VerfGH des Landes Berlin, Beschluss vom 10.02.2021 - 14 A/21
Fundstelle
openJur 2021, 14632
  • Rkr:

Nachteile können nur dann eine verfassungsgerichtliche einstweilige Anordnung begründen, wenn sie so schwer sind, dass sie im Individualbereich eine gewisse Opfergrenze überschreiten

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Beschwerdeführer, dass ihm Zutritt zum Abgeordnetenhaus von Berlin zur Teilnahme als Zuschauer an Plenar- und Ausschusssitzungen gewährt wird.

Nach Nr. 5 des Abschnitts III. der durch Anordnungen des Präsidenten des Abgeordnetenhauses vom 18. August, 9. Oktober und 18. Dezember 2020 bestätigten und ergänzten Beschlüsse des Krisenstabes des Abgeordnetenhauses dürfen externe Besucher das Abgeordnetenhaus grundsätzlich nicht betreten. Im Einzelnen geregelte Ausnahmen gelten für Besucher der Fraktionen, des Präsidenten, Vizepräsidenten und Direktors sowie für Mitglieder des Senats von Berlin und der Landes- und Bezirksverwaltungen. Nach Nr. 9 des Abschnitts III. tagen Plenum und Ausschüsse des Abgeordnetenhauses ohne Zuschauer. Die Beschlüsse bzw. Anordnungen erfolgten gemäß ihrer Einleitung zum Schutz vor dem Coronavirus und gelten nach Nr. 7 der Anordnung vom 18. Dezember 2020 bis 31. März 2021.

Mitarbeitende des Abgeordnetenhauses verwehrten dem Antragsteller am 20. August 2020 den Zutritt zum Abgeordnetenhaus.

Daraufhin ersuchte er mit seinem Begehren der Zutrittsgewährung um Eilrechtsschutz beim Verwaltungsgericht Berlin, das das Ersuchen mit Beschluss vom 15. September 2020 - VG 2 L147/20 - ablehnte. Die für die Beschwerde gegen den Beschluss beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe lehnte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 1. Dezember 2020 - OVG 3 S 110/20 - ab. Die dagegen erhobene Anhörungsrüge wies es mit Beschluss vom 8. Januar 2021 - OVG 3 RS 9/20 - zurück.

Die öffentlichen Sitzungen des Plenums und der Ausschüsse werden vom Abgeordnetenhaus und vom Sender Alex Offener Kanal Berlin als Live-Streams und deren Aufzeichnungen im Internet bereitgestellt; ein Teil der Sitzungen wird auch im Fernsehen vom Sender Alex Offener Kanal Berlin übertragen. Der Antragsteller verfügt jedoch in seiner Wohnung weder über einen Internetanschluss noch über Fernsehempfangsgeräte.

Das Eilrechtsschutzersuchen ist am 4. Februar 2021 beim Verfassungsgerichtshof eingegangen. Zugleich hat der Antragsteller eine Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts erhoben.

Der Antragsteller ist der Auffassung, eine vorläufige Regelung sei wegen des Demokratieprinzips und der Bürgerrechte unabweislich geboten. Im Hinblick auf den Ablauf der aktuellen Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses sei anders als durch eine Vorwegnahme der Hauptsache eine effektive Rechtsschutzgewährung nicht möglich.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.

Nach § 31 Abs. 1 VerfGHG kann der Verfassungsgerichtshof im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Wegen der meist weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslösen kann, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 VerfGHG ein strenger Maßstab anzulegen (Beschlüsse vom 16. März 2018 - VerfGH 41 A/18 -, Rn. 14 und vom 2. August 2019 - VerfGH 112 A/19 und 114 A/19 -, jeweils Rn. 10.). Dabei müssen die Gründe, welche für oder gegen die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, grundsätzlich außer Betracht bleiben, es sei denn, das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde liegt auf der Hand. Im Übrigen sind die Nachteile, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. Beschlüsse vom 2. August 2019 - VerfGH 112 A/19 und 114 A/19 -, jeweils Rn. 10).

Vorliegend kann dahinstehen, ob das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde auf der Hand liegt. Jedenfalls ist sie nicht offensichtlich begründet, und eine Nachteilsabwägung fällt zulasten des Antragstellers aus.

Im Rahmen dieser Abwägung ist zunächst zugunsten des Antragstellers zu berücksichtigen, dass ihm die Teilnahme an den Sitzungen des Abgeordnetenhauses verwehrt bliebe, wenn die begehrte einstweilige Anordnung nicht erginge, dies zudem möglicherweise bis zum Ende der Legislaturperiode. Es ist aber nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich, dass der Antragsteller gehindert ist, sich - gegebenenfalls vorübergehend - einen Zugang zu Internet oder Fernsehen in seiner Wohnung zu verschaffen und diese Medien zu nutzen. Durch ihre Nutzung würde zwar die Möglichkeit ausgeschlossen bleiben, vor Ort die Sitzungen des Abgeordnetenhauses zu verfolgen. Es überwiegen aber die Nachteile, die entständen, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde. Denn insoweit ist der Schutz körperlicher Unversehrtheit und des Lebens betroffen.

Die Gewährung des Zutritts zum Abgeordnetenhaus würde dem vorrangigen Ziel einer Eindämmung der Infektionsgefahr mit dem Corona-Virus zuwider laufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.

Mit dieser Entscheidung ist das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgeschlossen.

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