Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 18.12.2018 - (2) 53 Ss 104/18 (47/18)
Fundstelle
openJur 2021, 13628
  • Rkr:
Verfahrensgang
Rubrum

Brandenburgisches Oberlandesgericht

Beschluss

In der Strafsache

gegen ...

geboren am ... in ...,

wohnhaft: ..., ...,

deutsch, ledig,

Verteidiger: Rechtsanwalt ...,

wegen übler Nachrede

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ...,

die Richterin am Oberlandesgericht ... und

den Richter am Oberlandesgericht ...

am 18. Dezember 2018

einstimmig gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO

beschlossen:

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. März 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die zum Inhalt der veröffentlichten Rezension und deren Urheberschaft getroffenen tatsächlichen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht verhängte gegen den Angeklagten durch Urteil vom 25. Januar 2017 wegen übler Nachrede eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 €. Die Berufung des Angeklagten hiergegen hat das Landgericht Frankfurt (Oder) durch Urteil vom 8. März 2018 als unbegründet verworfen.

Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte aufgrund einer bei ihm durchgeführten Durchsuchung und Beschlagnahme Strafanzeige gegen den ermittelnden Beamten gestellt. Der zuständige Staatsanwalt ... stellte dieses Verfahren mangels Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Der Angeklagte veröffentlichte sodann im Internet auf der Seite "Google Maps" zu "Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder" eine ab dem 25. Januar 2016 abrufbare Rezension folgenden Inhalts, die das Landgericht als üble Nachrede (§ 186 StGB) gewertet hat:

"Staatsanwalt ... hält seine schützende Hand über straffällig gewordene Polizisten. Und das umso mehr, wenn diese im Gerichtsbezirk seiner Staatsanwaltschaft angestellt sind. Sogar wenn Polizisten Verbrechen begehen, verhindert er die Aufklärung und Ahndung der Straftaten. Dabei ist er wenig einfallsreich, da er immer wieder die gleiche falsche Behauptung anbringt, und zwar entweder:
- es gäbe keinen Anfangsverdacht, obwohl zureichende tatsächliche Anhaltspunkte und sogar Beweise für Straftaten vorliegen,
- oder: er lügt, dass die Anzeigen schon behandelt worden seien.
Das wiederum führt dazu, dass sich kriminelle Polizisten sicher fühlen und noch mehr Straftaten begehen.
Die Wahrheit schert diesen Mann, den einige Juristen bereits als korrupter Strafvereiteier im Amt ansehen, anscheinend überhaupt nicht."

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenbuurg beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision führt aufgrund der erhobenen Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Die Verfahrensrügen bleiben erfolglos.

a) Hinsichtlich der Beanstandung einer Verletzung im Sinne von § 338 Nr. 3 StPO wird mit der Revisionsbegründung nichts hinreichend Konkretes zum Zeitpunkt der beanstandeten Äußerung des Vorsitzenden der Strafkammer, der Angeklagte "nuschele", vorgetragen. Dem Rügevorbringen ist insbesondere nicht zu entnehmen, inwiefern die Annahme des Tatgerichts, es habe sich offenbar um den "Termin vom 26.01.2018" gehandelt, unzutreffend sein soll. Die Revisionsrechtfertigungsschrift verhält sich auch nicht dazu, dass an diesem Tag bereits ein Hauptverhandlungstermin stattgefunden hat, so dass es an einem gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderlichen vollständigen Vortrag der Verfahrenstatsachen fehlt. Auf dieser Grundlage vermag der Senat nicht zu prüfen, ob die Verwerfung des Befangenheitsgesuchs als verspätet rechtsfehlerhaft war.

b) Das Ablehnungsgesuch im Übrigen entbehrt aufgrund des nur unzureichenden Tatsachenvortrages einer konkretisierten Grundlage, die einer inhaltlichen Überprüfung zugänglich wäre, so dass der Antrag unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen werden durfte.

c) Die erhobene Aufklärungsrüge genügt bereits nicht den geltenden Begründungsanforderungen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. hierzu BGH NStZ-RR 2017,317; Cirener/Herb NJW NStZ-RR 2018, 131), weil nicht mit der gebotenen Bestimmtheit dargelegt wird, welches Beweisergebnis sich bei einer Beiziehung "weiterer Akten" ergeben hätte ("wahrscheinlich weitere Opfer", "dürfte es Juristen geben", "tatsächliche Anhaltspunkte").

2. Das angefochtene Urteil hält jedoch der auf die Sachrüge veranlassten Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.

a) Das Landgericht hat zwar auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zunächst rechtsfehlerfrei den Tatbestand der üblen Nachrede (§ 186 StGB) bejaht.

Die festgestellten Äußerungen des Angeklagten, der Staatsanwalt halte "seine schützende Hand über straffällig gewordene Polizisten", verhindere "die Aufklärung und Ahndung der Straftaten", lüge, "dass die Anzeigen schon behandelt worden seien", enthalten einen nicht völlig substanzlosen Tatsachenkem, der sich entsprechend der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft im Gesamtzusammenhang des Textes dahingehend zusammenfassen lässt, dass er "angeblich mit Polizeibeamten derart verbandelt ist, dass er zielgerichtet und systematisch die Verfolgung von strafbaren Dienstpflichtverletzimgen vereitelt". Damit werden beiden Adressaten der Äußerung des Angeklagten über ein wertendes Urteil ("korrupter Strafvereiteier") hinaus Vorstellungen von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen, die einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind (vgl. hierzu Fischer, StGB 65. Aufl. § 186 Rn. 3), und die sich auf Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht als wahr erwiesen haben und darüber hinaus geeignet sind, den betroffenen Staatsanwalt verächtlich zu machen bzw. in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Dies gilt gleichermaßen für die Äußerung, der Staatsanwalt werde von "einigen Juristen bereits als korrupter Strafvereiteier im Amt" angesehen.

b) Unzureichend ist demgegenüber die Würdigung, mit der das Landgericht die veröffentlichte Rezension nicht als durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB gerechtfertigt angesehen, sondern in diesem Zusammenhang als Schmähkritik bewertet hat. Die Strafkammer hat insoweit allein darauf abgestellt, dass die Äußerung als Schmähkritik zu qualifizieren sei (UA S. 11 Abs. 2). "Auch in der Gesamtschau des Textes" könne "von einer sachlichen Auseinandersetzimg nicht die Rede sein", "schon weil" der Angeklagte "auf die ihm ersichtlich bekannten Gründe der Einstellungsverfügung(en)" nicht eingehe, "sondern nur gegenteilige Behauptungen aufstelle" (UA S. 10 Abs. 1).

Dieser Einschätzung erweist sich als nicht tragfahig.

Das Landgericht hat hierbei bereits nicht ausreichend berücksichtigt, dass gemäß Art. 5 Abs. 1 GG auch Äußerungen jenseits einer "sachlichen Auseinandersetzung" geschützt sind. Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen fallen grundsätzlich in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit (BVerfGE 85,1,14ff.). Im Übrigen sind die der Bewertung zu Grunde liegenden Tatsachen nicht ausreichend festgestellt: Die Gründe der Einstellungsverfügungen, auf die sich der Angeklagte nach Auffassung des Landgerichts hätte beziehen können, werden in der angefochtenen Entscheidung nicht näher bezeichnet. Für die Einordnung der Äußerung als Schmähkritik, die jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik eine persönliche Herabsetzung darstellt, bei der - losgelöst vom Sachbezug - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfGE 82,272), ergeben sich auf dieser Grundlage und angesichts des zu Grunde liegenden Anlasses für die Rezension keine durchgreifenden Anhaltspunkte.

3. Aufgrund der diesbezüglich nur unzureichenden Würdigung kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.

Die getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Veröffentlichung der Rezension des Angeklagten können bestehen bleiben, weil insoweit Rechtsfehler nicht vorliegen. Ergänzende, hiermit nicht im Widerspruch stehende Feststellungen bleiben zulässig. Die Revision ist in diesem Umfang unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Das erneut mit der Sache befasste Tatgericht wird bei der vorzunehmenden Würdigung der Frage einer Wahrnehmung berechtigter Interessen u.a. Folgendes zu berücksichtigen haben:

Soweit Werturteile im öffentlichen Meinungskampf in Frage stehen, muss im Interesse des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses ohne Rücksicht auf den Inhalt der Äußerung die Vermutung für die Zulässigkeit freier Rede sprechen. Geht es wie im vorliegenden Fall um unwahre Tatsachenbehauptungen, gilt das nicht in gleicher Weise. Unrichtige Information ist unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut, weil sie der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Aufgabe zutreffender Meinungsbildung nicht dienen kann; entscheidend ist vielmehr, dass die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, dass dadurch die Funktion der Meinungsfreiheit in Gefahr gerät oder leidet (BVerfGE 54, 208ff.).

Insoweit sind im Rahmen der Prüfung, ob das Interesse am Schutz der Ehre des Betroffenen das Interesse an der Äußerung überwiegt, im Fall der üblen Nachrede im Sinne von § 186 StPO insbesondere die Art und Schwere der behaupteten ehrenrührigen (hier: unter Namensnennung öffentlich verbreiteten) Tatsachen, Anlass und Gewicht der wahrgenommenen Interessen - wobei der Angeklagte als Verfahrensbeteiligter im Kampf um Rechtspositionengrundsätzlich auch strafrechtliche Bewertungen von Vorgängen als persönliche Rechtsauffassung zum Ausdruck bringen darf, selbst wenn sie objektiver Beurteilung nicht standhalten (vgl. BGH NJW 1982, 2248; BayObLG NJW 2001, 1511; KG, Urt. v. 11. Januar 2010 - 1 Ss 470/09, zit. nach Juris) - sowie der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass die aufgestellte Tatsachenbehauptung der Wahrheit entsprechen könnte und ggfs. berechtigterweise auch auf die Gefahr hin aufgestellt werden darf, dass sie sich hinterher nicht als wahr erweist, abzuwägen (vgl. Schönke/Schröder/Lencker/Eisele, StGB 29. Aufl. § 193 Rn. 8, 12).

Das Landgericht wird diese bislang unterbliebene Abwägung nachzuholen und sich insoweit insbesondere auch mit den bislang nicht im Einzelnen festgestellten Gründen der vom Angeklagten beanstandeten Einstellung des auf seine Anzeige hin eingeleiteten Strafverfahrens auseinandersetzen zu haben.