LAG Berlin-Brandenburg, Teilurteil vom 09.09.2020 - 21 SaGa 976/20
Fundstelle
openJur 2021, 13407
  • Rkr:

1. Unterhalten mehrere Rechtsanwält*innen eine Außen- oder Scheinsozietät, kommt es für die Frage, ob es sich bei der Beendigung ihrer Zusammenarbeit um einen Fall der Auflösung der (Außen-)Sozietät im Sinne des § 32 Absatz 1 BORA oder einen Fall des Ausscheidens aus der (Außen-)Sozietät im Sinne des § 32 Absatz 2 BORA handelt, nicht darauf an, wie im Innenverhältnis ihre Zusammenarbeit rechtlich, organisatorisch oder wirtschaftlich ausgestaltet war.

2. Auf die Beendigung einer aus nur zwei Rechtsanwält*innen bestehenden Außensozietät ist nach § 32 Absatz 3 BORA der Absatz 1 des § 32 BORA auch dann entsprechend anzuwenden, wenn Grundlage der Zusammenarbeit ein

Arbeitsverhältnis war und die Kanzlei nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von dem oder der Inhaber*in fortgeführt wird.

3. Eine auf die Erfüllung eines Anspruchs gerichtete Befriedigungsverfügung ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil dadurch die Entscheidung über die Hauptsache vorweggenommen wird. Voraussetzung für eine solche einstweilige Verfügung ist, dass die antragstellende Partei auf die Erfüllung des Anspruchs dringend angewiesen ist, die geschuldete Leistung kurzfristig erbracht werden muss, weil sie sonst ihren Sinn verliert, und bei der Abwägung der beiderseitigen schutzwürdigen Interessen das Interesse der antragstellenden Partei an dem Erlass der einstweiligen Verfügung das der anderen Partei an deren Nichterlass deutlich überwiegt.

Tenor

I. Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 15. Juli 2020 - 2 Ga 6/20 - teilweise abgeändert:

1. Dem Verfügungsbeklagten wird aufgegeben, dem Verfügungskläger eine Liste mit allen am 31. Juli 2020 laufenden Mandaten der "Fachanwaltskanzlei A" in Papierform zu übergeben, und zwar mit Vor- und Nachnamen oder der Firma, der postalischen Anschrift, dem Namen des Gegners, soweit es sich nicht um eine Straf- oder Bußgeldsache handelt, und dem Kanzlei-Aktenzeichen, unter dem das Mandat in der Rechtsanwaltssoftware "RA M" angelegt worden war, ausgenommen folgende Mandate:

..........

2. Es wird festgestellt, dass sich das Verfahren bezüglich der unter 1. ausgenommenen Mandate erledigt hat.

3. Der Widerantrag wird zurückgewiesen.

II. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Zusammenhang mit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses - soweit für das vorliegende Teilurteil von Bedeutung - noch darüber, ob sie eine Außensozietät im Sinne des § 32 Absatz 3 BORA (Berufsordnung für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs) unterhalten haben und sich der Verfügungskläger darauf berufen darf, sowie über damit im Zusammenhang stehende gegenseitige Ansprüche auf Mitteilung der Daten der laufenden Mandate und auf Unterlassen der Versendung eines Mandantenschreibens mit einem bestimmten Inhalt.

Der Verfügungskläger ist seit 2006/2007 Fachanwalt für Sozialrecht und Verkehrsrecht und seit 2018 auch für Medizinrecht und war seit dem 12. Juni 2003 bei dem Verfügungsbeklagten, der Fachanwalt für Arbeitsrecht und Strafrecht ist und seit 1994 eine Rechtsanwaltskanzlei in Brandenburg an der Havel betreibt, als Rechtsanwalt im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt. In § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 12. Juni 2003 war geregelt, dass der Verfügungskläger ab dem Zeitpunkt seiner Zulassung als Rechtsanwalt auf dem Briefkopf der Kanzlei geführt wird. Zuletzt verdiente der Verfügungskläger 4.500,00 Euro brutto monatlich zuzüglich eines 13. Monatsgehalts und der privaten Nutzung eines Dienstwagens. Weitere Rechtsanwält*innen beschäftigte der Verfügungsbeklagte nicht.

Der Verfügungskläger bearbeitete überwiegend Mandate aus den Bereichen Sozialrecht, Verkehrsrecht und Medizinrecht. Außerdem bearbeitete er Mandate aus dem allgemeinen Zivilrecht und Versicherungsrecht und arbeitete regelmäßig an arbeitsrechtlichen Fällen aus dem Dezernat des Verfügungsbeklagten mit.

Auf dem Briefkopf der unter dem Namen "Fachanwaltskanzlei A" firmierenden Kanzlei waren der Verfügungskläger und der Verfügungsbeklagte seit vielen Jahren mit ihren jeweiligen Fachanwaltstiteln und eigenem Sekretariat als gleichberechtigte Partner ohne Hinweis auf das bestehende Arbeitsverhältnis aufgeführt. Das Kanzleischild, die Website der Kanzlei und Werbeanzeigen in Printmedien enthielten ebenfalls keinen Hinweis auf das Arbeitsverhältnis. Wegen der Einzelheiten des Außenauftritts der Kanzlei wird auf die vom Verfügungskläger eingereichten Anlagen 10 bis 14 (Blatt 47 ff. (fortfolgende) der Akten) verwiesen.

Die Verwaltung der Akten erfolgte in der Kanzlei mittels der Rechtsanwaltssoftware "RA M". Die Mandate erhielten jeweils ein Kanzleiaktenzeichen und wurden in dem Programm unter diesem Aktenzeichen geführt. Das Kanzleiaktenzeichen bestand aus einer laufenden Nummer und dem jeweiligen Jahr (z.B. 244/20) sowie dem Zusatz "S" für "A" oder "V" für "B", je nachdem wer, der Verfügungskläger oder der Verfügungsbeklagte, das Mandat betreute. Es gab zwei verschiedene Vollmachtsformulare, eine sogenannte Strafprozessvollmacht für Straf- und Bußgeldsachen und eine sogenannte Zivilprozess- oder allgemeine Prozessvollmacht für die übrigen Mandate. Auf den Strafprozessvollmachten wurde üblicherweise ein Kanzleistempel entweder mit dem Namen des Verfügungsbeklagten oder dem Namen des Verfügungsklägers aufgebracht und auf den allgemeinen Prozessvollmachten ein Kanzleistempel mit beiden Namen. Der Grund für die unterschiedliche Handhabung war, dass bei Strafsachen das Verbot der Mehrfachverteidigung gilt (§ 146 StPO).

Mit Schreiben vom 27. Januar 2020 kündigte der Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Verfügungskläger aus betriebswirtschaftlichen Gründen zum 31. Juli 2020.

Aufgrund des bevorstehenden Ausscheidens des Verfügungsklägers aus der Kanzlei bat der Verfügungsbeklagte diesen, diverse Übersichten über die von ihm bearbeiteten Mandate zu erstellen. Am 24. Juni 2020 fand zwischen den Parteien ein Gespräch statt, bei dem es im Wesentlichen um die vom Verfügungskläger erstellten Übersichten ging und der Verfügungsbeklagte seine Unzufriedenheit über deren Inhalt äußerte. Während des Gesprächs teilte der Verfügungskläger den Verfügungsbeklagten mit, dass er sich ab dem 3. August 2020 in Brandenburg an der Havel als Rechtsanwalt selbstständig machen wolle. Der weitere Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig. Noch an dem demselben Tag wandten sich sowohl der Verfügungskläger als auch der Verfügungsbeklagte telefonisch an den Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer des Landes Brandenburg C mit der Bitte um Hinweise zu den berufsrechtlichen Folgen der Beendigung ihrer Zusammenarbeit.

Mit im Wesentlichen identischen Schreiben vom 25. Juni 2020 wies der Geschäftsführer beide Parteien unter anderem darauf hin, dass, wenn es keine vertragliche Vereinbarung über die Beendigung der Zusammenarbeit gebe, auch bei einer Außen- oder Scheinsozietät über § 32 Absatz 3 BORA die Bestimmungen über die Auflösung einer Sozietät nach § 32 Absatz 1 BORA oder das Ausscheiden aus einer fortbestehenden Sozietät nach § 32 Absatz 2 BORA maßgeblich seien und es nach der BORA im Zusammenhang mit der Befragung der Mandant*innen, wer das Mandat fortführen solle, keinen Raum für Abstandzahlungen gebe. Ausgehend von einem Ausscheiden des Verfügungsklägers aus einer fortbestehenden Sozietät empfahl er, sich auf ein gemeinsames Rundschreiben zu verständigen, sämtliche Mandant*innen des Verfügungsklägers anzuschreiben und um möglichst kurzfristige Rückantwort zu bitten.

§ 32 BORA in der Fassung vom 1. Januar 2020 (abrufbar unter www.brak.de/fuer-anwaelte/berufsrecht/) lautet wie folgt:

"§ 32 Beendigung einer gemeinschaftlichen Berufsausübung

(1) Bei Auflösung einer Sozietät haben die Sozien mangels anderer vertraglicher Regelung jeden Mandanten darüber zu befragen, wer künftig seine laufenden Sachen bearbeiten soll. Wenn sich die bisherigen Sozien über die Art der Befragung nicht einigen, hat die Befragung in einem gemeinsamen Rundschreiben zu erfolgen. Kommt eine Verständigung der bisherigen Sozien über ein solches Rundschreiben nicht zustande, darf jeder der bisherigen Sozien einseitig die Entscheidung der Mandanten einholen. Der ausscheidende Sozius darf am bisherigen Kanzleisitz und auf der Internetseite der Sozietät einen Hinweis auf seinen Umzug für ein Jahr anbringen. Der verbleibende Sozius hat während dieser Zeit auf Anfrage die neue Kanzleiadresse, Telefon- und Faxnummern des ausgeschiedenen Sozius bekannt zu geben.

(2) Für den Fall des Ausscheidens eines Sozius aus der Sozietät gilt Absatz 1 hinsichtlich derjenigen Auftraggeber, mit deren laufenden Sachen der ausscheidende Sozius zum Zeitpunkt seines Ausscheidens befasst oder für die er vor seinem Ausscheiden regelmäßig tätig war. Sein Recht, das Ausscheiden aus der Sozietät allen Mandanten bekannt zu geben, bleibt unberührt.

(3) Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für die Beendigung einer beruflichen Zusammenarbeit in sonstiger Weise, wenn diese nach außen als Sozietät hervorgetreten ist."

Mit Schreiben vom 25. Juni 2020 stellte der Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger unter Fortzahlung der Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung widerruflich frei und verlangte die Kanzleischlüssel heraus. Vom 13. Juli 2020 bis zum 31. Juli 2020 hatte der Verfügungskläger Urlaub.

Zu einem gemeinsamen Rundschreiben kam es nicht. Mit Schreiben vom 29. Juni 2020 wandte sich der Verfügungsbeklagte unter dem bisherigen Kanzleibriefkopf an mehrere Mandant*innen des Verfügungsklägers und teilte diesen unter anderem mit, der Verfügungskläger nehme bis zum 31. Juli 2020 seinen Urlaub, sei tatsächlich aber bereits aus der Kanzlei ausgeschieden, weshalb die weitere Vertretung nunmehr in seinen Händen liege. Mit Schreiben vom 30. Juni 2020 übersandte der Verfügungskläger dem Verfügungsbeklagten einen Entwurf für ein gemeinsames Rundschreiben nebst Antwortschreiben und kündigte an, die Mandant*innen gegebenenfalls mit eigenen individuellen Schreiben anzuschreiben zu wollen. In dem Entwurf wird unter anderem darauf hingewiesen, dass die Mandant*innen, wenn sie sich nicht erklären, mit der Bearbeitung ihrer Angelegenheit ab dem 3. August 2020 durch den Verfügungsbeklagten rechnen müssen und ihnen durch die weitere Bearbeitung durch den Verfügungskläger in dessen eigener Fachanwaltskanzlei keine zusätzlichen Kosten entstehen. Der Verfügungsbeklagte reagierte darauf mit Schreiben vom 1. Juli 2020. Der Briefkopf des Schreibens enthielt beim Namen des Verfügungsklägers ein Sternchen mit dem Zusatz "angestellter Anwalt".

Mit Schreiben vom 6. Juli 2020 beanstandete der Verfügungsbeklagte unter dem früheren Briefkopf unter anderem die in dem Entwurf des Verfügungsklägers enthaltenen Hinweise, forderte den Verfügungskläger auf, die Versendung des Musterschreibens an die Mandant*innen zu unterlassen, und drohte, für den Fall, dass der Verfügungskläger an seiner Ankündigung im Schreiben vom 30. Juni 2020 festhalte, mit einer fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Mit Schreiben vom 7. Juli 2020 teilte der Verfügungskläger dem Verfügungsbeklagten mit, in Ansehung des vorliegenden Verfahrens werde er derzeit keine Mandant*innen der Sozietät einseitig anschreiben, auch nicht unter Nutzung des Entwurfs vom 30. Juni 2020.

Mit Schreiben vom 28. Juli 2020 kündigte der Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Verfügungskläger fristlos. Etwa zeitgleich änderte er den Briefkopf der Kanzlei, die Kanzleischilder und den Auftritt der Kanzlei im Internet ausschließlich auf seinen Namen. Bezüglich der fristlosen Kündigung ist beim Arbeitsgericht Brandenburg ein Rechtsstreit unter dem Geschäftszeichen 4 Ca 531/20 anhängig.

Mit Schreiben vom 17. Juli 2020, 21. Juli 2020 und vom 30. Juli 2020 schrieb der Verfügungsbeklagte verschiedene Mandant*innen des Verfügungsklägers erneut beziehungsweise erstmals an, wies auf § 32 BORA hin und bat um Rückantwort, wer das Mandat fortführen solle. Mit Schreiben vom 29. Juli 2020 teilte er dem Verfügungskläger mit, er habe die vom Verfügungskläger bearbeiteten Sachen gesichtet und die Entscheidung der Mandant*innen eingeholt, wer die laufenden Sachen künftig bearbeiten solle.

Ab dem 3. August 2020 und zuletzt am 3. September 2020 übergab der Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger insgesamt etwa 200 Akten von Mandant*innen, die sich für den Verfügungskläger entschieden hatten.

Mit beim Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel am 6. Juli 2020 eingegangenem Schriftsatz beantragte der Verfügungskläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung und machte unter anderem einen Anspruch auf Herausgabe einer Liste mit den Daten aller laufenden Mandate geltend. Mit am 8. Juli 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz machte der Verfügungsbeklagte im Wege eines Widerantrags einen Unterlassungsanspruch bezüglich der im Entwurf des Verfügungsklägers für ein gemeinsames Rundschreiben vom 30. Juni 2020 enthaltenen Hinweise geltend.

Der Verfügungskläger hat vorgebracht, aus dem anwaltlichen Berufsrecht sowie aus arbeitsvertraglicher Nebenpflicht habe er gegen den Verfügungsbeklagten einen Anspruch auf Mitteilung der Mandantendaten, die er für die Wahrnehmung seiner Pflichten und Rechte aus § 32 Absatz 1 BORA benötige. Da er auf dem Briefkopf der Kanzlei als gleichberechtigter Rechtsanwalt ohne einen Hinweis auf das Anstellungsverhältnis geführt worden sei, bestehe zwischen ihm und dem Verfügungsbeklagten eine Außen- oder Scheinsozietät, auf die nach § 32 Absatz 3 BORA die für Sozietäten geltenden Regeln entsprechend anwendbar seien. Vorliegend komme § 32 Absatz 1 BORA zur Anwendung, da er mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus der Außensozietät nicht ausscheide, sondern diese aufgelöst werde. Er sei daher berechtigt, allen Mandant*innen und nicht nur den Mandant*innen, die von ihm zuletzt betreut worden seien, sein Ausscheiden aus der Kanzlei und seine neue Kanzleianschrift nebst Telefon- und Faxnummer mitzuteilen. Außerdem sei er verpflichtet und zugleich berechtigt, alle Mandant*innen danach zu befragen, wer das Mandat künftig bearbeiten solle. Dafür benötige er die entsprechenden Daten.

Im Juni 2020 habe sich der Aktenbestand in den von ihm betreuten Dezernaten auf 587 nicht abgelegte Akten belaufen. Die dem Verfügungsbeklagten für den Bereich Sozialrecht übergebene Liste habe allein 22 Seiten umfasst. Da der mit einer genaueren Sichtung und tabellarischen Erfassung der 285 laufenden Sozialrechtssachen verbundene Aufwand in der zur Verfügung stehenden Zeit neben dem laufenden Betrieb nicht zu leisten gewesen wäre, habe er dem Verfügungsbeklagten während des Gespräches am 24. Juni 2020 angeboten, die von ihm, dem Verfügungskläger, bearbeiteten Akten mitzunehmen und weiterzubearbeiten. Hinsichtlich der Gebühren habe er vorgeschlagen, dass die bis zu seinem Ausscheiden angefallenen Gebühren beim Verfügungsbeklagten verbleiben und die später anfallenden ihm zustehen. Von den Regelungen in § 32 BORA habe er zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis gehabt.

Der Widerantrag sei nicht begründet.

Der Verfügungskläger hat - soweit hier noch von Bedeutung - sinngemäß beantragt,

1. dem Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Vergütung aufzugeben,

...

h) dem Antragsteller eine digitale Liste in Form einer Excel-Tabelle, hilfsweise in Form einer gedruckten Papiertabelle, zu allen laufenden Mandaten der (Außen-)Sozietät "Fachanwaltskanzlei A" herauszugeben und zwar mit:

- Vorname, Name und/oder Firma, postalischer Anschrift (Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Ort) sowie der Telefonnummer des/der Mandanten/-in,

- E-Mail-Adresse des/der Mandanten/-in (sofern bekannt),

- Name und postalische Anschrift des Gegners,

- bisheriges Kanzlei-Aktenzeichen unter Angabe laufender Fristen und Termine,

- Bezeichnung der Sache: außergerichtliche oder gerichtliche Sache,

- behördliches oder gerichtliches Verfahren: Aktenzeichen und Verfahrensstand;

und die Vollständigkeit dieser Liste an Eides statt zu versichern;

...

Der Verfügungsbeklagte hat - soweit hier noch von Bedeutung - sinngemäß beantragt,

1. den Antrag des Verfügungsklägers zurückzuweisen;

2. dem Verfügungskläger im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, es zu unterlassen, an Mandanten der Kanzlei "A" im Zusammenhang der Beendigung der Außensozietät Schreiben mit folgenden Inhalten zu versenden:

"Ohne Ihre Erklärung müssen Sie damit rechnen, dass Ihre Angelegenheit vom 03. August durch Herrn Rechtsanwalt A bearbeitet werden wird."

"Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass Ihnen durch die weitere Bearbeitung der Sache durch Herrn Rechtsanwalt B in seiner Fachanwaltskanzlei keine zusätzlichen Kosten entstehen."

Der Verfügungskläger hat sinngemäß beantragt,

den Widerantrag zurückzuweisen.

Der Verfügungsbeklagte hat gemeint, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei bereits unzulässig, weil es an der gesetzlich vorgesehenen Glaubhaftmachung fehle. Außerdem sei er unbegründet. Während des Gesprächs am 24. Juni 2020 habe sich der Verfügungskläger auf seinen Arbeitnehmerstatus berufen. Vor diesem Hintergrund sei das Berufen auf das Bestehen einer Außensozietät treuwidrig. Der Verfügungskläger verhalte sich widersprüchlich, wenn er einerseits auf seinem Status als Angestellter bestehe und andererseits unter Berufung auf das Bestehen einer Außensozietät laufende Mandate ohne Ausgleichszahlung mitnehmen wolle, um sich beruflich selbstständig zu machen. Abgesehen davon sei der Anspruch auch nicht fällig, da das Arbeitsverhältnis bis zum 31. Juli 2020 fortbestehe. Auch fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis und erst recht an einem Verfügungsgrund, da aufgrund Ankündigung des Verfügungsklägers, seine Mandant*innen gegebenenfalls individuell anschreiben zu wollen, davon auszugehen sei, dass er deren Adressen kenne. Im Übrigen würde im Fall der Stattgabe die noch nicht einmal anhängige Hauptsache vorweggenommen. Der Aktenbestand der vom Verfügungskläger bearbeiten Akten umfasse insgesamt 428 Akten. Davon seien nur 154 noch nicht abgeschlossen.

Der Widerantrag sei begründet. Es sei damit zu rechnen, dass der Verfügungskläger die zum Teil despektierlichen und im Übrigen irreführenden Hinweise in dem Entwurf für ein Rundschreiben vom 30. Juni 2020 auch in seinem eigenen Mandantenschreiben verwenden werde.

Mit Urteil vom 15. Juli 2020, auf dessen Tatbestand wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht den Antrag des Verfügungsklägers auf Herausgabe der Mandantenliste zurückgewiesen und dem Widerantrag stattgegeben. Den übrigen Anträgen des Verfügungsklägers hat es teilweise stattgegeben und die Anträge teilweise zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es - soweit hier von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt, die Kammer gehe davon aus, dass zwischen den Parteien eine Außensozietät bestanden habe. Durch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Juli 2020 sei diese jedoch nicht aufgelöst worden, sondern der Verfügungskläger sei aus der Sozietät ausgeschieden. Bei einem in einer als Außensozietät auftretenden Kanzlei angestellten Rechtsanwalt stelle sich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Betrieb der Kanzlei ansonsten unverändert fortgeführt werde, auch dann stets als ein Ausscheiden aus der Sozietät dar, wenn die Außensozietät nur aus dem Inhaber der Kanzlei und dem angestellten Rechtsanwalt bestanden habe. Dies sei daraus zu folgern, dass das gesamte betriebliche Risiko allein vom Arbeitgeber als Inhaber der Kanzlei getragen werde und dieser auch weiterhin für die laufenden Verpflichtungen verantwortlich sei. Dadurch bestehe nach außen der Eindruck, dass die Sozietät von dem Inhaber der Kanzlei fortgeführt werde und der Arbeitnehmer aus der Sozietät ausgeschieden sei, um gegebenenfalls eine neue Kanzlei zu gründen. Demnach sei § 32 Absatz 2 BORA anwendbar. Darauf dürfe sich der Verfügungskläger auch berufen, da die Gestaltung des Außenauftritts der Kanzlei allein dem Verfügungsbeklagten oblegen habe. Nach § 32 Absatz 2 BORA müsse der Verfügungsbeklagte, wenn er sich mit dem Verfügungskläger nicht bis zum 31. Juli 2020 auf ein gemeinsames Schreiben einigen könne, diesem die Möglichkeit einzuräumen, die von ihm betreuten Mandant*innen zur Fortführung des Mandats zu befragen. Jedoch könne dem Antrag auch beschränkt auf die vom Verfügungskläger bearbeiteten Mandate nicht stattgegeben werden, weil dies zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen würde.

Hinsichtlich des Widerantrags sei dem Verfügungsbeklagten zuzustimmen, dass die Hinweise in dem Entwurf vom 30. Juni 2020 teilweise despektierlich seien.

Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen und dort insbesondere auf Seite 14 bis 17 sowie 20 und 21 f.

Das Urteil ist dem Verfügungskläger am 20. Juli 2020 und dem Verfügungsbeklagten am 23. Juli 2020 zugestellt worden. Mit am 30. Juli 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Verfügungskläger Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Mit am 10. August 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Verfügungsbeklagte ebenfalls Berufung eingelegt und die Begründung einen gesonderten Schriftsatz vorbehalten. In der mündlichen Verhandlung am 9. September 2020 hat das Landesarbeitsgericht das Verfahren über die Berufung des Verfügungsbeklagten zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt. Wegen der Begründung wird auf Seite 2 der Sitzungsniederschrift vom 9. September 2020 verwiesen.

Der Verfügungskläger setzt sich - unter teilweiser Wiederholung und teilweiser Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens - mit dem angefochtenen Urteil auseinander. Wie sich aus der Überschrift zu § 32 BORA und aus dem Wortlaut des § 32 Absatz 3 BORA ergebe, regele die Vorschrift die Beendigung einer wie auch immer organisierten Berufsausübungsgemeinschaft respektive die Folgen des Austritts aus einer solchen Berufsausübungsgemeinschaft. Ob der Betrieb der Kanzlei fortbestehe und von wem dieser fortgeführt werde, sei für die Frage, ob die Berufsausübungsgemeinschaft mit der Beendigung der Zusammenarbeit aufgelöst wird oder fortbesteht und nur ein Berufsträger aus der Berufsausübungsgemeinschaft austritt, und damit für die Frage, ob § 32 Absatz 1 BORA oder § 32 Absatz 2 BORA Anwendung findet, unerheblich. Abgesehen davon habe er auch nach § 32 Absatz 2 BORA jedenfalls das Recht, allen Mandant*innen der Kanzlei sein Ausscheiden bekannt zu geben. Auch dafür benötige er die Daten aller Mandant*innen. Entgegen der Annahme des Verfügungsbeklagten kenne er auch nicht alle erforderlichen Daten seiner Mandant*innen, da er diese nicht in seinem Kopf gespeichert habe. Über die Kontaktdaten der Mandant*innen hinaus benötige er auch noch weitere Daten, um die Mandate identifizierbar bezeichnen und klar voneinander abgrenzen zu können.

Es sei auch unzutreffend, dass der Verfügungsbeklagte bereits seit Mai 2020 anwaltliche Verstärkung suche. Das Inserat auf der Website habe er erst im Zuge der fristlosen Kündigung eingestellt, um zu suggerieren, dass die Sozietät nicht aufgelöst wird. Zudem sei es für die Auflösung der Berufsausübungsgemeinschaft zwischen ihm und dem Verfügungsbeklagten ohne Bedeutung, ob der Verfügungsbeklagte beabsichtigte, in absehbarer Zeit einen neuen oder eine neue Rechtsanwält*in einzustellen und mit diesem oder dieser gegebenenfalls auch wieder eine Außensozietät zu begründen.

Der Widerantrag sei unbegründet, weil er, der Verfügungskläger, abgesehen davon, dass die in dem Entwurf vom 30. Juni 2020 enthaltenen Formulierungen nicht zu beanstanden seien, zu keinem Zeitpunkt erklärt habe, er beabsichtigte, das Rundschreiben gegebenenfalls einseitig an die Mandant*innen zu versenden. Außerdem sei das erstinstanzliche Urteil auch schon deshalb abzuändern, weil der Verfügungsbeklagte die Unterlassungsverfügung nicht vollzogen habe.

Mit Schriftsätzen vom 19. August 2020 und 7. September 2020 hat der Verfügungskläger das Verfahren hinsichtlich der ihm zwischenzeitlich übergebenen Akten für erledigt erklärt und die jeweiligen Mandate aus dem Auskunftsverlangen ausgenommen. Der Verfügungsbeklagte hat sich den Erledigungserklärungen nicht angeschlossen.

Der Verfügungskläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 15. Juli 2020 - 2 Ga 6/20 - abzuändern und

1. dem Verfügungsbeklagten aufzugeben, dem Verfügungskläger eine Liste in Form einer Excel-Tabelle, hilfsweise in Form einer gedruckten Papiertabelle, zu allen am 31. Juli 2020, hilfsweise zu allen am 13 .Juli 2020 laufenden Mandaten der (Außen-)Sozietät "Fachanwaltskanzlei  A" herauszugeben, vorsorglich hilfsweise zu den laufenden Mandaten, die von dem Verfügungskläger bearbeitet worden sind und mit dem Aktenzeichen XX/Jahreszahl V (Beispiel 394/19V) am 23. Juni 2020 in der Rechtsanwaltssoftware "RA M" angelegt waren, herauszugeben, und zwar mit:

- Vorname, Name und/oder Firma, postalischer Anschrift (Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Ort) sowie der Telefonnummer des/der Mandanten/-in,

- E-Mail-Adresse des/der Mandanten/-in (sofern bekannt),

- Name und postalischer Anschrift des Gegners,

- bisherigem Kanzlei-Aktenzeichen unter Angabe laufender Fristen und Termine,

- Bezeichnung der Sache: außergerichtlich oder gerichtliche Sache,

- behördliches oder gerichtliches Verfahren: Aktenzeichen und Verfahrensstand;

und die Vollständigkeit dieser Liste an Eides statt zu versichern,

ausgenommen folgende Mandate:

......

2. festzustellen, dass das Verfahren bezüglich der unter 1. ausgenommenen Mandate erledigt ist;

3. den Widerantrag zurückzuweisen.

Der Verfügungsbeklagte beantragt,

die Berufung des Verfügungsklägers zurückzuweisen.

Der Verfügungsbeklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Seit Mai 2020 habe er auf seiner Homepage eine Anzeige geschaltet, dass er anwaltliche Verstärkung suche. Derzeit sichte er die auf die Anzeige eingegangenen Bewerbungen und werde im Fall eines erfolgreichen Abschlusses der Gespräche im Oktober 2020 eine Neueinstellung vornehmen. Es könne deshalb kein Zweifel bestehen, dass der Verfügungskläger aus der Kanzlei ausgeschieden sei.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien, wird auf die Schriftsätze des Verfügungsklägers vom 29. Juli 2020, 14. August 2020, 19. August 2020 und 7. September 2020, die Schriftsätze des Verfügungsbeklagten vom 12. August 2020, 17. August 2020, 19. August 2020 und Seite 4 des Schriftsatzes vom 25. August 2020 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 9. September 2020 verwiesen.

Gründe

Die Berufung des Verfügungsklägers hat teilweise Erfolg, wobei nur ein Teilurteil ergehen konnte, da der Antrag des Verfügungsklägers auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nicht entscheidungsreif war. Über den Antrag kann erst nach Übergabe der Mandantenliste entschieden werden.

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Absatz 1 und 2 Buchstabe b ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne von § 66 Absatz 1 Satz 1 und 2 ArbGG, §§ 519, 520 Absatz 1 und 3 ZPO (Zivilprozessordnung) eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufung ist - soweit das Verfahren entscheidungsreif ist - ganz überwiegend auch begründet.

1. Der Antrag zu 1. hat im Wesentlichen Erfolg.

a) Der Antrag zu 1. ist, soweit der Verfügungskläger die Herausgabe einer Liste mit den laufenden Mandaten unter Angabe bestimmter Daten begehrt, zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Absatz 2 Nr. 2 ZPO. Die in § 920 Absatz 2 ZPO in Verbindung mit § 936 ZPO vorgesehene Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs und des Verfügungsgrundes ist keine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Antrags, sondern stellt eine Beweisregel dar, die eine Beweiserleichterung zur Beschleunigung des Verfahrens enthält (vergleiche Musielak/Voigt/Huber, ZPO 17. Auflage § 920 Rn. (Randnummer) 9; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/ Walker/Kessen, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 7. Auflage § 920 ZPO Rn. 18).

Allerdings bedarf der Antrag der Auslegung. Nach dem Vorbringen des Verfügungsklägers unter Berücksichtigung des Zwecks, für den der Verfügungskläger die Liste mit den Mandantendaten begehrt, ist der Antrag nicht auf die bloße Herausgabe einer bereits vorhandenen Liste gerichtet, sondern darauf, von dem Verfügungsbeklagten eine geordnete Auskunft über die für die Information und Befragung der Mandant*innen nach § 32 BORA erforderlichen Daten zu erhalten. Entsprechend hat auch der Verfügungsbeklagte den Antrag verstanden, wenn er auf Seite 3 seines Schriftsatzes vom 12. August 2020 ausführt, über Akten, die der Verfügungskläger hätte abholen können, könne er keine Auskunft verlangen.

b) So verstanden hat der Antrag auch im Übrigen im Wesentlichen Erfolg. Dem Antrag war in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben. Dabei bestand nach § 938 Absatz 1 ZPO keine strenge Bindung an den Antrag des Verfügungsklägers. Vielmehr kann das Gericht im Rahmen des vom Verfügungskläger vorgegebenen Rechtschutzziels (vergleiche dazu BeckOK (Beck’scher Online-Kommentar) ZPO/Mayer, Stand: 1. September 2020 § 938 Rn. 3; Zöller/Vollkommer, ZPO 33. Auflage § 938 Rn. 1) nach freien Ermessen bestimmen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks erforderlich sind.

aa) Nach den nach § 62 Absatz 2 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren Anwendung findenden §§ 935, 940 ZPO ist der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht nur zur einstweiligen Sicherung des gegenwärtigen Zustandes in Bezug auf den Streitgegenstand (sogenannte Sicherungsverfügung) oder zur einstweiligen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses (sog. Regelungsverfügung) zulässig. Vielmehr ist anerkannt, dass zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes Gegenstand einer einstweiligen Verfügung auch die einstweilige Erfüllung eines materiellen Anspruchs im Sinne einer sogenannten Leistungs- oder Befriedigungsverfügung sein kann (Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Walker/Kessen, Vor §§ 916-945b ZPO Rn. 14). Dies gilt auch dann, wenn mit der einstweiligen Verfügung eine vorläufige oder gar endgültige Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache verbunden ist (Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Schuschke/Roderburg Vor § 935 Rn. 1 und 31). Denn das Versagen einer einstweiligen Verfügung kann einen ebenso endgültigen Zustand zu Ungunsten des Verfügungsklägers schaffen wie ihr Erlass zu Lasten des Verfügungsbeklagten (Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren 4. Auflage D Rn. 3; ähnlich auch Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Walker/Kessen, Vor §§ 916-945b ZPO Rn. 6).

Allerdings sind bei einer Leistungs- oder Befriedigungsverfügung, durch die die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird, an den zu sichernden Verfügungsanspruch und den Verfügungsgrund besonders strenge Anforderungen zu stellen. Darüber hinaus bedarf es zur Sicherstellung des verfassungsrechtlichen Gebots der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes eine am jeweiligen Einzelfall orientierte Abwägung der Interessen beider Parteien (vergleiche LAG (Landesarbeitsgericht) Hessen 17. Juli 2019 - 10 SaGa 738/19 - unter II 1. der Gründe, LAGE (Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte) § 15 BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) Nr. 5; LAG Hamm 8. November 2004 - 8 Sa 1798/04 - Rn. 23 zitiert nach juris; Schuschke/Walker/Kessen/Thole/Walker/ Kessen, Vor §§ 916-945b ZPO Rn. 46). Danach darf eine Leistung- oder Befriedigungsverfügung nur ergehen, wenn der Verfügungskläger auf die sofortige Erfüllung des Anspruch dringend angewiesen ist, die geschuldete Leistung, wenn sie ihren Sinn nicht verlieren soll, so kurzfristig erbracht werden muss, dass eine Verweisung auf das Hauptsacheverfahren praktisch einer Rechtsverweigerung gleichkäme und bei der Abwägung der beiderseitigen schutzwürdigen Interessen das Interesse des Gläubigers an dem Erlass der einstweiligen Verfügung das des Schuldners an deren Nichterlass deutlich überwiegt (vergleiche BGH (Bundesgerichtshof) 11. Oktober 2017 - I ZB 96/16 - Rn. 35; ähnlich auch Musielak/Voit/Huber, § 940 Rn. 14; Zöller/Vollkommer § 940 Rn. 6).

bb) Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Es besteht sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsrund. Die Nachteile, die dem Verfügungskläger im Fall der Versagung der einstweiligen Verfügung drohen würden, überwiegen die Nachteile, die für den Verfügungsbeklagten mit deren Erlass verbunden sind, deutlich.

(1) Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus § 241 Absatz 2 BGB in Verbindung mit § 32 Absatz 1 und 3 BORA. Danach ist der Beklagte im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien aus (nach)vertraglicher Nebenpflicht verpflichtet, dem Verfügungskläger die Auskünfte zu erteilen, die dieser benötigt, um die Mandant*innen nach § 32 Absatz 1 BORA über sein Ausscheiden aus der Kanzlei des Verfügungsbeklagten zu informieren und zu befragen, wer ihre laufenden Mandate fortführen soll.

(a) § 32 BORA konkretisiert auf der Grundlage der Ermächtigung des § 59 Absatz 2 Nr. 8 BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung) die sich aus der Beendigung einer gemeinschaftlichen Berufsausübung ergebenden gegenseitigen Rechte und Pflichten.

Im Fall der Auflösung einer Sozietät sind nach § 32 Absatz 1 Satz 1 und 2 BORA - vorbehaltlich einer anderen vertraglichen Abrede - sämtliche Mandant*innen in einem gemeinsamen Rundschreiben zu befragen, wer künftig ihre laufenden Sachen bearbeiten soll. Können sich die Mitglieder der Sozietät nicht auf ein gemeinsames Rundschreiben verständigen, darf nach § 32 Absatz 1 Satz 3 BORA jedes Mitglied der Sozietät die Entscheidung der Mandant*innen einseitig einholen. Verbleibt ein Mitglied nach der Auflösung der Sozietät in den bisherigen Kanzleiräumen oder führt die Kanzlei fort, sind die ausscheidenden Mitglieder nach § 32 Absatz 1 Satz 4 BORA berechtigt, am bisherigen Kanzleisitz und auf der Internetseite der bisherigen Sozietät für ein Jahr einen Hinweis auf ihren Umzug anzubringen. Ferner ist nach § 32 Absatz 1 Satz 5 BORA das verbleibende Mitglied während dieser Zeit verpflichtet, auf Anfrage die neue Kanzleiadresse, Telefon- und Faxnummer der ausgeschiedenen Mitglieder bekannt zu geben.

Bleibt die Sozietät hingegen bestehen und scheiden nur einzelne Mitglieder aus der Sozietät aus, gilt § 32 Absatz 2 BORA. In diesen Fall beschränkt sich die Befragung nach § 32 Absatz 2 Satz 1 BORA auf die Mandant*innen, mit deren laufenden Sachen das jeweilige die Sozietät verlassende Mitglied befasst war. Außerdem sind die die Sozietät verlassenden Mitglieder berechtigt, allen Mandant*innen der Sozietät ihr Ausscheiden bekannt zu geben.

Nach § 32 Absatz 3 BORA gilt für die Beendigung einer Zusammenarbeit in sonstiger Weise - sei es in Form einer Bürogemeinschaft, sei es im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses oder eines freien Mitarbeiterverhältnisses - § 32 Absatz 1 und 2 BORA entsprechend, wenn die an der Zusammenarbeit Beteiligten nach außen als Sozietät hervorgetreten sind und damit den Rechtsschein einer Sozietät gesetzt haben (sogenannte Außen- oder Scheinsozietät). Das bedeutet, dass Außen- oder Scheinsozien bei der Beendigung ihrer Zusammenarbeit echten Sozien gleichgestellt sind (vergleiche Hartung/Scharmer/v. Wedel, Berufs- und Fachanwaltsordnung) 7. Auflage, § 32 BORA Rn. 8).

Die Regelungen des § 32 BORA sind Ausdruck eines kollegial "anständigen" Verhaltens der Mitglieder einer Sozietät bei deren Beendigung und fußen auf dem Grundsatz der freien Anwaltswahl (vergleiche Hartung/Scharmer/v. Wedel § 32 BORA Rn 10). Daneben dienen die Regelungen über die Bekanntgabe der Auflösung der Sozietät oder des Ausscheidens aus der Sozietät der Haftungsbegrenzung der früheren Sozien beziehungsweise Scheinsozien (Henssler/Prütting/Henssler, BRAO 5. Auflage § 32 BORA Rn. 24).

(b) Danach ist der Verfügungskläger berechtigt, alle Mandant*innen der Kanzlei mit einem bei der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Verfügungsbeklagten am 31. Juli 2020 noch nicht abgeschlossenen Mandat zu befragen, wer das Mandat zukünftig fortführen soll.

(aa) Der Verfügungsbeklagte unterhielt mit dem Verfügungskläger eine Außensozietät. Denn der Verfügungsbeklagte und der Verfügungskläger sind über viele Jahre nach außen sowohl auf dem Briefkopf der Kanzlei als auch auf den Kanzleischildern, im Internet und in Werbeanzeigen als gleichberechtigte Partner ohne Hinweis auf das bestehende Arbeitsverhältnis aufgetreten. Dem steht auch nicht entgegen, dass die von den Mandant*innen unterzeichneten Prozessvollmachten zum Teil nur den Namen des Verfügungsbeklagten oder des Verfügungsklägers enthielten. Denn mit ihrer Unterschrift auf einer auf eine bestimmte Person beschränkten Prozessvollmacht bringen die Mandant*innen lediglich zum Ausdruck, durch welche konkrete Person sie vertreten werden wollen. Das ändert aber nichts daran, dass das Mandantenverhältnis regelmäßig mit der Sozietät und nicht etwa mit der bevollmächtigten Person zustande kommt (vergleiche BGH 6. November 2000- AnwZ (B) 3/00 - Rn. 12). Entsprechendes gilt für eine Außensozietät. Auch hier wird das Scheinmitglied in die mit der Sozietät oder der Kanzlei begründeten Mandantenverhältnisse einbezogen und haftet in gleicher Weise wie die Mitglieder der Sozietät beziehungsweise der oder die Inhaber*in der Kanzlei (vergleiche BGH 6. November 2000 - AnwZ (B) 3/00 - Rn. 13).

(bb) Dem Verfügungskläger ist es - worauf auch schon das Arbeitsgericht zu Recht hingewiesen hat, nicht verwehrt, sich auf die Außensozietät zu berufen. Insbesondere verhält er sich nicht widersprüchlich, wenn er sich einerseits auf seinen Arbeitnehmerstatus und andererseits auf die Scheinsozietät beruft. Zum einen hatte es der Verfügungsbeklagte in der Hand, den Rechtsschein einer Sozietät mit dem Verfügungskläger zu verhindern, indem er entweder dem Verfügungskläger im Arbeitsvertrag nicht das Recht eingeräumt hätte, auf dem Briefkopf der Kanzlei geführt zu werden, oder aber den Briefkopf mit dem Zusatz "angestellte Rechtsanwalt" versehen hätte. Dass er beides nicht getan hat, ist nicht dem Verfügungskläger anzulasten. Zum anderen stellt § 32 Absatz 3 BORA auch angestellte Außensozien mit echten Sozien gleich, ohne deren Arbeitnehmerstatus in Frage zu stellen.

(cc) Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Verfügungskläger nicht aus der Außensozietät im Sinne des § 32 Absatz 2 BORA ausgeschieden. Vielmehr ist die Außensozietät aufgelöst worden. Der Verfügungsbeklagte hat nach dem Ausscheiden des Verfügungsklägers aus seiner Kanzlei weder eine Sozietät noch eine Außensozietät unterhalten, sondern die Kanzlei als Einzelanwalt fortgeführt. Ob er beabsichtigt, in Zukunft wieder einen oder eine Rechtsanwält*in einzustellen und mit diesem oder dieser erneut eine Außensozietät zu begründen, ist ohne Belang.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts kommt es für die Frage, ob für die Beendigung einer gemeinschaftlichen Berufsausübung in Form einer Außen- oder Scheinsozietät § 32 Absatz 1 BORA oder § 32 Absatz 2 BORA entsprechend gilt, nicht darauf an, wie sich die Zusammenarbeit im Innenverhältnis rechtlich, organisatorisch oder wirtschaftlich gestaltete. Denn § 32 Absatz 3 BORA stellt allein auf den nach außen gesetzten Rechtsschein ab und stellt im Übrigen die nur scheinbare gemeinschaftliche Berufsausübung der echten gemeinschaftlichen Berufsausübung gleich. Dies ergibt sich schon daraus, dass § 32 Absatz 3 BORA beide vorstehenden Absätze, sowohl den Absatz 1 als auch den Absatz 2 des § 32 BORA für entsprechend anwendbar erklärt und auch bei angestellten Rechtsanwält*innen keine Beschränkung auf den Absatz 2 enthält, wenn die Kanzlei durch den oder die Inhaber*in fortgeführt wird.

Auch das Argument, bei der Beendigung einer Außensozietät mit einem oder einer angestellten Rechtsanwält*in bestehe nach außen der Eindruck, dass die Sozietät von dem oder der Inhaber*in fortgeführt werde und der oder die angestellte Rechtsanwält*in die Kanzlei verlassen habe, greift nicht durch. Zum einen entsteht dieser Eindruck auch, wenn sich eine echte Sozietät auflöst und ein Mitglied in den bisherigen Räumen verbleibt und unter dem Namen der früheren Sozietät seine eigene Kanzlei betreibt oder eine neue Sozietät gründet. Zum anderen entsteht der Eindruck, die Sozietät werde von dem oder der bisherigen Inhaber*in fortgeführt, lediglich bei Mandant*innen, die den Unterschied zwischen einer Einzelkanzlei und einer Sozietät nicht kennen. Aber auch diese nehmen wahr, dass die Kanzlei nicht mehr von mehreren Rechtsanwält*innen betrieben wird, sondern wie im Fall des Verfügungsbeklagten nur noch von einem Einzelanwalt.

(dd) Maßgeblicher Auflösungszeitpunkt ist der 31. Juli 2020, dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der ordentlichen Kündigung des Verfügungsbeklagten geendet hat. Darauf, dass der Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger mit Schreiben vom 25. Juni 2020 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung widerruflich freigestellt und die Herausgabe der Kanzleischlüssel verlangt hat, kommt es ebenso wenig an wie da darauf, dass er das Arbeitsverhältnis mit dem Verfügungskläger mit Schreiben vom 28. Juli 2020 nochmals fristlos gekündigt hat. Denn allein durch eine widerrufliche Freistellung wird der Rechtsschein einer gemeinschaftlichen Berufsausübung nicht beendet. Gleiches gilt für eine fristlose Kündigung während des Urlaubs des Außensozius unabhängig davon, dass in Anbetracht des bevorstehenden Endes des Arbeitsverhältnisses vorliegend ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung kaum vorstellbar ist, der Verfügungsbeklagte die Gründe für die fristlose Kündigung nicht benannt hat und auch nicht behauptet hat, der Verfügungskläger habe die Klage gegen die fristlose Kündigung beim Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel nicht rechtzeitig innerhalb der Frist der §§ 4, 13 Absatz 1 Satz 2 KSchG eingereicht.

Für den Auflösungszeitpunkt ist es auch unerheblich, dass der Verfügungsbeklagte seit dem 1. Juli 2020 zumindest teilweise einen Briefkopf verwendete, auf dem der Name des Verfügungsklägers mit einem Sternchen und dem Zusatz "angestellter Anwalt" versehen war, und nach dem Ausspruch der fristlosen Kündigung die Kanzleischilder sowie den Internetauftritt der Kanzlei ausschließlich auf seine Person änderte. Soweit der Verfügungsbeklagte Anfang Juli 2020 auf dem Kanzleibriefkopf den Zusatz "angestellter Rechtsanwalt" angebracht hat, ändert dies nichts daran, dass der Zusatz auf dem Kanzleischild und auf der Website weiterhin fehlte. Soweit der Verfügungsbeklagte die Kanzleischilder und den Internetauftritt noch vor dem 31. Juli 2020 allein auf seine Person abgeändert hat, war er hierzu aufgrund der arbeitsrechtlichen Abrede der Parteien und der obigen Ausführungen zur Wirksamkeit der fristlosen Kündigung nicht berechtigt.

(c) Aus dem Recht des Verfügungsklägers, die Mandant*innen anzuschreiben, folgt zugleich ein Anspruch gegen den Verfügungsbeklagten auf Erteilung der dafür erforderlichen schriftlichen Auskünfte, da das Informations- und Befragungsrecht sonst in Leere ginge und dem Verfügungsbeklagten die Erteilung der Auskünfte zumutbar ist (vergleiche dazu BAG 4. November 2015 - 7 AZR 972/13 - Rn. 19 mwN (mit weiteren Nachweisen)). Um es dem Verfügungskläger zu ermöglichen, die Entscheidung aller Mandant*innen der Kanzlei einzuholen, wer ihre laufenden Verfahren weiter bearbeiten soll, benötigt er eine geordnete Aufstellung der Mandate mit dem Namen und Vornamen und/oder der Firma der Mandant*innen, deren postalischer Anschrift, dem Namen des oder der Gegner*in, soweit es sich nicht um eine Straf- oder Bußgeldsache handelt, bei denen es keine Gegner*innen gibt, sowie dem Kanzleiaktenzeichen, um gegebenenfalls zwischen mehreren gegen den oder dieselbe Gegner*in laufenden Sachen oder mehreren laufenden Straf- oder Bußgeldsachen unterscheiden zu können. Hingegen sind für die Befragung der Mandant*innen deren Telefonnummer und E-Mail-Adresse nicht erforderlich. Der Verfügungskläger benötigt für die Befragung auch keine Kenntnis von den laufenden Fristen und Terminen oder ob es sich um eine außergerichtliche oder gerichtliche Sache, ein behördliches oder gerichtliches Verfahren handelt. Derartige Angaben benötigt der Verfügungskläger nur, wenn sich Mandant*innen im Rahmen der Befragung für ihn entschieden haben. Für die Information der Mandant*innen über das Ausscheiden des Verfügungsklägers aus der Kanzlei des Verfügungsbeklagten gilt nichts anderes.

Soweit der Verfügungskläger für die Information und Befragung der Mandant*innen deren Daten benötigt, kann er nicht darauf verwiesen werden, zumindest von den von ihm betreuten Mandant*innen müsse er deren Daten kennen. Denn es ist unwahrscheinlich, dass der Verfügungskläger bei sämtlichen von ihm betreuten Mandaten die vollständigen Namen der Mandant*innen, deren Anschrift, den Namen des oder der jeweiligen Gegner*in und das Kanzleiaktenzeichen im Kopf hat.

Weiter kann der Verfügungskläger nicht verlangen, dass er die Liste mit den Mandantendaten als digitale Excel-Tabelle erhält. Der Verfügungsbeklagte genügt seiner Auskunftspflicht schon dann, wenn er dem Verfügungskläger die Liste in Papierform übergibt.

(2) Der erforderliche Verfügungsgrund ist ebenfalls gegeben.

Der Verfügungskläger ist auf die für die Information und Befragung der Mandant*innen nach § 32 Absatz 1 BORA erforderlichen Mandantendaten dringend angewiesen. Denn ohne diese Daten droht sein Recht, die Mandant*innen über sein Ausscheiden aus der Kanzlei des Verfügungsbeklagten zu informieren und deren Entscheidung einzuholen, wer deren laufende Mandate zukünftig weiterbearbeiten soll, - wie bereits oben erwähnt - leerzulaufen.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Verfügungsbeklagte viele Mandant*innen bereits über das Ausscheiden des Verfügungsklägers aus der Kanzlei informiert und befragt hat. Denn zum einen kann sich der Verfügungskläger nicht darauf verlassen, dass der Verfügungsbeklagte sämtliche Mandant*innen der Kanzlei informiert und befragt hat und dass dies mit der gebotenen Fairness und Neutralität erfolgt ist. Zum anderen muss er sich mit der Befragung durch den Verfügungsbeklagten auch schon deshalb nicht begnügen, weil das Recht zur Information und Befragung der Mandant*innen nach § 32 Absatz 1 BORA jedem Mitglied der aufgelösten Sozietät oder Außensozietät zusteht, wenn - wie vorliegend - eine Einigung auf ein gemeinsames Rundschreiben nicht möglich war.

Der Verfügungskläger ist auch darauf angewiesen, die Mandant*innen möglichst zeitnah zu informieren und zu befragen, zum einen, um die mit dem Rechtsschein der Außensozietät verbundene Haftung nach außen zeitlich möglichst zu begrenzen (dazu Henssler/Prütting, § 32 BORA Rn. 23) und zum anderen, um nicht die Chance zu verlieren, dass sich die Mandant*innen für ihn entscheiden. Denn je größer der zeitliche Abstand zwischen seinem Ausscheiden aus der Kanzlei des Verfügungsbeklagten und der Befragung der Mandant*innen ist und je länger die Mandant*innen ausschließlich mit dem Verfügungsbeklagten Kontakt hatten und deren laufende Mandate von diesem betreut wurden, desto gelockerter ist deren Beziehung zu dem Verfügungskläger und desto geringer ist dessen Chance, dass sie sich noch für ihn entscheiden.

Der Verfügungskläger ist auch im besonderem Maße darauf angewiesen, durch eine zeitnahe Befragung möglichst viele der laufenden Mandate übernehmen zu können, da er sich ab dem 3. August 2020 mit einer eigenen Kanzlei selbstständig gemacht hat und deshalb möglich bald einen seine Existenz sichernden Mandantenstamm benötigt.

(3) Schließlich überwiegt im Rahmen der erforderlichen Abwägung der schützenswerten Interessen der Parteien das Interesse des Verfügungsklägers an dem Erlass der einstweiligen Verfügung auch deutlich das Interesse des Verfügungsbeklagten an deren Nichterlass. Denn während im Fall des Nichterlasses der einstweiligen Verfügung das Recht des Verfügungsklägers auf Befragung sämtlicher Mandant*innen der Kanzlei bei einem im Wesentlichen unstreitigen Sachverhalt ins Lehre zu gehen droht, beschränkt sich für den Verfügungsbeklagten das mit dem Erlass der einstweiligen Verfügung verbundene Risiko auf den mit der Erstellung der Mandant*innenliste verbundenen Aufwand. Sollte sich in einem etwaigen Hauptsacheverfahren herausstellen, dass der Verfügungsbeklagte - aus welchen Gründen auch immer - nicht verpflichtet war, die Auskünfte über die laufenden Mandate zu erteilen, wäre der Verfügungskläger dem Verfügungsbeklagten nach § 945 ZPO zum Schadensersatz verpflichtet, wobei sich der dem Verfügungsbeklagten durch die Erteilung der Auskunft entstandene Schaden ohne größere Schwierigkeiten berechnen ließe. Hingegen dürfte es umgekehrt kaum möglich sein, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, wie viele und welche Mandant*innen sich bei einer zeitnahen Befragung für den Verfügungskläger entschieden hätten.

c) Soweit der Verfügungskläger mit dem Antrag zu 1. darüber hinaus die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung bezüglich der Vollständigkeit der Mandantenliste begehrt, ist das Verfahren nicht entscheidungsreif. Der Antrag steht in einem Stufenverhältnis zum Antrag auf Auskunft über die Kontaktdaten der Mandant*innen, weshalb über den Antrag erst entschieden werden kann, wenn der Verfügungsbeklagte die Auskunft erteilt hat. Dies folgt - auch ohne, dass der Verfügungskläger den Antrag ausdrücklich als Stufenantrag bezeichnet hat - schon daraus, dass der Verfügungskläger einen Anspruch gegen den Verfügungsbeklagten auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung bezüglich der Vollständigkeit der ihm vom Verfügungsbeklagten zu übergebenden Liste in entsprechender Anwendung des § 260 Absatz 2 BGB nur hat, wenn ein Grund für die Annahme besteht, dass der Verfügungsbeklagte die Liste nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt hat, und der Verfügungskläger dies darlegt.

2. Der Antrag zu 2., mit dem der Verfügungskläger die Feststellung begehrt, dass sich das Verfahren bezüglich der vom Antrag zu 1. ausgenommenen Mandate erledigt hat, ist ebenfalls zulässig und begründet. Der Antrag zu 1. war auch bezüglich dieser Mandate zunächst zulässig und im Wesentlichen auch begründet. Jedoch ist, indem der Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger im Laufe des Berufungsverfahrens die entsprechenden Akten sukzessive übergeben hat, insoweit das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag nachträglich entfallen. Da sich der Verfügungsbeklagte den Erledigungserklärungen des Verfügungsklägers nicht angeschlossen hat, war dem Feststellungsantrag stattzugeben.

3. Der Widerantrag des Verfügungsbeklagten hat hingegen keinen Erfolg. Insoweit war das erstinstanzliche Urteil schon deshalb abzuändern und der Antrag zurückzuweisen, weil der Verfügungsbeklagte die zu seinen Gunsten erlassene Unterlassungsverfügung nicht innerhalb der Frist des § 929 Absatz 2 ZPO vollzogen hat.

a) Nach § 62 ArbGG, §§ 936, 929 Absatz 2 ZPO ist die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem sie verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch sie erging, zugestellt wurde, ein Monat verstrichen ist. Deshalb muss die einstweilige Verfügung innerhalb der Frist des § 929 Absatz 2 ZPO vollzogen werden. Die Vorschrift dient dem Schuldnerschutz. Sie soll sicherstellen, dass der Verfügungsgrund im Zeitpunkt der Vollziehung noch fortwirkt und der oder die Schuldner*in nicht über längere Zeit im Ungewissen bleibt, ob er oder sie aus einem im Eilverfahren ergangenen Titel noch in Anspruch genommen werden soll (vergleiche BVerfG (Bundesverfassungsgericht) 27. April 1988 - 1 BvR 549/87 -, NJW (Neue Juristische Wochenschrift) 1988, 3141). Mit dem ungenutzten Ablauf der Vollziehungsfrist wird der Wegfall des Verfügungsgrundes unwiderleglich vermutet (vergleiche Musielak/Voit/Huber, § 929 Rn. 2). Darüber hinaus verliert die einstweilige Verfügung als Vollstreckungstitel endgültig ihre Wirkung (Schuschke/Walker/Kessen/ Thole/Schuschke/Kessen § 929 ZPO Rn. 34).

b) Der Verfügungsbeklagte ist dem Einwand des Verfügungsklägers, er habe die Unterlassungsverfügung nicht vollzogen, nicht entgegengetreten und hat nicht vorgetragen, welche Maßnahmen er zur Vollziehung der Unterlassungsverfügung ergriffen hat. Damit gilt das Vorbringen des Verfügungsklägers nach § 138 Absatz 3 ZPO als zugestanden.

III. Über die Verteilung der Kosten ist nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung im Schlussurteil zu entscheiden.

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