OLG Rostock, Beschluss vom 15.09.2020 - 5 W 21/20
Fundstelle
openJur 2021, 13784
  • Rkr:

1. Wird ein Fußballspieler gefoult, kann der Gegner aus § 823 Abs. 1 BGB haften. Dies setzt den Nachweis voraus, dass der Gegner schuldhaft gegen die Regeln des sportlichen Wettkampfs verstoßen und dabei den Anderen verletzt hat. Eine Haftung scheidet dagegen aus, wenn es sich um Verletzungen handelt, die sich ein Sportler bei einem regelgerechten und dem - bei jeder Sportausübung zu beachtenden - Fairnessgebot entsprechenden Einsatz seines Gegners zuzieht. In einem solchen Fall hat sich der Schädiger jedenfalls nicht sorgfaltswidrig verhalten.

2. Die Sorgfaltsanforderungen an den Teilnehmer eines Wettkampfs bestimmen sich nach den besonderen Gegebenheiten des Sports, bei dem sich der Unfall ereignet hat. Sie sind an der tatsächlichen Situation und den berechtigten Sicherheitserwartungen der Teilnehmer des Wettkampfes auszurichten und werden durch das beim jeweiligen Wettkampf geltende Regelwerk konkretisiert.

Tenor

Der Beschluss der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Rostock vom 09.01.2020 (2 O 850/19) wird aufgehoben.

Die Sache wird zur Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Antragssteller begehrt Prozesskostenhilfe für seine beabsichtigte Klage gegen den Antragsgegner auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie die Feststellung, auch zukünftigen Schaden ersetzt zu erhalten.

Der Antragssteller spielte am 23.09.2017 mit der Fußballmannschaft der SG R. gegen den PSV R., bei dem der Antragsgegner im Tor stand. Gegen Ende des Spiels verletzte sich der Antragssteller durch ein Foulspiel des Antragsgegners im Strafraum. Dabei brachen sein Schien- und Wadenbein rechts.

Der Antragssteller behauptet, der Antragsgegner sei aus seinem Tor herausgestürmt und sei ihm mit beiden ausgestreckten Beinen voran halb in der Luft mit hochgehaltener Fußspitze und -sohle in die Beine gesprungen. Der Antragssteller meint, der Antragsgegner habe dabei mindestens bedingt vorsätzlich gehandelt.

Der Beinbruch wurde operiert. Der Antragssteller war hierfür sechs Tage stationär im Krankenhaus untergebracht. Er leidet noch heute unter Beeinträchtigungen und ein Dauerschaden wird verbleiben. Er hält ein Schmerzensgeld von € 20.000,00 für angemessen. Zudem macht er Aufwendungen für Physiotherapie, Fahrkosten und Zuzahlungen geltend und verlangt den Ersatz seines entgangenen Gewinns aus einer selbstständigen Handwerkertätigkeit.

Der Antragsgegner hat in einer persönlichen Erklärung vom 14.11.2019 bestritten, dass er dem Antragssteller absichtlich eine Verletzung zufügen wollte. Es tue ihm leid, dass der Antragssteller bei diesem unglücklichen Unfall zu Schaden gekommen ist. Auf den weiteren Inhalt der Stellungnahme (Bd. I Bl. 10 d. A.) wird verwiesen. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners hält den tatsächlichen Vortrag in der Antragsschrift für nicht ausreichend, um eine Haftung des Antragsgegners begründen zu können.

Das Landgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen. Der Antragssteller habe nicht hinreichend dargelegt, dass der Antragsgegner ihm die unstrittige Verletzung zumindest grob fahrlässig zugefügt habe. Für leichte und mittlere Fahrlässigkeit gelte im Wettkampfsport ein stillschweigender Haftungsausschluss. Wegen eines entsprechend mutmaßlichen Willens der Teilnehmer eines Fußballspiels beschränke sich die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Der Antragssteller habe keine Spielsituation behauptet, die den Schluss auf ein zumindest grob fahrlässiges Handeln des Antragsgegners zuließe. Entsprechend konkrete objektive Umstände fehlten. Der Antragssteller habe die Spielsituation unter Berücksichtigung der Erklärung des Antragsgegners unzureichend dargestellt.

Der Beschluss ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsstellers am 20.01.2020 zugestellt worden. Mit seiner am 20.02.2020 eingegangenen sofortigen Beschwerde wiederholt der Antragssteller seinen Tatsachenvortrag und konkretisiert ihn dahingehend, dass der Antragssteller mit dem Rücken zum Tor stand, als er den Ball kurz vor dem Einsteigen des Antragsgegners angenommen hatte. Der Antragsgegner habe keine Möglichkeit gehabt, an den Ball zu kommen, ohne den Antragssteller zu foulen. Schließlich sei der Antragsgegner auch vom Schiedsrichter verwarnt und ein Elfmeter verhängt worden. Wegen der Rücksichtslosigkeit des Antragsgegners habe die beabsichtigte Klage Aussicht auf Erfolg.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 30.03.2020 nicht abgeholfen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Antragsgegner auch ohne eine Verletzung des Antragsstellers hätte an den Ball kommen können.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Denn das der Entscheidung zu Grunde zu legende Vorbringen des Antragsstellers genügt als Begründung eines Ersatzanspruches gegen den Antragsgegner. Das Landgericht hätte die Prozesskostenhilfe deswegen nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, dass der Antragssteller nicht ausreichend dargelegt habe, der Antragsgegner habe ihm die Verletzung zumindest grob fahrlässig zugefügt.

1. Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit den Parteien den zutreffenden rechtlichen Maßstab für die Haftung eines Fußballspielers für eine Regelverletzung angewandt. Demnach setzt die Haftung eines Sportlers aus § 823 Abs. 1 BGB den Nachweis voraus, dass dieser schuldhaft gegen die Regeln des sportlichen Wettkampfs verstoßen und dabei einen Anderen verletzt hat. Eine Haftung scheidet dagegen aus, wenn es sich um Verletzungen handelt, die sich ein Sportler bei einem regelgerechten und dem - bei jeder Sportausübung zu beachtenden - Fairnessgebot entsprechenden Einsatz seines Gegners zuzieht. In einem solchen Fall hat sich der Schädiger jedenfalls nicht sorgfaltswidrig verhalten. Die Sorgfaltsanforderungen an den Teilnehmer eines Wettkampfs bestimmen sich nach den besonderen Gegebenheiten des Sports, bei dem sich der Unfall ereignet hat. Sie sind an der tatsächlichen Situation und den berechtigten Sicherheitserwartungen der Teilnehmer des Wettkampfes auszurichten und werden durch das beim jeweiligen Wettkampf geltende Regelwerk konkretisiert (BGH, Urt. v. 27.10.2009 - VI ZR 296/08, juris, Rn. 10 m.w.N.). Auch die Ausführungen des Landgerichts zur Haftungsbeschränkung begegnen keinen Bedenken.

2. Allerdings genügt der Vortrag des Antragsstellers entgegen der landgerichtlichen Bewertung, um die Voraussetzungen für eine Haftung eines Fußballers im Wettkampf zu erfüllen. Denn der unter Zeugenbeweis gestellte Vortrag, der Antragsgegner sei aus dem Torraum herausgestürmt und dem Antragssteller, der mit dem Rücken zum Tor stand, mit beiden ausgestreckten Beinen voran halb in der Luft mit hochgehaltener Fußspitze und -sohle in die Beine gesprungen, kann eine grobe Fahrlässigkeit darstellen. Letztlich wird es auf eine abschließende Bewertung ankommen, welche Tatsachen einer inhaltlichen Entscheidung zu Grunde zu legen sein werden. Bisher ist der Antragsgegner dem Tatsachenvortrag des Antragsstellers inhaltlich kaum entgegengetreten, nämlich allenfalls in einem Randbereich des Geschehens.

Sein Vortrag, er habe den Ball erwischt, als er versuchte, das Rollen des Balles ins Toraus mit einem seitlichen Einsteigen zu verhindern und beim darauffolgenden Zusammenprall habe sich der Antragssteller schwer verletzt, würde die unstrittig erteilte gelbe Karte und den verhängten Strafstoß nicht erklären.

Der Tatsachenvortrag des Antragsstellers genügt demnach, um eine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.v. § 114 Abs. 1 S. 1 2. Hs. ZPO feststellen zu können.

3. Die beabsichtigte Klage hat somit grundsätzlich Aussicht auf Erfolg. Hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Ansprüche hat das Landgericht noch nicht die Erfolgsaussicht bewertet. Auch hat es die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsstellers noch nicht abschließend geprüft. Auf die sofortige Beschwerde war der Beschluss demnach aufzuheben. Die abschließende Entscheidung, insbesondere die Prüfung der Hilfsbedürftigkeit, war der Erstrichterin zu überlassen (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl., § 127 Rn. 38).

Das Landgericht wird dabei auch die für angemessen erachtete Höhe des Schmerzensgeldes sowie den geltend gemachten Verdienstausfall bewerten müssen. Auf die erforderlichen Einnahme-/ Überschussrechnungen hatte das Landgericht bereits im Zusammenhang mit den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen hingewiesen. Sie sind aber auch hinsichtlich der Schadenshöhe erforderlich.

Denn der entgangene Gewinn im Sinne von § 252 BGB bei selbstständiger Tätigkeit besteht in der konkret festzustellenden Gewinnminderung. Bei der Ermittlung des konkreten Gewinnausfalls ist von dem Betriebsergebnis in den letzten Jahren vor dem schädigenden Ereignis auszugehen (Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 252 Rn. 14 m.w.N.). Der entgangene Gewinn ist aufgrund eines durchschnittlichen Erfolgs der bisherigen Tätigkeit des Geschädigten zu ermitteln. Dazu kann das Gericht auf die Geschäftsergebnisse der Vorjahre unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Geschäftsentwicklung zurückgreifen (BeckOGK/Brand, 15.7.2020, BGB § 252 Rn. 21).

4. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO).