SG Wiesbaden, Urteil vom 26.09.2018 - S 1 KR 551/17
Fundstelle
openJur 2021, 14369
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung aus der Auszahlung einer Kapitallebensversicherung im Streit.

Die im Jahr 1957 geborene Klägerin erhielt am 26.7.2017 eine Kapitalauszahlung i.H.v. 27.606,60 € vom Versicherer C. Mit Bescheid vom 28.7.2017 erhob die Beklagte - zugleich für die Beklagte zu 2. - Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Für die der Beitragsberechnung zugrunde liegende Bemessungsgrundlage erhob sie 1/120igstel der Leistung als monatlichen Zahlbetrag. Die Gesamtsumme von 27.606,60 € wurde durch 120 Monate geteilt, so dass die Kapitalzahlung in Höhe eines Monatsbetrages von 230,06 € verbeitragt wurde. Dies ergab einen monatlichen Beitrag i.H.v. 36,58 € zur Kranken- und 5,87 € zur Pflegeversicherung.

Die Klägerin widersprach dem am 10.8.2017 und führte aus, dass es sich um eine betriebsbezogene Kapitallebensversicherung lediglich im Zeitraum August 1975 bis August 1979 gehandelt habe. Lediglich in diesem Zeitraum sei sie im Unternehmen ihres Vaters, einem Steuerberaterbüro, beschäftigt gewesen. Danach sei der Vertrag privat fortgeführt worden. Ihr Vater habe den Vertrag im Zuge des Arbeitsverhältnisses nur für 4 Jahre (1974-1979) geführt. Danach seien die Beiträge im Rahmen einer familiären Zuwendung weitergezahlt worden. Der Vater habe die Versicherung privat finanziert.

Der Versicherer C. teilte mit, dass der Vertrag auch noch im Jahre 2016 und 2017 über den Arbeitgeber gelaufen sei. Darüber hinaus bestätigte der Versicherer, dass die Kapitalzahlung aus einer Direktversicherung resultiere. Der Vertrag sei nicht von der Klägerin als Versicherungsnehmerin übernommen und privat fortgeführt worden. Die Versicherung sei zu 100 % betriebsfinanziert gewesen.

Mit Bescheid vom 29.11.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Beitragspflicht nach § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-4 SGB V das Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung, die der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) und das Arbeitseinkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung unterlägen. Bei nach § 20 Abs. 1 SGB XI in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtigen Rentnern seien für die Berechnung der Beiträge die beitragspflichtigen Einnahmen wie in der Krankenversicherung maßgebend (§ 57 Abs. 1 SGB XI). Die Beitragspflicht von Versorgungsbezügen der betrieblichen Altersversorgung zur Krankenversicherung ergebe sich aus § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V; zur Pflegeversicherung aus § 57 Abs. 1 S. 1 SGB XI, der auf die vorgenannten Vorschriften des SGB V verweise.

Trete an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung, wie vorliegend eine einmalige Kapitalleistung, so gelte 1/120igstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens für 120 Monate (§ 229 Abs. 1 S. 3 SGB V). Dabei beginne die Frist von 10 Jahren mit dem Ersten des auf die Auszahlung der Kapitalleistung folgenden Kalendermonats. Bei dem mit der C. AG abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag handele es sich um einen einmalig gezahlten Versorgungsbezug aus der betrieblichen Altersversorgung. Dieser Vertrag sei vom Arbeitgeber (D./ E-D.) mit der C. AG zu Gunsten der Klägerin und damit als Direktversicherung abgeschlossen worden. Diese Auszahlung der Kapitalleistung habe die C. AG im Rahmen des § 202 SGB V gemeldet. Nach Mitteilung des Versicherers sei der Versicherungsvertrag nie auf die Klägerin übertragen worden. Vielmehr sei Versicherungsnehmer während der gesamten Laufzeit der Arbeitgeber D./ E-D. gewesen. Wie das Bundesverfassungsgericht entschieden habe, sei die Heranziehung von Versorgungsbezügen (auch) in der Form nicht wiederkehrender Leistungen wie die einmalige Kapitalzahlung aus der betrieblichen Altersversorgung zur Beitragspflicht mit dem Grundgesetz vereinbar (Verweis auf Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.4.2008 Az. 1 BvR 1924/07; Beschluss vom 6.9.2010 Az. 1 BvR 739/08; Beschluss vom 28.9.2010 Az. 1 BvR 1660/08). Dies entspreche auch der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zuletzt Urteil des BSG vom 30.3.2011 - B 12 KR 16/10 R). Weder Bundesverfassungsgericht noch BSG hätten beanstandet, dass die Einbeziehung in die Beitragspflicht auch für in der Vergangenheit abgeschlossene Verträge gelte.

Hiergegen richtet sich die am 22.12.2017 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangene Klage. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, dass bestritten werde, dass die Kapitalleistung im gegebenen konkreten Fall ein Versorgungsbezug im Sinne der §§ 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V sei. Die Auslegung dieser Bestimmung verletze Art. 3 Abs. 1 GG. Es handele sich nicht um eine Rente der betrieblichen Altersversorgung und sei einer solchen auch nicht aufgrund zulässiger Typisierung gleichzustellen. Es fehle der erforderliche institutionelle Betriebsbezug. Die 1957 geborene Klägerin habe von August 1975 bis August 1978 bei ihrem Vater, dem Steuerberater D., in einem Arbeitsverhältnis gestanden. Danach habe zu ihrem Vater kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden. Die Kapitallebensversicherung habe nach Information des Versicherers am 1.8.1971 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin erst 14 Jahre alt gewesen und noch nicht bei ihrem Vater beschäftigt. Nach Mitteilung des Versicherers an die Beklagte habe der Vertrag am 1.8.1990 begonnen und sei zum 1.8.2017 abgelaufen. In diesem Vertragszeitraum habe keinerlei Arbeitsverhältnis zwischen Klägerin und ihrem vor Vertragsablauf verstorbenen Vater bestanden. Die Klägerin habe die Beiträge auch zu keinem Zeitpunkt selbst gezahlt. Die Beiträge seien auch nicht von der Steuerberatersozietät geleistet, sondern aus den versteuerten Einkünften des Vaters bzw. von Frau E-D. gezahlt worden. Es habe sich also nicht um Arbeitgeberleistungen im Rahmen von Personalausgaben gehandelt. Es habe sich um eine rein familiäre Zuwendung (Schenkung unter Familienmitgliedern) gehandelt.

Es verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz, die vorliegende Schenkung unter Familienmitgliedern nur deshalb der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zu unterwerfen, weil der Schenker (hier der Vater der Klägerin) freiberuflich tätig gewesen sei. Bei einer Gesamtspardauer von 46 Jahren für die Kapitalleistung sei das 3-jährige Arbeitsverhältnis in den siebziger Jahren nicht ausschlaggebend für den erforderlichen Betriebsbezug der Leistung. Der Lebensversicherungsvertrag habe sich in keiner Weise von einem privaten Kapitallebensversicherungsvertrag unterschieden. Die Klägerin verweist darüber hinaus auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.6.2018, wonach private Beiträge des Arbeitnehmers als betrieblich veranlasst gelten, solange der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts genutzt werde, es indes die Typisierung eines Anknüpfungstatbestands für die Beitragspflicht in verfassungswidriger Weise überspannen würde, wenn vorliegend entgegen des nachgewiesenen privaten Charakters der Kapitalleistung allein auf die formelle Art und Weise der Meldung des Versicherers abgestellt würde.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 28.7.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2017 aufzuheben.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist darauf, dass der ursprünglich zum 1.8.1971 abgeschlossene Vertrag am 1.8.1990 zu den bisherigen Konditionen verlängert worden sei. Ab August 1975 habe ein betrieblicher Bezug bestanden. Der Vertrag sei von der Firma D. als Versicherungsnehmer fortgeführt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und die Beklagtenakte Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

Die form-und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

Rechtsgrundlage der Beitragserhebung auch für den streitbefangenen Versicherungsvertrag mit ausgezahlter Kapitalsumme von 27.606,60 € ist § 226 SGB V i.V.m. § 229 Abs. 1 SGB V. Insoweit verweist das Gericht auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 29.11.2017 und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 SGG).

Entgegen der Auffassung der Klägerin vermag das Gericht vorliegend keinen Verstoß gegen Verfassungsrecht zu erkennen. Zutreffend ist, dass nach der neuesten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 27.6.2018 1 BvR 100/15, 1 BvR 249/15) ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot angenommen wird, wenn für die Berechnung der Beiträge von Rentnern zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung solche Zahlungen berücksichtigt werden, die auf einem nach Ende des Arbeitsverhältnisses geänderten oder aber ab diesem Zeitpunkt neu abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag zwischen einer Pensionskasse in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit und dem früheren Arbeitnehmer beruhen, während Erträge aus privaten Lebensversicherungen von pflichtversicherten Rentnern nicht zur Berechnung herangezogen werden. Voraussetzung ist aber, dass der frühere Arbeitgeber an dem Versicherungsvertrag nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr beteiligt ist und nur der versicherte Arbeitnehmer die Beiträge eingezahlt hat. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall. Denn zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit, dass die Klägerin keinerlei eigene Beiträge in den streitigen Lebensversicherungsvertrag eingezahlt hat.

Allein vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Differenzierung zwischen betrieblicher und privater Altersversorgung und einer daraus resultierenden Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nicht allein nach der auszahlenden Institution vorzunehmen ist. Es sei vielmehr nach der Vertragsgestaltung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu differenzieren. Vorliegend hat der Vater der Klägerin, der als Steuerberater selbständig tätig war, ganz offensichtlich eine Direktversicherung abgeschlossen, die entsprechend vom Versicherer C. auch als betriebsbezogene Kapitallebensversicherung gewertet wurde. Ansonsten wäre von dort keine Meldung nach § 202 SGB V erfolgt.

Zwar ist der Klägerin zuzugestehen, dass das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG ) im Jahr 1971 noch gar nicht bestanden hat. Insoweit war der ursprünglich abgeschlossene Versicherungsvertrag nicht als betriebliche Altersversorgung entsprechend des BetrAVG anzusehen. In dem Kontext bleibt indes festzustellen, dass das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung zur institutionellen Abgrenzung der Differenzierung zwischen privater zu betrieblicher Altersversorgung und die daran anknüpfende Bewertung der Beitragspflicht festhält. Es hat den Begriff der betrieblichen Altersversorgung unabhängig von der Legaldefinition in § 1 Absatz 1 S. 1 des BetrAVG im Sinne des Beitragsrechts ausgelegt. Nach der so genannten institutionellen Abgrenzung gehören zu den Renten der betrieblichen Altersversorgung alle Zahlungen von Institutionen oder aus Versicherungsverträgen, bei denen typischerweise ein Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu diesem Versorgungssystem und dem Erwerbsleben besteht. Die Modalitäten des individuellen Rechtserwerbs bleiben dabei ebenso unberücksichtigt wie die Frage, auf wessen Beiträgen die Zahlungen beruhen (BSG in Sozialrecht 4 - 2500 § 229 Nr. 7).

Hingegen hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Typisierung als betriebliche Altersversorgung ausschließlich nach der auszahlenden Institution die zulässige Grenze dann überschreitet, wenn die Zahlungen auf einem nach Ende des Arbeitsverhältnisses geänderten oder ab diesem Zeitpunkt neu abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrages zwischen Pensionskasse und Versichertem beruhen, an dem der frühere Arbeitgeber nicht mehr beteiligt ist und in den nur der Versicherte Beiträge einbezahlt hat. Diese Fallkonstellation ist vorliegend erkennbar nicht gegeben. Vielmehr wurde der Vertrag als betriebsbezogene Versicherung weitergeführt, unabhängig davon, dass die Klägerin offensichtlich seit August 1979 nicht mehr im Unternehmen ihres Vaters tätig war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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