LG München I, Endurteil vom 11.11.2020 - 15 O 12455/19
Fundstelle
openJur 2021, 13886
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf im Verhältnis zu den Beklagten zu 1)-3) auf € ... im Verhältnis zur Beklagten zu 4) auf € ... festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung bzw. Gewährleistungsansprüche geltend.

Mit Antrag vom 14.02.2017 beantragte der Kläger gegenüber der Fa. ... (im Folgenden: ...) den Abschluss eines Leasingvertrages über den PKW Porsche Cayenne, FIN WP1ZZZ.... Die Fa. ... hatte das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von € ... abzüglich eines Nachlasses von € ... von der Beklagten zu 4) am 03.02.2017 erworben. Die Fa. ... nahm den Leasingantrag des Klägers am 08.06.2017 an. Vereinbart war ein "Kilometer-Leasing", mit einer Laufzeit von 36 Monaten bei einer jährlichen Fahrleistung von 25.000 km. Die Vereinbarung eines Restwertes erfolgte nicht. Die monatliche Leasingrate betrug € ... zzgl. USt., die vom Kläger vertragsgemäß geleistet wurden. Die Fa. ... hatte den ihren AGB die mietrechtliche Gewährleistung abbedungen und dem Kläger zur Kompensation die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche gegen die Beklagte zu 4) abgetreten.

Am ... erließ das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) einen Bescheid, wonach Teile der Motorsteuerungssoftware zu ändern waren, um die Vorschriftsmäßigkeit im Hinblick auf die VO(EU)715/2007 wiederherzustellen. Mit Schreiben vom 18.10.2017 gab das KBA die geänderte Software gegenüber der Beklagten zu 3) frei. Das Software-Update wurde auf das streitgegenständlichen Fahrzeug im Januar 2018 aufgespielt. Mit Schreiben seines anwaltlichen Vertreters vom 10.04.2019 erklärte der Kläger den Rücktritt von dem zwischen der Beklagten zu 4) und der Porsche Financial geschlossenen Kaufvertrag.

Der Kläger behauptet, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen i.S.d. VO(EU) 715/2007 verbaut gewesen. .... Dies hätte dazu geführt, dass das Fahrzeug die geforderten Abgasgrenzwerte lediglich auf dem Prüfstand eingehalten habe, nicht aber im regulären Betrieb. Schon die Typengenehmigung hätte daher gar nicht erteilt werden dürfen. Es habe daher die Gefahr bestanden, dass die Zulassung des Fahrzeugs widerrufen, und das Fahrzeug stillgelegt werde. Die Beklagten hätten dies gewusst, und vorsätzlich und sittenwidrig dem Kläger einen Schaden zugefügt.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die unzulässigen Abschalteinrichtungen zugleich einen Mangel darstellten. Der Mangel sei nicht behebbar, insbesondere führe das Update zu einem erhöhten Harnstoffverbrauch.

Der Kläger hat den Rechtsstreit im Hinblick auf den Klageantrag Ziffer I. (Zahlung von € ... nebst Zinsen an die Fa. ... abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs an die Beklagte zu 4)) im Termin vom 14.10.2020 für erledigt erklärt. Die Beklagte zu 4) hat der Erledigung zugestimmt. Ferner hat der Kläger im Klageantrag Ziffer II. den Zinsantrag insoweit zurückgenommen, als Zinsen in Höhe von ... % auf die gezahlten Leasingraten gefordert waren.

Der Kläger beantragt zuletzt:

...

Die Beklagten beantragen

Klageabweisung.

Die Beklagten zu 1) bis 3) stellen eine vorsätzliche Pflichtverletzung in Abrede. Zudem bestehe beim Kläger aufgrund des Kilometer-Leasings kein Schaden. Eine Gefahr der Betriebsuntersagung habe nicht bestanden. Die Beklagte zu 4) bringt vor, aufgrund des im Januar 2018 aufgespielten Software-Updates habe zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung kein Mangel mehr vorgelegen. Das Update habe keine negativen Einflüsse auf das Fahrzeug. Zudem handele es sich vorlegend um einen Handelskauf i.S.d. § 377 HGB. Der Kläger habe aber den behaupteten Mangel nicht unverzüglich gerügt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Analgen sowie die Sitzungsniederschrift vom 14.10.2020 Bezug genommen. Beweise wurden nicht erhoben.

Gründe

A.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Klage gegen die Beklagten zu 1)-3)

Vorliegend kann aus Sicht des Gerichts dahinstehen, ob den Beklagten der Vorwurf einer unerlaubten Handlung zu machen ist.

Denn dem Kläger ist durch eine - unterstellte - unerlaubte Handlung kein Schaden entstanden, der eine Rücktritt vom Kaufvertrag rechtfertigen würde.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Schaden nicht nur dann gegeben, wenn sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt. Die Differenzhypothese muss stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden, weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt. Dabei ist einerseits das konkrete haftungsbegründende Ereignis als Haftungsgrundlage zu berücksichtigen. Andererseits ist die darauf beruhende Vermögensminderung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände sowie der Verkehrsauffassung in die Betrachtung einzubeziehen. Erforderlich ist also eine wertende Überprüfung des anhand der Differenzhypothese gewonnenen Ergebnisses gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes (BGH WM 2014, 2318).

Da der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen. Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH WM 2014, 2318; NJW 1998, 302).

Im Fall einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer "ungewollten" Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche stellt unter den dargelegten Voraussetzungen einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (BGH NJW 2020, 1962).

Vorliegend scheidet ein Schaden insoweit aus, weil der Vertragsschluss nach den oben genannten Grundsätzen nicht als unvernünftig anzusehen ist. Der Kläger hat durch den ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten, die für seine Zwecke nicht unbrauchbar war.

Zwar kann davon ausgegangen werden, dass es auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (vgl. BGH NJW 2020, wenngleich die weiteren Argumente des BGH ersichtlich den Erwerb eines PKW zu Eigentum durch eine Privatperson betrafen).

So liegt der Fall hier aber nicht.

Aus dem Bescheid vom ... ergibt sich, dass das KBA Nebenbestimmungen zu der erteilten Typgenehmigung erlassen hat. Danach war die Motorsteuerungssoftware nachzurüsten. Bei Nichtbeachtung der Anordnungen in den Bescheiden drohte ein Widerruf oder die Rücknahme der Typgenehmigung. Anordnungen gegenüber dem Kläger waren - soweit ersichtlich - keine ergangen, insbesondere keine Androhung einer Stilllegung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Die Softwarenachrüstung erfolgte beim klägerischen Fahrzeug im Januar 2018, freigegeben worden war die Software durch das KBA am 18.10.2017.

Dem streitgegenständlichen Fahrzeug drohte im Zeitpunkt des Erwerbs weder eine Betriebseinschränkung noch eine Betriebsuntersagung. Ein solche wäre allenfalls dann im Raum gestanden, wenn die Beklagte zu 3) der Verpflichtung zur Nachrüstung nicht nachgekommen wäre. Das ist vorliegend aber nicht der Fall.

Soweit der Kläger behauptet, aufgrund des Updates komme es zu Folgebeeinträchtigungen, kommt es hierauf ebenfalls nicht an, da etwaige Schäden nicht zu dem geltend gemachten Schaden (Rückabwicklung des Vertrages) führen würden.

2. Ein Schaden scheidet aber auch deswegen aus, weil dem Kläger unter Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung kein Schaden verbleibt.

a. Nach den von der Rechtsprechung im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (vgl. etwa BGH NJW 2015, 553; NJW-RR 2010, 1683; NJW 1986, 983).

b. Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB (BGH NJW 2020, 1962).

c. Anders als beim Kaufvertrag berechnet sich beim Leasing - jedenfalls in der hier gewählten Vertragsgestaltung - die Nutzungsentschädigung nicht aus dem Verhältnis der gefahrenen Kilometer zu der Gesamtlebensfahrleistung, sondern objektiv nach dem Betrag, der durchschnittlich für eine vertragliche Gebrauchsgestattung zu entrichten gewesen wäre. Dabei ist zunächst die vertraglich vereinbarte Gegenleistung zugrunde zu legen, die ggf. um den sich aus dem Mangel ergebenden Minderwert zu kürzen ist (OLG München DAR 2019, 150). Vorliegend war die Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeugs für den Kläger nicht eingeschränkt. Allein die drohende Möglichkeit der Stilllegung hat die Nutzungsmöglichkeit nicht beeinträchtigt. Der Kläger konnte das Fahrzeug im gesamten Zeitraum nutzen.

d. Da damit die anzurechnenden Vorteile den gezahlten Leasingraten entsprechen, ist dem Kläger kein ausgleichspflichtiger Schaden verblieben.

II.

Klage gegen die Beklagte zu 4)

Gegen die Beklagte zu 4) scheidet ein Anspruch aufgrund Rücktritts vom Kaufvertrag aus.

Voraussetzung für den Rücktritt nach §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 326 Abs. 5 BGB ist u.a., dass zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung der Kaufgegenstand mit einem Mangel behaftet war. Das war vorliegend nicht der Fall.

Ein Sachmangel setzt voraus, wenn die Sache sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB.

Für die gewöhnliche Verwendung eignet sich ein Kraftfahrzeug grundsätzlich nur dann, wenn es eine Beschaffenheit aufweist, die weder seine (weitere) Zulassung zum Straßenverkehr hindert noch ansonsten seine Gebrauchsfähigkeit aufhebt oder beeinträchtigt (vgl. BGH NJW 2016, 3015; NJW 2017, 153; ZIP 2018, 2272; NJW 2019, 1133).

Es kann dahinstehen, ob dem das streitgegenständliche Fahrzeug bei Gefahrübergang genügt hat oder nicht. Jedenfalls im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung am 10.04.2019 bestand der Sachmangel nicht mehr. Denn die im Falle einer (noch) nicht erfolgten Nachrüstung - zumindest latent - bestehende Gefahr einer Betriebsuntersagung oder -beschränkung durch die Zulassungsbehörde war zu diesem Zeitpunkt entfallen, nachdem - wie durch das Schreiben des KBA vom 18.10.2017 bestätigt - die beanstandete Motorsteuerungssoftware durch ein Update behoben werden konnte, und dieses Update bereits im Januar 2019 aufgespielt worden war (vgl. dazu auch OLG München, Urteil vom 16.09.2020, Az. 20 U 4234/18, zitiert nach juris).

Insoweit kommt es auch nicht mehr darauf an, ob, und ggf. wann der Kläger Kenntnis von dem behaupteten Mangel gehabt hat.

III.

Da schon der Hauptanspruch gegen sämtliche Beklagte nicht besteht, kann der Kläger auch keine Nebenansprüche geltend machen.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3, 91 a ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.

C.

Die Streitwertfestsetzung orientiert sich an den Angaben des Klägers in der Klage.