OLG Hamburg, Beschluss vom 09.02.2021 - 12 WF 11/21
Fundstelle
openJur 2021, 14059
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg - Harburg vom 8. Oktober 2020 abgeändert. Der Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsmittels wird zurückgewiesen.

II. Gerichtskosten werden im Verfahren erster und zweiter Instanz nicht erhoben. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.

III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 250 € festgesetzt.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten um die Festsetzung zweier Ordnungsmittel für einen nicht erfolgten begleiteten Umgang des Vaters mit seinen beiden Söhnen in Elmshorn.

Die Beteiligten sind getrennt lebende Eheleute. Sie heirateten am 27. Januar 2017. Ein Scheidungsverfahren ist anhängig (Az. 636 F 128/20). Aus der Ehe sind der dreijährige M. und der einjährige Ö. hervorgegangen. Die Eltern lebten im Stadtteil Hamburg - Wilhelmsburg.

Zwischen den Beteiligten sind und waren zahlreiche familiengerichtliche Verfahren anhängig. Unter dem 30. Januar 2018 machte die Mutter erstmals einen Gewaltschutzantrag gegen den Vater anhängig (Az. 636 F 28/18). Ein weiterer Antrag folgte am 17. Dezember 2018 (Az. 636 F 351/18). Die Mutter behauptete, der Vater sei ihr gegenüber gewalttätig. Es erfolgten polizeiliche Wegweisung aus der Wohnung. Der Vater begehrte in diesem Zuge Umgang mit seinem Sohn M. (Az. 636 F 353/18). Die Mutter war zu diesem Zeitpunkt mit Ömer schwanger. Die Eheleute regelten die Auseinandersetzung zunächst familienintern.

Unter dem 4. Dezember 2019 regte das Jugendamt die Einleitung eines einstweiligen Anordnungsverfahrens wegen Gefährdung des Kindeswohls an (Az. 636 F 317/19). Auslöser war ein durch Nachbarn der Eltern ausgelöster Polizeieinsatz aufgrund lautstarker Auseinandersetzungen in der Wohnung der Eltern. In der Folge wurde vom Gericht ein Hauptsacheverfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls (Az. 636 F 321/19) und vom Vater ein Umgangsverfahren eingeleitet (Az. 636 F 5/20). Die Eltern verständigten sich in einem gerichtlichen Termin am 15. Januar 2020 über die Ausübung der elterlichen Sorge und den Umgang. Das Jugendamt sah damit zunächst nicht mehr das Wohl der beiden Kinder als gefährdet an.

Unter dem 28. Januar 2020 leitete die Mutter ein Verfahren zur Abänderung der keine zwei Wochen zuvor geschlossenen Einigung mit dem Ziel eines begleiteten Umgangs ein (Az. 636 F 25/20). Gleichzeitig regte das Jugendamt erneut die Einleitung eines Verfahrens wegen Gefährdung des Kindeswohls an (Az. 636 F 29/20). Ausgelöst wurden die Streitigkeiten bei der Ausübung des Umgangs durch den Vater. Der Vater hatte beide Kinder freitags aus dem Kindergarten abgeholt, konnte den 10 Monate alten Ö. aber nicht beruhigen, so dass der Vater sich an die Mutter wandte. Diese war nur zu einer Übergabe unter Vermittlung der Polizei bereit. Vergeblich versuchten Familienmitglieder des Vaters Ö. an der Wohnung der Mutter abzugeben. Streitig ist zwischen den Eltern, ob der Vater ebenfalls bei den Übergabeversuchen anwesend war. Es kam zu einem Polizeieinsatz, dessen Einzelheiten zwischen den Beteiligten umstritten sind und bei dem die Mutter Ö. bei der Schwester des Vaters abholte. Am folgenden Montag kam es zu einem Streit der Eltern vor einem Café bzw. Kulturverein, der ebenfalls in einem Polizeieinsatz mündete. Die Mutter behauptet, dass der Vater sie verprügelt und mit Kaffee übergossen habe. In einem Gerichtstermin am 26. Februar 2020 verständigten sich die Eltern auf einen durch eine Umgangspflegerin begleiteten Umgang. Der Vater war mit dem Lebensmittelpunkt der Kinder bei der Mutter und mit einem Umzug der Mutter nach Elmshorn einverstanden.

Unter dem 25. Mai 2020 wandte sich die Umgangspflegerin an das Gericht und bat um eine Abänderung der vereinbarten Umgangsregelung und ihre Entpflichtung als Umgangspflegerin (Az 636 F 115/20). Die Umgangspflegerin zweifelte an der Motivation des Vaters für einen Umgang und teilte unter anderem mit: „Der Vater zeigt sich zunehmend aggressiv der Kindesmutter und auch der Unterzeichnerin gegenüber. [...] Der Vater hat offenbar starke Impulsdurchbrüche, die er nicht kontrollieren kann. Meines Erachtens befindet sich die Kindesmutter in Gefahr, von ihm erneut angegriffen zu werden. Dies würde auch eine unmittelbare Kindeswohlgefährdung darstellen.“ Im Einzelnen wird auf die Berichte der Umgangspflegerin vom 11. Mai 2020 und 25. Mai 2020 verwiesen. Mit Beschluss vom 27. Mai 2020 setzte das Amtsgericht darauf die Umgangsregelung einstweilen aus (Az 636 F 115/20). Es bestellte den Kindern einen Verfahrensbeistand und beraumte auf Antrag des Vaters eine mündliche Verhandlung an.

Am 26. Mai 2020 beantragte die Mutter den Erlass einer Gewaltschutzanordnung gegen den Vater (636 F 119/20). Am 25. Mai 2020 war es zu einer einen Polizeieinsatz auslösenden Auseinandersetzung der Eltern im Luna-Center in Wilhelmsburg gekommen. Die Mutter behauptet, dass der Vater sie angegriffen habe. Ausgangspunkt des Streites war, dass der Vater behauptete, dass die Mutter unzutreffend vorgegeben habe, M. wäre bei einem Umgangswochenende zum Bayram-Fest krank gewesen. Vielmehr habe die Mutter das Fest mit den Kindern bei ihren Eltern verbracht. Dies habe ihm sein ebenfalls in Elmshorn lebender Cousin mitgeteilt. In der Folge verpflichteten sich die Eltern wechselseitig, keinen Kontakt zueinander aufzunehmen.

Die Mutter leitete ein Hauptsacheverfahren zur Abänderung der Regelung des Umgangs (Az. 633 F 122/20), zur Ehescheidung (Az. 636 F 128/20) und zur Regelung der elterlichen Sorge (Az. 636 F 131/20) ein. In den noch nicht abgeschlossenen Kindschaftsverfahren wird ein familienpsychologisches Gutachten durch die Sachverständige M. eingeholt.

Mit Beschluss vom 25. Juni 2020 erließ das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung auf der Grundlage von § 1666 BGB eine Schutzanordnung zu Gunsten der Kinder, nach der die Schwester des Vaters und die Mutter des Vaters sich nicht der Wohnung der Kinder und den Kindern nähern darf (Az. 636 F 145/20). Auslöser war eine körperliche Auseinandersetzung zwischen der Mutter der Kinder und der Schwester und der Mutter des Vaters in der Nähe des Wilhelmsburger S-Bahnhofs, dessen Ursachen und Ablauf zwischen den Beteiligten umstritten ist. Wörtlich heißt es in dem Einsatzbericht der Polizei: „Am 20.06.2020 um 20:21 befanden wir uns im Rahmen unseres Dienstes, als zivile Funkstreife 44/21, im Bereich des Wilhelmsburger S-Bahnhof. Im Bereich des ZOB wurden wir durch Passanten auf eine Rangelei zwischen zwei Frauen aufmerksam. Wir eilten sofort dahin. Zum Zeitpunkt unseres Eintreffens am Einsatzort lag die Frau Y. rücklings am Boden und Frau F. saß auf ihren Beinen, mit dem Oberkörper beugte sie sich über und zog an ihren Haaren. Sie hatte die langen Haare der Frau Y. dabei in ihrer Faust fest umschlossen. Als wir die beiden trennten, musste ich die Faust von Frau F. lösen. Als wir die beiden getrennt hatten, stellte ich fest, dass Frau Y. ihren jüngsten Sohn auf dem Oberkörper liegen hatte. Vermutlich hatte sie ihn auf dem Arm bevor sie zu Boden ging. Ein weiteres Kind von ihr stand direkt neben ihr. Wir trennten beide Parteien, weil die Gemüter derart stark erhitzt waren, dass der Konflikt immer wieder aufkeimte. Von der Familie F. wuchs die Zahl der Familienmitglieder im Verlauf des Einsatzes stark an. Für die Mutter der Frau F. musste ein RTW angefordert werden, weil sie vorgab Herzkrank zu sein und über Kreislaufbeschwerden klagte. Es erschien der RTW 34/A vor Ort. Der Abtransport zog sich etwas hin, so dass Familienmitglieder immer aggressiver wurden und die Situation vor Ort drohte zu eskalieren. Frau Y. stand auch Minuten nach der Konfrontation noch so stark unter dem Eindruck des Geschehens, dass sie vor Ort nicht in der Lage war, eine Aussage zu machen. Einen RTW lehnte sie ab. Sie gab informatorisch an, dass es sich bei ihrer Gegnerin um die Schwester ihres Ehemanns sowie ihre Ex-Schwiegermutter handeln soll. Die Personalien der Ex-Schwiegermutter konnten aufgrund der Lage nicht festgestellt werden, bevor sie mit dem RTW 34/A in das Krankenhaus Groß-Sand transportiert wurde. Vor dem Hintergrund was ich selbst gesehen habe und der Tatsache, dass beide Frauen frische Kratzer im Gesicht hatten, gingen wir von einer wechselseitigen Körperverletzung aus, die wir von Amts wegen fertigten. Der Polizeibeamtin G. war die Situation der Frau Y. bekannt Sie teilte mit, dass es gegen ihren Exmann eine Gewaltschutzanordnung gibt. Vor Ort war er nicht anzutreffen. Weiterhin habe es in den letzten Tagen mehrere Anzeigen in der Sache gegeben. Näheres hierzu siehe folgende Aktenzeichen 044/1K/377681/2020, 044/1V/362521/2020, 044/5K/362199/2020, 044/1K/320347/2020. Außerdem soll der Vater der Frau Y. eine Anzeige bei der Polizei in Elmshorn erstattet haben. Hierzu liegen keine weiteren Informationen vor. Die Kinder waren augenscheinlich nicht verletzt worden. Mit Frau Y. ist abgesprochen, dass die Sachbearbeiterin M. (LKA 183) sich Anfang der Woche, zeitnah mit ihr in Verbindung setzen wird. Sie wollte bis dahin bei ihrem Bruder D. unterkommen. Sie hatte den Einsatzort mit einem Taxi, mit ihren Kindern, in Richtung ihres Bruders verlassen.“

Am 25. Juni 2020 begab sich die Mutter in ein Frauenhaus in Neumünster. Sie plante zunächst in Elmshorn eine Wohnung zu beziehen. Das Jugendamt teilte unter dem 3. Juli 2020 mit, dass die Mutter mit einem begleiteten Umgang einverstanden sei, wenn sie nicht dem Vater oder dessen Familienmitgliedern begegne.

Aufgrund einer Auseinandersetzung von Familienmitgliedern der Mutter und des Vaters am 23. Juli 2020 in Wilhelmsburg wurden weitere Gewaltschutzverfahren zwischen Familienmitgliedern eingeleitet und Schutzanordnungen erlassen (Az. 636 F 176/20 und 636 F 184/20).

Unter dem 29. Juli 2020 teilte das Jugendamt mit, dass es den Träger W. in Elmshorn gefunden habe, der den Umgang des Vaters begleiten könne. Die Mutter habe aber die Bedingung gestellt, dass der Umgang nicht an ihrem künftigen Wohnort stattfinde und wolle die Kinder nicht an einen neutralen Ort bringen, weil sie befürchte dem Vater zu begegnen.

Am 6. August 2020 zog die Mutter in ein Frauenhaus im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Calw um. Auf gerichtliche Nachfrage teilte die Mitarbeiterin des Frauenhauses in Neumünster am 12. August 2020 mit: „Für den älteren Sohn sei es schwierig gewesen, sich von der Mutter zu lösen. Er sei panisch geworden, wenn die Mutter ihn allein gelassen habe. Bei der Kinderbetreuung im Frauenhaus sei er nicht zu beruhigen gewesen, wenn die Mutter nicht in der Nähe gewesen sei. Er habe gesagt „Mama nicht Arbeit“. Er benötigt Ruhe und Stabilität. Der Sohn habe auch in Anwesenheit von Mitarbeitern geäußert „Oma schlägt“.

Die Mutter beantragte einen Gerichtstermin am 26. August 2020 aufzuheben und schlug vor, das Verfahren mit einer Vereinbarung zu Video-Telefonie Umgängen zu beenden.

Unter dem 17. August 2020 teilte das Frauenhaus mit, dass zwischen den Kindern und der Mutter eine liebevolle Mutter-Kind-Beziehung und ein aktuell gesteigertes Bindungsbedürfnis der Kinder zur Mutter bestehe. Es sei zu vermeiden, dass die Kinder mit der Mutter die lange Strecke auf sich nehmen müssten. Die potentiell traumatisierten – auf alle Fälle stark belasteten Kinder – bräuchten besonders jetzt möglichst große Stabilität und geordnete Tagesabläufe. Die Wahrnehmung von Gerichtsterminen oder anderen wichtigen Terminen sei aktuell über die lange Distanz aus der Sicht des Frauenhauses nicht zum Wohl der Kinder.

Unter dem 13. August 2020 teilte das Jugendamt mit, dass es angesichts der neuen Entwicklung dem Jugendamt leider nicht möglich sei, die Kinder bei der Wahrnehmung ihres Umgangsrechts in der geplanten Weise und mit dem geplanten Träger zu unterstützen.

Der Vater war mit einem Ausschluss des Umgangs bis zur Einholung des Gutachtens im Hauptsacheverfahren nicht einverstanden. Er ist der Ansicht, dass die Mutter absolut erziehungsunfähig sei und keinerlei Bindungstoleranz zeige. Sie fühle sich von allem und jedem benachteiligt und erhebe nunmehr auch ungerechtfertigte Vorwürfe gegen das Jugendamt. Er sei mit einem begleiteten Umgang einverstanden.

Das Jugendamt teilte unter dem 21. August 2020 mit, dass Kontakte per Videotelefonie aus der Sicht des Jugendamtes nicht ausreichend seien. Der Verfahrensbeistand befürwortete mit Schreiben vom 24. August 2020, dass im Hinblick auf die sehr große Entfernung und die aktuell sehr belastende Situation Videoanrufe eine praktikable Lösung darstellten. Allein die Bewältigung der Strecke, die zunächst für die Erarbeitung einer Vertrauensbasis zur Umgangsbegleitung erforderlich sei, stelle eine Belastung für die Kinder dar.

Unter dem 25. August 2020 teilte die im Hauptsacheverfahren eingesetzte Sachverständige dem Gericht per E-Mail mit: „Wir haben Ihre Fragen und die mir bekannten Umstände gestern ausführlich in unserer Team-Supervision besprochen. Von Ihrem Vorschlag, einen begleiteten Umgang hier in Norddeutschland mit Anreise der Kindesmutter anzuordnen, würden wir eher Abstand nehmen. Da beide Kinder noch sehr jung sind, bedarf es einer ausreichenden Vorbereitung für eine Trennung von der Kindesmutter. Der dadurch entstehende Zeitdruck und auch die mit Sicherheit hinzukommende emotionale Belastung der Kindesmutter würden sich vermutlich stark negativ auf die Kinder auswirken, und sind deshalb nicht zu empfehlen. Ob dadurch die Schwelle zu einer Kindeswohlgefährdung bereits überschritten würde, kann ich Ihnen nach wie vor nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass es sich zu einer kindeswohlgefährdenden Situation entwickeln könnte.“

Unter dem 26. August 2020 teilte die Verfahrensbevollmächtigte der Mutter mit, dass sie erkrankt sei und nicht zum Termin erscheinen könne. An dem Termin nahmen der Vater mit seiner Verfahrensbevollmächtigten, das Jugendamt, der Verfahrensbeistand und ein Mitarbeiter des Trägers W. teil. Das Jugendamt teilte mit, dass es bei einem begleiteten Umgang keine Kindeswohlgefährdung sehe, jedenfalls dann nicht wenn die Familien der Eltern nicht dabei seien. Videotelefonate seien nicht ausreichend. Die Fahrt an sich stelle auch mit Blick auf die Distanz keine Kindeswohlgefährdung dar. Der Verfahrensbeistand schloss sich dieser Einschätzung an. Er empfinde die Fahrzeit nicht als problematisch, da die Mutter bei ihrer Familie die Möglichkeit einer Zwischenübernachtung habe.

Mit Beschluss vom 28. August 2020 regelte das Amtsgericht einen durch den Träger begleiteten Umgang in Elmshorn vierzehntägig samstags beginnend mit dem 19. September 2020 um 11.00 Uhr. Der Beschluss wurde der Mutter am 7. September 2020 zugestellt. Unter anderem begründete das Amtsgericht, dass das Risiko eines Bindungsabbruchs während der Begutachtung schwerer wiege als die Belastungen der Mutter, zumal diese ihren weit entfernten Aufenthaltsort selbst ohne Abstimmung mit dem Vater, dem Jugendamt oder dem Gericht gewählt habe. Es bestehe ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden. Die Anhörung der Mutter im Wege der Rechtshilfe könne nicht abgewartet werden.

Unter dem 16. September 2020 beantragte die Mutter eine Abänderung der beschlossenen Umgangsregelung. Sie teilte mit, dass M. inzwischen in kinderärztlicher Behandlung sei und ein Rezept für eine Ergotherapie erhalten habe. Sie sei in Kontakt mit einer Kindheitspädagogin der sogenannten Frühen Hilfen. Es liege nicht im Kindeswohl, dass sie unter Corona-Bedingungen die weite Wegstrecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf sich nehme. Bei ihrer Familie könne sie nicht übernachten, weil dort bereits 10 Personen in einer Vierzimmerwohnung lebten. Auch bei anderen Familienmitgliedern verbiete sich ein Übernachten, da wieder Eskalationen zu befürchten seien. Sie müsse bei einer Anreise um Leib und Leben fürchten. Sie habe inzwischen eine umfassende Aussage bei der Polizei gemacht (Az. 2472 Js 25/20). Sie biete an, einen Umgang des Vaters bei sich vor Ort zu unterstützen.

Unter dem 7. Oktober 2020 berichtete das Frauenhaus, dass zu Beginn des Aufenthalts der Mutter in Calw auffällig gewesen sei, dass die Kinder ihre Mutter nicht aus den Augen gelassen hätten. Bei M. seien aggressive Verhaltensweisen beobachtet worden. Es konnte inzwischen gesehen werden, wie M. etwas ruhiger im Verhalten wurde und es ihm sogar möglich gewesen sei, zeitweise an der angebotenen Kinderbetreuung ohne Mutter teilzunehmen.

Bei einer im Wege der Rechtshilfe durchgeführten gerichtlichen Anhörung in Calw erklärte die Mutter, dass M. inzwischen einen Kindergarten vor Ort besuche und Ö. für die Kinderkrippe angemeldet sei. Sie sei damit einverstanden, dass ein begleiteter Umgang vor Ort erfolge. Es werde übersehen, dass der Umgang stets aufgrund des Verhaltens des Vaters nicht geklappt habe.

Mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 hat das Amtsgericht auf Antrag des Vaters gegen die Mutter ein Ordnungsgeld in Höhe von 250 €, ersatzweise 5 Tage Ordnungshaft, festgesetzt, weil sie die Kinder nicht am 19. September 2020 zum Umgangstermin gebracht hat. Mit Beschluss vom 2. November 2020 hat das Amtsgericht ein zweites Ordnungsgeld in Höhe von 350 €, ersatzweise 7 Tage Ordnungshaft, festgesetzt, weil sie die Kinder nicht am 3. Oktober 2020 zum Umgangstermin gebracht hat. Die Mutter wendet sich mit ihren Beschwerden vom 23. Oktober 2020 und 10. November 2020 gegen die festgesetzten Ordnungsmittel.

Am 7. November 2020 besuchte ein Mitarbeiter des Jugendamtes Calw die Mutter im Frauenhaus. Danach teilte die Mutter mit, zu einer Begutachtung vor Ort bereit zu sein und auch ein Umgang des Vaters vor Ort zu unterstützen.

Unter dem 2. Dezember 2020 teilte das Jugendamt mit, dass es gelungen sei einen begleiteten Umgang in Pforzheim anzubieten. Dies habe der Vater abgelehnt. Darauf habe das Jugendamt seine weiteren Bemühungen eingestellt.

Das Amtsgericht hat den Beschwerden der Mutter mit Beschluss vom 29. Oktober 2020 (erstes Ordnungsmittel) und vom 5. Januar 2021 (zweites Ordnungsmittel) nicht abgeholfen. Auf Hinweis des Senats hat der Vater mitgeteilt, dass er einen begleiteten Umgang in Pforzheim ablehne, da er befürchte, dass die Mutter den Umgang vereitele.

II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Ordnungsmittelbeschluss ist gemäß §§ 87 Abs. 4 FamFG, 567ff ZPO zulässig und begründet.

Gemäß § 89 Abs. 4 FamFG unterbleibt die Festsetzung eines Ordnungsmittels, wenn der Verpflichtete Gründe vorträgt, aus denen sich ergibt, dass er die Zuwiderhandlung nicht zu vertreten hat. Dies ist vorliegend der Fall. Die Umgangsregelung entspricht nicht dem Kindeswohl.

Zwar sind Gründe, die sich gegen den Fortbestand einer Umgangsregelung richten, im Vollstreckungsverfahren im Interesse einer beschleunigten Durchsetzung des Umgangs (§ 88 Abs. 3 Satz 1 FamFG) grundsätzlich unbeachtlich. Insbesondere ist nicht erneut zu prüfen, ob die im Erkenntnisverfahren getroffene Umgangsregelung mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Der zur Gewährung des Umgangs verpflichtete Elternteil kann daher grundsätzlich nicht einwenden, die Umgangsregelung sei nicht rechtens, beziehungsweise widerspreche dem Kindeswohl und müsse deshalb nicht beachtet werden. Neu hinzutretende Umstände sind daher zur Wahrung des Kindeswohls im Vollstreckungsverfahren nur dann beachtlich, wenn sich daraus triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe ergeben und hierauf ein zulässiger Antrag auf Abänderung des Ausgangstitels gestützt ist (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2012 – XII ZB 188/11, NJW-RR 2012, 324, juris Rn. 20ff). Da die Abänderung auch von Amts wegen erfolgen kann, ist allerdings auch ausreichend, dass eine Einstellung der Vollstreckung von Amts wegen geboten ist. Hierzu müssen diese Umstände dem Gericht allerdings auch mitgeteilt werden (vgl. Hammer in Prütting/Helms, 5. Auflage 2020, § 89 Rn. 42). Solche Gründe für eine Abänderung liegen hier ausnahmsweise vor.

Die Mutter hat, nachdem der Umgangsbeschluss ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 7. September 2020 zugestellt worden ist, unter dem 16. September 2020 einen Antrag auf Abänderung der einstweiligen Umgangsregelung gestellt. Das eingeschränkte rechtliche Gehör der Mutter in der Anhörung rechtfertigt es vorliegend, bei der Entscheidung über die Verhängung des Ordnungsmittels das Kindeswohl einzubeziehen. Sie konnte zu den Erörterungen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. August 2020 nicht Stellung nehmen. Insbesondere der Verfahrensbeistand hat seine Einschätzung im Termin in wesentlichen Punkten abgeändert. Es ist auch nicht erkennbar, ob die Einschätzung der Sachverständigen vom 25. August 2020 von sämtlichen Verfahrensbeteiligten berücksichtigt werden konnte.

Die Umgangsregelung vom 28. August 2020 entspricht, wie sich im Nachgang der mündlichen Erörterung gezeigt hat, nicht dem Kindeswohl.

Die Umsetzung des begleiteten Umgangs in Elmshorn setzt bei lebensnaher Betrachtung voraus, dass die Mutter mit beiden Kindern freitags anreist und sonntags zurückreist. Sie erfordert es zwei Übernachtungen in Norddeutschland einzuplanen. Eine Anreise aus Calw samstags mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis 11.00 Uhr bzw. 12.30 Uhr ist nicht möglich. Die Mutter kann samstags mit der ersten Zugverbindung nicht rechtzeitig den Termin für eine Umgangsausübung erreichen. Im Anschluss an den Termin hätte sie mit der letzten möglichen Verbindung erst nach Mitternacht den Bahnhof in Calw erreicht.

In der mündlichen Erörterung vom 26. August 2020 sind das Jugendamt und insbesondere der Verfahrensbeistand davon ausgegangen, dass die Mutter bei ihrer Familie in Elmshorn übernachten kann. Demgegenüber hat die Mutter mit ihrem Abänderungsantrag vorgetragen, dass ihr dies nicht möglich ist. Mit Blick auf die noch frischen gewalttätigen Auseinandersetzungen der Familien ist dies nachvollziehbar. Familienmitglieder des Vaters leben ebenfalls in Elmshorn. Sein in Elmshorn lebender Cousin hatte dem Vater berichtet, dass die Mutter das Bayram-Fest bei der Familie verbracht habe. Vor diesem Hintergrund hätten weitere Feststellungen zu der praktischen Umsetzung der Umgangsregelung getroffen werden müssen. Auf die aus weiteren Eskalationen für die Kinder resultierenden Risiken hat auch die Sachverständige mit ihrer E-Mail vom 25. August 2020 hingewiesen.

Darüber hinaus konnte bei der Entscheidung des Amtsgerichts noch nicht berücksichtigt werden, dass der Vater einen begleiteten Umgang in Süddeutschland ablehnt. Es ist zwar nachvollziehbar, dass der Vater nicht damit einverstanden war und ist, dass die Mutter mit den Kindern nach Süddeutschland umgezogen ist. Damit werden seine Möglichkeiten auf einen regelmäßigen Umgang bei den noch sehr jungen Kindern stark eingeschränkt. Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass diesem Einwand des Vaters nach den bisherigen Feststellungen des Amtsgerichts kein besonders starkes Gewicht zukommt. Bei der Regelung des Umgangs kommt es entscheidend auf das Kindeswohl an. Die Mutter hat ihren Entschluss zum Umzug im Anschluss an die jüngsten familieninternen Eskalationen gefasst. Dieser Entschluss gibt die tatsächliche Ausgangslage für die vorzunehmende Güterabwägung vor. Ausgangspunkt der Kindeswohlprüfung ist dabei die Frage, ob der Wegzug des Kindes mit dem überwiegend betreuenden Elternteil oder der Verbleib bei dem (bisher umgangsberechtigten) Elternteil die bessere Lösung ist. Die Frage, ob der Elternteil triftige Gründe hat umzuziehen, ist nur bei der Kindeswohlprüfung von Belang, da bei einem unvernünftigen oder willkürlichen Umzugswunsch die Erziehungseignung, insbesondere die Bindungstoleranz in Frage stehen kann, was bei schädlichen Auswirkungen auf das Kind auch im Einzelfall zu einem Sorgerechtszug oder aber dazu führen kann, die Sorge dem anderen Elternteil zu übertragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2010 - XII ZB 81/09, FamRZ 2010, 1060, juris Rn.24; Staudinger/Dürbeck (2019), § 1684 Rn. 89). Der Vater hat jedoch nicht ansatzweise aufgezeigt, dass der Verbleib der Kinder bei ihm die bessere Lösung darstellt.

Vor diesem Hintergrund konnte die vom Amtsgericht beschlossene Umgangsregelung, die abweichend von der grundsätzlichen Regelung nicht ein Holen und Bringen der Kinder durch den umgangsberechtigten Vater regelt, nur mit Blick auf den bereits eingearbeiteten und zur Verfügung stehenden Umgangsbegleiter übergangsweise ergehen. Damit hätte bis zu einer Einrichtung eines begleiteten Umgangs in Süddeutschland verhindert werden können, dass der Vater, der seine Kinder zuletzt im Mai 2020 gesehen hat, für weitere Wochen und Monate seine Kinder nicht sieht und es hätte – wie das Amtsgericht begründet – einem Bindungsabbruch entgegengewirkt werden können. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass der Vater einen Bindungsabbruch zu seinen Kindern ebenfalls nicht entgegenwirkt, indem er einen begleiteten Umgang ablehnt. Seine Gründe dafür hat er im Verfahren nur ansatzweise vorgetragen. Danach befürchtet er, dass die Mutter die begleiteten Umgänge in Pforzheim vereitelt. Zu einem Umgangsversuch in Pforzheim ist es in der Folge nicht gekommen. Das Jugendamt hat mitgeteilt, dass es seine Bemühungen für einen begleiteten Umgang eingestellt hat, ohne dass seitens des Vaters eine Reaktion im Verfahren erfolgte. Es erschließt sich auch nicht, aus welchen Gründen der Vater nicht zumindest zu Videotelefonaten mit seinen Kindern bereit ist. Die Umgangspflegerin hat ein nachhaltiges Interesse des Vaters an seinen Kindern in Zweifel gezogen und auf die Gefährdung der Mutter hingewiesen. Die Aussage des Vaters, dass er befürchte, dass die Kinder einen begleiteten Umgang in Pforzheim vereitele, ohne einen solchen Versuch zu unternehmen spricht dafür, dass ein nachhaltiges Interesse an den Kindern nicht besteht.

Aufgrund des Entschlusses des Vaters keine begleiteten Umgänge in Süddeutschland auszuüben, kommt dem Gesichtspunkt des Bindungsabbruchs nicht mehr überwiegendes Gewicht zu, sondern die mit der Fahrt verbundenen Belastungen rücken bei der Gewichtung der Belange bei der Entscheidung über die Regelung des Umgangs in den Vordergrund.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 87 Abs. 5, 81 FamFG.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte