OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10.09.2019 - 1 Ws 274/19
Fundstelle
openJur 2021, 14734
  • Rkr:
Tenor

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Frankenthal vom 8. März 2019 (4a Gs 47/19) wird aufgehoben.

Der Angeklagte ist in dieser Sache aus der Haft zu entlassen.

Gründe

Der Angeklagte ist in dieser Sache am 7. März 2019 festgenommen worden. Er befindet sich seit 8. März 2019 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) vom selben Tag (4a Gs 47/19) ununterbrochen in Untersuchungshaft. Im Ermittlungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) die Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie Dr. R. am 28. März 2019 mit der Erstattung eines psychiatrischen Gutachtens hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 20, 21, 63 und 64 StGB beim Angeklagten beauftragt. Die Sachverständige hat mit Schreiben vom 12. April 2019, eingegangen bei der Staatsanwaltschaft am 15. April 2019, mitgeteilt, dass mit einer Fertigstellung des Gutachtens bis Ende Juni 2019 zu rechnen sei. Nach Vorlage des psychiatrischen Gutachtens am 26. Juni 2019 hat die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) am 3. Juli 2019 wegen der in dem vorgenannten Haftbefehl enthaltenen Tatvorwürfe Anklage zum Landgericht Frankenthal (Pfalz) wegen gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung erhoben. Die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) hat mit Beschluss vom 30. Juli 2019 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Am 6. August 2019 hat die Kammer mögliche Hauptverhandlungstermine bei der Sachverständigen Dr. R. und dem Verteidiger des Angeklagten nachgefragt. Mit Verfügung vom 14. August 2019 ist Termin zur Hauptverhandlung bestimmt worden auf 25. September 2019. Fortsetzungstermine sind noch nicht anberaumt worden.

Die Strafkammer hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich. Sie hat deshalb die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Senat zur Entscheidung über den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft vorgelegt (§ 122 Abs. 1 StPO). Der Angeklagte und sein Verteidiger hatten Gelegenheit, zur beantragten Haftfortdauer Stellung zu nehmen.

Die Frist des § 121 Abs. 1 StPO endete für den Angeklagten am 7. September 2019. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist nicht gerechtfertigt.

Das Verfahren ist in der Gesamtbetrachtung nicht mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung gefördert worden. Die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO lässt nur in begrenztem Umfang die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus zu, wobei bei der insoweit erforderlichen Prüfung des Verfahrensfortgangs die Ausnahmetatbestände des § 121 Abs. 1 StPO grundsätzlich eng auszulegen sind (BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73, NJW 1974, 307 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 121 Rn. 18 ff. m. w. N.). Die Fortdauer der Untersuchungshaft kommt danach unter anderem dann nicht in Betracht, wenn die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte nicht alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen haben, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. März 2006 - 2 BvR 170/06, juris Rn. 28).

Nach den vorgenannten Maßstäben kann die Untersuchungshaft nicht mehr als gerechtfertigt angesehen werden, da es sowohl im Verantwortungsbereich der Staatsanwaltschaft als auch des Gerichts zu Verfahrensverzögerungen gekommen ist, die mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen nicht mehr in Einklang stehen.

Eine vermeidbare Verfahrensverzögerung ergab sich bereits bei der Einholung des erforderlichen psychiatrischen Gutachtens. Bei der Einholung eines Sachverständigengutachtens ist es zur gebotenen Beschleunigung des Verfahrens unerlässlich, auf eine zeitnahe Erstellung des Gutachtens hinzuwirken. Es sind deshalb mit dem Gutachter Absprachen darüber zu treffen, in welcher Frist ein Gutachten zu erstatten ist und es ist zu prüfen, ob eine zeitnähere Gutachtenerstattung durch einen anderen Sachverständigen zu erreichen ist (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22. April 2015 - 1 Ws 7/15, BeckRS 2015, 9735; OLG Koblenz, Beschluss vom 29. September 2006 - (1) 4420 BL - III - 23/06, StV 2007, 256; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Juli 2009 - 1 Ws 337/09, BeckRS 2009, 20236). Diese Vorgaben sind hier nicht beachtet worden. Spätestens nach der schriftlichen Mitteilung der beauftragten Sachverständigen, dass "wie telefonisch besprochen mit einer Fertigstellung des Gutachtens bis Ende Juni 2019 zu rechnen" sei, hätte es einer Prüfung bedurft, ob eine zeitnähere Gutachtenerstattung durch einen anderen Sachverständigen möglich gewesen wäre. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass zu diesem Zeitpunkt bereits die Mitteilung vorlag, dass der Angeklagte mit einer Exploration nicht einverstanden war. Nach den Erfahrungswerten des Senats ist davon auszugehen, dass die Erstattung des Gutachtens nach Aktenlage durch einen anderen Sachverständigen lediglich ca. sechs Wochen in Anspruch genommen hätte. Innerhalb dieses Zeitraumes lagen auch bereits alle Unterlagen vor, die zur Erstattung eines Sachverständigengutachtens erforderlich waren. Speziell der toxikologische Befund des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Mainz betreffend den Angeklagten datiert auf den 7. Mai 2019.

Darüber hinaus ergab sich eine vermeidbare Verzögerung des Verfahrens durch die verspätete Anklageerhebung. In Fällen, in denen Entscheidungen wie die Anklageerhebung nicht von dem Ergebnis des Gutachtens abhängen, darf der Eingang des Gutachtens nicht abgewartet werden (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O.). Vielmehr muss der Staatsanwalt den Abschluss der Ermittlungen verfügen und die schriftliche Expertise nachreichen (OLG Celle, Beschluss vom 17. November 2000 - 32 HEs 10/00, BeckRS 2000, 12629; Böhm in Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl., § 121, Rn. 58). Vorliegend ist aus der Akte kein Grund erkennbar, weshalb mit der Anklageerhebung bis zur Gutachtenerstattung zugewartet wurde. Insbesondere war nach Aktenlage die Möglichkeit des Vorliegens einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt fernliegend. In Betracht kam lediglich eine verminderte Schuldfähigkeit, die einer vorherigen Anklageerhebung in der Form, in der sie später erfolgt ist, nicht entgegengestanden hätte. Spätestens mit Eingang des toxikologischen Befundes des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Mainz betreffend die Geschädigte vom 24. Mai 2019 lagen alle zur Anklageerhebung erforderlichen Ermittlungsergebnisse vor, weshalb spätestens Ende Mai 2019, mithin einen Monat früher als tatsächlich geschehen, Anklage hätte erhoben werden müssen.

Das Landgericht hat die entstandene Verfahrensverzögerung nach Anklageerhebung nicht kompensiert, sondern selbst das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verletzt, indem es sowohl beim dem Verteidiger als auch bei der Sachverständigen mögliche Hauptverhandlungstermine verspätet angefragt hat. Obwohl die Anklageschrift bei Gericht am 5. Juli 2019 eingegangen ist, hat der Kammervorsitzende erst am 6. August 2019 versucht, mit den Verfahrensbeteiligten Absprachen für Termine zur Hauptverhandlung zu treffen. Dadurch ist wiederum eine relevante Verfahrensverzögerung eingetreten, da bei einer Terminsanfrage einen Monat vorher bei den Verfahrensbeteiligten naturgemäß mehr Termine für die Hauptverhandlung zur Verfügung gestanden hätten, als der später einzig am 25. September 2019 gefundene Termin.

Schließlich muss bei der Entscheidung über die Haftfortdauer auch berücksichtigt werden, dass die Beurteilung des weiteren Verfahrensablaufs derzeit völlig unsicher ist. Die Strafkammer hat die Hauptverhandlung auf den 25. September 2019 terminiert. An diesem Tag steht der Pflichtverteidiger des Angeklagten gemäß seinem Schreiben vom 9. August 2019 für eine Hauptverhandlung nur nachmittags zur Verfügung. Selbst wenn der Pflichtverteidiger an dem anberaumten Hauptverhandlungstermin durch Verlegung seines in anderer Sache für den Vormittag vorgesehenen Hauptverhandlungstermins ganztägig zur Verfügung stünde, sind für die seitens der Kammer bei der Terminierung für erforderlich erachteten Fortsetzungstermine keine freien Termine aller Verfahrensbeteiligter gefunden worden. Im Übrigen hätte nach Mitteilung der terminlichen Verfügbarkeit des Verteidigers, die unter Berücksichtigung der freien Termine der Sachverständigen nur einen möglichen (halbtägigen) Hauptverhandlungstermin ergab, im Hinblick auf die dargelegte Eilbedürftigkeit die Beiordnung eines Sicherungspflichtverteidigers erwogen werden müssen.

Insgesamt ist es zu einer vom Angeklagten nicht zu vertretenden, sachlich nicht zu rechtfertigenden und vermeidbaren erheblichen Verfahrensverzögerung gekommen, die einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegensteht. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Frankenthal vom 8. März 2019 war daher aufzuheben.