OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.02.2021 - 7 A 10826/20
Fundstelle
openJur 2021, 14246
  • Rkr:
Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 18. Oktober 2019 wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.

Er ist 1984 in Marokko geboren und marokkanischer Staatsangehöriger. Im Alter von einem Jahr reiste er gemeinsam mit seiner Familie (Eltern und 4 älteren Geschwistern) in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er - ebenso wie seine Eltern und nunmehr fünf Geschwister - seitdem seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. 1997 erhielt er erstmals eine Aufenthaltserlaubnis für minderjährige Kinder unter 16 Jahren, die zunächst bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres befristet war, und die ab dem 13. Oktober 2000 in eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis überführt wurde. Seit dem 1. Januar 2015 ist der Kläger Inhaber einer Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG i. V. m. § 101 AufenthG.

Nach dem Besuch der Grund- und Hauptschule erwarb der Kläger im Juni 2000 den Hauptschulabschluss. Eine Ausbildung absolvierte er im Anschluss nicht und ging über einen nicht näher spezifizierten Zeitraum Gelegenheitsarbeiten für unterschiedliche Firmen nach. Laut Meldebogen verzog er im August 2013 in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten und bewohnte zusammen mit seiner Lebensgefährtin eine gemeinsame Wohnung.

Im August 2014 begann er eine Ausbildung als Koch, die er aus gesundheitlichen Gründe allerdings abbrach. Ab dem 12. April 2018 - nach Entlassung aus der Haft - war der Kläger als ungelernter Koch in einer Gaststätte in N. berufstätig. Seit Mai 2019 ist der Kläger im Restaurant "H." unbefristet als Koch in Vollzeit zu einem Verdienst von aktuell 946,- € monatlich angestellt.

Der Kläger ist ledig und kinderlos. Er lebt nach eigenen Angaben seit Anfang/Mitte 2012 in einer festen Beziehung mit seiner Lebensgefährtin, die im Libanon geboren ist, als Kind im Jahre 1986 nach Deutschland kam, mittlerweile einen türkischen Pass erhalten hat und über ein humanitäres Aufenthaltsrecht verfügt. Nach Angabe des Klägers sind sie verlobt. Eine Eheschließung habe bisher aufgrund von Problemen bei der Beschaffung einer Geburtsurkunde seiner Verlobten nicht erfolgen können.

Vor seinem Zuzug in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten hatte der Kläger seinen Lebensmittelpunkt zumeist in L.. Spätestens im Frühjahr 2005 glitt der Kläger in das kriminelle Milieu von L. ab und unterhielt ausgeprägte Kontakte zur örtlichen Drogenszene. Nach dem von ihm geschilderten Suchtverlauf begann er mit ca. sechzehn Jahren selbst mit dem zunächst gelegentlichen Konsum von Cannabis, ab dem 20. Lebensjahr mit steigender Tendenz zum regelmäßigen Konsum von täglich 3 bis 4 Gramm Marihuana, sowie später mit dem Konsum von Kokain, wobei sich sein Konsum auch hier bis zu täglich 2 bis 3 Gramm Kokain über 6 Monate vor seiner Inhaftierung im November 2008 stetig steigerte. Nach einer stationären Drogenentwöhnungstherapie im Jahr 2010 wie auch im Jahr 2018 kam es zu Rückfällen und auch aktuell - wie bereits im Jahr 2012 - zu erneutem Konsum von THC und Kokain.

Der Kläger ist strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Am 4. Mai 2004 wurde der Kläger wegen des Erschleichens von Beförderungsleistungen zu einer Geldstrafe von 5 Tagessätzen à 10,00 € (Az.: 5172/Js 025818) verurteilt.

2. Am 18. Januar 2006 wurde er wegen versuchter Erpressung zu 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit - die er allerdings nicht vollumfänglich ableistetet und sodann 2 Wochen Jugendarrest verhängt wurden - verurteilt (Az.: 5172 Js 31534/04.Hw. 4 e Ls).

3. Im selben Jahr, am 25. August 2006 und am 29. September 2006, wurde er wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 30 Fällen (Az.: 5227 Js 0314118/05 und Az.: 5227 Js 7731/06) und sodann in 2 weiteren Fällen zu einer nachträglich durch Beschluss des Amtsgerichts Ludwigshafen vom 13. März 2007 gebildeten Gesamtstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt (Az.: 5227 Js 7731/06).

4. Durch Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 15. Juni 2009 (Az.: 5227 Js 15567/08 2) wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 71 Fällen, davon in 40 Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln und unerlaubtem bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils zufolge zusammengefasst der Sachverhalt zugrunde, dass der Kläger spätestens seit Oktober 2006 bis 7. Juli 2008 im Stadtgebiet von L. mit Betäubungsmitteln (fast ausschließlich Cannabis) gehandelt hat, um sich durch den gewinnbringenden Verkauf eine Einnahmequelle zu verschaffen, wobei er in einem Fall mit zwei gesondert Verfolgten Personen 1 Kilogramm Marihuana erwarb und gewinnbringend weiterverkaufte. In dieser Zeit war er selber Betäubungsmittelkonsument. Das Landgericht ging davon aus, dass der eigene Konsum für die Begehung der Taten ursächlich war und eine behandlungsbedürftige Drogenproblematik vorlag. Es legte dabei den Strafrahmen eines minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG zugrunde, obwohl die Grenze zur nicht geringen Menge überschritten war, da der Kläger geständig gewesen und ihm als Straßenverkäufer und "Laufbursche" bei der Beschaffung des Kaufgeldes eine untergeordnete Rolle zugekommen sei. Der Kläger trat im August 2009 die Haft an und wurde am 8. Juni 2010 nach § 35 BtMG zur Durchführung einer stationären Drogentherapie unter Zurückstellung des Strafrestes auf Bewährung aus der Strafhaft entlassen. Mit Beschluss des Landgerichts Frankenthal vom 20. Januar 2011 wurde der Rest der Freiheitsstrafe aus dem Urteil sodann zur Bewährung ausgesetzt und die Bewährungszeit auf zwei Jahre festgesetzt.

5. Am 1. August 2012 folgte eine Verurteilung durch das Amtsgericht Ludwigshafen (Az.: 5287 Js 23858/0) wegen Betruges im Rahmen des Bezugs von Arbeitslosengeld II zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen.

6. Durch Urteil des Amtsgerichts Andernach vom 27. März 2014 (2030 Js 2885/13.2b), in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Koblenz (2030 Js 2885/13 7 Ns) vom 24. März 2015, wurde der Kläger wegen vorsätzlichen unerlaubten Führens und Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten unter Einbeziehung einer weiteren Verurteilung des Amtsgerichts Neustadt vom 1. Juli 2014 (Az.: 5287 Js 16470/14 2 Cs ) wegen Erschleichens von Leistungen in 4 Fällen verurteilt. Ausweislich der strafgerichtlichen Feststellungen führte der Kläger am 20. November 2012 ein Fahrzeug, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, wobei er dabei unter dem Einfluss von Drogen in Form von Cannabis, Kokain und Amphetamin stand. Auf der Fahrt führte er zudem - ohne im Besitz einer entsprechenden Erlaubnis zu sein - eine voll funktionsfähige, aber nicht geladene halbautomatische Kurzwaffe Kaliber 8 mm nebst einem Magazin mit 2 Patronen mit sich, die er griffbereit im Ablagefach der Fahrertür deponiert hatte. In Bezug auf die zwei Mitinsassen im Auto lagen polizeiliche Erkenntnisse über Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz vor. Bei Tatbegehung stand der Kläger unter laufender Bewährung. Die Herkunft der Waffe blieb ungeklärt. Im September 2015 trat der Kläger seine Haft an. Mit Beschluss des Landgerichts Frankenthal - Strafvollstreckungskammer - vom 12. November 2015 wurde die gewährte Aussetzung der Restfreiheitsstrafe betreffend die Verurteilung vom 15. Juni 2009 widerrufen. Hierdurch verlängerte sich die Haftdauer um 19 Monate. Aufgrund der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung mit einer Bewährungszeit von drei Jahren mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16. November 2017 wurde der Kläger am 5. Dezember 2017 aus der Haft entlassen.

7. Zuletzt wurde der Kläger mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 1. September 2020 wegen des Besitzes von zwei "Joints" ohne die dafür erforderliche betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis und mit Strafbefehl vom 2. Oktober 2020 wegen vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeugs ohne Fahrerlaubnis sowie Gebrauchmachen eines Fahrzeugs ohne bestehenden Haftpflichtversicherungsschutz zu einer mit Urteil vom 17. Dezember 2020 (Az. 2 Ca 5427 Js 20919/20 - 5051 VRs und 2 Cs Js 20633/20 - 5051 VRs) festgesetzten Geldstrafe je Strafbefehl von 50 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Es wurde festgestellt, dass der Kläger am 6. März 2020 einen Roller ohne den erforderlichen Versicherungsschutz und ohne die gültige Fahrerlaubnis und unter Drogeneinfluss (der Urintest und die spätere Blutprobe verlief positiv auf THC und Kokain) geführt hat.

In Reaktion auf die strafrechtlichen Verurteilungen wurden mehrere ausländerrechtliche Maßnahmen ergriffen. Nach den Auffälligkeiten insbesondere auf dem Gebiet des Betäubungsmittelrechts im Jahr 2006 wurde der Kläger ausländerbehördlich erstmals verwarnt. Nach der Verurteilung vom 15. Juni 2009 hörte die damals zuständige Ausländerbehörde der Stadt L. den Kläger Anfang 2010 zur beabsichtigten Ausweisung an und holte bei der Justizvollzugsanstalt Frankenthal eine Sozial- und Legalprognose vom 21. Januar 2010 ein. Diese attestierte dem Kläger aufgrund seines Haftverhaltens und einer angestrebten stationären Drogentherapie eine positive Prognose, so dass der Kläger sodann am 8. Juni 2010 gemäß § 35 BtMG aus der Strafhaft entlassen wurde. Eine Ausweisungsentscheidung erging in der Folgezeit nicht.

Der Kläger wurde im Januar 2013 wegen der im Jahr 2012 abgeurteilten Straftaten erneut ausländerrechtlich eindringlich verwarnt und darauf hingewiesen, dass nur für den Fall eines künftig straffreien Verhaltens ein Absehen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in Aussicht gestellt werde. Nachdem die Ausländerbehörde von den Vorgängen, die Grundlage der Verurteilung durch das Amtsgericht Andernach vom 27. März 2014 waren, Mitteilung erhalten hatte, wurde der Kläger zur beabsichtigen Ausweisung angehört, wobei er auf seine familiären Bindungen und Integration in Deutschland verwies. Die aufgrund der beabsichtigten Ausweisung angeforderte und am 21. April 2016 ausgestellte Sozialprognose der Haftanstalt führte zunächst aus, dass aufgrund der abnehmenden Kriminalität von einer Stabilisierung des Klägers ausgegangen werde. Das Vollzugsverhalten sei beanstandungsfrei und regelkonform. Er zeige sich behandlungs- und mitarbeitswillig, wirke problemeinsichtig und änderungsmotiviert und verhalte sich im Vollzug kooperativ und regelkonform. Nach eigenen Angaben lebe er weitgehend drogenabstinent, räume jedoch gelegentlichen Cannabiskonsum ein. In einer ergänzenden Sozialprognose vom 20. Juli 2016 wurden die günstigen Einschätzungen jedoch revidiert. Seit dem 24. Mai 2016 befand sich der Kläger zunächst im offenen Vollzug, wurde aus diesem jedoch am 20. Juli 2016 wieder abgelöst, da er wiederholt von genehmigten Ausgängen im offenen Vollzug nicht termingerecht zurückgekehrt und seinen Mitteilungspflichten nicht nachgekommen war. Die erforderliche Absprachefähigkeit als Grundvoraussetzung für einen positiven Bewährungsverlauf, könne - so der Bericht - nicht erkannt werden. Er habe nicht gewusst, die ihm gebotene Chance des offenen Vollzugs zu nutzen. Das Arbeitsverhältnis, dem er im Rahmen des offenen Vollzugs nachging, wurde gekündigt und eine Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug erfolgte. Bei Rückverlegung wurde beim Kläger zudem ein synthetisches Cannabinoid aufgefunden und die Urinprobe verlief positiv auf synthetische Cannabinoide. Das Ermittlungsverfahren diesbezüglich wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Mit Bescheid vom 12. April 2017 wies die Beklagte den Kläger sodann unter Berufung auf § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 3 AufenthG aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1), ordnete die Abschiebung nach Marokko aus der Haft an (Ziffer 2) bzw. für den Fall der Haftentlassung forderte die Beklagte den Kläger auf, das Bundesgebiet innerhalb von zwei Monaten nach der Bestandskraft oder Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung zu verlassen (Ziffer 3) und drohte dem Kläger hilfsweise die Abschiebung nach Marokko an (Ziffer 4). Das durch die Ausweisung entstehende Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf die Dauer von 5 Jahren nach erfolgter Abschiebung befristet (Ziffer 5). Sein Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG, namentlich sein Aufenthalt in Deutschland seit seinem ersten Lebensjahr, der Besitz einer Niederlassungserlaubnis und die starke Bindung zu seiner Familie sowie die scheinbar stabile Partnerschaft, trete im Wege der Abwägung hinter dem öffentlichen Interesse an einer Ausreise zurück.

Gegen den Bescheid erhob der Kläger unter Hinweis auf seine stabile Beziehung zu seiner Lebensgefährtin - auch in Zeiten der Inhaftierung - Widerspruch. Sie beabsichtigten zu heiraten, was bislang an dem Umstand gescheitert sei, dass seine Partnerin im Libanon keine Geburtsurkunde erhalten könne. Auch habe er sich mittlerweile einer Suchttherapie unterzogen und besuche regelmäßig die Fachstelle Sucht.

Mit Beschluss des Landgerichts Frankenthal - Kleine Strafvollstreckungskammer - vom 9. Mai 2017 wurde die Vollstreckung der Strafreste nach Verbüßung von mehr als 2/3 der Strafe aus dem Urteil vom 15. Juni 2009 und vom 27. März 2014 zunächst nicht zur Bewährung ausgesetzt. Der Kläger sei nach Aussetzung der Reststrafe auf Bewährung im Jahr 2011 im Anschluss erneut dreimal straffällig geworden. Auch das angeführte stabile soziale Umfeld und eine berufliche Tätigkeit habe ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten und es sei zum Widerruf der Strafaussetzung gekommen. Er habe ein massives, noch nicht ausreichend bearbeitetes Drogenproblem, welches einer vorzeitigen Entlassung erkennbar entgegenstehe. Er habe während des Strafvollzugs synthetische Drogen konsumiert. Damit habe er gezeigt, dass es ihm an der nötigen Kontroll- und Abstinenzfähigkeit mangele. Auch die Chance des offenen Vollzuges habe er nicht genutzt.

Am 16. November 2017 erfolgte sodann mit Beschluss der Kleinen Strafvollstreckungskammer (3 SVK 46/16 - LG Frankenthal) die Aussetzung der Reststrafe nach Verbüßung von 2/3 der Strafe aus dem Urteil vom 27. März 2014 zur Bewährung unter Festsetzung einer Bewährungszeit auf 3 Jahre. Es könne erwartet werden, dass sich der Kläger straffrei führe und die stationäre Drogentherapie erfolgreich absolvieren würde. Der Kläger zeige sich in Bezug auf die Drogenproblematik therapiemotiviert und habe in der Haft an der Gesprächsgruppe der externen Suchtberatung teilgenommen. In der Haft habe er sich beanstandungsfrei geführt. Das soziale Umfeld sei günstig. Er habe sich bereits vor der derzeitigen Inhaftierung von seinem ungünstigen sozialen Umfeld in L. abgewandt. Zugleich wurde dem Kläger unter anderem die Weisung (Nr. 3.1) erteilt, noch am Tage der Haftentlassung eine - zuvor bereits bewilligte - stationäre Rehabilitationsmaßnahme im Hinblick auf seine Drogenabhängigkeit zu beginnen und die Behandlung nicht ohne ausdrückliche Empfehlung der zuständigen Therapeuten zu beenden. Der Kläger wurde zudem angewiesen, sich einmal monatlich bei der zuständigen Bewährungshelferin zu melden (Nr. 3.2 des Beschlusses). Überdies wurde dem Kläger auferlegt, den Konsum jeglicher Substanzen, die unter das Betäubungsmittelgesetz oder das Gesetz betreffend neue psychoaktive Stoffe fallen sowie als Ersatzdroge geeignete Medikamente, soweit diese Drogen oder Medikamente nicht ärztlich verordnet sind, zu unterlassen und die Abstinenz durch bis zu 8 Kontrollen jährlich auf Verlangen nachzuweisen (Nr. 3.6.).

Ab dem 18. Dezember 2017 unterzog sich der Kläger einer kombinierten Drogenentzugs- und Entwöhnungsbehandlung bei der Fachklinik der E.. Im Rahmen einer von der Ausländerbehörde angeforderten Sozial- und Legalprognose teilte die Fachklinik am 15. Februar 2018 mit, dass der Kläger nach einer Realitätserprobung am 11. Februar 2018 in die Klinik zurückgekehrt sei und angegeben habe, Kokain, Alkohol und THC konsumiert zu haben. Einem Schreiben der Bewährungshelferin des Klägers vom 2. Mai 2018 ist zu entnehmen, dass nach dem Rückfall die Behandlung in der stationären Therapie am 21. März 2018 bereits beendet worden sei. Ansonsten verliefe die Bewährung ohne Beanstandungen und der Rückfall sei selbstkritisch besprochen worden. Es lägen keine Hinweise für ein erneutes straffälliges Verhalten vor. Er unterhielte regelmäßig im Intervall von 14 Tagen Kontakt zur Fachstelle Sucht in N..

Der Stadtrechtsausschuss der Beklagten wies sodann mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2018 den Widerspruch unter Vertiefung der Ausführungen des Ausgangsbescheids zurück. Darüber hinaus verwies er auf das strafrechtliche Verhalten des Klägers seit 2006, das eine Wiederholungsgefahr für die Begehung künftiger Straftaten begründe, da die Schwere und die Intensität der Straftaten kontinuierlich zugenommen hätten und die meisten Straftaten wohl begangen worden seien, um seine seit Jahren bestehende Drogenabhängigkeit zu finanzieren. Auch bestehe weiterhin die ungelöste Drogenproblematik trotz einer bereits 2010 absolvierten stationären Drogentherapie. Aufgrund der nicht aufgearbeiteten Suchtproblematik erscheine trotz seiner stabilen Partnerschaft und Berufstätigkeit die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten wahrscheinlich. Auch hinreichende generalpräventive Gründe lägen aufgrund der äußersten Gefährlichkeit von Drogendelikten vor. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung seiner Bleibeinteressen verhältnismäßig. Zwar sei er in Deutschland aufgewachsen, habe sich jedoch nicht in die deutsche Gesellschaft - in sozialer wie auch wirtschaftlicher Hinsicht - integrieren können. Ihm sei es möglich sich in seinem Heimatland eine Existenzgrundlage zu schaffen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei anzunehmen, dass er sich auch in Deutschland mit seinen Eltern in seiner Muttersprache unterhalten habe, diese jedenfalls als erste Sprache erlernt habe.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben, zu dessen Begründung er sein bisheriges Vorbringen ergänzt und vertieft hat. Er hat auf sein nunmehr bestehendes unbefristetes Beschäftigungsverhältnis und seine Weiterbildung als Koch verwiesen. Von der Begehung von Straftaten nehme er Abstand. Fachärztlicherseits werde ihm ein ernsthafter Therapiewillen bescheinigt und eine gute Prognose gestellt. Er halte ambulanten Kontakt zur Suchtberatung in N.. Zudem leide er an Depressionen, die medikamentös und therapeutisch behandelt würden. Diesbezüglich sei ihm mit Feststellungsbescheid vom 28. Mai 2019 wegen einer psychischen Störung (Depressive Störung, Angststörung) ein Grad der Behinderung von 30 zuerkannt worden. Die Kontakte zur Suchtberatung habe er wegen der Belastung durch seine Arbeit nach Rücksprache mit der Bewährungshilfe im Herbst 2018 abgebrochen. Er konsumiere Haschisch in geringen Mengen nur, um am Abend besser einschlafen zu können. Andere Drogen nehme er nicht zu sich. Den Haschischkonsum könne er aus dem laufenden Einkommen finanzieren, ohne neue Schulden zu machen.

Die Beklagte hat die angegriffene Entscheidung weitgehend unter Bezugnahme auf die dort niedergelegten Gründe verteidigt und ergänzend auf den erneuten Drogenrückfall im Jahr 2018 verwiesen. Nach dem wiederholten Rückfall in den Drogenkonsum nach zwei stationären Therapien sei mit einem Erfolg ambulanter Maßnahmen nicht zu rechen.

Im laufenden Klageverfahren hat die Kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal am 4. Juli 2019 die Weisungen in Nrn. 3.2. und 3.6. verschärft. Der Kläger ist nunmehr angewiesen worden, sich mindestens alle 2 Wochen bei der Bewährungshilfe zu melden. Zugleich ist ihm unter Aufrechterhaltung des in Nr. 3.6. ausgesprochenen Konsumverbotes aufgegeben worden, sich zum Nachweis seiner Drogenabstinenz für die nächsten 6 Monate monatlich Urinkontrollen nach Aufforderung durch die Bewährungshilfe zu unterziehen. Anlass war die Mitteilung der Bewährungshilfe vom 17. Juni 2019, wonach der Kläger, der sich bis dahin an die Bewährungsauflagen gehalten habe, trotz 7-maliger Aufforderung die Urinkontrolle nicht abgegeben habe, ohne Rücksprache die Arbeitsstelle gewechselt und seit dem 20. Mai 2019 keine Gespräche mehr bei der Bewährungshilfe sowie der Suchtberatung wahrgenommen habe. Aufgrund der vergangenen Betäubungsmitteltaten, seines Drogenkonsums und insbesondere seines Rückfalls im offenen Vollzug nach Abschluss einer Drogentherapie gebe sein derzeitiges Verhalten Anlass zu der Besorgnis eines erneuten Drogenkonsums und damit erneuter Betäubungsmitteltaten.

Das Verwaltungsgericht hat nach Vernehmung der Bewährungshelferin als Zeugin zum Bewährungsverlauf und zur Bewährungsprognose des Klägers der Klage mit Urteil vom 18. Oktober 2019 stattgegeben und den Bescheid vom 12. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2018 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in den Schutzbereich des Familien- und Privatlebens des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht gerechtfertigt sei. Die von dem Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch ausgehenden Gefahren rechtfertigten in Abwägung mit dem Bleibeinteresse derzeit nicht seine Entfernung aus dem Bundesgebiet, solange der Kläger nicht erneut Straftaten von solchem Gewicht begehe, die eine Aufenthaltsbeendigung auch unter Beachtung der sehr langen Dauer seines bisherigen rechtmäßigen Aufenthaltes möglicherweise angemessen und erforderlich erscheinen ließen. Aufgrund seiner Einreise im Alter von einem Jahr, der Sozialisation als Kind im Bundesgebiet, der Grundschulschulbildung und der Erlangung eines Hauptschulabschlusses im Bundesgebiet, seinen Bindungen zu den hier aufhältigen übrigen Familienmitgliedern, den Zeiten seiner Erwerbstätigkeit und vor allem wegen der Gesamtaufenthaltsdauer von 34 Jahren sei von einer weitreichenden Verwurzelung des Klägers in Deutschland und zugleich von seiner erheblichen Entfremdung von den Lebensverhältnissen in Marokko auszugehen. Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Familien- und Privatleben sei daher sehr schwerwiegend. Hinzu käme, dass das Fortbestehen sozialer Bindungen des Klägers in Marokko nicht erkennbar sei. Die Einreise und der Aufenthalt dort wären für den Kläger nach Lage der Dinge ein völliger Neubeginn, bei welchem der Kläger, der zudem suchtkrank sei und dem ein Grad der Behinderung von 30 v.H. behördlich bescheinigt worden sei, weitgehend auf sich selbst gestellt wäre. Zwar sei die zu erstellende Verhaltens- und Legalprognose derzeit eindeutig negativ; es sei davon auszugehen, dass die Cannabissucht des Klägers unbehandelt fortbestünde. Allerdings lägen keine - von der Rechtsprechung des EGMR im Falle der Ausweisung von Ausländern der sogenannten "zweiten Generation" zur Eingriffsrechtfertigung geforderten - sehr gewichtigen Gründe vor. Es sei im Fall des Klägers nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er zukünftig Straftaten begehen werde, die von solchem Gewicht seien, dass sie den Abbruch des langjährigen Aufenthaltes und der langjährigen sozialen Beziehungen im Bundesgebiet aufwögen. Er habe sich nachhaltig und glaubhaft von seinem vergangenen kriminellen Verhalten distanziert, da er seit 2014, auf dem Gebiet des Betäubungsmittelstrafrechts seit 2009, polizeilich nicht mehr in Erscheinung getreten sei. Auch generalpräventive Gesichtspunkte könnten den Eingriff nicht rechtfertigen, da an die individuelle Rechtfertigung einer generalpräventiven Ausweisung keine geringeren Anforderungen zu stellen seien.

Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend: Die Aussage des Verwaltungsgerichts, dass der mit einer Ausweisung nach Marokko entstehende Neubeginn deshalb unzumutbar schwerwiegende Nachteile mit sich bringen würde, weil das "Fortbestehen sozialer Bindungen des Klägers in Marokko nicht erkennbar sei", sei nicht belegt und nachvollziehbar. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass die Familie des Klägers lediglich aus der in Deutschland lebenden Kernfamilie bestehe. Im Übrigen tritt sie dem Abwägungsergebnis der Vorinstanz im Einzelnen entgegen. Auch das Verwaltungsgericht gehe von einer negativen Verhaltens- und Legalprognose und einer fortbestehenden Cannabissucht aus und ließe bei der Abwägung außer Acht, dass diese nicht überwundene Drogenproblematik in der Vergangenheit immer wieder zu schwerem kriminellen Verhalten des Klägers geführt habe. Bei der Bewertung des Zeitraums, in dem der Kläger nicht straffällig geworden sei, habe es unzureichend berücksichtigt, dass der Kläger erst im Dezember 2017 aus der Haft entlassen worden sei. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger im Laufe des Verfahrens erneut umfassend strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, hätte die Abwägung gegenteilig ausfallen müssen. Die negative Legalprognose werde dadurch untermauert, dass er erneut harte Drogen wie Kokain genommen habe.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 18. Oktober 2019 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die angegriffene Entscheidung und führt weitergehend aus, dass die beiden jüngsten Straftaten ersichtlich im Zusammenhang mit der Suchterkrankung von Betäubungsmitteln stünden, die auch im Zusammenhang mit seiner depressiven Störung und Angststörung zu sehen sei. Ihm sei klar geworden, dass er seine Suchterkrankung nicht ohne eine durchgehaltene stationäre Therapie in den Griff bekommen werde. Er habe sich bereits im vergangenen Jahr darum bemüht, eine stationäre Therapie zu erhalten. Ihm sei mit Bescheid vom 18. September 2020 eine stationäre Therapie seitens der Deutschen Rentenversicherung bewilligt worden. Ursprünglich habe er die Therapie bereits Ende 2020 antreten sollen. Aufgrund der Entwicklungen der Coronapandemie habe er dann zunächst eine Aufnahmezusage für den 1. März 2021 erhalten, die sich jedoch nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung aufgrund der notwendigen Koordinierung mit der Entgiftung wiederum verzögern würde. Ergänzend legt der Kläger u.a. seinen Suchtverlauf und einen fachärztlichen Befundbericht zum Antrag auf Rehabilitation des Dr. M. vom 4. August 2020 vor. Dieser führt aus, dass der Kläger seine Suchterkrankung bisher unterschätzt habe. Er konsumiere täglich Cannabis oder trinke übermäßig Alkohol. Eine stationäre Therapie sei dringend erforderlich. Aufgrund der hohen Motivation und guten Krankheitseinsicht erscheine die Prognose ausreichend günstig.

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat unter dem 24. Februar 2021 mitgeteilt, sie habe eine Verlängerung der Bewährungsfrist um zwei Jahre beantragt. Eine Entscheidung stehe noch aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die vorgelegten Verwaltungs- und Widerspruchsakten, die Strafakten 2 Cs 5427 Js 20919/20 und 2 Cs 5316 Js 20633/20 sowie die gefertigten Auszüge aus der Strafvollstreckungsakte 3 StVK 463/16 des Landgericht Frankenthal Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

Die Berufung der Beklagten, über die trotz Ausbleiben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden kann, da diese ordnungsgemäß geladen und auf die Folgen des Nichterscheinens hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage - zumindest nach nunmehriger Sachlage - abweisen müssen. Die unter Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids der Beklagten vom 12. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2018 verfügte Ausweisung ist wie auch die ausgesprochene Abschiebungsandrohung nach Marokko in Ziffer 4 und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 5 Jahre in Ziffer 5 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

I. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung sowohl der Ausweisung als auch hinsichtlich der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr; vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13/11 -, BVerwGE 144, 230 = juris, Rn. 16, m.w.N. [zur Ausweisung]; BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 27/16 -, BVerwGE 157, 356 = juris, Rn. 12 [zur Befristungsentscheidung]). Grundlage der Ausweisung sind danach die Vorschriften des § 53 i.V.m. § 54 und § 55 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - und für die Befristungsentscheidung § 11 AufenthG, jeweils in der seit 21. August 2019 geltenden Fassung des Gesetzes vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294).

1. Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, wenn erstens dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet und zweitens die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

§ 53 Abs. 2 AufenthG benennt in Anlehnung an die zu Art. 8 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK - entwickelten sogenannten "Boultif/Üner-Kriterien" Gesichtspunkte, die bei der Abwägung nach Absatz 1 im Einzelfall zu berücksichtigen sind, "insbesondere" - also nicht abschließend - die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechts-treu verhalten hat. Dabei erfolgt die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland auf der Tatbestandsseite einer gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3/16 -, BVerwGE 157, 325 = juris, Rn. 23).

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3/16 -, BVerwGE 157, 325 = juris, Rn. 23).

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3/16 -, BVerwGE 157, 325 = juris, Rn. 24).

Die in § 54 AufenthG enthaltenen Tatbestände erfüllen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017- 1 C 3/16 -, BVerwGE 157, 325 = juris, Rn. 26) zwei Funktionen: Zuvorderst wird den dort benannten Ausweisungsinteressen ein besonderes Gewicht für die nach § 53 Abs. 1 Halbs. 2 AufenthG geforderte Abwägung zugewiesen. Gleichzeitig sind die typisierten und gewichteten Ausweisungsinteressen gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG, zu deren Schutz die Ausweisung erfolgt. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung der zu schützenden Rechtsgüter in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass - wie von § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzt - der (weitere) Aufenthalt des Ausländers die durch eine Ausweisung zu schützenden Rechtsgüter gefährdet.

Dies ist zum einen dann anzunehmen, wenn die von dem Ausländer ausgehende, durch die Verwirklichung eines Tatbestands nach § 54 AufenthG dokumentierte Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (Spezialprävention). Zum anderen lässt sich eine Gefährdung im Sinne des § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG für die dort genannten Schutzgüter auch weiterhin generalpräventiv begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 - 1 C 16/17 -, BVerwGE 162, 349 = juris, Rn. 16; Urteile des Senats vom 23. Mai 2017 - 7 A 11445/16.OVG -, juris, Rn. 44 ff. und vom 5. April 2018 - 7 A 11529/17 -, juris, Rn. 32 ff.; BayVGH, Beschluss vom 19. September 2016 - 19 CS 15.1600 -, juris, Rn. 34; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 61 ff.; Tanneberger, in: BeckOK AuslR, Stand: 01/2021, § 53 AufenthG Rn. 29 ff.).

2. Nach diesen Maßstäben überwiegt vorliegend das öffentliche Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers und sein Aufenthalt gefährdet durch die Ausweisung zu schützende Rechtsgüter.

a. Es liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, da der Kläger wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Das Landgericht Frankenthal verurteilte den Kläger am 15. Juni 2009 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten u.a. wegen des Erwerbs und bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Zusätzlich folgt aus der Verurteilung vom 27. März 2014 zu 1 Jahr und 3 Monaten Freiheitsstrafe wegen des unerlaubten Führens und des Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis ein schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG.

Es liegt auch kein Verbrauch des Ausweisungsgrundes aus dem Jahr 2009 durch die im Anschluss unterlassene Ausweisung vor. Zwar wird der faktische oder erklärte "Verzicht" auf die Ausweisung grundsätzlich zu einem "Verbrauch" des aktuellen Ausweisungsgrundes führen. Der dem Ausländer dadurch vermittelte Vertrauensschutz steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass sich die für die behördliche Entscheidung maßgeblichen Umstände nicht ändern. Sieht die Behörde anlässlich der strafgerichtlichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, von der Ausweisung ab, ist in der Regel davon auszugehen, dass sie sich die Überprüfung dieser Entscheidung für den Fall des Widerrufs der Strafaussetzung vorbehält (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 1999 - 1 C 11/99 -, juris, Rn. 20). So liegt der Fall hier. Die zur Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung führende positive Prognose im Jahr 2010 hat sich aufgrund der erneuten Straftaten im Jahr 2012, die zur Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Andernach vom 23. März 2014 und im Ergebnis zum Widerruf der Bewährung geführt haben, nicht bestätigt. Es steht der Beklagten daher zu, auf dieser Grundlage die Ausweisungsinteressen auch unter Berücksichtigung der Straftat aus dem Jahr 2009 erneut zu bewerten.

b. Der Kläger kann sich demgegenüber auf gesetzlich typisierte Bleibeinteressen berufen. Er kann ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs.1 Nr. 1 und 2 AufenthG geltend machen, da er seit dem 13. Oktober 2000 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und seit dem 1. Januar 2015 einer Niederlassungserlaubnis ist und sich daher über viele Jahre rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhält. Zudem wiegt das Bleibeinteresse auch deswegen besonders schwer, weil der Kläger, der im Alter von einem Jahr in die Bundesrepublik eingereist ist, seine wesentliche Prägung im Bundesgebiet erfahren hat (vgl. BayVGH, Beschluss vom 4. April 2017 - 10 ZB 15.2062 - juris, Rn. 35 m.w.N.; EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 41548/06 - Trabelsi, juris, Rn. 53 f.). Allerdings verhindert auch dieser Umstand nicht von vornherein seine Ausweisung, sondern erfordert lediglich eine Abwägung der besonderen Umstände des Betroffenen und des Allgemeininteresses im jeweiligen Einzelfall (vgl. BayVGH, Beschluss vom 4. April 2017 - 10 ZB 15.2062 - juris, Rn. 35 m.w.N.).

c. Bei der ausgehend davon und unter Berücksichtigung der Vorgaben nach § 53 Abs. 2 AufenthG und Art. 8 EMRK im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung und gleichsam zur Bestimmung, ob der (weitere) Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ist es von maßgeblicher Bedeutung, inwieweit für den Kläger eine Wiederholungsgefahr für die ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründenden Straftaten angenommen werden kann. Bejahendenfalls wird dadurch neben einer spezialpräventiv begründeten Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG auch gleichzeitig die konkrete Gewichtung des Ausweisungsinteresses (mit-)bestimmt (vgl. Urteil des Senats vom 23. Mai 2017 - 7 A 11445/16.OVG -, juris, Rn. 53). Ohne entsprechende Wiederholungsgefahr wäre auf Grundlage der Generalprävention die Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand der hierfür geltenden und in der Regel strengeren Vorgaben (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012- 1 C 7/11 -, juris, Rn. 20 ff. [zu § 56 a.F.]) durchzuführen.

aa. Bei der Ausweisungsentscheidung haben die Verwaltungsgerichte auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalls eine eigene Beurteilung und Prognoseentscheidung vorzunehmen, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19/11 -, BVerwGE 143, 277 = juris, Rn. 17). Bei der Prognose der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftaten, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, die Persönlichkeitsstruktur des Täters sowie sein Nachtatverhalten, gegebenenfalls eine therapeutische Aufarbeitung des Geschehenen sowie seine Entwicklung und Lebensumstände zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16. Februar 2018 - 10 ZB 17.2063 -, juris, Rn. 9). Bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung sind im Rahmen der tatrichterlichen Prognose der Wiederholungsgefahr umso geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19/11 -, BVerwGE 143, 277 = juris, Rn. 16; BayVGH, Beschluss vom 16. Februar 2018 - 10 ZB 17.2063 - juris, Rn. 9; Urteil des Senats vom 30. Juli 2010 - 7 A 11230/09 -, juris, Rn. 34). Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet; vielmehr dürfen an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19/11 -, BVerwGE 143, 277 = juris, Rn. 16). Die Wiederholung vergleichbarer Straftaten muss ernsthaft zu besorgen sein.

bb. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs und insbesondere der jüngsten Entwicklungen ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Begehung vergleichbarer Straftaten beim Kläger gegeben.

Zunächst führt allein der Umstand, dass die Reststrafe der letzten Verurteilung vom 24. März 2015 mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16. November 2017 zur Bewährung ausgesetzt worden ist, nicht bereits für sich genommen zum Ausschluss der Wiederholungsgefahr. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts treffen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr. Dabei sind sie an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 Strafgesetzbuch - StGB - sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar. Von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Januar 1997 - 1 C 17/94 -, juris, und vom 15. Januar 2013 - 1 C 10/12 -, juris, Rn. 18).

Dies folgt aus den unterschiedlichen Zwecken der vorzeitigen Haftentlassung und Ausweisung, die deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit gegebenenfalls unter Auflagen "offen" inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Die der Ausweisung zugrunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich demgegenüber nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Betroffenen während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2013 - 1 C 10/12 -, juris, Rn. 19).

Diese Indizwirkung der Reststrafenaussetzung zur Bewährung führt zu keiner positiven ausländerrechtlichen Prognose, da der Kläger die Erwartung, das Potenzial zu haben, sich in der Bewährungszeit straffrei zu führen, nicht erfüllt hat. Insbesondere hat er erheblich gegen die Weisungen des Bewährungsbeschlusses aufgrund des anhaltenden und sich zuspitzenden Drogenkonsums verstoßen. Dieses Verhalten hat bereits zu einer Verschärfung der Weisungen durch Beschluss vom 4. Juli 2019 geführt und aktuell dazu, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund des erneuten Verstoßes auch gegen diese verschärften Weisungen eine Verlängerung der Bewährungszeit um weitere zwei Jahre beantragt hat. Auch wenn es nicht zu einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung kommt, so besteht dennoch Anlass zur Überprüfung des Aussetzungsbeschlusses und damit selbst der dortigen Prognoseentscheidung, da der Kläger seine ihm eingeräumten Chancen sich zu bewähren, in dem bisherigen Zeitraum ungenutzt gelassen hat. Auch das von ihm angeführte stabile Umfeld und eine berufliche Tätigkeit habe ihn nicht von der Begehung weiterer - wenn auch nicht erheblicher - Straftaten, wiederum unter Drogeneinfluss abhalten lassen. Er hat weiterhin ein massives, noch nicht ausreichend aufgearbeitetes Drogenproblem und damit gezeigt, dass es ihm an der nötigen Kontroll- und Abstinenzfähigkeit mangelt. Durch seinen andauernden - und nunmehr auch harte Drogen umfassenden - Drogenkonsum, wie auch der unter Drogeneinfluss stehende erneute Verstoß gegen Strafvorschriften lässt die Indizwirkung entfallen, da selbst das Strafvollstreckungsgericht ausweislich seines Beschlusses vom 4. Juli 2019 Anlass zur Besorgnis hatte, dass der Kläger aufgrund des Drogenkonsums erneut Betäubungsmitteltaten begehen könnte. Aus der Prognoseentscheidung der Strafvollstreckungskammer vom November 2017 kann der Kläger folglich für sich keine positiven Gesichtspunkte ableiten.

Vom weiteren Aufenthalt des Klägers in Deutschland geht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus (§ 53 Abs. 1 AufenthG).

Aufgrund des Verhaltens des Klägers in der Vergangenheit ist zunächst von einer hohen Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung von Straftaten auszugehen, soweit es um Delikte wie den jüngst verwirklichten Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis oder des unberechtigten Besitzes von Betäubungsmitteln geht, da der Kläger bis heute über keine Fahrerlaubnis verfügt und ihn dies bisher wiederholt nicht davon abgehalten hat, dennoch ein Fahrzeug zu führen. Auch hinsichtlich des Erwerbs bzw. Besitzes von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum besteht eine hohe Wiederholungsgefahr allein aufgrund der unbewältigten Drogensucht des Klägers. Zwei Drogentherapien, die beide irregulär beendet wurden, die mehrfache Verhängung und Vollstreckung von Freiheitsstrafen und auch Geldstrafen wie auch eine laufende Bewährung haben in der Vergangenheit nicht zu einer dauerhaften Abstinenz von Drogen geführt und ihn von weiteren Taten abgehalten. Begründete Anhaltspunkte dafür, dass die derzeit noch offene Bewährungsstrafe daran etwas ändern wird, sind nicht erkennbar bzw. durch die letzte Tat deutlich widerlegt. Die Drogenabhängigkeit, aus der die Straftaten ganz überwiegend herrühren, ist nicht bewältigt. Sämtliche Therapien und andere Bewältigungsstrategien wie auch ein Wandel der Lebensumstände (neue Lebensgefährtin seit 2012 und ein Wohnortswechsel) sind bislang gescheitert. Der bis dato wiederholt erklärten und aktuell durch eine Aufnahmezusage einer Fachklinik bekräftigten Therapiebereitschaft kann hier aufgrund der zahlreichen Fehlschläge und bisher ausbleibenden Erfolge daher kein besonderes Gewicht beigemessen werden.

Aber auch die Begehung weiterer, ein besonders schwerwiegendes oder ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründende Straftaten steht hier unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls ernstlich zu befürchten.

Ausgangspunkt der Prognoseentscheidung bildet die Verurteilung vom 15. Juni 2009 zu der erheblichen Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten wegen gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge über knapp zwei Jahre hinweg. Dabei ging die Strafkammer von einem minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 Betäubungsmittelgesetz - BtMG - aus, da der Kläger in der Bande eine untergeordnete Rolle gespielt, es sich um die "weiche" Droge Marihuana gehandelt habe und die tatgegenständlichen Mengen nicht so erheblich gewesen seien. Dennoch hat der Kläger den erheblichen Straftatbestand der bandenmäßigen Begehung verwirklicht und damit eine erhebliche kriminelle Energie bewiesen. Der Regelstrafrahmen nach § 30a Abs. 1 StGB sieht eine Mindeststrafe von 5 Jahren Freiheitsstrafe vor. Diese hohe Mindeststrafe dient der Verhinderung der Wiederholung solcher Straftaten dadurch, dass Bandenmitglieder für lange Zeit aus dem Verkehr gezogen werden. Sie soll zudem auch in erheblichem Maß generalpräventiv wirken (vgl. Oğlakcıoğlu, in: MüKoStGB, 3. Aufl. 2018, BtMG § 30a Rn. 1). Des Weiteren ging auch die Strafkammer davon aus, dass der eigene Konsum des Klägers für die Begehung der Taten ursächlich war und bei ihm eine behandlungsbedürftige Drogenproblematik vorliege. Vor allem die herabgesetzte Hemmschwelle zur Begehung der Tat aufgrund der eigenen Drogenabhängigkeit, aber auch die hier besonders gefährliche und sozialschädliche Straftat der organisierten Betäubungsmittelkriminalität prägen mithin die Umstände der Tat.

Diese Umstände - wenn auch nicht in exakt der gleichen Ausprägung - weisen auch einen aktuellen Bezug auf, da bei der sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose und der betroffenen Rechtsgüter vor allem der - auch aktuelle - Drogenkonsum des Klägers zu berücksichtigen ist. Der Kläger ist bereits wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln strafrechtlich in Erscheinung getreten. Dabei hat er sich, ausgelöst durch seinen eigenen Drogenkonsum und trotz bereits erfolgter einschlägiger Vorstrafe im Jahr 2006, über zwei Jahre hinweg im direkten Anschluss zur einschlägigen strafrechtlichen Verurteilung u.a. mit bandenmäßigem Handel mit Cannabis ein Einkommen verschafft. Insoweit ist bezogen auf die zu schützenden Rechtsgüter zu unterscheiden, ob allein durch Vermögensdelikte der Konsum finanziert werden soll oder ob auch durch ein Handeltreiben - wie beim Kläger - Einkünfte zur Finanzierung des eigenen Konsums erzielt werden. Denn die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die durch die Verbreitung von Betäubungsmitteln betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit einer Vielzahl Dritter haben einen besonders hohen Rang (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 14. März 2017 - 7 B 11061/16.OVG -, ESOVGRP m.w.N. und Urteil vom 23. Mai 2016 - 7 A 11445/16.OVG -, juris, Rn. 58). In der Zusammenschau sind danach aus der hier maßgebenden Sicht des Rechts der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angesichts des hohen Rangs der vom Kläger verletzten bzw. gefährdeten Rechtsgüter an die Annahme einer Wiederholungsgefahr keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Dies gilt selbst, wenn man in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 56 AufenthG a.F. zugunsten des Klägers annimmt, dass bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses im Sinne des § 55 Abs. 1 AufenthG ein strengerer Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzulegen ist (vgl. zur alten Rechtslage VGH BW Urteil vom 9. Juli 2003 - 11 S 420/03 -, juris, Rn. 27, Neidhardt, in: HTK-AuslR, Stand 19. Mai 2019, § 53 Abs. 1 AufenthG - Spezialprävention, Rn. 69 ff., m.w.N. zur bisherigen Rechtsprechung; Urteil des Senats vom 23. Mai 2016 - 7 A 11445/16.OVG -, juris, Rn. 58).

Auch sein überwiegend positives Verhalten in der Haft und sein mehrfach geäußerter Therapiewille lassen die Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Denn solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (vgl. BayVGH, Beschluss vom 29. Mai 2018 - 10 ZB 17.1739 - juris, Rn. 9). Wohlverhalten kommt insbesondere dann nur begrenzte Aussagekraft zu, wenn es unter der Kontrolle des Strafvollzugs und unter dem Druck eines Ausweisungsverfahrens steht (vgl. BayVGH, Beschluss vom 13.Oktober 2017 - 10 ZB 17.1469 - juris, Rn. 12). Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. hierzu BayVGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2018 - 10 ZB 17.1739 - juris, Rn. 9 m.w.N. und vom 11. März 2020 - 10 ZB 19.777 -, juris, Rn. 9).

Diese Gesichtspunkte gelten im Fall des Klägers im Besonderen, da das in der Haft gezeigte einsichtige und therapiewillige Verhalten sich bis heute nicht realisiert hat. Von dem zu fordernden dauerhaften Einstellungswandel und einer gefestigten Verhaltensänderung kann hier aufgrund des unbewältigten Drogenproblems nicht ausgegangen werden. Daran ändert auch der nunmehr erklärte Wille, sich in eine stationäre Drogentherapie zu begeben und auch bereits eine Aufnahmezusage zu haben, nichts. Selbst aus den Ausführungen des Dr. M. vom 4. August 2020 ergibt sich, dass der Kläger seine Suchterkrankung bisher unterschätzt habe, was jedoch vor dem Hintergrund der erheblichen Straftaten und Verurteilungen, der Bewährungsverstöße, des laufenden Ausweisungsverfahrens und zwei gescheiterter stationärer Drogentherapien schwer nachzuvollziehen ist. Vor allem jedoch gewährleistet allein der attestierte Therapiewille keinen dauerhaften Einstellungswandel und eine gefestigte Verhaltensänderung, wie die irregulär beendete Entwöhnungstherapie bereits im März 2018 nach Haftentlassung im Dezember 2017, trotz laufender Bewährung und bereits verfügter Ausweisung, nachdrücklich vor Augen führt. Auch seine Erklärungsversuche in Bezug auf die Kokaineinnahme im März 2020 zeugen von ungefestigten Verhaltensweisen. So gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, dass er vor seiner anstehenden Entgiftung und stationären Therapie noch einmal habe feiern wollen. Dies ist in Anbetracht der angeblichen und auch attestierten Einsicht in seine Drogensucht schwerlich nachzuvollziehen. Vor dem Hintergrund, dass er erst im August 2020 und damit erheblich nach dem Tattag im März 2020 die Kostenzusage der Therapie erhielt, ist diese Einlassung jedoch bereits untauglich, seinen Drogenkonsum zu erklären und lässt seine Problemeinsicht vermissen. An einer therapeutischen Aufarbeitung der den Taten zugrunde liegenden Problematik fehlt es vielmehr bis heute. Der Kläger steht noch nicht einmal am Anfang eines eigenständigen Lebens nach abgeschlossener Therapie und muss weiterhin viele Jahre lang nicht nur engmaschig betreut und versorgt, sondern auch kontrolliert werden. Es kann noch nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung des Klägers geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde.

Die persönlichen Umstände des Klägers und die Umstände der damaligen Tatbegehung sprechen daher ebenso für die ernsthafte Möglichkeit der erneuten Begehung einschlägiger Straftaten wie seine Persönlichkeitsstruktur und seine Lebensumstände. So gibt der Kläger selber an, dass er den Belastungen durch die Arbeit nicht gerecht werde, und deshalb bereits rückfällig geworden und den Bewährungsauflagen nicht nachgekommen sei. Damit scheint die regelmäßige Arbeit statt Struktur und stabile Lebensumstände zu bieten, vielmehr eine Quelle zusätzlicher Belastungen darzustellen, die ihm die Rückkehr zur Legalität erschwert. Auch misst er augenscheinlich den Weisungen des Bewährungsbeschlusses nicht die erforderliche Bedeutung bei, womit bereits erhebliche Zweifel an der Absprachefähigkeit- wie bereits im offenen Vollzug - und am Problembewusstsein des Klägers aufkommen. Auch aktuell hat er, wie sich aus den Strafbefehlen vom 1. September und 2. Oktober 2020 ergibt, trotz bereits erfolgter Verschärfungen erneut gegen die Bewährungsauflagen verstoßen, und dies, obwohl er sich bereits im Jahr 2015 einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ausgesetzt sah und auch der offene Vollzug widerrufen werden musste. Dies zeigt die auch aktuell weiterhin gegebene fehlende Anpassungsfähigkeit und Kontrollfähigkeit des Klägers.

Auch die Lebensumstände des Klägers - die sich zwar von denen im Jahr 2009 unterscheiden - lassen keine andere Bewertung zu. Dies zeigt bereits die Straftat aus dem Jahr 2012. Auch wenn es sich diesbezüglich nicht um ein Drogendelikt gehandelt hat, so stellt der unberechtigte Waffenbesitz ebenfalls eine Straftat mit erheblichem Gefährdungspotential dar, die nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG auch ein schweres Ausweisungsinteresse begründet. Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger diese Waffe unter Drogeneinfluss geführt hat und auch die Mitinsassen im Auto zum Zeitpunkt der Polizeikontrolle schon einschlägig im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität aufgefallen waren. Trotz stabiler Partnerschaft und festem Arbeitsplatz ist der Kläger nunmehr erneut straffällig geworden, wobei der Roller der letzten Straftat seiner Lebensgefährtin gehört und sie ihm diesen augenscheinlich trotz fehlenden Führerscheins und Drogenmissbrauchs zur Verfügung gestellt hat. Den notwendigen Halt gibt die Arbeit und Partnerschaft erkennbar nicht, vielmehr setzt ersteres ihn - wie ausgeführt - zusätzlichen Belastungen aus.

Die hier anzunehmende Wiederholungsgefahr gründet sich daher zum einen auf die strafrechtliche Laufbahn des Klägers, der - wie dargelegt - vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und sich auch eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten nicht zur Warnung hat reichen lassen. Zum anderen ist es für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr jedoch von maßgeblicher Bedeutung, dass die Straffälligkeit des Klägers in direktem Zusammenhang mit dessen Drogenkonsum steht. Er ist seit 2006 bis auf gewisse Pausen - die vielfach haftbedingt waren - straffällig geworden. Diese standen, bis auf wenige Ausnahmen und bei den schwerwiegenderen Straftaten immer, im deutlichen Zusammenhang zu seiner bis heute nicht bewältigten und jüngst augenscheinlich sich wieder zuspitzenden Drogensucht. Sein jüngstes Verhalten, dass zu den rechtskräftigen Strafbefehlen von September und Oktober 2020 geführt hat, belegt nachdrücklich, dass der Kläger auch unter dem Eindruck eines noch laufenden Ausweisungsverfahrens und Berufungsverfahren wie auch einer laufenden Bewährung sich nicht von der Begehung, wenn auch hier nicht schwerwiegender, Straftaten hat abhalten lassen. Dieses Verhalten belegt erneut, dass der Kläger unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln zu straffälligem Verhalten neigt und wiederum im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität in Erscheinung getreten ist. Die Einschätzung der im erstinstanzlichen Verfahren als Zeugin vernommenen Bewährungshelferin, dass in keinem Fall im Raum stünde, dass der Kläger Straftaten begehen werde, ist damit ebenso wiederlegt bzw. überholt, wie die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger zuletzt 2009 im Bereich der Betäubungsmittelstraftaten auffällig geworden sei. Gleiches gilt für Annahme, dass der Kläger sich glaubhaft von der Einnahme harter Drogen distanziert habe, da ausweislich der Feststellungen des Strafbefehls vom 2. Oktober 2020 und des toxikologischen Befundes der Universitätsmedizin Mainz vom 17. April 2020 der Kläger nun auch wieder harte Drogen in Form von Kokain konsumiert hat. Die Frage der Finanzierbarkeit und der Kontakt zur Drogenszene wird sich auch hier - wie bereits 2006 - zwangsläufig stellen. Zudem hat der Kläger Schulden gegenüber der Staatskasse, die sich aktuell wegen der Strafbefehle weiter erhöht haben. Diesen steht ein nur sehr geringes Gehalt von unter 1.000 € gegenüber. Diese Umstände lassen auch in Zukunft kein rechtstreues Verhalten erwarten, erst recht wenn ihm keine Ausweisung und kein Bewährungswiderruf mehr droht, da er sich selbst unter diesen davon unbeeindruckt zeigt. Dies gilt unabhängig davon, ob - im Rahmen einer Prognose schwerlich nachzuweisende - Anhaltspunkte für die Einbindung in das gewerbsmäßige Drogenmilieu bestehen. Allein ein Wohnortwechsel von L. in das nicht erheblich entfernte N. muss nicht zwingend zum Abbruch der Kontakte zum Milieu führen, da der Kläger augenscheinlich weiterhin über Bezugsquellen für seine Drogen verfügt.

cc. Hinzu tritt, dass vorliegend auch generalpräventive Gründe ein Ausweisungsinteresse begründen können. Wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, können schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch dann vorliegen, wenn von dem Ausländer selbst keine Wiederholungsgefahr mehr ausgeht, aber wegen der besonderen Schwere der Straftat ein dringendes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung generalpräventiv andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten (vgl. BVerwG, Urteile vom 9. Mai 2019 - 1 C 21/18 -, juris, Rn. 17 und vom 12. Juli 2018 - 1 C 16/17 -, BVerwGE 162, 349 = juris, Rn. 14 ff.; Urteil des Senats vom 5. April 2018 - 7 A 11529/17 -, juris, Rn. 37 ff.). Dies ist der Fall, wenn nach der Lebenserfahrung damit gerechnet werden kann, dass sich andere Ausländer mit Rücksicht auf eine kontinuierliche Ausweisungspraxis ordnungsgemäß verhalten. Behörden und Gerichte dürfen grundsätzlich davon ausgehen, dass eine aus Anlass einer strafgerichtlichen Verurteilung verfügte Ausweisung zur Verwirklichung dieses Zwecks - wenn auch in unterschiedlichem Maße - geeignet ist. Erforderlich ist, dass es Ausländer gibt, die sich in einer mit dem Betroffenen vergleichbaren Situation befinden und sich durch dessen Ausweisung von gleichen oder ähnlichen strafbaren Handlungen abhalten lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1996 - 1 C 9/94 -, BVerwGE 102, 63 = juris, Rn. 24; Urteil des Senats vom 5. April 2018 - 7 A 11529/17 -, juris, Rn. 44). Dies gilt grundsätzlich auch bei in Deutschland verwurzelten Ausländern (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7/11 -, BVerwGE 142, 29 = juris, Rn. 20 ff.).

Die Ausweisung des Klägers ist grundsätzlich geeignet, andere Ausländer - und insbesondere solche, die dem Drogenmilieu im Umfeld des Klägers angehörten - von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten. Die Ausweisung führt zum Verlust etwaiger Aufenthaltstitel (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG), hindert in der Regel die Erteilung eines Aufenthaltstitels insbesondere auch für abgelehnte Asylbewerber (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), beendet damit den erlaubten Aufenthalt in der Bundesrepublik und begründet demnach eine Ausreisepflicht des Ausländers. Insbesondere gilt, dass der Verlust des Aufenthaltsrechts gerade für Ausländer, die langjährig und rechtmäßig in der Bundesrepublik leben, als besonders einschneidende Maßnahme wahrgenommen und teilweise sogar als stärker belastend empfunden wird, als die strafrechtliche Sanktion. Eine Ausweisung entfaltet daher ein erhebliches Abschreckungspotential und führt anderen Ausländern deutlich vor Augen, zu welchen Konsequenzen das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln führt. Eine Ausweisung ist daher geeignet, andere Ausländer von der Begehung gleichartiger Taten abzuschrecken und damit eine generalpräventive Wirkung zum Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter zu entfalten.

Das Ziel der Gefahrenabwehr wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass seit der seiner Verurteilung vom 15. Juni 2009 zugrundeliegenden Tat nach dem Betäubungsmittelgesetz mehr als 10 Jahre vergangen sind. Diese Zeitspanne genügt nicht, um der Ausweisung des Klägers die generalpräventive Bedeutung zu nehmen. Zur Beurteilung der Frage, ab wann staatliche Maßnahmen wegen des zeitlichen Abstandes zu ihrem Anlass an Bedeutung verlieren, kann auf die Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung zurückgegriffen werden. Diese geben dem mit zunehmendem Zeitabstand eintretenden Bedeutungsverlust staatlicher Reaktionen einen zeitlichen Rahmen, der auch bei der Bewertung des generalpräventiven Ausweisungsinteresses herangezogen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 - 1 C 21/18 -, BVerwGE 165, 331 = juris, Rn. 18 f.; Beschluss des Senats vom 23. Oktober 2018 - 7 A 10866/18.OVG -, juris, Rn. 16). Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln. Bei abgeurteilten Straftaten bilden die Tilgungsfristen des § 46 BZRG zudem eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nach § 51 BZRG nicht mehr vorgehalten werden dürfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 - 21/18 -, BVerwGE 165, 331 = juris, Rn. 19).

Dieser Zeitrahmen ist hier eingehalten. Der bandenmäßige und gewerbsmäßige Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wird nach § 30a Abs. 1 BtMG mit einer Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und damit nach § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit 15 Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Nach § 78 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 StGB beträgt die (einfache) Verjährungsfrist daher 20 Jahre, wobei nach § 78 Abs. 4 StGB Strafschärfungen und -milderungen außer Betracht bleiben und die Verjährung am Tag der Tatbeendigung beginnt, § 78a Satz 1 StGB. Nachdem der Kläger die Taten zwischen Oktober 2006 und Juli 2008 begangen hat und deswegen im Juni 2009 verurteilt wurde, ist die einfache Verjährungsfrist noch lange nicht abgelaufen. Die Tilgungsfrist im Bundeszentralregister beträgt nach § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG 15 Jahre und ist daher - bereits unabhängig von weiteren Straftaten in der Folgezeit - ebenfalls nicht abgelaufen.

Schließlich wird die Eignung der generalpräventiven Ausweisung auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Ausweisung mit der Verfügung vom 12. April 2017 erst mehrere Jahre nach den Straftaten erfolgt ist. Die generalpräventive Wirkung ist zwar besonders hoch, wenn die Ausweisung zeitnah zur Anlasstat erfolgt. Eine derartig zeitliche Nähe ist jedoch nicht Voraussetzung für die Eignung. Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Behörde das Ausweisungsverfahren erst im Hinblick auf das Bevorstehen oder nach der Entlassung des Ausländers aus der Strafhaft einleitet. Auch in diesem Falle stellt die Ausweisung eine den gebotenen Zusammenhang wahrende aufenthaltsrechtliche Reaktion auf das strafgerichtlich abgeurteilte Delikt dar, von der eine generalpräventive Wirkung erwartet werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. März 1987 - 1 B 4/87 -, NJW 1987, 3092; Urteil des Senats vom 5. April 2018 - 7 A 11529/17 -, juris, Rn. 48; OVG NRW, Beschluss vom 27. Oktober 2006 - 18 B 70/06 -, juris, Rn. 23). Die Ausweisung ist noch während der Inhaftierung des Klägers aufgrund seiner Verurteilung vom 27. März 2014, die zum Widerruf der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung aus dem Urteil vom 15. Juni 2009 geführt hat, erfolgt. Der gebotene Zusammenhang ist damit gewahrt und lässt die Ausweisung als Reaktion auf die strafrechtlichen Verfehlungen erkennen. Es liegt daher auch ein generalpräventives Interesse an der Ausweisung des Klägers vor.

d. Bei der ausgehend davon gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 53 Abs. 2 AufenthG und unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung überwiegt vorliegend das öffentliche Ausweisungsinteresse.

aa. Die Ausweisung begründet hier einen Eingriff in das Grundrecht des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und in Art. 8 Abs. 1 EMRK (vgl. hierzu EGMR, Urteil vom 23.Juni 2008 - 1638/03, Maslov II -, BeckRS 2009, 70641, Rn. 61; Urteil des Senats vom 4. Dezember 2009 - 7 A 10881/09.OVG -, juris, Rn. 34 und Beschluss vom 3. Mai 2012 - 7 A 11425/11.OVG -, juris, Rn. 7). Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK ist vorliegend in Bezug auf das Recht auf Achtung des Privatlebens, nicht hingegen des Familienlebens eröffnet: Bei Beziehungen zwischen nahen Verwandten außerhalb der klassischen Kernfamilie kommt es darauf an, ob die tatsächlich bestehenden Bindungen hinreichend für die Annahme einer familiären Beziehung sind. Beziehungen zwischen Erwachsenen unterliegen nicht notwendig dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung des Familienlebens. Es müssen vielmehr besondere zusätzliche Aspekte der Abhängigkeit hinzutreten, die weiterreichen als normale affektive Beziehungen (vgl. EGMR, Urteil vom 17. April 2003- 52853/99, Yilmaz -, juris, Rn. 44 m.w.N.). Art. 8 EMRK vermittelt insoweit keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 Grundgesetz - GG - bei familiären Beziehungen unter Volljährigen. Es ist davon auszugehen, dass sich der Kläger, der bereits seit über 10 Jahren aus dem elterlichen Haushalt ausgezogen ist, seinen Lebensmittelpunkt zu seiner Lebensgefährtin verlagert hat und inzwischen 36 Jahre alt ist, aus dem engen Familienbund gelöst hat. Für besondere Abhängigkeiten ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich.

Der Eingriff in das Grundrecht des Klägers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist in materieller Hinsicht am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen. Die Maßstäbe, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens gelten, sind auch hier heranzuziehen. Ein Eingriff ist insoweit gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft, wenn er eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist, sich also als verhältnismäßig erweist. Ein Eingriff ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte notwendig, wenn ein herausragendes soziales Bedürfnis besteht und er verhältnismäßig zum legitimen Ziel ist (EGMR, Urteil vom 5.Juli 2005 - Nr. 46410/99 [Üner] -, juris, Rn. 54). Es muss ein gerechter Ausgleich getroffen werden zwischen dem Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens auf der einen und den Interessen der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Straftaten auf der anderen Seite. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Kriterien (EGMR, Urteile vom 2. August 2001- Nr. 54273/00 [Boultif] - InfAuslR 2001, 476 und vom 5.Juli 2005 - Nr. 46410/99 [Üner] -, juris, Rn. 54 ff.).

Danach sind insbesondere - zum Teil in § 53 Abs. 2 AufenthG explizit aufgeführte Gesichtspunkte - zu berücksichtigen: die Art und Schwere der begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthalts in dem Staat, aus dem der Betreffende ausgewiesen werden soll, die seit Begehen der Straftat vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen seit der Tat, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation des Betroffenen und gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben hinweisen, ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte, ob der Verbindung Kinder entstammen und schließlich die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland oder zum Bestimmungsland. Bei der Bewertung der Dauer des Aufenthaltes und der Bindungen im Gastland ist zu berücksichtigen, ob der Betroffene bereits als Kind nach Deutschland gekommen ist, oder ob er erst als Erwachsener zugezogen ist. Auf der Seite des schwerwiegenden Bleibeinteresses fällt daher der Umstand, dass es sich beim Kläger um jemanden handelt, der seit seinem ersten Lebensjahr in Deutschland ist und somit hier groß geworden ist und seine Prägung erfahren hat, im besonderen Maße ins Gewicht. Ausländer, die nahezu ihr gesamtes Leben hier verbracht haben, genießen zwar keinen absoluten Ausweisungsschutz (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011, - 41548/06 -, Trabelsi, juris, Rn. 54 und vom 18. Oktober 2006 - 46410/99 -, juris, Rn. 55; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 2016 - 2 BvR 1943/16, juris, Rn. 19). Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist aber der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. August 2020 - 2 BvR 640/20 -, juris, Rn. 24). Ihre Ausweisung bedarf sehr gewichtiger Gründe (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011, - 41548/06 -, aaO, juris, Rn. 55; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 2016, aaO, juris, Rn. 19; OVG Bremen, Beschluss vom 4. Januar 2021 - 2 B 300/20 -, juris, Rn. 31). Bei Ausweisungen von Immigranten der zweiten Generation berücksichtigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte neben den genannten allgemeinen Kriterien daher die besonderen Bindungen, die diese Personen mit dem Aufenthaltsstaat eingegangen sind, in dem sie ihre Erziehung erhalten, den Großteil ihrer sozialen Kontakte geknüpft und folglich ihre eigene Identität entwickelt haben (vgl. EGMR, Urteil vom 26. September 1997 - 85/1996/704/896 [Mehemi] - InfAuslR 1997, 30 = NVwZ 1998, 164; Urteil vom 21. Oktober 1997 - 122/1996/741/940 [Boujlifa] - InfAuslR 1998, 1). Demgemäß erachtet er es neben der Intensität der Bindung und dem Alter des Ausgewiesenen für maßgeblich, welche Sprache der Ausgewiesene spricht und ob es Verwandte oder andere soziale Beziehungen im Herkunftsstaat bzw. umgekehrt familiäre Bindungen oder Verwandte im Aufenthaltsstaat gibt (EGMR, Entscheidung vom 4. Oktober 2001 - 43359/98 [Adam] - EuGRZ 2002, 582 = NJW 2003, 2595).

bb. Nach diesen Maßgaben ist die Ausweisung des Klägers trotz seines langjährigen legalen Aufenthaltes und seiner familiären Bindungen im Bundesgebiet verhältnismäßig.

Die Ausweisung verfolgt die Ziele der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verhütung von Straftaten als berechtigte Ziele i.S. von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Zur Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist zunächst auf die Schwere der Straftaten hinzuweisen, die der Kläger zwischen 2006 und 2008 sowie 2012 trotz der zahlreichen Hinweise der Ausländerbehörde über die Auswirkungen seines kriminellen Verhaltens auf seine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland fortlaufend begangen hat. Die Schwere dieser Straftaten wird durch die Freiheitsstrafen von 3 Jahren und 6 Monaten und 1 Jahr und 3 Monaten gekennzeichnet. Diesbezüglich besteht eine hinreichende Wiederholungsgefahr und damit ein spezialpräventives wie auch ein generalpräventives Ausweisungsinteresse. Seinem langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt steht daher auch eine konstant seit 2006 andauernde Straffälligkeit von ca. 14 Jahren gegenüber.

Was die Integration des Klägers in die hiesigen Lebensverhältnisse anbelangt, ist zu berücksichtigen, dass er seit dem 2. Lebensjahr und damit seit mehr als 34 Jahren im Bundesgebiet lebt. Das erhebliche Gewicht dieses langen Aufenthalts in Deutschland wird zudem durch den Umstand verstärkt, dass der Aufenthalt durchgängig legal, und er zuletzt im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war. Zugunsten des Klägers sprechen ferner, dass er einen Schulabschluss erreicht hat und - auch wenn er keine abgeschlossene Berufsausbildung aufweisen kann - über ein unbefristetes Arbeitsverhältnis als ungelernter Koch verfügt. Die Bindungen des unverheirateten und kinderlosen Klägers bestehen im Wesentlichen zu seinen in Deutschland lebenden Eltern und seinen ebenfalls hier lebenden Geschwistern, sowie zu seiner Verlobten, mit der er seit seiner Haftentlassung in N. zusammenlebt.

Diesen Gesichtspunkten kann jedoch kein überwiegendes Gewicht beigemessen werden. Allein durch die Haftstrafen und seinen Umzug nach N. im Jahr 2013 hat sich der Kläger erheblich aus dem Familienverband gelöst und es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass seine Familienangehörigen in besonderer Weise auf ihn angewiesen sind. Soweit der Kläger soziale Bindungen außerhalb seiner Familie in Form eines Verlöbnisses geltend macht, ergibt sich hieraus ebenfalls kein bedeutsamer Gesichtspunkt zu seinen Gunsten, auch wenn der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung darauf verweist, dass die Verlobte für den Kläger die wesentliche Stütze darstellt und der Garant einer gewissen Stabilität sei. Eine Eheschließung steht nicht unmittelbar bevor. Auch wusste die Lebensgefährtin um die Vorstrafen und bereits erfolgten ausländerrechtlichen Verwarnungen bei Eingehen der Beziehung.

In Bezug auf seine wirtschaftliche Integration ist dem Kläger zugute zu halten, dass er zwar über einen Hauptschulabschluss verfügt, seine Arbeitsbiographie im Anschluss ist jedoch nicht problemfrei. Zwar kann der Kläger mittlerweile ein seit Mai 2019 bestehendes unbefristetes Arbeitsverhältnis als Koch aufweisen. Allerdings erhielten seine Arbeitsverhältnisse auch unter Berücksichtigung seines Alters bisher nicht den Charakter, dass man sie als auf Dauer angelegt bezeichnen könnte. Gegen eine gelungene Integration des Klägers in die hiesigen Lebensverhältnisse spricht vielmehr, dass er seit 2006 viele Jahre lang erheblich strafrechtlich in Erscheinungen getreten und auch zweimal zu längeren Haftstrafen verurteilt worden ist. Seine Vorstrafen, die erneute Straffälligkeit und insbesondere seine anhaltende Drogenanhängigkeit - nunmehr auch wieder unter Einnahme harter Drogen - setzten sein Arbeitsverhältnis zudem latent aufs Spiel. Auch die wirtschaftliche Integration ist mithin nicht gesichert, da der Kläger bis heute nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt und ihm aufgrund der Vorstrafen und Drogenproblematik eine potentielle Arbeitsplatzsuche schwer fallen dürfte.

Hinsichtlich Art und Schwere der Straftaten ist vor allem auch zu berücksichtigen, ob der Ausländer sich diese als Jugendlicher oder als Erwachsener hat zuschulden kommen lassen (vgl. EGMR, Urteil vom 23. Juni 2008 - 1638/03, Maslov II -, BeckRS 2009, 70641, Rn. 72). Ausgehend davon ist zunächst zu sehen, dass der Kläger alle Delikte als junger Erwachsener begangen hat. Insbesondere bei Begehung der den Anlass für die Ausweisung bildenden Tat war der Kläger 22 bis 24 Jahre alt bzw. bei seiner Straftat gegen das Waffengesetz bereits 28 Jahre alt. Die vom Kläger begangenen Drogendelikte zählen zudem zu den besonders schwerwiegenden Straftaten, insbesondere da sich der Kläger mit anderen Personen zu diesem Zweck zu einer Bande zusammengeschlossen hat und über zwei Jahre einen gewerbsmäßigen Handel mit Cannabis betrieben hat. Dies kommt auch in der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe zum Ausdruck, die lediglich aufgrund seiner geständigen Einlassung und seiner im Vergleich zu den anderen Bandenmitgliedern untergeordneten Rolle als minder schwerer Fall bewertet worden ist. Schließlich ist mit Blick auf Art und Schwere der Taten die bereits dargelegte Wiederholungsgefahr und die generalpräventiven Gesichtspunkte mit einzubeziehen und - wie schon ausgeführt - zu berücksichtigen, dass der Kläger damals seinen Lebensunterhalt und eigenen Drogenkonsum (auch) mit dem Weiterverkauf von Drogen finanziert hat. Drogenhandel gehört zu den gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Delikten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 = juris, Rn 34). Der Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte hat im Bereich des Drogenhandels - anders als bei allein wegen Drogenkonsums Verurteilten - Verständnis für die Härte der Behörden gegenüber jenen gezeigt, die "aktiv an der Verbreitung dieser Geißel beteiligt sind" (vgl. EGMR, Urteil vom 23. Juni 2008 - 1638/03, Maslov II -, BeckRS 2009, 70641, Rn. 80). Auch der begangene Verstoß gegen das Waffengesetz durch das Mitführen einer halbautomatischen Kurzwaffe nebst Magazinen und dies zusätzlich unter Einfluss von THC, Kokain und Amphetamin birgt eine erhebliches Gefährdungspotential für hochrangige Rechtsgüter.

Soweit im Rahmen der Abwägung weiter die seit der Verurteilung verstrichene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Zeit zu würdigen sind, ist auf der einen Seite zwar zu sehen, dass seit der einschlägigen Tat über 10 Jahre (die abgeurteilten Taten ereigneten sich zwischen Oktober 2006 bis Juli 2008), und seit dem Verstoß gegen das Waffengesetz ca. 8 Jahre vergangen sind. Allerdings war der Kläger von Sommer 2009 bis Sommer 2010 in Haft und wurde sodann erneut im November 2012 straffällig. Er befand sich sodann von September 2015 bis November 2017 in Haft, so dass allein dem zeitlichen Aspekt der Straffreiheit eine eingeschränkte Bedeutung beigemessen werden kann.

Hinsichtlich des Verhaltens und der Entwicklung in der Haft ist das Bild ebenfalls ambivalent. Zwar hat er sich in der Haft beanstandungsfrei geführt, war einsichtig und zeigte sich änderungsmotiviert. Allerdings musste die Gewährung des offenen Vollzugs revidiert werden. So spricht auch die Sozialprognose vom 20. Juli 2016 davon, dass die erforderliche Absprachefähigkeit als Grundvoraussetzung für einen positiven Bewährungsverlauf fehle. Auch ist zu sehen, dass der Kläger beide Drogentherapien, die ihm 2010 und auch 2017 eine vorzeitige Haftentlassung ermöglichten, jeweils irregulär und ohne Therapieerfolg beendet hat. So konnte der Kläger auch in der Folge keine Stabilisierung und Festigung des Verhaltens erreichen. Dies führt, wie dargelegt, zu einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer einschlägiger Straftaten.

cc. Diesen erheblichen, für eine Verhältnismäßigkeit der Ausweisung sprechenden Gesichtspunkten steht keine absolute Unzumutbarkeit entgegen, sich im Land seiner Staatsangehörigkeit zu orientieren und eine neue Existenz aufzubauen.

Zunächst hindert sein Grad der Behinderung von 30 v.H. und seine Suchterkrankung nicht für sich genommen die wirtschaftliche Integration in seiner Heimat, da es dem Kläger augenscheinlich auch in Deutschland möglich ist, trotz der Erkrankungen einer Berufstätigkeit nachzugehen. Warum ihm dies in Marokko nicht möglich sein sollte, ist nicht dargelegt oder erkennbar. Der Kläger ist darüber hinaus als junger, arbeitsfähiger erwachsener Mann in der Lage, sich eine Existenz in Marokko auszubauen und gegebenenfalls auch dort als Koch einer Berufstätigkeit nachzugehen.

Die Einlassungen des Klägers zu seinen Verbindungen in der Heimat wie auch seinen Sprachkenntnissen bleiben oberflächlich, zumal er unter Berücksichtigung des Verfahrensgangs wohl einschätzen kann, dass konkrete Angaben dazu seine Bleibeinteressen mindern könnten. Es ist jedoch bei Ausländern der zweiten Ausländergeneration regelmäßig anzunehmen, dass sie die Muttersprache ihrer Eltern erlernt haben und zumindest in Grundzügen noch beherrschen (vgl. zu dieser Vermutung EGMR, Entscheidung vom 4. Oktober 2001 - Nr. 43359/98 - Adam/Deutschland, NJW 2003, 2595). Es ist davon auszugehen, dass die Eltern des Klägers ebenso wie seine vier älteren Geschwister, als diese 1985 mit ihm nach Deutschland kamen, der deutschen Sprache nicht mächtig waren und daher zwangsläufig im Elternhaus die Muttersprache gesprochen worden ist. Dass mit der Einschulung des Klägers oder seiner Geschwister die Muttersprache gänzlich an Bedeutung verloren und faktisch nicht mehr gesprochen worden sei, hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt. Vielmehr hat bereits der Stadtrechtsausschuss der Beklagten im Rahmen des Widerspruchbescheides ausgeführt, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung anzunehmen sei, dass der Kläger sich in Deutschland mit seinen Eltern in seiner Muttersprache unterhalten, diese jedenfalls als erste Sprache erlernt habe. Diese Erwägung hat der Kläger nicht aufgegriffen oder substantiiert Gesichtspunkte vorgetragen, aus welchen sich ein abweichender Geschehensablauf ergeben kann. Auch ist zu sehen, dass ausweislich der eidesstattliche Versicherung der Lebensgefährtin des Klägers, sie sich in einem arabischen Café kennen gelernt haben und dieser mit ihr bereits einen Familienurlaub in Marokko verbracht hat. Dies spricht für einen weiterhin existenten Bezug zur Sprache und Heimat. Darüber hinaus hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage bestätigt, dass noch familiäre Bindungen in seinem Herkunftsland Marokko bestehen, da dort noch Onkel und Tanten leben.

Somit ist davon auszugehen, dass der Kläger die in seinem Heimatland herrschenden Verhältnisse zu einem gewissen Maße kennt. Unter Berücksichtigung seines Alters und seiner sprachlichen Vorkontakte wäre dem Kläger das Erweitern unvollkommener Sprachkenntnisse bzw. das Erlernen einer (neuen) Sprache zudem ohne Weiteres zuzumuten (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 14. Januar 2015 - 8 ME 136/14 -, juris, Rn. 15). Die mit der (Re-)Integration des Klägers in Marokko für ihn verbundenen Schwierigkeiten ließen sich durch eine anfängliche Unterstützung durch seine in Marokko lebenden Verwandten, durch seine Eltern und/oder seine Geschwister abmildern. Im Übrigen ist der Kläger 36 Jahre alt und seine Chancen zur Integration in die marokkanische Gesellschaft sind nicht notwendigerweise ungünstiger als die einer Integration in Deutschland (vgl. dazu EGMR, Entscheidung vom 4. Oktober 2001 - Nr. 43359/98 - Adam/Deutschland, NJW 2003, 2595).

II. Die in Ziffer 4 des Bescheides enthaltene Abschiebungsandrohung nach §§ 58, 59 AufenthG unter Setzung einer Ausreisefrist von 2 Monaten (Ziffer 3 des Bescheides) - und damit sogar nach § 59 Abs. 1 Satz 4 AufenthG verlängerten Frist zur freiwilligen Ausreise - begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Niederlassungserlaubnis des Klägers erlischt gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG mit der Ausweisung und er wird ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG).

Die in Ziffer 5 des angefochtenen Bescheids verfügte Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung auf fünf Jahre, gerechnet ab dem Zeitpunkt der nachgewiesenen Ausreise, ist ebenfalls rechtmäßig. Die Befristungsdauer steht nach der Neufassung des § 11 Abs. 3 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3/16 -, BVerwGE 153, 325 = juris, Rn. 65 f. mit Verweis auf BR-Drs. 642/14 S. 39), so dass die Ermessensentscheidung der Beklagten im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist (§ 114 VwGO). Die Beklage hat ihr Ermessen erkannt und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers und der hier einschlägigen maximalen Frist von 10 Jahren nach § 11 Abs. 5 AufenthG auf fünf Jahre festgesetzt; durchgreifende Ermessensfehler sind weder ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht. Die Beklagte hat bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einerseits die persönlichen und familiären Belange des Klägers in der Bundesrepublik und andererseits seine Verurteilung und die noch immer von ihm ausgehenden Gefahren gewürdigt. Hiergegen ist nichts zu erinnern. Insbesondere begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn die Beklagte mangels unmittelbaren Bevorstehens einer Eheschließung das Einreise- und Aufenthaltsverbot (noch) nicht verkürzt, sondern lediglich ankündigt, eine Verkürzung sei nach § 11 Abs. 4 AufenthG bei entsprechendem Nachweis der Eheschließung zu prüfen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 8.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 [LKRZ 2014, 169]).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG, § 152 Abs. 1 VwGO).