SG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.12.2020 - S 14 R 606/16
Fundstelle
openJur 2021, 14371
  • Rkr:

Der gesetzliche Mindestlohn ist eine Bruttoentgeltschuld (vgl. BAG, Urteil vom 25. Mai 2016, 5 AZR135/16). Sachleistungen haben keine Erfüllungswirkung.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf EUR 922,62 festgesetzt.

Tatbestand

Im Streit steht die Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung für 2015 wegen Verstoßes gegen das Mindestlohngesetz (MiLoG) nach durchgeführter Betriebsprüfung.

Der Kläger betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei. Mit Arbeitsvertrag vom 21. Mai 2004 beschäftigte er seine Ehefrau B. A. als Büroassistentin ab 1. Juni 2004 auf 400,- Euro-Basis, wobei eine wöchentliche Arbeitszeit von 10 Stunden, verteilt auf Montag bis Freitag von 10 bis 12 Uhr, vereinbart war. Mit Änderungsvertrag vom 25. August 2005 überließ der Kläger seiner Ehefrau einen Firmenwagen Renault Kangoo, womit sich der ausgezahlte monatliche Barlohn aufgrund des geldwerten Vorteils ab 1. September 2005 um 166,- Euro auf 234,- Euro verminderte. Zugleich übernahm der Kläger alle mit dem Firmenwagen anfallenden Kosten für Kraftstoffe, Schmierstoffe, Wagenpflege. Mit Änderungsvertrag vom 1. Februar 2013 überließ der Kläger seiner Ehefrau anstelle des Renault Kangoo einen Skoda Yethi als Firmenwagen. Die Vereinbarungen wurden im Übrigen nicht geändert. Mit ergänzender Arbeitsvertragsvereinbarung vom 15. Dezember 2014 wurde vereinbart, dass der gesetzlich zu zahlende Mindestlohn ab 1. Januar 2015 8,50 Euro pro Zeitstunde beträgt. Weitere Änderungen erfolgten nicht.

Am 3. Februar 2016 fand bei dem Kläger eine Betriebsprüfung durch die Beklagte für den Prüfzeitraum 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2015 statt, in dessen Ergebnis ein Verstoß gegen das MiLoG im Jahr 2015 festgestellt wurde, denn die private Nutzung eines Firmenwagens sei als Lohnbestandteil des Mindestlohns nicht berücksichtigungsfähig. Mit Bescheid vom 12. Februar 2016 forderte die Beklagte Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 922,62 Euro einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von 61,50 Euro für das Jahr 2015 nach, da durch die Berücksichtigung des Firmenwagens der gesetzliche Mindestlohn unterschritten werde. Hiergegen erhob der Kläger am 22. Februar 2016 Widerspruch, da das MiLoG nicht explizit regele, dass nur Geldleistungen und nicht auch Sachbezüge den Mindestlohn erfüllten. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. November 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da es sich bei dem Mindestlohn um einen Bruttolohn je Zeitstunde handle, der als Geldleistung zu berechnen und auszuzahlen sei. Die Entlohnung im Wege der Gewährung von Sachbezügen sei nicht zulässig. Die Zahlung von monatlich 234,- Euro unterschreite den gesetzlichen Mindestlohn.

Am 1. Dezember 2016 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist weiterhin der Ansicht, dass das MiLoG keine Regelung dazu enthalte, welche Entgeltbestandteile neben dem regelmäßigen Arbeitsentgelt in Anrechnung gebracht werden dürften, um den gesetzlichen Mindestlohn zu erreichen. Wenn die betreffende Leistung Entgeltcharakter besitze, müsse sie als mindestlohnrelevant eingestuft werden. Dies treffe auf die Überlassung eines Firmenwagens zu. Der Mindestlohn sei nicht ausschließlich in Geld zu entrichten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und ist weiterhin der Ansicht, dass eine Gewährung von Sachbezügen den gesetzlichen Mindestlohn nicht erfülle. Dieser sei in bar auszuzahlen (vgl. Beschluss Bayrisches Landessozialgericht vom 14. November 2017, L 7 R 5146/17 B ER).

Das Gericht hat mit Beschluss vom 22. Oktober 2020 die DAK Gesundheit Krankenkasse und Pflegekasse, die Agentur für Arbeit Bad Homburg und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See Minijobzentrale zum Verfahren notwendig beigeladen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung war, sowie das übrige Vorbringen der Beteiligten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte fordert zu Recht Gesamtsozialversicherungsbeiträge wegen Verstoßes gegen das MiLoG im Zeitraum 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2015 vom Kläger nach.

Für den Erlass des die Beitragsfestsetzung regelnden Verwaltungsakts war die Beklagte sachlich zuständig. Nach § 28p Abs. 1 Satz 1 und 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre, und erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

Vorliegend ist zwischen den Beteiligten allein streitig, ob der Kläger zur Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnes im Jahr 2015 seiner auf 400,- Euro-Basis beschäftigten Arbeitnehmerin einen Firmenwagen unter Anrechnung eines geldwerten Vorteils von 166,- Euro überlassen durfte.

Gemäß § 14 Abs. 1 SGB IV zählen zum Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Die weitgehend abstrakte Definition des Arbeitsentgeltbegriffs in § 14 Abs. 1 SGB IV erfordert eine Konkretisierung im Einzelfall, die in erster Linie mit der auf der Ermächtigung des § 17 SGB IV fußenden Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) vorgenommen wurde. Aufgrund der gewünschten weitgehenden Übereinstimmung der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmung des Arbeitsentgelts mit den Regelungen des Steuerrechts (§ 17 Abs. 1 Satz 2) setzt die SvEV demzufolge auch auf den lohnsteuerrechtlichen Bestimmungen für lohnsteuerfreie Entgeltbestandteile auf (§ 1 SvEV). Auf der Ebene der Verwaltungsentscheidung sind deshalb hierbei sowohl die Lohnsteuerrichtlinien wie auch die jeweiligen Besprechungsergebnisse der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung ergänzend heranzuziehen (Knospe in Hauck/Noftz, SGB, 02/16, § 14 SGB IV, Rn. 14). Zwar besteht keine unmittelbare Rechtswirkung des Steuerrechts bzw. eine Bindungswirkung auf das Beitragsrecht der Sozialversicherung (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1964, Az.: 3 RK 27/62 und BSG, Urteil vom 18. Juni 1968, Az.: 3 RK 98/64). Allerdings ist insoweit das Harmonisierungs- und Vereinfachungsbestreben des Gesetzgebers zu berücksichtigen, das in § 17 SGB IV und dem Gebot der weitgehenden Übereinstimmung des Arbeitsentgelts mit dem Steuerrecht durch § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IV zum Ausdruck gebracht wird (Werner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 14 SGB IV, Rn. 10). Insoweit ist nach § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen. Mit der Begriffsbestimmung des Arbeitsentgelts für die Sozialversicherung wird ferner in § 14 SGB IV als Grundsatz für die Bemessung der Einnahmen aus Löhnen und Gehältern das "Bruttolohnprinzip" festgeschrieben. Der Wortlaut und die weite Fassung des Arbeitsentgelts unterstreichen die Intention des Gesetzgebers, jede Einnahme mit Bezug zur Beschäftigung vollständig und lückenlos dem Arbeitsentgelt zu zuordnen. § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV geht vom ungekürzten, nicht um Abgaben, Werbungskosten, Sonderausgaben und ähnliche Beiträge geminderten Bruttolohn aus (BSG, Urteil vom 13. Oktober 1993, Az.: 2 RU 41/92; BSG, Urteil vom 22. September 1988, Az.: 12 RK 36/86). Das Arbeitsentgelt stellt nur auf die reine Einnahme ab. Das Arbeitsentgelt kann um Abzugsbeträge (z.B. Sonderausgaben, Werbungskosten, Steuern und Sozialversicherung) ohne ausdrückliche Grundlage im Gesetz nicht vermindert werden. Durch die weite Definition des Arbeitsentgeltes soll verhindert werden, dass Beschäftigte und Arbeitgeber sich durch Abschreibungen, Investitionen, Vermögensdispositionen und andere Abzüge vom Lohn "arm rechnen" und dadurch die Versicherungs- und Beitragspflicht oder die Vorschriften über das Ruhen der Leistungsansprüche beim Zusammentreffen mit Einnahmen aus einer Beschäftigung umgehen. Erforderlich ist ein unmittelbarer Zusammenhang, wie er aus dem Gegenseitigkeitsverhältnis von Arbeit und Entlohnung folgt, oder ein zumindest mittelbarer (innerer, sachlicher) Zusammenhang mit der Beschäftigung. Wesentlicher Grund für den Vorteil des Arbeitnehmers muss somit das Beschäftigungsverhältnis und nicht etwa eine anderweitige Rechtsbeziehung sein. Arbeitsentgelt sind daher alle Einnahmen, die ohne die Beschäftigung beim Arbeitnehmer nicht denkbar wären. Die Herkunft der Einnahme "aus" einer Beschäftigung entscheidet über die Arbeitsentgelteigenschaft. Welchen Weg die Einnahme zu dem Beschäftigten genommen hat und ob die Zuwendung den Beschäftigten zielgerichtet erreicht hat, ist dabei gleichgültig. Für den ursächlichen Zusammenhang zur Beschäftigung genügt es, dass die Zuwendung wesentlich von dem Ziel mitbestimmt wird, den Arbeitnehmern eine zusätzliche Vergütung für die Arbeit zu verschaffen. Ohne Bedeutung ist auch, ob das Entgelt aufgrund konkreter Arbeitsleistung oder eine Arbeit von wirtschaftlichem Wert vom Arbeitnehmer verdient wurde. Dieser Zusammenhang zwischen Einnahmen und Beschäftigung ist - nicht zuletzt im Hinblick auf die Schutzfunktion der Sozialversicherung - schon dann gegeben, wenn die konkrete Zahlung ohne das Beschäftigungsverhältnis nicht denkbar wäre. Eine Einnahme beruht auf der Beschäftigung, wenn sie sich im weitesten Sinne als (u. U. auch nicht gleichwertiges) Äquivalent für das Angebot der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers darstellt. Bei typischen Beschäftigungen ist Arbeitsentgelt im Austauschverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Gegenleistung für die individuelle Arbeitspflicht des Beschäftigten (§ 611 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Alle direkten und indirekten Leistungen des Arbeitgebers stellen generell eine Gegenleistung für die vom Beschäftigten zu erfüllende Arbeitspflicht dar und werden im Hinblick hierauf gewährt, und zwar auch dann, wenn damit zugleich ein vom Arbeitsvertrag ggfs. abweichendes ideelles oder soziales Ziel verfolgt wird. Dies gilt auch für freiwillige Leistungen (wie z.B. Gratifikationen) und für solche Leistungen, die nicht konkret mit einer Arbeitsleistung des Beschäftigten korrespondieren, z. B. die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder das Urlaubsgeld (vgl. zum Ganzen Werner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl., § 14 SGB IV (Stand: 1. März 2016) Rn. 31 ff. m. w. N.).

Gemäß § 1 Abs. 1 und 2 MiLoG hat jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber. Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1. Januar 2015 brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Gemäß § 3 MiLoG sind Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, insoweit unwirksam. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer kann auf den entstandenen Anspruch nach § 1 Absatz 1 nur durch gerichtlichen Vergleich verzichten; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen. Die Verwirkung des Anspruchs ist ausgeschlossen. Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist damit ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt. Das Mindestlohngesetz greift in die Entgeltvereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien und anwendbarer Entgelttarifverträge nur insoweit ein, als sie den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten. § 3 MiLoG führt bei Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns zu einem Differenzanspruch. Der Arbeitgeber hat den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit 8,50 Euro ergibt. Erfüllung iSv § 362 Abs. 1 BGB tritt beim Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn - wie in jedem Schuldverhältnis - ein, wenn die geschuldete Leistung bewirkt wird. Diese Leistung liegt in der Zahlung des Bruttoarbeitsentgelts, denn der gesetzliche Mindestlohn ist das als Gegenleistung für die Arbeit (mindestens) zu erbringende Entgelt (Bundesarbeitsgericht - BAG - Urteil vom 25. Mai 2016, 5 AZR 135/16, Rn. 22, 26f. juris). Dabei bedarf der Gesetzesbegriff des Mindestlohns der Auslegung. Maßgebend ist dafür der in der Norm zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Regelung hineingestellt ist. Ausgehend von dem in § 1 Abs. 1 MiLoG verwendeten Begriff des Mindestlohns und der in § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG bestimmten Höhe in Form eines Bruttobetrags, handelt es sich nach der Rechtsprechung des BAG um eine Bruttoentgeltschuld des Arbeitgebers. Dabei ist es unerheblich, dass der Gesetzgeber - im Unterschied zu anderen arbeitsrechtlichen Regelungen - nicht den Begriff "Entgelt" (vgl. z. B. § 10 Abs. 1 Satz 5 AÜG "Arbeitsentgelt", § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG "Mindestentgeltsätze"), sondern "Lohn" verwendet. Diese nicht mehr zeitgemäße, auf die Vergütung gewerblicher Arbeitnehmer abstellende Terminologie erklärt sich mit dem Sprachgebrauch in der politischen Diskussion vor Verabschiedung des Gesetzes. Eine Beschränkung des Geltungsbereichs auf Arbeiter, die noch im Stundenlohn vergütet werden, war und ist nicht gewollt. Es sollten umfassend alle Arbeitnehmer vor den Folgen einer unangemessen niedrigen Vergütung geschützt werden. Dieser in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Zweck zielt darauf ab, jedem Arbeitnehmer ein existenzsicherndes Monatseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde zu gewährleisten, das letztlich auch die sozialen Sicherungssysteme entlasten soll (BT-Drs. 18/1558 S. 28). Diesem Ziel entsprechend fordern §§ 1 und 2 MiLoG mit dem Begriff der "Zahlung" und der Nennung eines Eurobetrags in "brutto" eine Entgeltleistung in Form von Geld. Bei einer Geldschuld wird die geschuldete Leistung mangels anderer Vereinbarung nur dann bewirkt, wenn der Gläubiger den Geldbetrag, den er beanspruchen kann, endgültig zur freien Verfügung übereignet oder überwiesen erhält (BAG, Urteil vom 25. Mai 2016, 5 AZR 135/16, Rn. 29f. juris). Im Schrifttum schlossen sich zahlreiche Stimmen dieser Rechtsprechung des BAG an (siehe beispielsweise Düwell/Schubert, MiLoG, 2. Aufl. 2017, § 1 Rn. 15 "Geldfaktor" multipliziert mit Zeitfaktor, Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, 2. Aufl. 2017, § 1 Rn. 82 "Entgeltleistung in Form von Geld, nicht Sachleistung", ErfK/Franzen, MiLoG, 21. Aufl. 2021 § 1 Rn. 5, "Stundenvergütung in Geld", alle beckonline). Darüber hinaus wurde konkret zur Überlassung eines Dienstwagens zur auch privaten Nutzung festgestellt, dass diese einen Naturalbezug darstellt, mit dem der Mindestlohnanspruch nicht erfüllt werden kann (Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 1 Rn. 91, beckonline). Auch das Bayrische Landessozialgericht entschied für den Fall der Überlassung eines Firmenwagens am 14. November 2017, dass der Mindestlohn in bar auszuzahlen ist (Beschluss L 7 R 5146/17 B ER, Rn. 23 juris). Dem schließt sich auch die Kammer vor dem Hintergrund des Gesetzeszweckes, der Gewährung eines Existenzminimums und der Entlastung der sozialen Sicherungssysteme, vollumfänglich an.

Der Kläger kann an dieser Stelle nicht mit § 107 Gewerbeordnung (GewO) durchdringen. Nach § 107 Abs. 1 und 2 GewO ist das Arbeitsentgelt in Euro zu berechnen und auszuzahlen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts vereinbaren, wenn dies dem Interesse des Arbeitnehmers oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. Der Anwendungsbereich des § 107 GewO betrifft nur vertragliche Vergütungsansprüche, verschafft den Arbeitsvertragsparteien also nicht die Befugnis, über den Inhalt des gesetzlichen Mindestlohns zu disponieren. Dies wird systematisch auch daran deutlich, dass § 107 GewO in den Titel "Allgemeine arbeitsrechtliche Grundsätze" integriert ist. Die Normen dieses Titels betreffen vor allem den schuldrechtlichen Gehalt des Arbeitsverhältnisses (§ 105 GewO Freie Gestaltung des Arbeitsvertrages, § 106 GewO Weisungsrecht des Arbeitgebers). Davon unabhängig finden Vereinbarungen nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO ihre Grenze im Mindestentgeltschutz nach § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO. Nach § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO ist dem Arbeitnehmer der nach §§ 850 ff. ZPO unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens in Geld auszuzahlen (vgl. hierzu [unter Hinweis auf den "missglückten" Wortlaut von § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO] ErfK/Preis GewO § 107 Rn. 7 m. w. N.). Nachdem der gesetzliche Mindestlohn der Höhe nach so konzipiert ist, dass er einem alleinstehenden Arbeitnehmer bei vollzeitiger Beschäftigung ein knapp oberhalb der Pfändungsfreigrenze des § 850c Abs. 1 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) liegendes Arbeitsentgelt sichert (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 28), dürften Vereinbarungen nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO in mindestlohnrelevanten Arbeitsverhältnissen auch ohne Hinzuziehung von § 3 Satz 1 MiLoG bereits nach § 107 Abs. 2 S. 5 GewO überwiegend unwirksam sein (vgl. ErfK/Franzen MiLoG § 1 Rn. 6; Thüsing/Bayreuther MiLoG § 1 Rn. 128, 132, zum Ganzen Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, MiLoG § 1 Rn. 84f., beckonline).

Schließlich hat das BAG in seinem Urteil vom 21. Dezember 2016 auf die fehlende Klarstellung im MiLoG, welche Lohnbestandteile auf das Mindestentgelt anzurechnen sind, verwiesen und weiter ausgeführt: "Vorrangiger Zweck des gesetzlichen Mindestlohns ist es, jedem Arbeitnehmer ein existenzsicherndes Monatseinkommen zu gewährleisten (BT-Drs. 18/1558 S. 28; BAG 25. Mai 2016, 5 AZR 135/16, Rn. 29). Diesem Zweck vermag jede dem Arbeitnehmer verbleibende Vergütungszahlung des Arbeitgebers zu dienen, unabhängig davon, zu welcher Tageszeit, unter welchen Umständen oder in welcher Qualität die Arbeit erbracht wurde. Folglich fehlt von den im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis zu erbringenden Entgeltzahlungen des Arbeitgebers nur solchen die Erfüllungswirkung, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (z. B. § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen (vgl. BAG 25. Mai 2016, 5 AZR 135/16, Rn. 32). Diese normzweckorientierte Auslegung des Mindestlohnbegriffs erfüllt die vom EuGH geforderte Transparenz, denn sie erlaubt es auch ausländischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sich rechtssicher auf das deutsche Mindestlohnrecht einzustellen. Zudem wird diese normzweckorientierte Auslegung des Mindestlohnbegriffs durch das spätere Verhalten des Bundesrates nach Bekanntwerden der ersten Entscheidungen des Senats zum Mindestlohngesetz bestätigt. Der Bundesrat hat entgegen der Initiative einzelner Bundesländer eine Entschließung zur Klarstellung des Mindestlohnbegriffs gerade nicht gefasst und damit die ab Mai 2016 eingeleitete Auslegung des Gesetzes durch die Rechtsprechung akzeptiert (vgl. die Initiative einzelner Bundesländer nach der Entscheidung des Senats vom 25. Mai 2016, 5 AZR 135/16, und die Entscheidung des Bundesrates vom 23. September 2016, BR-Drs. 361/16)" (BAG, Urteil vom 21. Dezember 2016, 5 AZR 374/16, Rn. 23 f. juris).

Der Auslegung des Mindestlohnbegriffs als Bruttoentgeltschuld folgend schuldete der Kläger bei einer wöchentlichen Arbeitszeit seiner Ehefrau von 10 Stunden, monatlich 40 Stunden, multipliziert mit dem Mindestlohn von 8,50 Euro pro Zeitstunde insgesamt mindestens 340,- Euro. Zur Auszahlung kamen aber nur monatlich 234,- Euro (vgl. Lohn- und Gehaltsabrechnungen Bl. 1-5 Verwaltungsakte).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197 a SGG, 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 und 3 GKG. Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143, 144 SGG.

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