VG Minden, Urteil vom 29.01.2021 - 6 K 1403/18
Fundstelle
openJur 2021, 13729
  • Rkr:
Tenor

Die Bescheide des Beklagten vom 29. November 2017 und vom 28. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2018 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Neufestsetzung und Rückforderung von Leistungen der öffentlichen Ausbildungsförderung nach dem Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG -) aufgrund der nachträglichen Vollanrechnung einer vom Kläger im Rahmen der Erstellung seiner Bachelorarbeit bei der U. S. F. GmbH erzielten Vergütung.

Der am 00.00.1991 geborene Kläger nahm im Wintersemester 2014/2015 ein Bachelorstudium des Wirtschaftsingenieurwesens an der Hochschule I. -M. auf, für das er zunächst beim Kreis T. Leistungen nach dem BAföG beantragte. Unter Verwendung eines am 5. August 2016 eingegangenen amtlichen Vordrucks stellte er beim Beklagten erstmals ab dem fünften Fachsemester einen Antrag auf Förderleistungen nach dem BAföG, die ihm mit Bescheid vom 28. Oktober 2016 für den Zeitraum von September 2016 bis August 2017 unter Anrechnung einer im Rahmen eines Praktikumssemesters erzielten Vergütung zunächst in Höhe von 450 Euro monatlich und mit Bescheid vom 28. Juli 2017 in Höhe von 467 Euro bewilligt wurden. Unter Verwendung eines beim Beklagten am 6. Juli 2017 eingegangenen amtlichen Vordrucks beantragte der Kläger nunmehr die Bewilligung von Förderleistungen für das siebte Fachsemester seines Studiums. Mit Bescheid vom 30. August 2017 bewilligte ihm der Beklagte die beantragten Förderleistungen im Zeitraum von September 2017 bis Februar 2018 in Höhe von 732 Euro monatlich ohne Anrechnung eigenen Einkommens; die aus einer von April bis Juli 2017 ausgeübten (Neben-)Tätigkeit erzielte Vergütung war vollständig dem Kläger zu belassen.

Mit E-Mails vom 26. September und 31. Oktober 2017 übermittelte der Kläger dem Beklagten einen zwischen ihm und der U. S. F. GmbH geschlossenen, vom 8. August 2017 datierenden "Vertrag zur Erstellung einer Bachelorthesis" im Zeitraum vom 15. August 2017 bis zum 15. Januar 2018 zu dem Thema "Alternatives Füllstopfenkonzept für Doppelvierpunktlager". Auf der Grundlage dieses Vertrages erhielt der Kläger vom 15. August bis zum 30. September 2017 eine Vergütung in Höhe von 986,94 Euro und vom 1. Oktober 2017 bis zum 15. Januar 2018 in Höhe von 592,16 Euro brutto im Monat.

Mit Bescheid vom 29. November 2017 setzte der Beklagte den Förderanspruch des Klägers unter voller Anrechnung der auf der Grundlage des Vertrages vom 8. August 2017 erhaltenen Vergütung für den Bewilligungszeitraum von September 2017 bis Februar 2018 auf 462,00 Euro monatlich neu fest, hob insoweit den Bewilligungsbescheid vom 30. August 2017 auf und forderte nach Aufrechnung mit laufenden Zahlungen die Erstattung eines Betrages in Höhe von 615,30 Euro zurück.

Mit seinem hiergegen am 4. Dezember 2017 erhobenen Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die volle Anrechnung der aus dem Vertrag mit der U. S. F. GmbH vom 8. August 2017 erzielten Vergütung auf den förderrechtlichen Bedarf rechtswidrig sei. Auf diese Vergütung sei vielmehr der der Höhe nach nicht überschrittene allgemeine Hinzuverdienstfreibetrag anzuwenden. Die Vergütung sei weder als Ausbildungs- noch als Praktikumsvergütung, sondern als Hinzuverdienst aus einer Werkstudententätigkeit bzw. einem Nebenjob einzuordnen. Die Tätigkeit bei der U. S. F. GmbH sei nach der Ausbildungsordnung kein notwendiger Bestandteil der Ausbildung, so dass die Vergütung als Ergebnis zusätzlicher Anstrengungen mit einem Freibetrag zu versehen sei.

Mit Bescheid vom 28. Dezember 2017 setzte der Beklagte den Förderanspruch des Klägers auch für den Bewilligungszeitraum von September 2016 bis August 2017 unter voller Anrechnung der Vergütung aus dem Vertrag mit der U. S. F. GmbH vom 8. August 2017 auf 430,00 Euro monatlich neu fest, hob insoweit den Bewilligungsbescheid vom 28. Juli 2017 auf und forderte nach Aufrechnung mit laufenden Zahlungen die Erstattung eines Betrages in Höhe von 444,00 Euro zurück.

Mit weiterem Bescheid vom 28. Dezember 2017 setzte der Beklagte den Rückforderungsbetrag auf 1.059,30 Euro fest.

Mit Schreiben vom 3. Januar 2018 erhob der Kläger auch gegen diese Bescheide Widerspruch. Zur Begründung wiederholte und vertiefte er im Wesentlichen seine Ausführungen in dem bereits stattfindenden Verwaltungsverfahren. Ergänzend trug er vor, dass er mit dem Vertrag bei der U. S. F. GmbH neben der allgemeinen Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation die Umsetzung theoretischen Wissens in die Praxis sowie die Erlangung weiterer Kenntnisse für eine spätere Tätigkeit habe erreichen wollen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2018 wies der Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die vom Kläger bei der U. S. F. GmbH aufgrund des Vertrages vom 8. August 2017 erzielte Vergütung ohne Gewährung eines Freibetrages auf seinen förderrechtlichen Bedarf anzurechnen sei. Zwar handele es sich nicht um eine Vergütung aus einem Pflichtpraktikum, aber aus einem Ausbildungsverhältnis. Ein Ausbildungsverhältnis sei förderungsrechtlich dadurch gekennzeichnet, dass dem Auszubildenden in der Praxis Kenntnisse, Fähigkeiten und berufliche Erfahrungen vermittelt würden, die für das Erreichen des Ausbildungsziels nützlich oder erforderlich seien. Eine Ausbildungsvergütung diene nicht der Entlohnung in einem bloßen Beschäftigungsverhältnis, sondern der Förderung der Ausbildung. Durch die Vollanrechnung werde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Vergütung dem Auszubildenden zwangsläufig aufgrund der Ausbildung zufließe, zu deren finanzieller Sicherung die Leistungen nach dem BAföG vorgesehen seien. Die Ausbildungsvergütung sei nicht wie im Falle einer Werkstudententätigkeit das Ergebnis besonderer zusätzlicher Anstrengungen, sondern eine mit den Förderleistungen völlig zweckidentische Leistung. Das durch den Vertrag vom 8. August 2017 begründete Arbeitsverhältnis stimme zudem mit den Anforderungen des Studiums überein. Dem Vertrag sei zu entnehmen, dass die Vergütung zur Erstellung einer Studienarbeit geleistet werde.

Der Kläger hat am 3. April 2018 Klage erhoben, zu deren Begründung er unter Vertiefung seiner Ausführungen im Verwaltungsverfahren im Wesentlichen vorträgt, er habe bereits eine Werkstudententätigkeit bei der U. S. F. GmbH ausgeübt und sich eigeninitiativ an den Leiter der ihn interessierenden Abteilung zwecks Durchführung der Bachelorarbeit gewandt. Daraufhin habe ein kurzes Gespräch stattgefunden, in dessen Rahmen ihm ein - später abgeändertes - Thema für die Bachelorarbeit vorgestellt worden sei. Nach einer Bedenkzeit von einer Woche habe er sich für die Bearbeitung des Themas entschieden. Während der Vertragslaufzeit habe er weit überwiegend praktische und theoretische Arbeiten vorgenommen, die mit der Bachelorarbeit zu tun gehabt hätten. Er habe äußerst selten Tätigkeiten im Wesentlichen konstruktiver Art für andere Fachbereiche übernommen, sofern ihm dafür Zeit geblieben sei.

Der Kläger beantragt,

die Bescheide des Beklagten vom 29. November 2017 und vom 28. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2018 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich der Sache nach auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung und bekräftigt, dass die Vereinbarung eines festen Entgelts anstatt einer individuellen Abrechnung auf tatsächlicher Stundenbasis die Zwangsläufigkeit des Einkommenszuflusses zur Vorbereitung und Erstellung der Studienarbeit unterstreiche. Das Entgelt des Klägers werde außerdem in den vorgelegten Abrechnungen als "Praktikantenvergütung" bezeichnet.

Mit Beschluss vom 25. Juni 2018 hat die Kammer das Verfahren dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten (1 Hefter) Bezug genommen.

Gründe

Die als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Hs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage, über die der Einzelrichter (vgl. § 6 Abs. 1 VwGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO) entscheidet, ist begründet.

Der Bescheid vom 29. November 2017 und die Bescheide vom 28. Dezember 2017 in der Gestalt, die sie durch den Widerspruchsbescheid vom 13. März 2018 gefunden haben, sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Leistungen der öffentlichen Ausbildungsförderung nach dem BAföG unter Berücksichtigung des Freibetrages nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG in der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Fassung des 25. BAföGÄndG (s. dort Art. 6 Abs. 5) vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2475) zu, d. h., ohne Vollanrechnung der ihm auf der Grundlage des mit der U. S. F. GmbH geschlossenen Vertrages zur Erstellung einer Bachelorthesis vom 8. August 2017 zugeflossenen Vergütung auf seinen förderrechtlichen Bedarfssatz.

Die Gewährung von Leistungen der öffentlichen Ausbildungsförderung nach dem BAföG kommt nur bei bedürftigen Auszubildenden in Betracht. Dies wird in der Programm- und Grundsatzbestimmung des § 1 BAföG, die für sich genommen keinen anspruchsbegrenzenden Regelungsgehalt aufweist,

vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 1989 - 5 C 10.87 -, juris Rn. 8,

dadurch zum Ausdruck gebracht, dass ein Anspruch auf individuelle Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung nach Maßgabe des BAföG besteht, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Nach dem darin allgemein verankerten Subsidiaritätsprinzip soll ein Auszubildender, der aus anderen Mitteln, namentlich aus eigenen oder aus Mitteln der ihm gegenüber zur Gewährung von Unterhalt verpflichteten Familienangehörigen in der Lage ist, die Kosten seines Lebensunterhalts und seiner Ausbildung während der Ausbildungszeit zu decken, nicht zusätzlich zulasten der Steuerzahler förderungsberechtigt sein.

Vgl. Schepers, in: Rothe/Blanke, BAföG, Loseblatt-Kommentar, 5. Auflage, Band 2, § 1 Rn. 6.2, Stand: August 2017.

Deshalb ist nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 BAföG auf den pauschaliert zu ermittelnden - in § 11 Abs. 1 BAföG als Aufwendungen für den Lebensbedarf und die Ausbildung definierten - förderrechtlichen Bedarf eines Auszubildenden sein Einkommen und Vermögen sowie das Einkommen seines Ehegatten oder Lebenspartners und seiner Eltern in dieser Reihenfolge anzurechnen. Danach mutet das BAföG dem Auszubildenden grundsätzlich zu, insbesondere sein im jeweiligen Bewilligungszeitraum vorhandenes Einkommen für die Ausbildung und die Lebenshaltungskosten während ihrer Dauer einzusetzen.

Vgl. z. B. Sächs. OVG, Urteil vom 26. November 2009 - 1 A 288/08 -, juris Rn. 19.

Die Einzelheiten der Anrechnung des eigenen Auszubildendeneinkommens richten sich nach § 23 BAföG, der die Gewährung von anrechnungsfrei dem Auszubildenden zu belassenden Freibeträgen regelt. Die Normierung von Freibeträgen dient - neben den Interessen der Praktikabilität und Entlastung der Förderungsverwaltung - dem Zweck, in Einklang mit der Lebenswirklichkeit und dem Unterhaltsrecht auch für bedürftige Auszubildende einen Anreiz zu schaffen, durch gelegentliche - insbesondere in die vorlesungsfreie Zeit fallende - Nebentätigkeit, die mit der Ausbildung vereinbar ist, einen Nebenverdienst zu erzielen, der ihnen die Befriedigung eines individuellen, von den auf einen pauschalierten Mindeststandard beschränkten Ausbildungsförderungsleistungen nicht hinreichend gedeckten Bedarfs ermöglicht (Bedarfssicherungs- und Bedarfsergänzungsfunktion der Freibeträge).

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - 11 C 22.93 -, juris Rn. 13; s. a. Hartmann, in: Rothe/Blanke, BAföG Loseblatt-Kommentar, 5. Auflage, Band 2, § 23 Rn. 4, Stand: Juli 2019.

Nach der allgemeinen Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG bleiben vom Einkommen des Auszubildenden - zu dem nach § 21 BAföG die aus dem Vertrag zur Erstellung einer Bachelorthesis mit der U. S. F. GmbH vom 8. August 2017 erzielte Vergütung zu zählen ist, die außerdem im jeweiligen Bewilligungszeitraum der Bescheide vom 28. Juli 2017 und vom 30. August 2017 als maßgeblicher Bezugsrahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 BAföG erzielt wurde - für den Auszubildenden selbst monatlich 290 Euro anrechnungsfrei. Hiervon abweichend ordnet die Sonderregelung des § 23 Abs. 3 BAföG die Vollanrechnung des Auszubildendeneinkommens auf den förderrechtlichen Bedarfssatz an, wenn es sich bei dem Einkommen um eine "Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis" handelt. Mit dem sog. Vollanrechnungsprinzip stellt das Gesetz insoweit ein Freibetragsverbot auf. Die Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis wird ohne Gewährung eines Freibetrages auf den förderrechtlichen Bedarf des Auszubildenden angerechnet.

Vgl. Hartmann, in: Rothe/Blanke, BAföG Loseblatt-Kommentar, 5. Auflage, Band 2, § 23 Rn. 4, Stand: Juli 2019.

Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Bei der Vergütung, die der Kläger auf der Grundlage des Vertrages zur Erstellung einer Bachelorthesis mit der U. S. F. GmbH vom 8. August 2017 in der Zeit vom 15. August 2017 bis zum 15. Januar 2018 erhalten hat, handelt es sich nicht um eine "Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis" im Sinne des § 23 Abs. 3 BAföG, so dass ihm hierauf der Freibetrag nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG zu gewähren ist.

Was unter einer "Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis" im Sinne des § 23 Abs. 3 BAföG zu verstehen ist, wird unterschiedlich beurteilt.

Einer teilweise vertretenen Auffassung zufolge ist als "Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis" das Einkommen anzurechnen, das ein Auszubildender in Zusammenhang mit der Durchführung eines Praktikums oder dem Besuch einer Ausbildungsstätte (Schule, Hochschule) erzielt. Dabei wird gefordert, dass "ein Ausbildungsverhältnis bestehen müsse, in dessen Rahmen die Vergütung gezahlt werde. Das Ausbildungsverhältnis sei förderungsrechtlich insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass dem Auszubildenden in der Praxis Kenntnisse, Fähigkeit und berufliche Erfahrungen vermittelt würden, die für das Erreichen des Ausbildungszieles "nützlich und erforderlich" seien.

Vgl. Hartmann, in: Rothe/Blanke, BAföG Loseblatt-Kommentar, 5. Auflage, Band 2, § 23 Rn. 31, Stand: April 2016, unter Bezugnahme auf VG Ansbach, Beschluss vom 26. September 2007 - AN 2 06.009900 -, juris (Rn. 29 ff.).

Dies wird damit begründet, dass eine Ausbildungsvergütung nicht darauf abziele, ein bloßes Beschäftigungsverhältnis zu entlohnen, sondern die Ausbildung zu fördern. Da demnach Ausbildungsvergütung und Ausbildungsförderung zweckidentisch seien, bestehe kein Grund, solche Vergütungsleistungen von der Anrechnung auszunehmen. Es komme im Übrigen nicht darauf an, wer die Vergütung leiste. Entscheidend sei allein der kausale Zusammenhang von Ausbildung und Vergütung.

Vgl. Hartmann, in: Rothe/Blanke, BAföG Loseblatt-Kommentar, 5. Auflage, Band 2, § 23 Rn. 31, Stand: April 2016/Januar 2011.

In diese Richtung weisen die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg im Beschluss vom 22. November 2000 - 7 S 608/00 -, der zwar ansonsten bei der Bearbeitung der Problematik vielfach herangezogen wird, u. a. aber annimmt: "Die Regelung des § 23 Abs. 3 BAföG geht davon aus, dass dem Auszubildenden ein im Rahmen des BAföG zu berücksichtigender Bedarf in dem Maße nicht entsteht, in dem er eine Vergütung für Arbeitsleistungen erhält, die er im Rahmen einer seiner Ausbildung dienenden praktischen Tätigkeit erbringt."

VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22. November 2000 - 7 S 608/00 -, juris Rn. 3.

Einer weiteren Auffassung zufolge könnte sich der Wortlaut des § 23 Abs. 3 BAföG, der auf eine "Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis" und nicht bloß auf eine Vergütung "im Zusammenhang mit einer Ausbildung" abstelle, dahingehend verstehen lassen, dass das Vollanrechnungsprinzip nur dem Fall vorbehalten bleiben muss, in dem die Vergütung der Ausbildungsstätte selbst zuzurechnen ist.

Vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 27. November 2013 - 1 A 237/13 -, juris Rn. 42.

Einer anderen Auffassung zufolge liegt eine "Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis" im Sinne des § 23 Abs. 3 BAföG vor, wenn das Einkommen dem Auszubildenden praktisch zwangsläufig durch und für die Ausbildung zufließt, d. h. nicht das Ergebnis besonderer zusätzlicher Anstrengungen des Auszubildenden darstellt, die eine Privilegierung durch einen Freibetrag verdienen könnten.

Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 7. Dezember 2015 - 4 PA 251/15 -, juris Rn. 3; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 17. Februar 2011 - 7 A 11082 -, juris Rn. 20; wohl als selbständig tragende Erwägung ("Hinzu kommt"): VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22. November 2000 - 7 S 608/00 -, juris Rn. 3 a. E.; diese Auffassung zugrunde legend z. B. auch das VG Dresden, Urteil vom 26. Juli 2018 - 5 K 926/15 -, juris Rn. 55; s. ferner Knoop, in: Ramstauer/Stallbaum, 7. Auflage 2020, § 23 Rn. 36; Nolte, in: Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber (Hg.), Gesamtkommentar SRB, 2. Auflage 2018, § 23 BAföG Rn. 3.

Dieser Auffassung ist der Vorzug zu geben. Das danach geforderte Kriterium der Zwangsläufigkeit des Einkommenszuflusses steht dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 BAföG näher als die Kriterien des (Kausal-)Zusammenhangs mit der Durchführung eines Praktikums oder dem Besuch einer Ausbildungsstätte oder des "Rahmens" einer der Ausbildung dienenden Tätigkeit. Mit der "Vergütung ‚aus‘ einem Ausbildungsverhältnis" spricht die gesetzliche Formulierung dafür, dass die Privilegierung durch einen Freibetrag wohl nur einer Vergütung verwehrt bleiben muss, die aus einer dem Ausbildungsverhältnis gleichsam "immanenten" Tätigkeit herrührt. Dies trifft etwa auf Vergütungen aus verpflichtend durchzuführenden Praxistätigkeiten zu. Dem kann durch das Kriterium der Zwangsläufigkeit besser Rechnung getragen werden, weil dadurch mehr als eine Kausalität der Durchführung der Ausbildung für die Vergütung gefordert wird. Soweit mit dem "Dienen" oder der "Nützlichkeit oder Erforderlichkeit" für die Ausbildung zusätzlich - die Kausalität "ausgleichende" - Kriterien für die "Qualität" der vergüteten Tätigkeit aufgestellt werden, die auf die Prüfung einer Zweckgleichheit oder einer Zweckidentität der Vergütung und der Förderungsleistungen nach dem BAföG hinauslaufen, findet dies im gesetzlichen Wortlaut keine hinreichende Stütze. Der Gesetzgeber des BAföG verwendet beispielsweise den in diesem Sinne auszulegenden Begriff der Gleichartigkeit bei der Einkommensfiktionsregelung des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG. Im Umkehrschluss spricht das Fehlen einer solchen Begriffskonkretisierung in § 23 Abs. 3 BAföG dafür, dass sie als solche nicht stattfinden dürfte.

Allein diese "einschränkende" Auslegung trägt dem Vorbehalt des Gesetzes hinreichend Rechnung. Die auf das BAföG als einen besonderen Teil des Sozialgesetzbuches (vgl. § 68 Nr. 1 SGB I) anzuwendende Vorschrift des § 31 SGB I bestimmt über den allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes des Art. 20 Abs. 3 GG hinaus, dass Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuches nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden dürfen, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Die damit verbundene Betonung der "Schriftlichkeit" spricht für eine "engere" Auslegung und lässt zugleich eine eher "weite" Auslegung zweifelhaft erscheinen, insbesondere wenn durch sie zulasten eines förderungsberechtigten Auszubildenden Kriterien aufgestellt werden, die im gesetzlichen Wortlaut keine explizite Stütze finden. Hinzu tritt eine weitere, mit dem Vorbehalt des Gesetzes verbundene Erwägung: Der Vorbehalt des Gesetzes ist kein Vorbehalt irgendeines, sondern eines hinreichend bestimmten Gesetzes. Die Kriterien "Zusammenhang", "Dienen", "nützlich oder erforderlich", die wohl eher allgemeineren Erwägungen zum Zweck des BAföG entspringen, ohne darin einen expliziten schriftlichen Niederschlag gefunden zu haben, dürften zu vage sein, um dem mit dem Gesetzesvorbehalt verknüpften Bestimmtheitsgebot zu genügen.

Die "einschränkende" Auslegung dürfte zudem der Bedarfssicherungs- und Bedarfsergänzungsfunktion der Freibetragsregelungen besser gerecht werden als eine "weite" Auslegung. Denn wenn für die Vollanrechnung ein Kausalzusammenhang zwischen Ausbildung und Vergütung - wenngleich verbunden mit Qualitätsmerkmalen der Tätigkeit wie der Ausbildung "dienlich" oder "nützlich" - ausreichen würde, wäre es Auszubildenden in erheblichem Umfang verwehrt, ihren individuellen finanziellen Bedarf durch einen freiwilligen "Nebenjob" aufzubessern, obwohl durch die Zubilligung eines Freibetrages gerade diese Möglichkeit gefördert werden soll.

Auf der anderen Seite stellt es eine zu weitgehende Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 23 Abs. 3 BAföG dar, wenn danach nur eine der Ausbildungsstätte selbst zuzurechnende Vergütung in vollem Umfang auf den förderrechtlichen Bedarf anzurechnen wäre. Eine solche Auslegung des gesetzlichen Wortlauts erscheint jedenfalls nicht zwingend. Sie dürfte das Ausbildungs-"Verhältnis" überbetonen. Als "aus einem Ausbildungsverhältnis" stammend lässt sich durchaus eine Vergütung erfassen, die zwar nicht der Ausbildungsstätte selbst zuzurechnen ist, jedoch dem mit ihr begründeten Ausbildungsverhältnis entspringt, weil beispielsweise die maßgebliche Ausbildungsordnung die Auszubildenden Praxiszeiten zur Pflicht auferlegt, die üblicherweise gegen Entgelt durchgeführt werden.

Dies zugrunde gelegt, ist die vom Kläger von der U. S. F. GmbH aufgrund des Vertrages vom 8. August 2017 erhaltene Vergütung mit der Gewährung des Freibetrages nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG zu honorieren. Dabei kommt es auf die Zahlungsmodalitäten und die Bezeichnung der Vergütung in den Abrechnungen als "Praktikantenvergütung" nicht an. Zwar mag es sich hierbei um eine Vergütung handeln, die der Kläger "durch und für die Ausbildung" erhalten hat. Denn wie schon die Überschrift des Vertrages als "Vertrag zur Erstellung einer Bachelorthesis" zeigt, diente dieser Vertrag zweifelsfrei dem Zweck, dem Kläger mit der Erstellung seiner Bachelorarbeit die Erbringung einer Studien(-abschluss-)leistung zu ermöglichen. Es fehlt aber jedenfalls an der über diesen Kausalzusammenhang hinaus erforderlichen Zwangsläufigkeit der Ausbildung für den Einkommenszufluss. Der Kläger wendet zu Recht ein, dass die von ihm gewählte Erstellung seiner Bachelorarbeit bei dem Unternehmen U. S. F. GmbH für den erfolgreichen Abschluss in der Fachrichtung Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule I. -M. nicht vorgeschrieben ist. In diesem Studiengang wird die Erstellung der Bachelorarbeit der Eigenverantwortung und -initiative des betreffenden Auszubildenden überlassen. Die Bachelorarbeit ist für ihren Erfolg nicht in einen größeren praktischen Zusammenhang vergleichbar einem "Pflichtpraktikum" einzubinden. Der Kläger hat durch seine Entscheidung für die Anbindung an ein Unternehmen den Einkommenszufluss eher "bei-" als "zwangsläufig" ausgelöst. Die Hochschule I. -M. teilt auf ihrem Internetauftritt für den Bachelorstudiengang "Wirtschaftsingenieurwesen" unter "Breite Basis - praxisnahe Spezialisierung" zur Information der Auszubildenden u. a. Folgendes mit: "Für weitere Praxisnähe besteht die Möglichkeit, sich um ein Unternehmensstipendium zu bewerben und Praktika in den vorlesungsfreien Zeiten wie auch Eure Projekt- und Bachelorarbeit in einem Unternehmen zu absolvieren."

https://www.hshl.de/studieren/studiengaenge/bachelorstudiengaenge/wirtschaftsingenieurwesen/ (zuletzt aufgerufen am 25. Januar 2021).

Diese "Möglichkeit" korrespondiert mit dem Vorbringen des Klägers, dass die Erstellung der Bachelorarbeit auf der Grundlage einer vergüteten Tätigkeit außerhalb der Hochschule kein notwendiger Bestandteil einer erfolgreichen Verfolgung des angestrebten Abschlussziels war.

Außerdem stellt sich die Erstellung der Bachelorarbeit des Klägers bei der U. S. F. GmbH als das Ergebnis seiner eigenen zusätzlichen Anstrengungen dar. Der Kläger hat sich selbst um die Erlangung einer Arbeits- bzw. Projektstelle zur Erstellung seiner Bachelorarbeit bemüht. Zudem bestand am Arbeitsergebnis des Klägers ein Interesse der U. S. F. GmbH. Dies zeigt sich daran, dass sie ihm ein bestimmtes Thema zugewiesen und sogar abgeändert hat. Der Kläger hat in dem Unternehmen ferner Arbeitstätigkeiten ausgeführt, obwohl sie weit überwiegend mit seiner Bachelorarbeit zu tun hatten. Hätte der Kläger seine Bachelorarbeit außerhalb dieses unternehmerischen Kontextes verfasst, wären damit solche Arbeitsanstrengungen nicht verbunden gewesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 1, Satz 2 Hs. 1 VwGO; die Anordnungen zu ihrer vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.

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