VG Minden, Beschluss vom 25.03.2021 - 7 L 159/21
Fundstelle
openJur 2021, 14508
  • Rkr:

1. Für Kirchen und Religionsgemeinschaften, deren Hygienekonzepte keinen umfassenden Verzicht auf Gemeindegesang enthalten und deshalb § 1 Abs. 3 Satz 3 CoronaSchVO (vom 5. März 2021 in der ab dem 23. März 2021 gültigen Fassung) nicht entsprechen, ergibt sich das Verbot von Gemeindegesang aus § 13 Abs. 2 Satz 3 CoronaSchVO.

2. Der mit dem Gesangverbot einhergehende Eingriff in die Glaubensfreit des Antragstellers - einer Religionsgemeinschaft, die Gottesdienste als Präsenzveranstaltung durchführt - ist beim derzeit vorliegenden Infektionsgeschehen zum Schutz von Leben und Gesundheit gerechtfertigt.

3. Die Verpflichtung, während Gottesdiensten und anderen Versammlungen zur Religionsausübung (auch am Sitzplatz) eine medizinische Maske gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO zu tragen, steht der Erforderlichkeit eines Verbotes von Gemeindegesang nicht entgegen, da trotz medizinischer Masken in geschlossenen Räumen Infektionsrisiken bestehen und beim Singen in stärkerem Maße (virushaltige) Aerosole ausgeschieden werden.

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

Die Anträge,

"1. im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gegenüber der Antragsgegnerin als zuständiger Vollzugsbehörde vorläufig festzustellen, dass der Antragsteller berechtigt ist, in den von ihm veranstalteten Gottesdiensten Gemeindegesang durchzuführen, sofern während des Gottesdienstes eine medizinische Maske getragen wird, und dementsprechend keine Änderung des Hygienekonzepts erforderlich ist;

2. hilfsweise: im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gegenüber der Antragsgegnerin als zuständiger Vollzugsbehörde vorläufig festzustellen, dass die Besucher der von dem Antragsteller durchgeführten Gottesdienste nach Einnahme des Sitzplatzes keine medizinische Maske tragen müssen",

sind jedenfalls unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag (auch schon vor Klageerhebung) eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Regelungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Stets zu unterscheiden ist zwischen dem Anordnungsgrund, der die Eilbedürftigkeit der vorläufigen Regelung begründet, und dem Anordnungsanspruch, der mit dem materiellen Anspruch identisch ist. Das Vorliegen beider ist glaubhaft zu machen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Ferner darf die begehrte einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen. Eine Ausnahme gestattet dieser Grundsatz nur dann, wenn der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Vermeidung unzumutbarer Folgen für den Antragsteller notwendig ist. Anderenfalls würde die Entscheidung des Rechtsstreits in Abweichung von den Vorschriften der VwGO von dem für eine endgültige Rechtsfindung ausgestalteten Hauptsacheverfahren in das auf eine summarische Prüfung des Streitstoffes beschränkte Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verlagert. Danach setzt die Notwendigkeit einer Entscheidung gerade im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes voraus, dass dem Antragsteller das Abwarten einer Entscheidung in einem in der Regel länger dauernden Hauptsacheverfahren nicht zugemutet werden kann.

Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 9. September 2002 - 12 B 1285/02 -; VG Minden, Beschluss vom 19. April 2004 - 7 L 271/04 -.

Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch auf die begehrten Feststellungen glaubhaft gemacht.

I. Dies gilt hier zunächst hinsichtlich des Hauptantrages betreffend die Feststellung, dass bei den vom Antragsteller durchgeführten Gottesdiensten der Gemeindegesang nicht untersagt ist, sofern eine medizinische Maske getragen wird, denn dem Antragsteller ist nach der derzeit gültigen CoronaSchVO (vom 5. März 2021 in der ab dem 23. März 2021 gültigen Fassung) der Gemeindegesang bei Versammlungen zur Religionsausübung, insbesondere Gottesdienst, untersagt (1.). Es bestehen auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit dieses Verbots (2.).

1. Hinsichtlich Kirchen und Religionsgemeinschaften trifft § 1 Abs. 3 CoronaSchVO die Regelung, dass diese sich bei den von ihnen aufzustellenden Regelungen für Gottesdienste und andere Versammlungen zur Religionsausübung an den entsprechenden Regelungen dieser Verordnung orientieren (Satz 1). Sie entscheiden unter Berücksichtigung des lokalen Infektionsgeschehens, inwieweit Versammlungen in Präsenz durchgeführt werden können, und informieren die vor Ort zuständigen Behörden (Satz 2). Sie sichern die Einhaltung des Mindestabstands, begrenzen die Teilnehmerzahl, führen ein Anmeldeerfordernis für solche Zusammenkünfte ein, bei denen Besucherzahlen zu erwarten sind, die zu einer Auslastung der Kapazitäten führen könnten, verpflichten die Teilnehmer zum Tragen einer medizinischen Maske nach § 3 Abs. 1 Satz 2 auch am Sitzplatz, erfassen die Kontaktdaten der Teilnehmer und verzichten auf Gemeindegesang (Satz 3). Die vorgelegten dementsprechenden Regelungen der Kirchen und Religionsgemeinschaften treten für den grundrechtlich geschützten Bereich der Religionsausübung an die Stelle der Regelungen dieser Verordnung (Satz 4). Kirchen und Religionsgemeinschaften, die keine dementsprechenden Regelungen vorlegen, unterfallen auch für Versammlungen zur Religionsausübung den Regelungen dieser Verordnung, insbesondere den §§ 2 bis 4a, und haben Zusammenkünfte mit mehr als zehn Teilnehmenden spätestens zwei Werktage im Voraus bei der zuständigen Behörde anzuzeigen (Satz 5). Die Rechte der nach § 17 Abs. 1 zuständigen Behörden zu Anordnungen im Einzelfall bleiben unberührt (Satz 6).

Der Verordnungsgeber wollte mit diesem Regelungskonzept den Kirchen und Religionsgemeinschaft überlassen, im Rahmen ihrer Eigenverantwortung Regelungen zum Infektionsschutz zu treffen, die sich an der CoronaSchVO orientieren.

Vgl. Begründung zur CoronaSchVO vom 5. März 2021, S. 4.

Eine Pflicht, ein dem § 1 Abs. 3 Satz 3 CoronaSchVO entsprechendes Hygienekonzept vorzulegen, enthält die CoronaSchVO folglich nicht, sieht in Satz 5 aber - für den Fall eines fehlenden entsprechenden Konzeptes - als Konsequenz die unmittelbare Geltung der Einschränkungen der CoronaSchVO vor.

Für den Antragsteller gelten gemäß § 1 Abs. 3 Satz 5 Halbsatz 1 CoronaSchVO die Regelungen dieser Verordnung, insbesondere die §§ 2 bis 4a, auch für Versammlungen zur Religionsausübung - und somit auch für Gottesdienste. Denn der Antragsteller hat kein Hygienekonzept vorgelegt, das einen (umfassenden) Verzicht auf Gemeindegesang beinhaltet, sondern nur, soweit dieser nicht im Hinblick auf die Religionsausübung zwingend geboten ist (vgl. Bl. 30 GA). Mit dieser Einschränkung entspricht das Hygienekonzept nicht § 1 Abs. 3 Satz 3 CoronaSchVO, weshalb § 1 Abs. 3 Satz 4 CoronaSchVO nicht zur Geltung gelangt und das Hygienekonzept für den grundrechtlich geschützten Bereich der Religionsausübung folglich nicht an Stelle der Regelungen der CoronaSchVO tritt.

Dem entsprechend ergibt sich das (uneingeschränkte) Verbot von Gemeindegesang aus § 13 Abs. 2 Satz 3 CoronaSchVO. § 13 Abs. 1 CoronaSchVO bestimmt, dass Veranstaltungen und Versammlungen, die nicht unter besondere Regelungen dieser Verordnung fallen, untersagt sind. § 13 Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO enthält einen Katalog von zulässigen Veranstaltungen. § 13 Abs. 2 Satz 2 CoronaSchVO beinhaltet für Sitzungen nach Satz 1 Nr. 3 die Vorgabe, bei mehr als 100 Teilnehmern ein Hygiene- und Infektionsschutzkonzept vorzusehen. § 13 Abs. 2 Satz 3 CoronaSchVO bestimmt, dass gemeinsames Singen der Teilnehmer unzulässig ist.

Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass es sich bei Versammlungen zur Religionsausübung von Kirchen und Religionsgemeinschaften neben dem Katalog des § 13 Abs. 2 Satz 1 CoronaSchVO ebenfalls um zulässige Versammlungen i.S.v. § 13 Abs. 1 CoronaSchVO handelt. Denn § 1 Abs. 3 CoronaSchVO setzt voraus, dass derartige Versammlungen weiterhin stattfinden können. Dies gilt nach § 1 Abs. 3 Satz 5 CoronaSchVO ausdrücklich auch für Versammlungen zur Religionsausübung solcher Kirchen und Religionsgemeinschaften, die kein umfassendes Hygienekonzept vorgelegt haben.

Im Gegensatz zur Antragsgegnerin hat die erkennende Kammer keine Zweifel, dass das Verbot von gemeinsamem Gesang in § 13 Abs. 2 Satz 3 CoronaSchVO auch das Verbot von Gemeindegesang bei den zulässigen Versammlungen zur Religionsausübung umfasst. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass der Verordnungsgeber das Verbot des § 13 Abs. 2 Satz 3 CoronaSchVO - wie die Vorgabe des § 13 Abs. 2 Satz 2 CoronaSchVO - nur auf Veranstaltungen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 CoronaSchVO beschränken wollte. Im Gegensatz zu Satz 2 enthält Satz 3 nämlich keine Beschränkung auf eine bestimmte Art der zulässigen Veranstaltungen. Für die Annahme, dass die Einschränkung des Satz 2 in den Satz 3 hineinzulesen wäre, findet sich weder im Wortlaut noch in der Begründung der Verordnung irgendein Anhalt. Angesichts des erhöhten Risikos der Übertragung des Coronavirus SARS-CoV-2 bei (gemeinsamem) Gesang - siehe dazu sogleich unter 2. - lassen sich auch teleologisch keine Anhaltspunkte für eine beabsichtigte Begrenzung des Verbots nur auf bestimmte Versammlungen oder Veranstaltungen finden. Zuletzt entspricht bei Versammlungen zur Religionsausübung "gemeinsames Singen" der Teilnehmer dem vom Antragsteller begehrten "Gemeindegesang", da es sich bei den Teilnehmern eines Gottesdienstes um die Gemeinde handelt.

2. Das Verbot in § 13 Abs. 2 Satz 3 CoronaSchVO ist auch anwendbar. Die vom Antragsteller vorgebrachte Verfassungswidrigkeit des Verbots von Gemeindegesang ist nicht erkennbar.

Der mit dem Gesangverbot einhergehende Eingriff in die Glaubensfreit des Antragstellers (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2, 19 Abs. 3 GG) ist gerechtfertigt.

Einschränkungen von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, weil dieses Grundrecht keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang. Die Einschränkung bedarf überdies einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 1333/17 -, juris Rn. 82 m.w.N.

Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken dagegen, dass §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für das Verbot von Gemeindegesang in Gottesdiensten darstellen und die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Normen vorliegen. Nach diesen Vorschriften können u.a. Auflagen auch für das Abhalten von religiösen Zusammenkünften notwendige Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 sein. Dass diese Ermächtigungsgrundlage unzureichend sein könnte, hat der Antragsteller nicht vorgetragen und dies ist auch sonst nicht ersichtlich.

Vgl. Grundlegend zu § 28a IfSG OVG NRW, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 13 B 1731/20.NE -, juris Rn. 23 ff., zuletzt bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2021 - 13 B 252/21.NE -, juris Rn. 8.

Der mit dem Gesangverbot bezweckte Gesundheitsschutz kann als verfassungsimmanente Schranke (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) einen Eingriff in die Glaubensfreiheit des Antragstellers rechtfertigen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 3 C 24.17 -, juris 19.

Dieser Eingriff erweist sich - auch unter Berücksichtigung des Gewichts und der Bedeutung des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit und der Schwere des Eingriffs - nicht als unverhältnismäßig.

Unter Berücksichtigung der Übertragungswege des Coronavirus SARS-CoV-2 (über die Raumluft mittels virushaltigen Tröpfchen und Aerosolen, die insbesondere auch beim Singen ausgestoßen werden),

vgl. dazu im Einzelnen Robert Koch-Institut (RKI), Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, insb. Erreger (Ziffer 1) und Übertragungswege (Ziffer 2), Stand: 18. März 2021, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html;jsessionid=34D0C9356CF7425D26DA80CE463D3F30.internet091?nn=2386228,

erweist sich ein Gesangverbot als geeignet, die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 einzudämmen und so die Bevölkerung vor den damit einhergehenden Gesundheitsgefahren zu schützen.

Entgegen der Annahme des Antragstellers ist das Gesangverbot auch erforderlich. Angesichts der hohen Fragilität der Lage und der fortbestehenden gravierenden Unsicherheiten bei der prognostischen Bewertung des weiteren Ausbruchsverlaufs kommt dem Verordnungsgeber ein Einschätzungsspielraum im Hinblick auf die zu ergreifenden Maßnahmen zu. Die gegenwärtige Situation kann es zudem weiterhin rechtfertigen, vorübergehend eine stärker typisierende Betrachtung (verbleibender) Risikotatbestände anzulegen und stärker generalisierende Regelungen zu treffen, während umgekehrt die Differenzierungsnotwendigkeit (erst) mit einer Verdichtung der Erkenntnislage und/oder mit der Dauer der bestehenden Einschränkungen steigen würde. Soweit sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellen, verbleibt dem Antragsgegner der Einschätzungsspielraum.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris Rn. 90, vom 29. April 2020 - 13 B 512/20.NE -, juris Rn. 48 ff., vom 6. Juli 2020 - 13 B 940/20.NE -, juris Rn. 54, und vom 20. August 2020 - 13 B 1197/20.NE -, juris Rn. 65; VG Minden, Beschlüsse vom 30. Oktober 2020 - 7 L 886/20 -, juris und vom 8. Januar 2021 - 7 L 12/21 -.

Mildere, gleich geeignete Mittel zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus bei Präsenzgottesdiensten drängen sich zurzeit nicht eindeutig auf, sodass die Auswahlentscheidung einer rechtlichen Überprüfung standhält. Insbesondere erscheint es nicht gleich geeignet, es bei der ebenfalls verordneten Pflicht zu belassen, während Gottesdiensten und anderen Versammlungen zur Religionsausübung (auch am Sitzplatz) eine medizinische Maske zu tragen (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 c und Nr. 4 CoronaSchVO).

Das RKI - als nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG) - geht davon aus, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckungen (MNB) und auch eines Mund-Nasen-Schutzes (MNS, sogenannte "OP-Masken", die nach § 3 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO medizinische Masken sind) keine vollständige Sicherheit gewährleistet, sondern von anderen Infektionsschutzmaßnahmen - insbesondere den sogenannten AHA+L-Regeln - flankiert werden soll.

Vgl. RKI, Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der Übertragungen von COVID-19 Strategie-Ergänzung zu empfohlenen Infektionsschutzmaßnahmen und Zielen (3. Update), Epidemiologisches Bulletin 19/2020, 7. Mai 2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/19/Art_02.html;jsessionid=5775CE0154F5D7A1BB733C2BAFCFDC28.internet062?nn=2386228, und Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2/Krankheit COVID-19, Gesamtstand: 18. März 2021, abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html;jsessionid=D22EEFE7598CC0962F6DE481CCFAC123.internet121?nn=2386228, dort unter "Was ist beim Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung bzw. eines Mund-Nasen-Schutzes ("OP-Maske") in der Öffentlichkeit zu beachten?".

Denn auch das Tragen eines MNS kann den Ausstoß von virushaltigen Tröpfchen und Aerosolen nicht vollständig verhindern. Diese Medizinprodukte wurden für den Fremdschutz entwickelt und schützen vor allem das Gegenüber vor abgegebenen infektiösen Tröpfchen des Mundschutzträgers, weniger vor Aerosolen. Hinzu kommt, dass durch die Form und den Sitz der meisten medizinischen Gesichtsmasken ein Teil der Atemluft an den Rändern vorbei strömen kann.

Vgl. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Hinweise des BfArM zur Verwendung von Mund-Nasen-Bedeckungen, medizinischen Gesichtsmasken sowie partikelfiltrierenden Halbmasken (FFP-Masken), abrufbar unter https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Medizinprodukte/DE/schutzmasken.html, zuletzt abgerufen am 25. März 2021, dort unter Ziffer 2.

Die ebenfalls als medizinische Maske i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaSchVO anzusehen Masken des Standards FFP2 bzw. höheren Standards (jeweils ohne Atemventil) schützen dagegen als Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung den Maskenträger neben Tröpfchen auch vor Aerosolen. Allerdings ist für die Schutzwirkung entscheidend, dass die Masken regelmäßig gewechselt werden und dicht am Gesicht sitzen.

Vgl. BfArM, a.a.O., dort unter Ziffer 3.

Gleiches gilt für vergleichbare Masken (insbesondere der Bezeichnung KN95/N95). Deshalb sollte nach den Empfehlungen des RKI das Tragen von solchen Masken keinesfalls dazu führen, dass andere Komponenten der AHA+L-Regeln vernachlässigt werden oder Risiken sogar bewusst in Kauf genommen werden. Risiken wie z.B. die Erhöhung der Personendichte in geschlossenen Räumen mit schlechter Belüftung, oder die Wahrnehmung nicht zwingend erforderlicher persönlicher Kontakte sollten nicht aufgrund der Maske in Kauf genommen werden.

Vgl. RKI, Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2/Krankheit COVID-19, a.a.O., dort unter "Welche Funktion bzw. Einsatzbereiche haben FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes?".

Außerdem werden bei Gesang in stärkerem Maße (virushaltige) Aerosole ausgeschieden. So ist es bei gemeinsamem Singen in geschlossenen Räumen über einen längeren Zeitraum zum Teil zu hohen Infektionsraten gekommen, die sonst nur selten beobachtet werden.

Vgl. RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, a.a.O., unter Ziffer 2 und 19.

Unter Berücksichtigung, dass sich bei Gesang die Kiefer- und Gesichtsmuskulatur in erhöhtem Maße bewegen, ist es außerdem naheliegend, dass sich der Sitz einer medizinischen Maske verändert und der Ausstoß bzw. die Aufnahme virushaltigen Materials weiter begünstigt wird. Unter all diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass allein das Tragen einer medizinischen Maske i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaSchVO die mit gemeinsamem Gesang einhergehenden Infektionsgefahren gleich effektiv wie ein Gesangverbot verhindert.

Das Verbot ist unter Abwägung der widerstreiten Interessen auch angemessen. Der verfolgte Zweck steht nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass der Glaubensfreiheit nach der Konzeption des Grundgesetzes hierbei ein hoher Wert zukommt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 1333/17 -, juris, Rn. 101.

Gleichfalls kann unterstellt werden, dass auch die Eingriffsintensität für die Glaubensgemeinschaft des Antragstellers erheblich ist, weil der Gemeindegesang essentieller Bestandteil eines Gottesdienstes des Antragstellers sein soll.

Dieser hohe Stellenwert der betroffenen Rechte führt jedoch nicht zum Überwiegen der Interessen des Antragstellers. Denn ihnen steht mit dem Gesundheitsschutz ein ebenfalls mit hohem Verfassungsrang ausgestattetes Grundrecht gegenüber. Im Rahmen der derzeit vorliegenden Pandemie ist insofern beachtlich, dass bei einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 eine Vielzahl von Menschen in diesem Recht betroffen sein kann. Insbesondere wäre eine potentielle Beeinträchtigung nicht nur auf die Teilnehmer des Gottesdienstes begrenzt. Im Rahmen der vorliegenden pandemischen Verbreitung der ernst zu nehmenden Viruserkrankung COVID-19 können daher auch weitreichende Eingriffe in die Glaubensfreiheit erfolgen, wobei das derzeit vorhandene Infektionsgeschehen und die damit einhergehende Gefahren im Blick zu behalten sind.

Vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 29. April 2020 - 1 BvQ 44/20 -, juris Rn. 13.

Dies berücksichtigt überwiegt derzeit der mit dem Gesangverbot bezweckte Gesundheitsschutz die religiös begründeten Interessen des Antragstellers an einem Gemeindegesang, wobei auch den Mitglieder der vom Antragsteller vertretenen christlichen Glaubensgemeinschaft ein Auftrag, das menschliche Leben und die Gesundheit zu schützen, aus religiösen Motiven nicht fremd sein dürfte.

Mit Blick auf das Coronavirus SARS-CoV-2 und die Erkrankung COVID-19 sind die Risiken angesichts der Möglichkeit schwerer und potentiell tödlicher Krankheitsverläufe, teilweise erheblicher Folgeerkrankungen sowie des Potentials schnell ansteigender Infektionszahlen und einer damit einhergehenden Überlastung des Gesundheitssystems weiterhin als sehr hoch einzuschätzen. Dass bei den Infektionszahlen zu Jahresbeginn eine rückläufige Tendenz festzustellen war und mittlerweile Impfstoffe zur Verfügung stehen, ändert an der sehr hohen Gefährdungslage nichts, da bislang nur ein Bruchteil der Bevölkerung geimpft worden ist. Außerdem steigen die Infektionszahlen mittlerweile wieder erheblich, landesweit - und auch in C. - ist eine 7-Tage-Inzidenz von deutlich über 50 festzustellen. Insbesondere die neue besorgniserregende Variante von SARS-CoV-2 B.1.1.7 - die nach bisherigen Erkenntnissen nicht nur deutlich ansteckender ist, sondern vermutlich auch schwerere Krankheitsverläufe verursacht - führt zu einer Verschärfung des Infektionsgeschehens, in deren Folge auch mit einem deutlichen Anstieg an Hospitalisierungen zu rechnen ist.

Vgl. zu der Gefährdungslage beim derzeit vorliegenden Infektionsgeschehen OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2021 - 13 B 252/21.NE -, juris Rn. 61 sowie die aktuelle Risikobewertung des RKI vom 15. März 2021, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, sowie den Täglichen Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 24. März 2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html;jsessionid=1240403A6767F11008943956BA45A8D5.internet111?nn=2386228.

Hinzukommt, dass sich religiöse Veranstaltungen als Herde größerer COVID-19-Ausbrüche dargestellt haben (sogenannte "superspreading events"), was das erhöhte Risiko bei derartigen Veranstaltungen verdeutlicht.

Vgl. RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, a.a.O. unter Ziffer 19, aktuell siehe auch Kreisblatt des Kreises Lippe Nr. 21. vom 24. März 2021, abrufbar unter https://www.kreislippe.de/kreislippe/aktuelles/kreisblatt.php sowie "Kreis Lippe: Mittlerweile 152 Baptisten mit Corona infiziert", Neue Westfälische, 23. März 2021, abrufbar unter https://www.nw.de/lokal/kreis_lippe/lage/22979034_Kreis-Lippe-Mittlerweile-152-Baptistenmit-Coronainfiziert.html.

In die Bewertung ist außerdem einzustellen, dass es dem Antragsteller weiterhin ermöglicht wird, Präsenzgottesdienste durchzuführen. Die Glaubensfreiheit des Antragstellers und sein Interesse, einen gemeinsamen Gottesdienst zu verrichten, werden dem Gesundheitsschutz somit nicht vollständig untergeordnet. Hinzukommt, dass außerhalb von Präsenzveranstaltungen, etwa über die Organisation eines Distanzgottesdienstes über Kommunikationstechnologien, auch dem religiösen Bedürfnis nach gemeinsamem Gesang grundsätzlich weiterhin entsprochen werden kann. Unter all diesen Umständen erweist es sich als gerechtfertigt, derzeit den Gemeindegesang in (Präsenz-)Gottesdiensten zu verbieten.

II. Der Hilfsantrag, über den nach Erfolglosigkeit des Hauptantrages ebenfalls zu entscheiden ist, ist mangels glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs auf die begehrte Feststellung ebenfalls unbegründet.

Die Besucher der von dem Antragsteller durchgeführten Gottesdienste sind auch nach Einnahme des Sitzplatzes verpflichtet, eine medizinische Maske zu tragen. Dies ergibt sich so zunächst ausdrücklich aus § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 CoronaSchVO. Danach besteht die Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Maske unabhängig von der Einhaltung eines Mindestabstands während Gottesdiensten und anderen Versammlungen zur Religionsausübung auch am Sitzplatz. Sofern der Gottesdienst als ausnahmsweise zulässige Versammlung in einem geschlossenen Raum stattfindet, ergibt sich diese Pflicht außerdem aus § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1c CoronaSchVO.

Auch diese Verpflichtung ist anwendbar, da die vom Antragsteller vorgebrachte Verfassungswidrigkeit hier ebenfalls nicht erkennbar ist. Unabhängig davon, ob der Verpflichtung zum Tragen einer Schutzmaske tatsächlich die vom Antragsteller geltend gemachte hohe Eingriffsintensität zukommt, kann offen bleiben, da sich das Gebot - unter Berücksichtigung der oben dargelegten Gesundheitsgefahren - als verhältnismäßig erweist. Auch ohne den untersagten Gesang ergibt sich bei der Versammlung von mehreren Personen in den vom Antragsteller angemieteten (geschlossenen) Räumen ein erhöhtes Infektionsrisiko, welches durch die Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Maske verringert wird. Dass bei den Räumen des Antragstellers Gegebenheiten vorliegen, welche dieses Risiko anderweitig ausschließen können, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die vom Antragsteller gerügte Verpflichtung erweist sich auch nicht als Verstoß gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegten allgemeinen Gleichheitssatz. Anders als der Antragsteller meint, handelt es sich bei Gottesdiensten und anderen religiösen Versammlungen nicht um einen Sachverhalt, der mit den Gegebenheiten, die der Ausnahme von der Maskenpflicht in § 1 Abs. 4 Satz 3 CoronaSchVO zugrunde liegen, vergleichbar ist. Zum einen kommen bei den Gottesdiensten des Antragstellers erwartungsgemäß eine Vielzahl von Personen in einem zusammenhängenden Raum zusammen, was bei den von § 1 Abs. 4 Satz 3 CoronaSchVO erfassten konkreten Arbeitsplätzen in geschlossenen Räumen in Betrieben, Unternehmen, Behörden oder im sonstigen Arbeitnehmer-Kontext, bei denen ein Abstand von 1,5 Metern zu weiteren Personen sicher eingehalten werden kann, regelmäßig nicht der Fall sein dürfte. Zudem hat sich der betriebliche Kontext - abgesehen von besonderen Situationen wie etwa in der Fleischwirtschaft, für die aber besondere Regelungen gelten, vgl. CoronaFleischwirtschaftVO - nicht als derart risikobehaftet ergeben, wie es bei Gottesdiensten der Fall gewesen ist.

Soweit sich möglicherweise ein Anhalt für eine Ungleichbehandlung religiöser Versammlungen gegenüber sonstigen Versammlungen ergibt, weil deren Teilnehmer wegen § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 CoronaSchVO wohl nicht nur in geschlossenen Räumen, sondern auch unter freiem Himmel zum Tragen einer medizinischen Maske (am Sitzplatz) verpflichtet sind, kann eine Bewertung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG im vorliegenden Fall dahinstehen, weil der Antragsteller nach seinem Vortrag die Gottesdienste in angemieteten, geschlossenen Räumlichkeiten veranstaltet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 45 Abs. 1 Satz 2, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG, wobei die Kammer für Haupt- und Hilfsantrag jeweils den Regelstreitwert von 5.000 € veranschlagt. Haupt- und Hilfsantrag betreffen dabei nicht denselben Gegenstand (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG), da unterschiedliche Anordnungen der CoronaSchVO die jeweils gerügte Verpflichtung begründen. Da die Anträge wegen der begrenzten Gültigkeitsdauer der den Anträgen zugrundeliegenden CoronaSchVO inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielten, ist eine Reduzierung des Streitwertes für das Eilverfahren nicht veranlasst.

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