut der zur medizinischen Versorgung in Griechenland vorliegenden Erkenntnismittel von einem kostenlosen Zugang zu notwendiger Gesundheits- und Krankenhausversorgung für (vulnerable) Asylbewerber auszugehen, wenn auch in der Praxis das öffentliche Gesundheitswesen angesichts von Sparmaßnahmen unter Druck steht und der Zugang eingeschränkt sein kann. Alle Einwohner des Landes und Asylbewerber haben rechtlich Anspruch auf eine medizinische Notfallversorgung unabhängig vom Rechtsstatus, wobei Notfälle oder komplexere Fälle in Krankenhäuser überwiesen werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, letzter Stand 19.3.2020, S. 24 ff.). Die griechischen Behörden gaben in dem Übernahmeersuchen überdies an, dass die Antragstellerin medizinische Behandlung erhält. Ohnehin steht nach der Einschätzung des Gerichts zudem gerade nicht fest, dass eine Wiederherstellung der Gesundheit der Antragstellerin am besten durch eine Zusammenführung mit dem in Deutschland lebenden Herrn ... zu erreichen ist.

b) Es liegt zudem kein Anordnungsgrund vor. Die hierfür erforderliche Dringlichkeit ist nicht gegeben, auch wenn eine Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise erst nach einer Asylentscheidung in der Sache durch Griechenland ergehen würde. Der Antragstellerin ist die weitere Trennung von Herrn ... vielmehr zumutbar und dies selbst bei unterstellter wirksamer Eheschließung. Im Fall von volljährigen Familienmitgliedern ist die Frage eines Anordnungsgrundes aufgrund (längerer) Trennung vom Grundsatz her anders zu beurteilen als im Fall einer Trennung von Kindern von ihren Eltern bzw. von vulnerablen Personen von Betreuungspersonen, auf die diese angewiesen sind (vgl. Rechtsprechung der Kammer insoweit z.B. VG Ansbach, B.v. 6.4.2020 - AN 17 E 20.50103 - juris). Bei Ehepartnern spricht viel dafür, dass dem Grundsatz, dass die Hauptsache im einstweiligen Rechtschutz nicht vorweggenommen werden darf, der Vorrang zukommt, zumal ein irreversibler oder dauerhafter Zustand hier nicht geschaffen wird. Vielmehr bleibt ein Nachzug des einen Ehepartners zum anderen - wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind - durch die nationalen Ausländergesetze möglich und entfällt allenfalls der hier begehrte Nachzugstatbestand nach der Dublin III-VO. Die längere Zeitdauer, die dies regelmäßig in Anspruch nimmt, ist Erwachsenen prinzipiell eher zumutbar. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist hier nicht gerechtfertigt. Die Antragstellerin und Herr ... mussten mit den rechtlichen Schwierigkeiten in ihrer Situation auch rechnen und haben diese - anders als im Falle von betroffenen Kindern - selbst zu verantworten.

Den Verfahrensakten ist hier außerdem nicht zu entnehmen, dass eine Entscheidung über den Asylantrag der Antragstellerin in Griechenland in Kürze erfolgen wird. Zwar hat das Gericht in seinen bisherigen Entscheidungen (vgl. auch hier VG Ansbach, B.v. 13.8.2020 - AN 17 E 20-50216; B.v. 24.8.2020 - AN 17 E 20.50232; B.v. 6.4.2020 - AN 17 E 20.50103 - alle juris) die Gefahr der jederzeitigen Entscheidung der griechischen Behörden genügen lassen, jedoch zeigt die Erfahrung, dass eine Entscheidung der griechischen Behörden mitunter lange auf sich warten lässt. Die Antragstellerin stellte bereits am 31. August 2020 ihren Asylantrag, über den bislang noch nicht entschieden ist. Dass ein Anhörungstermin zwischenzeitlich terminiert wurde oder nunmehr mit einer kurzfristigen Entscheidung zu rechnen ist, ist ebenso nicht ersichtlich. Alles in allem ist die Eilbedürftigkeit hier nicht glaubhaft gemacht (vgl. hierzu auch: VG Ansbach, B.v. 22.2.2021 - AN 17 E 21.50020 - juris).

4. Die Kostenentscheidung des damit erfolglosen Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.

5. Die Entscheidung ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.