VG Köln, Beschluss vom 08.10.2020 - 20 L 1814/20
Fundstelle
openJur 2021, 13680
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 15 B 1528/20
Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen Satz 1 der Auflage 5a) des Bescheides des Antragsgegners vom 30.09.2020 wird wiederhergestellt.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und der Antragsgegner je zur Hälfte.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der wörtliche Antrag,

die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen die Auflagen Nr. 5a und 5b zu der Versammlungsbestätigung/Verfügung des Antragsgegners vom 30.09.2020 wiederherzustellen,

hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht nach Anordnung der sofortigen Vollziehung belastender Verwaltungsakte die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers am Aufschub der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung überwiegt. Vorliegend fällt bei Überprüfung der angegriffenen, auf § 15 Abs. 1 VersG gestützten Maßnahmen die anzustellende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen, die an einen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu stellen sind, lediglich teilweise zu Gunsten des Antragstellers aus.

Bei ihrer Entscheidung orientiert sich die Kammer an den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht zur Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit und zur Auslegung des § 15 VersG im Einzelnen ausgeführt hat,

vgl. u.a. Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 und 1 BvR 341/81 -, BVerfGE, 69, 315 ff.; Beschlüsse vom 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834; vom 21.04.2000 - 1 BvQ 10/00 -; vom 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00 -; vom 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 -, NJW 2000, 3053; vom 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01 sowie 1 BvQ 9/01 -; vom 24.03.2001 - 1 BvQ 13/01 -, NJW 2001, 2069; vom 01.05.2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001, 2078; vom 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90; Senatsbeschluss vom 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 -, NJW 2004, 2814; Beschluss vom 16.08.2005 - 1 BvQ 25/05 -; Beschluss vom 26.01.2006 - 1 BvQ 3/06 -; Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 -; Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, NVwZ 2006, 1049; Beschluss vom 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 -, NVwZ-RR 2007, 641; Beschluss vom 07.11.2008 - 1 BvQ 43/08 -; Beschluss vom 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09 -NJW 2010, 141 sowie Beschluss vom 04.09.2010 - 1 BvR 2298/10 -, juris,

insbesondere auch zu Versammlungsauflagen,

vgl. Beschluss vom 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834; Beschluss vom 02.12.2005 - 1 BvQ 35/05 -, juris.

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde Versammlungen und Aufzüge von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Dabei sind versammlungsrechtliche Auflagen ein Mittel, gefährdeten Rechtsgütern Dritter Rechnung zu tragen und praktische Konkordanz zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Gut der Versammlungsfreiheit sowie anderen, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten und schutzbedürftigen Rechtsgütern herzustellen.

Diesen Grundsätzen wird Satz 1 der hier ergangenen Auflage Nr. 5a nicht gerecht. Die dort geregelte Vorgabe, dass bei bis zu 100 Versammlungsteilnehmern bis zu drei, bei 100-1000 Versammlungsteilnehmern maximal 10 Flaggen oder ähnliche Gegenstände mit dem Abbild Öcalans gezeigt werden dürfen, schränkt die Versammlungsfreiheit des Antragstellers unzulässig ein.

Fahnen und andere Gegenstände mit aus Sicht der Versammelten zum Versammlungsthema passenden Abbildungen sind Hilfsmittel, welche auch zum Zwecke der Erregung von Aufmerksamkeit Außenstehender (Außenkommunikation) regelmäßig zulässig sind. Davon geht auch der Antragsgegner aus, der die Anzahl der verwendeten Hilfsmittel allein wegen der abgebildeten Person begrenzen will. Die weitere Annahme des Antragsgegners, dass die Darstellung eines Bildnisses des Abdullah Öcalans grundsätzlich den Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 5 des Vereinsgesetzes erfüllt, ist auch aus Sicht der Kammer zutreffend. Dies gilt jedenfalls dann, soweit sein Bild in propagandistischer Weise und mit Bezug auf die PKK oder deren Wirken verwendet wird. Wie das von dem Antragsgegner in seiner Verfügung zitierte Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 03.11.2017 (- 15 B 1371/17 -, juris Rn. 29) ausführt, ist auch heute noch zutreffend, dass Öcalan in der öffentlichen Wahrnehmung aufgrund seiner herausgehobenen Stellung die PKK verkörpert und eine besondere Symbolfigur ist, die neben dem "klassischen" Symbol der PKK (fünfzackiger Stern mit Hammer und Sichel, umrandet mit dem Schriftzug der PKK) als Sinnbild für die Ziele der Vereinigung steht. Die weitere Annahme des Antragsgegners, dass die Verwendung eines Abbildes von Abdullah Öcalan im Einzelfall legal sein kann, wenn etwa die Verwendung sozialadäquaten Zwecken dient, insbesondere wenn eine Veranstaltung ausschließlich das persönliche Schicksal des Betroffenen zum Gegenstand hat und von der Öffentlichkeit nicht als allgemeine Werbung für die PKK verstanden werden kann, steht mit dem vorgenannten Beschluss in Einklang,

vgl. OVG NRW a.a.O., Rn. 31,

und entspricht der Auffassung der Kammer. Vorliegend hat die Kammer keinen Zweifel, dass das hier in Rede stehende Versammlungsthema "Schluss mit den Isolationshaftbedingungen auf Imrali! Die Zeit ist reif - Freiheit für Abdullah Öcalan" in dem oben genannten Sinne das persönliche Schicksal des Betroffenen zum Gegenstand hat und nicht als allgemeine Werbung für die PKK gedacht ist. Konkrete Anhaltspunkte für eine konkret beabsichtigte entgegen stehende Ausgestaltung der Versammlung sind nicht erkennbar, wovon der Antragsgegner in der Anmeldebestätigung gleichsam ausgegangen ist.

Als rechtsfehlerhaft erweist sich jedoch der weitergehende Schluss des Antragsgegners, dass auch in dem vorgenannten besonderen Kontext lediglich das Zeigen vereinzelter Abbilder Öcalans zulässig ist. Entspricht die Abbildung dem oben genannten Versammlungsthema, dass also das persönliche Schicksal Öcalans und dessen Haftbedingungen zum Gegenstand gemacht werden und findet kein auf die PKK bezogene Überhöhung des Abdullah Öcalans und keine allgemeine Werbung für die PKK statt, kann es keinen Unterschied machen, ob das Bildnis vereinzelt oder vielfach gezeigt wird. Aus Sicht der Kammer maßgebend ist dabei, dass das vorgenannte Versammlungsthema der zulässige Rahmen der Gestaltung und Durchführung der Versammlung bleibt, damit die Verwendung des Bildnisses Öcalans auch mit Blick auf § 20 Abs. 1 Nr. 5 des Vereinsgesetzes einerseits und die im Rahmen des Art. 8 GG eingeräumte Gestaltungsfreiheit andererseits legal bleibt. Aus dem vorgenannten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist nach Auffassung der Kammer nicht der Schluss zu ziehen, nur vereinzelte Abbildungen Öcalans seien zulässig. Das Oberverwaltungsgericht hat in dem fraglichen Beschluss insbesondere eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlins,

vgl. Beschluss vom 22.11.2011 - VG 1 L 369.11 -, juris Rn. 30,

zitiert,

vgl. OVG NRW a.a.O., Rn. 32,

nach der das Zeigen vereinzelter, "unkriegerisch gestalteter" Bilder Öcalans noch keine verbotene Werbung für die PKK sei. Die Kammer bewertet dies lediglich als die Benennung eines Beispiels einer legalen Verwendung des Bildnisses Öcalans, ohne dass damit die Anzahl der zulässigen Bilder generell beschränkt werden sollte. Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht zugleich deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Verwendung des Abbilds Öcalans Ausnahmecharakter hat und es erkennbar keinen Zusammenhang zum Organisationsbereich der PKK oder deren Wirken geben darf. Insoweit ist die Gestaltungsfreiheit der Versammelten beschränkt und können Betätigungen und Äußerungen, die den unzulässigen Bezug zur PKK herstellen, die Verwendung des Abbilds Öcalans rechtswidrig machen.

Im Übrigen bestehen gegen die weiteren Regelungen der Auflage Nr. 5a keine Bedenken. Hinsichtlich der vorgegebenen Verwendung einer bestimmten, vorab mit dem Antragsgegner konsentierten Darstellung des Herrn Abdullah Öcalan hat der Antragsteller nichts vorgetragen. Durch die in den Sätzen 2 bis 4 der Auflage getroffenen Regelungen wird die Wahrung eines bestimmten Kontextes bei der Verwendung der Flaggen vorgegeben, der der vorgenannten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts entspricht.

Die Auflage Nr. 5b erweist sich im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ebenfalls als rechtmäßig, sodass der Antrag insoweit abzulehnen war. Soweit der Antragsgegner dort regelt, dass die Verwendung der Abbildung Öcalans nur erlaubt ist, solange und soweit während der gesamten Versammlung keine PKK-bezogenen Skandierungen oder Kennzeichen verwendet werden, zeigt er letztlich eine Grenze auf, ab der die Verwendung des Abbildes nicht mehr in dem zulässigen Kontext steht, wie er oben dargestellt worden ist. Dies ist nach den oben dargestellten Erwägungen nicht zu beanstanden. Wie der Antragsgegner in seiner Erwiderung vom 06.10.2020 auf Seite 7 des Abdrucks näher ausgeführt hat, ist die Auflage so zu verstehen, dass im Falle eines Verstoßes der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berücksichtigt wird und zunächst der Versammlungsleiter angesprochen und zur Abhilfe aufgefordert werden soll. Ein Vorgehen gegen die gesamte Versammlung kommt aus Sicht des Antragsgegners bei Verstößen Einzelner nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, 2 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.

Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) erfolgen.

Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Die Beteiligten müssen sich bei der Einlegung und der Begründung der Beschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.

Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Die Beschwerde ist schriftlich, zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.

Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.

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