VG Halle, Beschluss vom 11.12.2020 - 3 B 393/20
Fundstelle
openJur 2021, 13451
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, der Antragsgegnerin zu untersagen, ihn als "Rechtsterroristen" zu bezeichnen.

Der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin äußerte in der Stadtratssitzung vom 30. September 2020, bei der eine Beschlussvorlage zu Maßnahmen gegen Versammlungen des Antragstellers auf dem Marktplatz der Antragsgegnerin eingeführt wurde, wörtlich folgendes:

"... Wenn der Verfassungsschutz jemanden als Rechtsextremisten bezeichnet und ihn erwähnt in dem Bericht vom 09.10.2019 und ihn als Antisemit auch bezeichnet und diese Situation auf unserem Marktplatz stattfindet als Versammlung unter diesen Gegebenheiten, die sie hier in dem Bild sehen, dann ist das für die Stadt Halle unerträglich.

Und wir werden mit allen Kräften, die wir haben, dagegen vorgehen, unabhängig des Juristischen, dass wir so etwas hier nicht dulden. Die Stadtgesellschaft, viele Menschen in der Stadt, haben mich angesprochen, ob es die Gewerbetreibenden sind, oder quer durch alle Parteien, die hier gesagt haben: Das ist nicht mehr zu tolerieren. Das Hineinquetschen eines Rechtsterroristen in eine laufende Demokratieversammlung. Und das ist das Anliegen, worum ich hier gebeten habe, weil wir in einem Eilverfahren nicht die Möglichkeit hatten, diese Rechte deutlich zu machen ...".

In einer Presseinformation der Antragsgegnerin vom 2. Oktober 2020 ("Oberbürgermeister begrüßt Stadtratsbeschluss zu A.-Versammlungen") heißt es:

"Zudem stellt der Oberbürgermeister klar, dass er sich bei seinen Ausführungen im Stadtrat erkennbar versprochen hat, als er im Zusammenhang mit Herrn A. das Wort Rechtsterrorist nutzte. ´Gemeint war Rechtsextremist, also jene Formulierung, die auch der Verfassungsschutz im Zusammenhang mit A. nutzt`, betont Dr. Bernd Wiegand."

Über diese Äußerung des Oberbürgermeisters wurde in der Presse berichtet (Nachrichtenportal www.dubisthalle.de vom 2. Oktober 2020; Onlineportal der Mitteldeutschen Zeitung www.mz-web.de vom 2. Oktober 2020; Mitteldeutsche Zeitung vom 5. Oktober 2020).

Mit Schreiben vom 5. Oktober 2020 forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin zur Unterlassung und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2020 erklärte die Antragsgegnerin, dass es einer solchen Unterlassungserklärung aufgrund fehlender Wiederholungsgefahr nicht bedürfe. Der Oberbürgermeister habe sich bei seinen Ausführungen im Stadtrat am 30. September 2020 erkennbar versprochen und habe diesen Versprecher bereits freiwillig und öffentlich korrigiert. Außerdem wies sie darauf hin, dass die betreffende Stelle aus dem auf dem YouTube-Kanal abrufbaren Livestream der Stadtratssitzung vom 30. September 2020 herausgenommen worden sei. Wegen der eindeutigen inhaltlichen Distanzierung und der bereits erfolgten öffentlichen Korrektur sei die Abgabe der gewünschten Unterlassungserklärung nicht angezeigt. Eine Gefahr der Wiederholung bezüglich einer identischen Äußerung bestehe nicht.

Anlässlich der Gedenkfeier am 9. Oktober 2020 zum Jahrestag des Anschlags auf die Synagoge in Halle tätigte der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin in seiner Rede in der Ulrichskirche wörtlich folgende Äußerung:

"Er war kein Einzeltäter, hinter ihm steht ein scheinbar unsichtbares Umfeld... Erfolglos sind wir derzeit noch, wenn ein Rechtsextremist auf unserem Marktplatz mehrmals in der Woche Versammlungen durchführt. Angemeldet hat er diese bis in das Jahr 2067. Er instrumentalisiert den Judenstern in seinem Kampf gegen Pandemiemaßnahmen oder er stellt sich mitten hinein in eine städtische Demokratieausstellung aus Anlass des 9. Oktobers und hält Hassreden. Die Polizei als Versammlungsbehörde sieht sich außerstande einzugreifen. Zusammen mit vielen Hallenserinnen und Hallensern habe ich meine persönliche Meinung immer stets gesagt. Mit solchen Auftritten auf dem Markt wird der Boden bereitet für antidemokratische und antisemitische Hetze und eine Radikalisierung unserer Gesellschaft. Mit diesen Eindrücken kann ich die Frage, ob Juden ein Jahr nach dem Anschlag sicherer leben, nicht mit einem eindeutigen "Ja" beantworten. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass sich die Stadt Halle mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zur Wehr setzen wird. Extremismus und Antisemitismus haben in unserer Stadt keinen Platz. Meine Damen und Herren, das Attentat vom 09. Oktober 2019 geschah in Halle. Aber es galt jedem in Deutschland, der für eine friedliche und tolerante Welt einsteht. Dass dies die große Mehrheit der Menschen ist, zeigte sich, auf den Veranstaltungen am und nach dem 09. Oktober 2019. Oft wurde dabei ein hebräisches Lied angestimmt, das die tiefe Verbundenheit der Hallenserinnen und Hallenser mit den Mitgliedern der jüdischen Gemeinden ausdrückt und heute umso mehr gilt: Schalom Chaverim, Friede sei mit euch, Freunde!"

Am 20. Oktober 2020 hat der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht, mit dem er sein Begehren auf Unterlassung seiner Bezeichnung als "Rechtsterrorist" weiterverfolgt.

Er beantragt,

der Antragsgegnerin bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu 2 Jahren, zu untersagen, ihn wortgleich oder sinngemäß, schriftlich oder mündlich, als

"Rechtsterrorist" zu bezeichnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Er war Gegenstand der Entscheidungsfindung des Gerichts.

II.

Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO richtet sich zunächst zwar zutreffend gegen die Antragsgegnerin und nicht gegen ihren Oberbürgermeister persönlich. Denn die fragliche Äußerung ist eindeutig in Wahrnehmung der amtlichen Funktion des Oberbürgermeisters der Antragsgegnerin getätigt worden und deshalb nach dem Rechtsträgerprinzip dieser Körperschaft zuzurechnen, so dass diese für den streitgegenständlichen Anspruch passivlegitimiert ist (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 14. Februar 2020 - 4 CE 19.2440 -, juris Rn. 42 m.w.N.).

Der Antrag hat aber keinen Erfolg.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn dies aus anderen Gründen nötig erscheint. Das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) und die besondere Dringlichkeit der Sache (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Wird mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Hauptsache - wie hier - ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen, kann eine Regelung nur ergehen, wenn der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, wenn er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müsste. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7. März 2008 - 2 M 8/08 -, juris).

Hier fehlt es jedenfalls am Anordnungsanspruch. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm mit größter Wahrscheinlichkeit der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zusteht.

Der allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Anspruch aus § 1004 BGB analog auf zukünftige Unterlassung einer getätigten Äußerung setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt ist und die konkrete Gefahr der Wiederholung droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. November 2010 - 7 B 54.10 -, juris Rn. 14). Wie die Äußerung des Oberbürgermeisters der Antragsgegnerin in der Stadtratssitzung vom 30. September 2020 mit Blick auf eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers zu werten ist, kann dahinstehen, denn es fehlt hier an der konkreten Gefahr der erneuten Bezeichnung des Antragstellers als "Rechtsterrorist" durch den Oberbürgermeister der Antragsgegnerin.

Ob die Wiederholung einer Äußerung zu besorgen ist, beurteilt sich nach den Gesamtumständen des Einzelfalls (BayVGH, Beschluss vom 20. September 2010 - 4 C 10.1742 -, juris Rn. 8 und Beschluss vom 25. Mai 2010 - 7 ZB 09.2655 -, juris Rn. 22 f.; OVG Nordrh.-Westf., Beschluss vom 26. Januar 2004 - 12 B 2197/03 -, juris Rn. 11 f.; VG Hannover, Beschluss vom 23. Juli 2018 - 1 B 4254/18 -, juris Rn. 8; VG Köln, Beschluss vom 27. Juni 2018 - 1 L 641/18 -, juris Rn. 46 ff.). Zwar geht der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 8. Februar 1994 (Az.: VI ZR 286/93, zitiert nach juris) - auf das sich der Antragsteller beruft - bei einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundsätzlich von einer Vermutung für eine Wiederholungsgefahr aus, an deren Widerlegung hohe Anforderungen zu stellen sind und die bei Weigerung des Verletzers, eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben, nur in Ausnahmefällen angenommen werden kann. Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung aber weiter ausgeführt, dass diese für das Wettbewerbsrecht entwickelten Grundsätze auch im außerwettbewerblichen Bereich für den deliktischen Unterlassungsanspruch gelten, jedoch nicht mit der gleichen Strenge. Im Bereich des Deliktsrechts könne den Besonderheiten des Einzelfalles für die Entkräftung der Vermutung der Wiederholungsgefahr durchaus erhebliches Gewicht zukommen (vgl. Rn. 27). Das Bundesverfassungsgericht hat bezugnehmend auf diese Entscheidung bestätigt, dass im Deliktsrecht eine Wiederholungsgefahr aus Gründen des Einzelfalls zu verneinen sein könne. Insoweit dürfe nicht allein auf die Vermutungswirkung der rechtswidrigen Erstbegehung abgestellt werden, sondern es müsse berücksichtigt werden, ob trotz der Vermutung aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls eine Wiederholung der Verletzungshandlung entfalle (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9. März 2010 - 1 BvR 1891/05 -, juris Rn. 36).

Hiervon ausgehend lässt sich aufgrund der hier vorliegenden Umstände des Einzelfalls auch ohne die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin die in der Stadtratssitzung vom 20. September 2020 gefallene Äußerung nochmals tätigt.

Der Oberbürgermeister hat die Bezeichnung des Antragstellers als "Rechtsterrorist" öffentlich in einer Presseinformation der Antragsgegnerin als erkennbaren Versprecher bezeichnet. Er hat erklärt, dass "Rechtsextremist" gemeint gewesen sei, und damit die Formulierung, die auch der Verfassungsschutz im Zusammenhang mit dem Antragsteller nutze. Die Presse hat die entsprechende Mitteilung aufgegriffen und über die korrigierende Erklärung des Oberbürgermeisters berichtet. Die Stelle, an der der Antragsteller als Rechtsterrorist bezeichnet wurde, ist aus dem auf dem YouTube-Kanal abrufbaren Livestream der Stadtratssitzung herausgenommen worden und damit eine erneute Wiedergabe der Äußerung des Oberbürgermeisters ausgeschlossen worden. Von der Bezeichnung des Antragstellers als "Rechtsterrorist" hat sich der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin hiernach umgehend, freiwillig und öffentlich im Wege einer Selbstkorrektur eindeutig distanziert. Dass er diese Äußerung künftig wortgleich oder sinngemäß, schriftlich oder mündlich wiederholen wird, lässt sich vor diesem Hintergrund ausschließen.

Eine Wiederholungsgefahr lässt sich auch nicht darauf stützen, dass der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin in seiner Rede am 9. Oktober 2020 anlässlich der Gedenkfeier zum Jahrestag des terroristischen Anschlags auf die Synagoge in Halle auf den Antragsteller und seine Versammlungen zu sprechen kam. Denn die Bezeichnung des Antragstellers als "Rechtsterrorist" ist dabei weder wörtlich noch sinngemäß erfolgt. Insbesondere ist der Rede des Oberbürgermeisters bei unbefangenem Verständnis eines Durchschnittsadressaten entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht die Aussage zu entnehmen, dass es sich beim Antragsteller um einen Mittäter des Halle-Attentäters und damit sinngemäß ebenfalls um einen Rechtsterroristen handele. Vielmehr wird der Antragsteller in der Rede als Rechtsextremist bezeichnet und vom Oberbürgermeister die Auffassung vertreten, dass mit dessen Auftritten auf dem Marktplatz, bei denen er den Judenstern für seinen Kampf gegen Pandemiemaßnahmen instrumentalisiere, sich in eine städtische Demokratieausstellung aus Anlass des 9. Oktober stelle und Hassreden halte, der Boden bereitet werde für antidemokratische und antisemitische Hetze und eine Radikalisierung der Gesellschaft. Ersichtlich ging es hierbei nicht um eine etwaige strafrechtlich relevante Mittäterschaft des Antragstellers an dem terroristischen Anschlag. Vielmehr thematisierte der Oberbürgermeister anlässlich des Jahrestags dieses Attentats die von ihm gesehenen gesellschaftlichen Auswirkungen der Aktionen des Antragstellers, nämlich die einer Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft. Hiermit wird eine gesellschaftliche oder moralische Verantwortung des Antragstellers angesprochen, ein Terrorismusvorwurf an ihn persönlich ist hiermit offenkundig nicht verbunden.

Die Frage, ob sich die hiermit vom Oberbürgermeister der Antragsgegnerin geäußerten Werturteile in den Grenzen halten, die für amtliche Äußerungen gelten, insbesondere bei verständiger Würdigung auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13. September 2017 - 10 C 6.16 - juris m.w.N.), stellt sich hier nicht, denn der Antragsteller wendet sich lediglich gegen seine Bezeichnung als Rechtsterrorist, mit deren Wiederholung - wie dargelegt - nicht zu rechnen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat die Kammer den in der Hauptsache anzunehmenden Auffangstreitwert halbiert (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

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