OLG Hamburg, Beschluss vom 01.03.2021 - 4 U 90/19
Fundstelle
openJur 2021, 14047
  • Rkr:
Tenor

Der Wert des Berufungsverfahrens wird festgesetzt auf EUR 2.407.765,73.

Der Wert des Vergleichs übersteigt den des Berufungsverfahrens um EUR 430.715,16.

Unter Änderung des Beschlusses des Landgerichts vom 20.06.2019 wird der Streitwert der ersten Instanz festgesetzt auf EUR 2.838.480,89.

Gründe

1. Alleiniger Gegenstand der Berufung gegen das Teilurteil des Landgerichts vom 11.11.2019 war die Verurteilung der Beklagten zur Leistung einer Sicherheit in Höhe von EUR 2.407.765,73. Dieser Betrag entspricht dem Streitwert der zweiten Instanz. Denn gemäß § 6 S. 1 ZPO ist der volle Wert der nach § 648a BGB a. F. zu sichernden Forderung anzusetzen (OLG Stuttgart NJW-RR 2012, 1418; Werner/Pastor-Frechen, Der Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 3156; Kniffka-Schmitz, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand 16.02.2021, § 650f, Rn. 39; BeckOGK/Molt, BGB, Stand 01.01.2021, § 650f, Rn. 117).

2. Für den Wert des Vergleichs ist maßgeblich, dass die Parteien sich über alle im Rechtsstreit (erster und zweiter Instanz) geltend gemachten wechselseitigen Ansprüche verglichen haben.

a) Mit dem Antrag zu 1) hat die Klägerin die Zahlung einer restlichen Vergütung von EUR 1.554.236,40 geltend gemacht und mit dem Antrag zu 2) die Leistung einer Sicherheit nach § 648a BGB a. F. in Höhe von EUR 2.407.765,73 verlangt.

Streitig ist, ob in einem solchen Fall die Einzelstreitwerte der beiden Ansprüche zusammenzurechnen sind (OLG Düsseldorf IBR 2013, 1045; Werner/Pastor-Frechen, a.a.O.; Kniffka-Schmitz, a.a.O.; BeckOGK/Molt, a.a.O.) oder ob eine Wertaddition zu unterbleiben hat und nur der höhere der beiden Ansprüche maßgeblich ist (OLG Brandenburg BeckRS 2012, 11578; OLG Stuttgart MDR 2013, 741; Münchener Kommentar-Wöstmann, ZPO, 6. Aufl., § 5, Rn. 4; Musielak/Voit-Heinrich, ZPO, 17. Aufl., § 5, Rn. 8).

Der Senat hat mit Beschluss vom 03.12.2018 – 4 W 141/18 – unter Anschluss an das OLG Hamm (JurBüro 2017, 586) entschieden, dass bei gleichzeitiger Geltendmachung eines Anspruchs auf Zahlung von Werklohn und auf Einräumung einer Sicherungshypothek nach § 648 a BGB a. F. = § 650e BGB n. F. bei der Bemessung des Streitwerts nicht allein auf die Höhe der Werklohnforderung abzustellen ist. Vielmehr ist für den Antrag auf Einräumung einer Sicherungshypothek ein zusätzliches wirtschaftliches Interesse anzunehmen, das mit 1/3 der zugrunde liegenden Werklohnforderung zu bemessen ist. Der Senat hat in der Entscheidung hierzu ausgeführt:

„Zum Teil wird, wie auch vom Landgericht, vertreten, dass die Ansprüche auf Zahlung von Werklohn und Einräumung einer Sicherungshypothek nicht zu addieren seien. Es sei lediglich auf die Höhe der Werklohnforderung abzustellen (vgl. OLG Dresden, Beschluss v. 22.11.2013, 10 W 1107/13; OLG Jena, Beschluss v. 18.02.2010, 5 W 341/09 = NJOZ 2010, 2524; OLG Koblenz, Beschluss v. 12.02.2008, 6 W 1/08; Heinrich in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Auflage 2018, § 3 Rn. 23 unter „Bauhandwerkersicherungshypothek“; Herget in: Zöller, ZPO, 32. Auflage 2017, § 3 Rn. 16 unter „Bauhandwerkersicherungshypothek“). Eine Addition sei wegen wirtschaftlicher Identität der Ansprüche verboten (vgl. Onderka in: Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 14. Auflage 2015, S. 277 Rn. 1508). Das entscheidende Interesse des Klägers bestehe allein im Erhalt des Werklohns (vgl. OLG Dresden, Beschluss v. 22.11.2013, 10 W 1107/13). Die Klage auf Feststellung, dass ein Sicherungsrecht nicht bestehe, verfolge nur den Zweck, zu verhindern, dass sich die Gegenpartei wegen der von ihr geltend gemachten Forderung aus dem Gegenstand befriedigt, an welchem sie sich des Sicherungsrechts berühme (OLG Koblenz, Beschluss v. 12.02.2008, 6 W 1/08). Etwas anderes gelte auch nicht angesichts dessen, dass es sich um rechtlich selbständige Ansprüche handle, über die unterschiedliche Entscheidungen ergehen könnten (OLG Dresden, Beschluss v. 22.11.2013, 10 W 1107/13; OLG Jena, Beschluss v. 18.02.2010, 5 W 341/09 = NJOZ 2010, 2524). Das wirtschaftliche Interesse des Klägers sei nicht höher als der Ausgleich des in voller Höhe angesetzten Forderungswerts, da er mehr als diesen Betrag nicht erlangen könne (OLG Dresden, Beschluss v. 22.11.2013, 10 W 1107/13).

Nach anderer Auffassung kommen beiden Ansprüchen eigenständige Streitwerte zu, die nach § 5 ZPO zu addieren seien. Dabei wird die Höhe des Streitwerts des Antrags auf Einräumung einer Sicherungshypothek unterschiedlich bemessen. Zum einen wird der Streitwert für die Sicherungshypothek auf den vollen Forderungsbetrag festgesetzt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 05.06.2012, 23 W 30/12; Beschluss v. 02.12.2008, 5 W 48/08; OLG München, Beschluss v. 27.09.1999, 28 W 2150/99; Pastor in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 16. Auflage 2017, S. 177 Rn. 313). Zum anderen wird die Sicherungshypothek nur mit einem 1/3 der Werklohnforderung für den Streitwert berücksichtigt (OLG Hamm, Beschluss vom 21.08.2017, 12 W 16/17; Beschluss vom 09.06.2011, 24 U 147/08). Hinsichtlich des Zahlungsbegehrens einerseits und dem Sicherungsbegehren andererseits bestünden unterschiedliche Streitgegenstände, mit denen unterschiedliche Ziele verfolgt werden würden (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 02.12.2008, 5 W 48/08; Joussen in: Leupertz/v. Wietersheim, VOB Kommentar, Anhang 1 S. 2602 ff. Rn. 123). Der geltend gemachte Anspruch auf Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek beinhalte ein eigenständiges wirtschaftliches Interesse, weil dieser dazu bestimmt sei, die Vergütungsforderung abzusichern. Zudem eröffne er dem Werkunternehmer die Möglichkeit, seinen Vergütungsanspruch durch die rangwahrende Wirkung der Sicherungshypothek und der erleichterten und beschleunigten Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten mit höheren Erfolgschancen zu realisieren (OLG Hamm, Beschluss vom 21.08.2017, 12 W 16/17; Beschluss vom 09.06.2011, 24 U 147/08; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.12.2008, 5 W 48/08; OLG München, Beschluss vom 27.09.1999, 28 W 2150/99). Zwar bestehe aufgrund der Akzessorietät eine Abhängigkeit der Bauhandwerkersicherungshypothek von der Forderungshöhe der gleichzeitig eingeklagten Vergütung. Zudem würden etwaige Mängel die Durchsetzbarkeit der Ansprüche in gleicher Weise beschränken (Joussen in: Leupertz/v. Wietersheim, VOB Kommentar, Anhang 1 S. 2602 ff. Rn. 123). Es bestehe jedoch trotz wirtschaftlicher und rechtlicher Abhängigkeit des Sicherungs- vom Forderungsanspruch keine Vollidentität der beiden Ansprüche. Die rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen beider Ansprüche seien unterschiedlich, so dass auch entgegengesetzte Entscheidungen nebeneinander ergehen könnten (OLG Düsseldorf, 02.12.2008, 5 W 48/08; OLG München, 27.09.1999, 28 W 2150/99). So könne eine Vergütungsforderung berechtigt sein, obwohl gleichzeitig der Anspruch auf Vergütungssicherung nach § 650e BGB an einer dafür zusätzlich notwendigen Identität von Grundstückseigentümer und Besteller scheitere. Andererseits könne die zu sichernde Forderung noch nicht fällig sein, was aber die Eintragung der Sicherungshypothek nicht hindere (OLG München, Beschluss vom 27.09.1999, 28 W 2150/99; Joussen in: Leupertz/v. Wietersheim, VOB Kommentar, Anhang 1 S. 2602 ff. Rn. 123).

Der Senat schließt sich der letztgenannten Ansicht an, hält jedoch wie das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm, Beschluss vom 21.08.2017, 12 W 16/17) eine Berücksichtigung des wirtschaftlichen Interesses an der Eintragung der Sicherungshypothek mit 1/3 der zugrunde liegenden Werklohnforderung für angemessen. Denn das auf die Eintragung der Bauhandwerkersicherungshypothek entfallende zusätzliche wirtschaftliche Interesse beschränkt sich auf die Erleichterung der Durchsetzung des Zahlungsanspruches und kann daher nicht mit dem vollen Wert der zugrunde liegenden Forderung, sondern nur mit einem Bruchteil hiervon bemessen werden (OLG Hamm, Beschluss vom 09.06.2011, 24 U 147/08).“

Hieran hält der Senat fest. Die Bemessung des Streitwerts einer Klage auf Zahlung von Werklohn und auf Einräumung einer Sicherungshypothek ist gleich zu behandeln mit dem hier vorliegenden Fall einer Klage auf Zahlung von Werklohn und Leistung einer Sicherheit nach § 648a BGB a. F. = § 650f BGB n. F., weil es jeweils um eine zusätzliche Sicherung des gleichzeitig eingeklagten Werklohnanspruchs geht.

Nach diesen Maßstäben ergibt sich vorliegend für die Klaganträge zu 1) und 2) ein Streitwert von EUR 2.407.765,73. Zwar bleibt die um ein Drittel erhöhte Werklohnforderung von EUR 1.554.236,40 hinter diesem Betrag zurück. Der höhere der beiden Ansprüche, nämlich der Wert des Anspruchs auf Leistung einer Sicherheit von EUR 2.407.765,73 (siehe dazu oben Ziffer 2. a) entspricht aber dem Mindeststreitwert.

b) Mit dem Klagantrag zu 3) hat die Klägerin die Herausgabe von zwei Gewährleistungsbürgschaften über einen Gesamtbetrag von EUR 1.094.641,50 verlangt. Das Landgericht hat den Streitwert für den Klagantrag zu 3) mit Beschluss vom 20.06.2019 – von den Parteien nicht angefochten – auf diesen Betrag festgesetzt. Dem folgt der Senat nicht.

Der Streitwert einer Klage auf Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde ist nicht ohne weiteres mit dem Wert der Forderung, die der Bürgschaft zugrunde liegt, identisch, sondern nach § 3 ZPO zu schätzen. Maßgebend ist nämlich das Interesse des Klägers an dem Besitz der Urkunde. Dieses kann erheblich geringer sein als der Wert der Bürgschaftsforderung, etwa wenn die Hauptforderung erloschen ist und es nur darum geht, eine missbräuchliche Benutzung der Bürgschaftsurkunde zu verhindern. Geht es dem Kläger hingegen mit der Herausgabeklage darum, die Inanspruchnahme des Bürgen durch eine Rückgabe der Bürgschaftsurkunde zu verhindern, ist der Streitwert der Herausgabeklage mit dem Wert der Bürgschaftsforderung anzusetzen (BGH NJW-RR 1994, 758; WuM 2006, 215; OLG Stuttgart NJW-RR 2016, 1215, Rn. 2). Wenn die drohende Inanspruchnahme des Bürgen wegen vom Auftraggeber/Besteller geltend gemachter Mängelrechte den Bürgschaftsbetrag zumindest erreicht oder diesen übersteigt, bestimmt sich der Streitwert in Anlehnung an § 6 ZPO nach der Höhe der Bürgschaftssumme (KG BauR 2000, 1380; KG AGS 2002, 126; OLG Dresden BauR 2003, 931; OLG Stuttgart BauR 2020, 479, zit. nach juris, Rn. 105; Ingenstau/Korbion-Joussen, VOB, 21. Auflage, § 17 Abs. 4 VOB/B, Rn. 146; Werner/Pastor-Frechen, Der Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 3156; Schneider/Herget-Monschau, Streitwertkommentar, 14. Aufl., Rn. 2972; Zöller-Herget, ZPO, 33. Aufl., § 3, Rn. 16.52).

Geht es indes dem Kläger mit der Klage auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde allein oder zumindest ganz überwiegend darum, Bürgschaftskosten durch Vermeidung weiterer Avalgebühren zu reduzieren, ist der Streitwert auf einen Wert deutlich unter dem Nennbetrag der Bürgschaft festzusetzen (OLG Frankfurt a. M. – 22 W 1/20 – Beschluss vom 16.04.2020, juris). So verhält es sich hier. Die Parteien haben übereinstimmend vorgetragen, dass die Klägerin die Herausgabe der Bürgschaftsurkunden nicht aus dem Grund begehrt hat, weil eine Inanspruchnahme hieraus bevorstand, sondern weil sie weitere Avalgebühren vermeiden wollte und der Avalrahmen um die Bürgschaftsbeträge wieder erweitert werden sollte. Der Senat schätzt den Wert des Antrags auf 25 % der gesicherten Hauptforderung von EUR 1.094.641,50, mithin auf einen Betrag von EUR 273.660,38.

c) Hinzu kommt der Wert der Widerklage von EUR 157.054,78 (siehe auch den Beschluss des Landgerichts vom 29.05.2019).

d) Damit ergibt sich folgender Gesamtstreitwert für die erste Instanz:

Klaganträge zu 1) und 2):EUR 2.407.765,73Klagantrag zu 3): EUR 273.660,38Widerklage: EUR 157.054,78Gesamtstreitwert EUR 2.838.480,89e) Mithin beträgt der Wert des Vergleichs EUR 2.838.480,89. Er übersteigt den Wert des Berufungsverfahrens um EUR 430.715,16.

3. Das Berufungsgericht hat von seiner Befugnis nach § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG Gebrauch gemacht und den Streitwertbeschluss des Landgerichts vom 20.06.2019 betreffend den Klagantrag zu 3) von Amts wegen geändert und den Streitwert für die erste Instanz insgesamt festgesetzt.